Liberté – Egalité – Laicité. Religionsfreiheit und Mission in Frankreich vor und nach Charlie Hébdo Inhaltsangabe Liberté – Egalité – Laicité.................................................................................... 1 Religionsfreiheit und Mission in Frankreich vor und nach Charlie Hébdo ........... 1 Einführung...................................................................................................... 2 I. Laizität – Laizismus .................................................................................... 3 II. Legale und historische Aspekte .............................................................. 5 a) Die Revolutionsjahre 1789 bis 1801. Die erste Schwelle hin zur Säkularisierung ........................................................................................... 5 b) Das Gesetz von 1905. Der Vollzug der Trennung von Staat und Kirche. 8 III. Die Verfassungen der IV. und der V. Republik von 1946 und 1958. Die Laizität wird verfassungsmäßig festgelegt .................................................... 10 IV. Die Entwicklung des französischem Schul- und Bildungssystems als Schlüssel zum Verständnis von Laizität ........................................................ 11 a) Die Schulreform von Jules Ferry von 1880 ........................................ 11 b) Schulbildung als moralische Institution ............................................. 12 c) Die neue Diskussion in Beziehung auf Religions- oder Ethikunterricht in der Schule ............................................................................................. 12 V. Die „Laizität“ in der bürgerlichen Gesellschaft. Eine soziale Norm ?! ... 13 VI. Die Ausnahme : Elsass-Moselle ............................................................ 15 VII. Resümee .............................................................................................. 17 1 Einführung Am Morgen des 7. Januars 2015 um 11:30 Ortszeit drangen die zwei Brüder Said und Chérif Kouachi in das Büro des Französischen Satiremagazins Charlie Hebdo in der Innenstadt von Paris ein. Mit Sturmgewehren bewaffnet erschossen sie zuerst kaltblütig Mitglieder der Redaktion und auf ihrer Flucht einen weiteren unbeteiligten Passanten. Elf weitere Personen wurden zum Teil schwer verletzt. Die Terroristen bekannten sich zum jemenitischen Arm der islamistischen Terrorgruppe AL-Qaida. Diese übernahm die Verantwortung für das Attentat. Weitere Attentate mit fünf Toten und mehreren Schwerverletzten folgten kurz darauf im Großraum Paris. Auch diese standen im Zusammenhang mit den Morden von Charlie Hébdo. Nicht nur in Frankreich, sondern in vielen europäischen Ländern, vor allem auch in Dänemark, Norwegen und Schweden, lösten die Ereignisse vom Januar eine erregte Diskussion über Presse- und Meinungsfreiheit aus. Wie weit dürfen Karikaturen gehen? Ist nicht die Presse- und Meinungsfreiheit ein hohes Gut unserer freien demokratischen Gesellschaften, das es unter allen Umständen zu bewahren gilt? Gerade um diese zu bewahrenden Werte geht es, wenn in Frankreich die Debatte besonders um das Prinzip der sogenannten Laizität1 kreiste und kreist. „Attentat gegen Charlie Hébdo. Die Laizität in Frage gestellt“, so titelte die liberal-katholische Zeitung „La Croix“. Und eine Woche später, am 14. Januar 2015, gab das amtliche Observatoire de la laicité eine Veröffentlichung heraus mit dem Titel „Avis de l’Observatoire de la laicité sur la 1 In meinem Vortrag benutze ich den französischen Terminus Laizität, der ein Neologismus darstellt, aber durch seinen besonderen Gebrauch kaum ins Deutsche übertragen werden kann. Dass der Begriff im 19. Jahrhundert bei seinem Aufkommen in den öffentlichen Diskussionen auch eine Neuerung in der französischen Sprache darstellte, lässt sich auch aus dem unten zitierten Dictionnaire pédagogique von Fréderic Buisson entnehmen. Siehe dazu auch das Kapitel I. Laizität – Laizismus, insbesondere Fußnote 3, p. 4. 2 promotion de la laicité et du vivre ensemble (Stellungnahme der Beobachtungsstelle für Laizität in Hinsicht auf die Förderung der Laizität und des Zusammenlebens).