Vorlage Titelblatt DIN A4 mit Siegel

TUTORIU M ZU R VO RGE RÜ C KTENÜBU NG IM STRAFRE CHT
SO MMERSE ME STE R 2016
SEB ASTIAN WACH SMAN N
Einheit 2: Klausurenmethodik; Diebstahl
Lösungsvorschlag
Hinweis zu Tatkomplexen (die im vorliegenden Fall nicht zu bilden sind):
TUTO
M ZU R VO RG ERÜ CKTENÜBU
NG IM STRAFR
ECHT
Das Tatgeschehen ist zur Wahrung
derRIU
Übersichtlichkeit
nach Tatkomplexen
und
Tatbeteiligten zu unterteilen.
Tatkomplexe sind Sachverhaltsabschnitte,
dieSTE
wegen
WINTE RSE ME
R 2015/ihres
201 6 räumlich-zeitlichen oder rechtlich-sozialen Zusammenhangs eine Einheit bilden. Bei der Festlegung einzelner Tatkomplexe kann man sich an den Unterscheidungskriterien
zwischen Tateinheit (§ 52) und Tatmehrheit (§ 53) orientieren. Zudem sind einzelne Sinnabschnitte in Klausurangaben
SEB ASTIAN W ACHSMANN, DR. VICTORIA IBO LD
oft bereits durch Absätze angedeutet. Bilden Sie nicht zu viele Tatkomplexe, indem Sie ein natürliches Geschehen auseinander reißen. Es werden selten mehr als drei, vier Tatkomplexe in der Examensklausur nötig sein.
Bei der Benennung der Tatkomplexe bietet es sich an, an Örtlichkeiten oder den zeitlichen Ablauf des Tatgeschehens
anzuknüpfen. Juristische Termini („Die Wegnahme der Geldbörse“) und Deliktsbezeichnungen („Der Raub“) sind unbedingt zu vermeiden. So vermischt man Alltagssprache mit Fachsprache und Sie nehmen damit die noch zu leistende
Subsumtionsarbeit vorweg. Bleiben Sie bei der Namenswahl sachlich und verwenden Sie keine vermeintlich originellen
und letztlich nicht hilfreichen Bezeichnungen wie „Ein Einkauf mit Hindernissen“, „Die ungebetene Kundin“ oder „Der
kranke X“.
Strafbarkeit der A
A. § 123 I
A könnte sich durch das Betreten des Waffengeschäfts des X gem. § 123 I strafbar gemacht haben.
A müsste in einen Geschäftsraum eingedrungen sein, was voraussetzt, dass sie diesen ohne oder gegen den Willen des
Berechtigten betreten hat. Bei einem Ladenlokal wie dem Waffengeschäft des X besteht grundsätzlich ein generelles
Einverständnis des Ladeninhabers zum Betreten, welches auch für A gilt.
Dahinstehen kann, ob das generelle Einverständnis bei „deliktisch veranlagten Personen“, d.h. Personen, die in den
Geschäftsräumen Straftaten begehen wollen, z.B. Diebstahl, Betrug etc., eingeschränkt ist; denn jedenfalls im Zeitpunkt, als A das Waffengeschäft betrat, war sie noch nicht deliktisch veranlagt.
Anmerkung:
Nach h.M. ist das generelle Einverständnis nur dann eingeschränkt, wenn die deliktische Veranlagung einer Person
beim Betreten erkennbar ist (z.B. maskierter Bankräuber). Ist die deliktische Veranlagung hingegen nicht erkennbar,
gilt das generelle Einverständnis trotzdem; Argument: Stünde der Ladeninhaber am Eingang und würde das Einverständnis jeweils individuell für jede Person erteilen, würde er sein Einverständnis auch nicht erkennbar deliktisch veranlagten Personen erteilen.
Ergebnis: A hat sich nicht gem. § 123 I strafbar gemacht.
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Anmerkung Aufbau/Reihenfolge:
Hier kollidieren zwei Aufbauprinzipien: „Schwereres Delikt (z.B. § 244) vor leichterem Delikt (§ 123)“ vs. „chronologischer Aufbau“.
Goldene Aufbauregeln, die immer greifen, gibt es nicht. Man sollte sich weniger an Regeln, sondern vielmehr an seiner eigenen Einschätzung orientieren, wie man die Delikte am übersichtlichsten, effizientesten und überzeugendsten
darstellt. Auch Klausurtaktik kann eine Rolle spielen.
In den meisten Fällen wird es sinnvoll sein, den Sachverhalt chronologisch Tathandlung für Tathandlung abzuarbeiten. Wenn man an eine Tathandlung mit der Prüfung mehrerer Delikte (z.B. versuchter Mord und vollendete Körperverletzung mittels eines Schusses) anknüpft, wird man innerhalb dieses Abschnitts häufig mit dem schwersten Delikt
beginnen.