“ Dieses in Frankreich fast heilig bewahrte und immer wieder in der politischen Diskussion beschworene Prinzip bedarf einer genaueren Untersuchung. Es gilt als erstes den Begriff der Laizität in Bezug auf Säkularisierung und Laizismus abzugrenzen. Zweitens müssen historische und damit auch zusammenhängende juristische Aspekte genauer beleuchtet werden. Wie ist dieses besondere Verständnis von Laizität gerade in Frankreich entstanden und wie schlägt sich dieses in Verfassung und Gesetzgebung nieder? Das dritte Element, das ich ansprechen werde, ist die besondere geschichtliche Herausbildung des französischen Schulsystems, dem bei diesem Thema eine Schlüsselrolle zukommt. Abschließend gilt es noch, das gesellschaftliche Phänomen der Laizität zu betrachten, als auch einen Ausblick zu wagen - unter besonderer Berücksichtigung der Situation in den sogenannten konkordatären Departements: Bas-Rhin, Haut-Rhin und Moselle oder kurz gesagt ElsassLothringens. I. Laizität – Laizismus Geprägt wird der Begriff Laicité im Dictionnaire pédagogique et d’instruction primaire in der 1. Auflage von 1887 des französischen Philosophen, Pädagogen und Politikers Ferdinand Buisson2. Hier wird unter dem Stichwort Laicité auf die 2 Ferdinand Buisson (1841-1932), dem liberalen Protestantismus verbunden, war einer der Wegbereiter des Völkerbundgedankens und erhielt 1927 gemeinsam mit dem linksliberalen Politiker der Weimarer Republik Ludwig Quidde (1858-1941) den Friedensnobelpreis. Weitere Informationen sind zu finden unter dem Link: https://de.wikipedia.org/wiki/Ferdinand_Buisson . 3 Neuschöpfung des Begriffes verwiesen, der deshalb notwendig geworden sei, da kein anderer Begriff „ohne Umschweife die gleiche Idee in seinem Umfang aus zu drücken vermag.“3 Der Begriff geht auf das griechische λαϊκισμός zurück für „Laie“ im Sinn von Nicht-Geistlicher. Der Laikos ist also derjenige, der auf das profane, also auf das pro- fanum vor dem Temple befindliche, das Nicht-Heilige beschränkt ist. Das Verständnis von Laizität in Frankreich ist nicht einfach eine Trennung von Staat und Kirche, sondern geht weit darüber hinaus. Es wird nicht nur als verfassungsrechtliches Prinzip gehandhabt, sondern impliziert in der französischen Gesellschaft ein gesellschaftspolitisches Konzept. Dabei kommt es in seiner Anwendung dem Begriff des Laizismus sehr nahe, der „die explizite Zielsetzung eines klar antireligiösen Kampfs“ darstellt. „Er [der Laizismus] arbeitet auf den Zerfall der ganzen Kirche und auf das soziale Verschwinden aller religiösen Konfessionen hin, ausgehend von dem Postulat, dass diese aufklärungsfeindlich und entfremdend seien.», so der katholische Geistliche und Verfechter des Laizitätsgedankens Laurent Lao.4 Deshalb ist es wichtig, zwischen verfassungsrechtlichem Rahmen der Laizität, welche klar eine Trennung von Staat und Kirche vorsieht, und dem vielfältigen Verständnis der Laizität im heutigen Frankreich zu unterscheiden. Zudem gilt es zum Verständnis von Laizität auf die geschichtlichen Voraussetzungen dafür zumindest ansatzweise einzugehen. 3 Zitiert und übersetzt nach der elektronischen Ausgabe des Dictionnaires auf der Internet Seite des ifé (Institut français de l’éducation), http://www.inrp.fr/edition-electronique/lodel/dictionnaire-ferdinandbuisson/document.php?id=3003 . 4 « Il entend travailler au dépérissement de toute Église et à l’extinction sociale des confessions religieuses, à partir du postulat qu’elles sont obscurantistes et aliénantes », zitiert nach WIKIPAEDIA laicisme : https://fr.wikipedia.org/wiki/La%C3%AFcisme . Der entsprechende deutsche Artikel auf WIKIPAEDIA ist ungenau ! Siehe auch die Rezension des Buches von Laurent Laot, De la laïcité. Chemin(s) faisant, Paris, Temps présent, 2012, 267 p ; zu finden unter dem link : https://assr.revues.org/24641 . 4 II. Legale und historische Aspekte Grundlegend für das Verständnis des Prinzips Laizität ist die Verflechtung der französischen Monarchie mit Rom. Als älteste Tochter der Kirche, wie Frankreich oft genannt wird, war dieses Verhältnis geprägt vom sogenannten Prinzip des Gallikanismus. Dieses beinhaltete seit dem 14. Jahrhundert die Unterordnung Roms unter die Monarchie, um die Macht des Papstes zugunsten französischer Bischöfe, Präfekten oder des französischen Königs zu beschneiden. Es galt also, eine Art Nationalkirche unabhängig von Rom zu etablieren. Das änderte sich grundlegend mit der Französischen Revolution.5 a) Die Revolutionsjahre 1789 bis 1801. Die erste Schwelle hin zur Säkularisierung Unmittelbar nach der Stürmung der Bastille, Symbol königlicher Autorität und absoluter Herrschaft, am 14. Juli 1789, beschnitten die Revolutionäre radikal die Macht der Kirche. Die Französische Revolution war nicht nur eine Befreiung von absolutistischer Unterdrückung, sondern auch eine Emanzipation von moralischer und spiritueller Bevormundung. Von der dominanten katholischen Vorherrschaft befreit, gab es gleich zu Beginn der Revolution Anstalten, sich sämtlicher religiöser Symbole und Riten zu entledigen. Um auf der einen Seite die Macht der Kirche zu brechen, als auch um die moralische und spirituelle Lücke zu schließen, die die katholische Kirche als moralische und spirituelle Instanz ausgefüllt hatte, führten die Revolutionäre einen sogenannten Culte de la raison , einen Vernunftsgottesdienst ein. Es gab rituell zelebrierte Feiern zu Ehren der Vernunft, eine Umbenennung der Wochen- und Monatsnamen, um 5 So wunderte sich der frühere Staatspräsident Nicolas Sarkozy mit Amtsantritt einen Titel erhalten zu haben, den er nicht erwartet hatte : Als französisches Staatsoberhauopt wurde ihm kraft Amtes der Titel : Ehrenkanoniker der Lateranbasilika im Vatikan (chanoine d’honneur de la basilique du Latran), siehe dazu : http://www.steinbach68.org/france-siege.htm . 5 sämtliche religiösen als auch heidnisch-religiöse Anlehnungen zu vermeiden. Es wurde auch eine republikanische Taufe eingeführt, die heute als baptême civil wieder an Popularität gewinnt.6 Wir können also nicht nur von einer Säkularisierung Frankreichs sprechen, sondern auch umgekehrt von einer Sakralisierung der Französischen Revolution. Dennoch fand die Trennung zwischen Staat und Kirche nur teilweise statt. Der Religionssoziologe Jean Baubérot spricht daher von einer ersten Stufe hin zur Säkularisierung Frankreichs.7 In der Tat kam es zu Kompromissen, die aus der Einsicht entstanden, dass ein Staat eine moralische Institution benötige. So wurde z. B. am 12. Juli 1790 die Constitution civile du clergé verabschiedet, die dem Klerus, in gewissem Rahmen, einen Status in der jungen Republik zugestand. Dennoch hatte die Befreiung aus der Klammer der katholischen Kirche grundlegende positive Konsequenzen: • Die faktische Anerkennung anderer Religionen und Weltanschauungen (Protestanten, Juden, Freidenker) • Die gleichen Rechte für jeden Bürger ohne Ansehen der Religionszugehörigkeit • Die Gewissensfreiheit Bis zum Staatsvertrag, dem Konkordat zwischen französischer Republik und Vatikan von 1801 war die katholische Kirche gespalten in republiktreue Priester, welche die Bürgerliche Verfassung unterzeichnet hatten und den sogenannten widerspenstigen Priestern (prêtres réfractaires), welche sich weigerten den Eid auf die Verfassung zu schwören. 6 Zur baptême civil siehe auch das in DDR praktizierte Pendant https://de.wikipedia.org/wiki/Namensweihe . 7 Jean Baubérot, Histoire de la laicité, Presse universitaire de France, Paris 2000. P. 24 6 der Namensweihe: Nach seiner Ernennung zum Ersten Konsul der jungen Republik 1799 arbeitet Napoleon I einen Staatsvertrag mit Rom aus, das sogenannte Konkordat von 1801. Es wird am 15. Juli 1801 von Napoleon und Papst Pius VII feierlich unterzeichnet. Dieser Vertrag versucht eine Versöhnung zwischen Revolutionären und Kirche herbeizuführen, indem es den Katholizismus als die Religion der Mehrheit anerkennt und den Großteil ihres bürgerlichen Status wiederherstellt. Die Feindschaft der Kirchentreuen gegen den Staat wird auf diese Weise größtenteils aufgelöst. Auf eine Rückgabe enteigneten Kirchenlands oder Rückerstattung kirchlicher Stiftungen wird aber abgesehen. Die katholischen Geistlichen kehren aus dem Exil in ihre angestammten Positionen in den Parochialgemeinden zurück. Nur ganz wenige Gemeinden behalten die Priester, die die sogenannte Verfassung der Geistlichkeit akzeptiert haben. Während das Konkordat die Macht des Papstes zum großen Teil wiederherstellt, kippt das Verhältnis zwischen Staat und Kirche zugunsten des Staates. Das Staatsoberhaupt wählt die Bischöfe aus und überwacht die kirchlichen Finanzen.8 8 Die Hauptbestimmungen des Konkordats von 1801 zwischen französischer Republik und Papst Pius VII beinhaltet folgende Punkte: Eine Erklärung, dass die katholische Religion die „Religion des größten Teils der französischen Bevölkerung“ sei, aber keineswegs Staatsreligion, garantiert Religionsfreiheit in besondere Hinsicht auch die der Protestanten. Der Vatikan hat das Recht Bischofe zu entheben; der französische Staat behält sich aber das Recht vor, Bischöfe zu ernennen. Der Staat übernimmt die Besoldung der Geistlichen und diese wiederum legen einen Treueeid auf den Staat ab. Die katholische Kirche gibt alle Ansprüche auf Kirchenland, welches nach 1790 enteignet worden war, auf. Der Sonntag wird wieder als Feiertag eingeführt, mit Wirkung vom Ostersonntag 1802 an (der Republikanische Kalender bleibt aber bis zum 1. Januar 1806 in Kraft). Das Konkordat wurde durch ein Gesetz zur Trennung von Staat und Kirche 1905 abgeschafft. Dennoch besteht es noch in den drei Ostdepartements Bas-Rhin, Haut-Rhin und Moselle zum großen Teil. Diese waren zur Zeit der Säkularisierung in Frankreich Bestandteil des deutschen Kaiserreichs. Siehe dazu auch Kapitel VI. p.14. 7 Auch wenn das Konkordat die römisch-katholische Religionszugehörigkeit als die Religion des größten Teils der Bevölkerung feststellte, beschnitt es den Einfluss Roms. Es kann aufgrund der rechtlichen Anerkennung anderer Glaubenszugehörigkeiten, d. h. der israelitischen Religionsgemeinschaft als auch des protestantischen Glauben, als ein weiterer Schritt in Richtung der Säkularisierung Frankreichs betrachtet werden. b) Das Gesetz von 1905. Der Vollzug der Trennung von Staat und Kirche. In der Laizitätsdebatte wird heute vielfach - zu Recht oder Unrecht - auf das Gesetz von 1905 verwiesen. Aber wie entstand es und was beinhaltet es? Nach heftigen Diskussionen zwischen den Verteidigern eines Status quo und den Streitern, welche den römischen Block auslöschen wollten, versuchte Aristide Briand, Abgeordneter der Assemblée Nationale, zwischen beiden Extrempositionen zu vermitteln und er schloss seine berühmte Rede vor den Abgeordneten des Parlaments mit folgenden Worten: „Wenn das Leben der Kirche von der Beibehaltung des Konkordats abhängt, so ist dieses ein fiktives Leben, künstlich, es ist so als wäre die Kirche in Wirklichkeit bereits tot.“ 9 Das Gesetz wurde am 3. Juli 190510 nach langen und heftigen Debatten verabschiedet. Der ideologische Streit zwischen katholischen Hardlinern und 9 Aristide Briand, discours du 3 juillet 1905 ; dans : Marianne. Les Textes. Trimestriel, Paris, février 2015, p. 35. Der Wortlaut des Gesetzes von 1905 findet sich auf den Seiten der französischen Regierung : http://www.legifrance.gouv.fr/affichTexte.do?cidTexte=LEGITEXT000006070169&dateTexte=20080306 Loi du 9 décembre 1905 concernant la séparation des Eglises et de l'Etat. Version consolidée au 06 mars 2008 Article 1 La République assure la liberté de conscience. Elle garantit le libre exercice des cultes sous les seules restrictions édictées ci-après dans l'intérêt de l'ordre public. Article 2 La République ne reconnaît, ne salarie ni ne subventionne aucun culte. En conséquence, à partir du 1er janvier qui suivra la promulgation de la présente loi, seront supprimées des budgets de l'Etat, des départements et des communes, toutes dépenses relatives à l'exercice des cultes. 10 8 radikalen Freidenkern hatte bereits mehrere Jahre gedauert. Unter französischen Historikern wird auch von einem Konflikt des zweigeteilten Frankreichs (Conflit de deux Frances) gesprochen11. Das Gesetz ist im Großen und Ganzen auf die folgenden Prinzipien gegründet: • Neutralität des Staates in Bezug auf Religionsangelegenheiten • Freiheit religiöser Betätigungen • Trennung von staatlicher Macht und kirchlichen Institutionen12 Die Trennung von Staat und Kirche erklärte, in der Folge von Enteignung kirchlicher Güter und Vertreibung der Geistlichen, die meisten katholischen Güter zu Staatseigentum (Kathedralen), zu Eigentum der Kommunen (Dorfkirchen) und führte zu einer Schließung der meisten Konfessionsschulen. 1905 stellte aber eher einen Kompromiss dar, war also keine integrale Säkularisierung (laïcité integrale13), wie sie von radikalen Sozialisten und Antiklerikalen Aktivisten gefordert worden war. So gibt es auch heute noch vom Staat anerkannte konfessionelle Privatschulen14 und katholische Privatuniversitäten, deren Diplome staatlich anerkannt sind. Pourront toutefois être inscrites auxdits budgets les dépenses relatives à des services d'aumônerie et destinées à assurer le libre exercice des cultes dans les établissements publics tels que lycées, collèges, écoles, hospices, asiles et prisons. Les établissements publics du culte sont supprimés, sous réserve des dispositions énoncées à l'article 3. 11 Cf. Jean Baubérot, Histoire de la laicité en France, Page 27 ss. 12 Jean Baubérot hebt diese Punkte als dritte Stufe der Säkularisation hervor; Jean Bauberot, histoire de la laicité en France, p.63ff. 13 Jean Bauberot, Histoire de la laicité en France, page 64. 14 Es gibt ungefähr 5000 Privatschulen der Primarstufe und 3500 der Sekundarstufe. Der größte Teil davon sind katholische Einrichtungen. Siehe: Repères et références statistiques. Herausgegeben vom Bildungs- und vom Forschungsministerium : http://cache.media.education.gouv.fr/file/2013/49/9/DEPP-RERS-2013_266499.pdf . 9 III. Die Verfassungen der IV. und der V. Republik von 1946 und 1958. Die Laizität wird verfassungsmäßig festgelegt Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Laizität mit folgenden Worten in die Verfassung der IV. Republik eingeschrieben: Titre I - De la souveraineté ; Article 1. - La France est une République indivisible, laïque, démocratique et sociale. 15 1958 in der Verfassung der V. Republik unter Charles de Gaulles konstatiert der 1. Artikel: 1. Artikel: Frankreich ist eine unteilbare, säkulare (laïque), demokratische und soziale Republik. Sie garantiert die Gleichheit aller Bürger vor dem Gesetz, ohne Rücksicht auf Herkunft, Rasse oder Religion. Sie respektiert alle Glaubens- oder Weltanschauungen. Die Erwähnung eines säkularen bzw. 16 Laizistischen Staates ist die verfassungsrechtliche Feststellung, die im Gesetz von 1905 zugrunde gelegt wird: Die Republik erkennt [im Besonderen] keinen bestimmten Kultus an, noch besoldet er oder subventionierte er einen solchen. 17 Diese Ausführungen markieren die endgültige Trennung von französischem Staat und Kirche. 15 Auf den Seiten des französichen Verfassungsrates (Conseil constitutionnel) : http://www.conseilconstitutionnel.fr/conseil-constitutionnel/francais/la-constitution/les-constitutions-de-la-france/constitutionde-1946-ive-republique.5109.html . 16 Die Verfassung von 1958 findet man ebenfalls auf den Seiten des Verfassungsrates in deutscher Fassung: http://www.conseil-constitutionnel.fr/conseilconstitutionnel/root/bank_mm/allemand/constitution_allemand.pdf . 17 « La République ne reconnaît, ne salarie ni ne subventionne aucun culte. », http://www.legifrance.gouv.fr/affichTexte.do?cidTexte=JORFTEXT000000508749 10 IV. Die Entwicklung des französischem Schul- und Bildungssystems als Schlüssel zum Verständnis von Laizität a) Die Schulreform von Jules Ferry von 1880 Gehen die ersten Lateinschulen auf Karl den Großen zurück, blieb Bildung bis tief ins 19. Jahrhundert hinein eine Sache der Kirche. Die wichtigste Schulreform wurde erst im Jahre 1880 durch Jules Ferry veranlasst, der als Gründer des öffentlichen Schulwesens in Frankreich gilt. Die öffentliche Schule soll obligatorisch, laizistisch und kostenfrei sein. Bis dahin stand das gesamte Schulwesen unter kirchlicher Aufsicht. Jules Ferry (1832-1893) war der erste Bildungsminister Frankreichs und Premierminister von 1883 bis 1885. Und er erklärt in dieser Zeit: „Säkularisierung der öffentlichen Schule ist in meinen Augen und in den Augen der Regierung die Konsequenz der Säkularisierung der bürgerlichen Macht und aller sozialen Institutionen wie z. B. der Familie. Sie ist die Grundlage für das System unter dem wir seit 1789 leben.“18 Nach und nach wurden „Ecoles normales “ gegründet, öffentliche Lehrer bestellt und nicht autorisierte Kongregationsschulen verboten. In einem an alle Lehrer adressierten Schreiben erklärt Ferry 1883 die zwei wesentlichen Grundsätze seiner Reform: „Es [das Gesetz zur Schulreform vom 18. März 1882 Anm. d. Verf.] entfernt einerseits den Unterricht eines jeden speziellen Dogmas aus dem obligatorischen Lehrplan und andererseits stellt es den moralischen und staatsbürgerlichen Unterricht an erster Stelle. Die religiöse Erziehung ist der Kirche und der Familie vorbehalten, die moralische Erziehung der Schule.“19 Diese Reform stellt bis heute einen Schlüssel zum Verständnis der Säkularisierung Frankreich also auch der Laizität dar. In Bezug auf diese Reform 18 Marianne, page 23. Das ganze Schreiben ist zu finden bei folgendem Link : https://fr.wikisource.org/wiki/Jules_Ferry__Lettre_aux_instituteurs,_1883 19 11 ist konfessioneller Religionsunterricht in Frankreich undenkbar, würde er doch diesen emanzipatorischen Schritt in Frage stellen. Zudem war und ist das Schulsystem in Frankreich schon immer erstes und wichtigstes Feld der Austragung ideologischer Debatten gewesen. b) Schulbildung als moralische Institution 2013 präsentierte das französische Bildungsministerium eine Charte de la laicité20, welche von jeder Schule öffentlich ausgehängt werden sollte. Dies war eine Reaktion auf Vorkommnisse im Schulalltag mit religiösem Hintergrund, wie z. B. die Verweigerung von Schwimmunterricht muslimischer Mädchen, das Tragen von Kopftuch und teilweise auch aggressives Verhalten mit Bezug auf religiöse Überzeugungen. Die Charta der Laizität enthält 15 Artikel, wobei die ersten Artikel vor allem Elemente der französischen Verfassung enthalten. Lehrer werden zu strikter Neutralität in Hinsicht auf politische und religiöse Fragen angehalten. Der Lehrkörper ist verpflichtet, den Sinn und die Werte von Laizität zu vermitteln und es ist Schülerinnen und Schülern untersagt, religiöse Symbole und Kleider im Schulbereich zu tragen. c) Die neue Diskussion in Beziehung auf Religions- oder Ethikunterricht in der Schule Nach den Ereignissen vom Januar 2015 kam eine erneute Diskussion über religiöse Unterweisung in der Schule auf. Das Observatoire de la laicité, eine vom Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy einberufene, staatliche Beobachtungsstelle – sie nahm ihre Arbeit erst unter François Holland auf – rät in einer Stellungnahme vom 14. Januar 2015, also unmittelbar nach den Charlie Hébdo Attentaten: „Für eine effektive Entwicklung des säkularen Unterrichts in 20 http://www.education.gouv.fr/pid25535/bulletin_officiel.html?cid_bo=73659 12 der Schule: Dies impliziert […] die Ausbildung von Lehrern in solcher Weise, dass sie eine kritische Distanz in der persönlichen Reflexion der Schüler einführt. Das Observatoire de la laicité lädt die Schulgemeinde dazu ein, diese Unterrichtsweise auf die Primärschule auszudehnen.“ 21 Vor kurzem ist ein Leitfaden zum Unterricht der Laizität erschienen. Dies geht einher mit der Einführung eines sogenannten Tages der Laizität, der jedes Jahr am 9. Dezember begangen werden soll. Da mir das Dokument erst seit kurzem vorliegt, kann ich hier nur sehr begrenzt darauf eingehen. Ziel ist es, so wie es sich mir in einem kurzen Überblick erschließt, in einer Art interdisziplinärem Unterricht Wissen über Religion zu vermitteln. Interessant ist aber ein Abschnitt, welcher vor kurzem zu einer heftigen Diskussion geführt hat. Es geht darum, dass den Unterrichtenden angeraten wird, Wissen und Glauben auf gleicher Ebene zu behandeln, d. h. das eine nicht über das andere zu stellen.22 Dies stellt meines Erachtens eine Art Paradigmenwechsel statt, da die religiöse Glaubenseinstellung gerade nicht gegen ein rationalistisches Weltbild ausgespielt wird, sondern es wird darauf Wert gelegt, beides als gleichberechtigt nebeneinander zu stellen. Ein Hinweis auf eine neue Sichtweise des Selbstverständnisses der Laizität? V. Die „Laizität“ in der bürgerlichen Gesellschaft. Eine soziale Norm ?! In seinem Buch „ Die Möglichkeit der Kosmopolitik“ erklärt der Philosoph und Kolumnist Constantin Languille, dass das Prinzip der Laizität, wie es in der französischen Gesellschaft verwendet wird „sich nicht auf eine legale Realität 21 Abrufbar als PDF Dokument auf: http://www.gouvernement.fr/avis-de-l-observatoire-de-la-laicite-sur-lapromotion-de-la-laicite-et-du-vivre-ensemble . 22 «Il faut pouvoir [pour les enseignants] éviter la confrontation ou la comparaison du discours religieux et du savoir scientifique. Dans les disciplines scientifiques (SVT, physique-chimie, etc.), il est essentiel de refuser d’établir une supériorité de l’un sur l’autre comme de les mettre à égalité.», Der Artikel in der Zeitung Libération, welcher auf die Diskussion eingeht, zitiert aus den Livrets de la laicité. Dieses Zitat ist unter folgendem Link zu finden : http://www.liberation.fr/france/2015/10/22/le-livret-laicite-accuse-de-revenir-surla-distinction-entre-croire-et-savoir_1408120 . 13 bezieht, sondern auf eine soziale Norm […] nach welcher Religion streng der persönlichen Sphäre angehört und nicht im öffentlichen Raum sichtbar sein darf.“23 Unter sozialer Norm wird hierbei die ungeschriebene allgemeine Akzeptanz grundlegender Prinzipien einer Gesellschaft verstanden. Eine solche Norm ist offen für eine weitgefächerte und oft divergierende Interpretation und Instrumentalisierung. Wie Jean Baubérot zeigt, wird das Prinzip der Laizität oft von rechten und rechtsextremen Parteien, wie z. B. der FN gegen den Islam angewandt. Im Namen der Laizität wird die Präsenz muslimischer Traditionen und Symbole stigmatisiert. Jean Baubérot nennt dies eine „verfälschte Laizität“ 24 , weil der legale Rahmen im Grunde gerade die Gewissens- und Religionsfreiheit im öffentlichen Raum garantiere, falls sie nicht die öffentliche Ordnung störe. Man kann in dieser Hinsicht von einer Norma normans sprechen, die eine Interpretation aufzwingt, die nicht der legalen Basis entspricht. Dennoch gilt zu berücksichtigen, dass oftmals einem pragmatischeren Umgang mit Laizität in der französischen Politik der Vorrang gegeben wird. Jean Glavany, sozialistischer Minister unter François Mitterand und Verfechter einer strengen Laizität nennt die daraus resultierende Anpassungen accommodements raisonables, in Anlehnung an ein aus Quebec stammendes Prinzip. Im angelsächsischen accomodations. 25 Raum spricht man von reasonables Als Beispiel kann man z. B. die Verteilung vegetarischer Menüs nennen oder die teilweise Finanzierung von Kultusgebäuden durch die öffentliche Hand. 23 24 Le Point, 9 avril 2015, N°2222, page 110. Jean Baubérot, La laicité falsifiée, Paris, 2012. 25 Jean Glavany, La Laicité. Un combat pour la paix, Ed. Héloïse d’Ormesson ; 2011, p.175. 14 VI. Die Ausnahme : Elsass-Moselle26 Im Jahre 1905 wurde also das Konkordat in ganz Frankreich abgeschafft. In ganz Frankreich? Um mich eines Ausdrucks der französischen Literatur zu bedienen. Nein! denn zwischen 1870 und 1918 gehörte das sogenannte Reichsland ElsassLothringen, welches drei Departments in Ostfrankreich umfasst, zum deutschen Kaiserreich. Deshalb blieb das Konkordat bis zum heutigen Tage dort in Kraft. Das Konkordat erkennt vier Religionsgemeinschaften rechtlich an: Die israelitische Religionsgemeinde und die drei christlichen Konfessionen: die römisch-katholische, die reformierte und die des Augsburgischen Bekenntnisses, also die Lutheraner. Deshalb findet das Prinzip der Laizität in diesen Departements keine Anwendung. Mehrere französische Regierungen haben drauf gedrängt, das Konkordat auch in diesen Departements abzuschaffen, aber bisher ist es weder einer sozialistischen noch konservativen Regierung gelungen. Am 21. Februar 2013 z. B. wies der Verfassungsrat die Klage einer laizistischen Gruppierung zurück und bekräftigte die Ausnahmestellung des Konkordats. Es wurde in höchster Instanz festgestellt, dass das Konkordat nicht verfassungswidrig sei, da es bei Inkrafttreten der Verfassungen von 1946 und 1958 bereits bestand und die Verfassungsgeber keinerlei verfassungsrechtliche Bedenken gegen ein Weiterbestehen des Konkordats zur Geltung brachten. 27 26 Ich verwende hier den heutigen Begriff Elsass-Moselle, weil er den heutigen zwei elsässischen Departements und des Departments Moselle entspricht. Historisch spricht man auch von Elsass-Lothringen, welches auf die Bezeichnung des ehemaligen Reichslands im deutschen Kaiserreicht von 1870-1918 zurückgeht. 27 Eine deutsche Fassung des Urteils findet sich auf den Seiten des französischen Verfassungsrates: http://www.conseil-constitutionnel.fr/conseil-constitutionnel/deutsch/vorrangige-frage-zurverfassungsmassigkeit/entscheidungen-2013/entscheidung-nr-2012-297-qpc-vom-21-februar2013.137192.html . 15 Das Konkordat und die sogenannten articles organiques, Zusatzartikel, welche die nicht-katholischen Religionsgemeinschaften betreffen, beinhalten Religionsunterricht, die Besoldung der Geistlichen und die Unterhaltung theologischer Fakultäten an staatlichen Universitäten. Religionsunterricht Unter dem Konkordat ist Religionsunterricht verpflichtendes und ordentliches Lehrfach in der Primar- als auch in der Sekundarstufe. Eine Abmeldung vom Religionsunterricht ist möglich. Die neueste Entwicklung geht dahin, den Religionsunterricht als fakultatives Unterrichtsfach zu bestimmen. Der Religionsunterricht ist konfessionell und wird von den Religionsgemeinschaften verantwortet. Besoldung der Geistlichen Die Geistlichen der vier Religionsgemeinschaften (Priester, Pfarrer und Rabbiner) werden vom Staat ernannt und vom Innenministerium besoldet. Kraft der Übereinkunft von 1993 sind die Besoldungsstufen an die Beamtengehälter des öffentlichen Dienstes gekoppelt. Der Gesamtaufwand wurde 2012 mit 54 Millionen Euro pro Jahr beziffert. Die Bischöfe von Metz und Straßburg werden, auf Vorschlag Roms, vom Präsidenten ernannt, die evangelischen Kirchenpräsidenten und die Oberrabbiner vom Premierminister. Dieses Vorgehen ist weltweit einzigartig, obwohl der Einfluss des Staates heute nur noch nominalen Charakter hat. Die anderen Geistlichen werden vom Innenminister ernannt. Die theologischen Fakultäten Die Universität Straßburg unterhält zwei theologische Fakultäten, eine evangelische und eine katholische. Dies sind die einzigen staatlichen theologischen Fakultäten in Frankreich, obwohl es in Metz ebenfalls einen katholisch-theologischen Fachbereich gibt. 16 Ihre Aufgabe ist die Ausbildung der jeweiligen Geistlichen. Die katholische Fakultät steht unter direkter Aufsicht des Vatikans und ihre Diplome werden als kanonisch anerkannt. Andere Religionsgemeinschaften Es gab und gibt immer wieder Bestrebungen, auch eine islamische Fakultät in Straßburg anzusiedeln. Vordenker war hierbei in den 99er Jahren der evangelische Theologe Etienne Trocmé. VII. Resümee Zum Abschluss möchte ich gerne drei Punkte, die aus meinen Ausführungen hervorgehen, unterstreichen: 1. Das Verständnis von Säkularisierung in Frankreich ist im besonderen Verhältnis von römisch-katholischer Kirche und französischem Staat verwurzelt. Seit Philippe Le Bel (1268-1314) beherrschte die Doktrin des Gallikanismus das französische Staatswesen und begrenzte die Macht Roms. Weltliche Macht und geistliche Autorität waren eng verknüpft, deshalb ist ein heutiges Verständnis der Laizität nur unter diesen Voraussetzungen erklär- und verstehbar. 2. Laizität ist nicht mit Säkularismus synonym. Durch die historischen Hintergründe bedingt, hat sich der Begriff der Laizität zu einer sozialen Norm entwickelt, die als gesellschaftliches Grundprinzip verstanden werden kann. Trotz der Tatsache, dass Religionsfreiheit verfassungsgemäß verankert ist, wird der Begriff der Laizität oft im Sinne von Laizismus verstanden, der eine Sichtbarkeit von Religion im öffentlichen Raum ausschließen will. Die Frage der Deutungshoheit, welche oft von verschiedensten antiklerikalen und religionsfeindlichen Strömungen beansprucht wird, stellt sich in diesem Kontext. Laizität 17 erfährt deshalb in Frankreich oft eine Deutung, die der negativen Gewissensfreiheit nahe kommt. 3. Gerade in der Frage der Deutungshoheit wird oft – zu Unrecht- auf die Schulreform von Jules Ferry als auch auf das Gesetz von 1905 und die Verfassung verwiesen.28 Der legale Rahmen gibt aber eine negative Interpretation der Religionsfreiheit nicht her. Deshalb gilt es zu unterscheiden zwischen der gesetzlichen Grundlage und der sozialen Norm Laizität, die vor allem in der französischen Gesellschaft stark präsent ist. Es wird in Zukunft interessant sein, zu beobachten, wie sich die Situation in den sogenannten konkordatären Departements entwickelt. Vertreter der drei großen konkordatären Religionen als auch Regionalpolitiker des Elsass weisen immer wieder – mit Hinweis auf die Ausnahme in Elsass und Lothringen darauf hin, wie in einer pluralistischen und multireligiösen Gesellschaft die Einbeziehung staatlicher Autorität zu einem friedlichen Miteinander der Religionen und Weltanschauungen beitragen kann, ohne dass das Grundprinzip des neutralen Staates verletzt wird. Sören Lenz, Oktober 2015, Liebfrauenberg/Elsass 28 Jean Baubérot, La laicité falsifiée, page 13ss. 18
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