Im Fall gewinnt „chronologischer Aufbau“, man beginnt also mit § 123. Die Tathandlung des Betretens des Geschäfts
liegt vor den in Frage kommenden Wegnahmehandlungen.
Des Weiteren wiegt § 244 nicht so schwer (wie z.B. Raub oder Mord), zum anderen wird hier im Fall noch § 242 I
i.V.m. § 243 vor § 244 zu prüfen sein, siehe unten. Der chronologische Aufbau hat einige Vorteile: Man vergisst nichts,
behält die Übersicht und führt den Korrektor gut durch die Klausur.
Angesichts des offensichtlichen Ergebnisses sollte diese Standardkonstellation (§ 123 tatbestandsausschließendes Einverständnis) in der Klausur im Urteilsstil geprüft werden. Es handelt sich jedoch um den ersten Tatbestand der Klausur, so dass ein Einstieg im Gutachtenstil genauso gut ist. Im Urteilsstil hätte die Begründung knapper ausfallen müssen.
Faustregel für Urteilsstil: Nicht mehr als 2 Sätze.
Anmerkung:
Machen Sie Absätze und Leerzeilen wie hier auf Seite 1 exemplarisch vorgeführt. Die Lesbarkeit ist deutlich erhöht
gegenüber einem Fließtext von einer Seite ohne jede optische Struktur.
Die Klausur wirkt dadurch auch strukturierter.
Der Leser ist dankbar, wenn er die Informationen in überschaubaren Einheiten serviert bekommt und die Seite nicht
mit Text überfrachtet ist.
Faustregel: Nach zwei, drei Sätzen ein Absatz + Leerzeile. So entstehen 3 bis 4 Absätze pro Seite.
B. § 242 I i.V.m. § 243 I 2 Nr. 6
Dadurch dass A den Dolch zum Kaufpreis von 70 EUR in ihre Hand nahm und in ihre Tasche steckte, könnte sie sich
gem. § 242 I i.V.m. § 243 I 2 Nr. 6 strafbar gemacht haben.
Anmerkung:
Obersatz mit präziser Umschreibung der möglichen Tathandlungen und des Tatobjekts in Alltagssprache. Elemente
des Tatbestands wie „Wegnahme“ sind tabu. Der Zusatz „i.V.m.“ stellt für den Korrektor klar, dass § 243 als Strafzumessungsregel und nicht etwa fälschlich als Qualifikation geprüft wird. Die Zitierweise „§§ 242 I, 243 I 2 Nr. 6“ ist
zwar ebenso richtig, aber missverständlich und weniger günstig.
I. Tatbestand
Aufbauschema § 242
I. Tatbestand
1. Objektiver Tatbestand:
a) Tatobjekt: fremde, bewegliche Sache
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b) Tathandlung: Wegnahme:
aa) Ursprünglicher Gewahrsam
bb) Gewahrsamswechsel
cc) Bruch des Gewahrsams (→ Bezugspunkt für Abgrenzung zum Sachbetrug)
2. Subjektiver Tatbestand
a) Vorsatz bzgl. obj. Tatbestand
b) Zueignungsabsicht:
aa) Absicht (dol. dir. 1. Grades) bzgl. zumindest vorübergehender Aneignung
bb) mind. Eventualvorsatz bzgl. dauerhafter Enteignung
cc) obj. Rechtswidrigkeit der erstrebten Zueignung
dd) mind. Eventualvorsatz bzgl. Rechtswidrigkeit der erstrebten Zueignung
II. Rechtswidrigkeit
III. Schuld
IV. Ggf. Strafzumessung: Besonders schwere Fälle, § 243 I 2
V. Ggf. Strafverfolgungsvoraussetzung: Strafantrag, §§ 247, 248a
1. Objektiver Tatbestand
a) Der Dolch stellt für A eine fremde, bewegliche Sache dar. X hatte den Dolch nicht gem. § 929 BGB übereignet.
b) A muss diese Sache weggenommen haben.
Wegnahme ist der Bruch fremden und die Begründung neuen, nicht notwendigerweise tätereigenen Gewahrsams.
Unter Gewahrsam ist die vom natürlichen Herrschaftswillen getragene tatsächliche Sachherrschaft zu verstehen. Deren Reichweite richtet sich insbesondere nach der Verkehrsanschauung.
Anmerkung:
Definitionsteil mit Unterdefinition „Gewahrsam“
Anmerkung:
Im Unterschied zum Besitz im Zivilrecht ist der Gewahrsam praktisch nicht verrechtlicht (z.B. gibt es keine Fiktionen
wie im Zivilrecht etwa den Erbenbesitz, § 857 BGB), es kommt auf die tatsächlichen Verhältnisse an.
Ursprünglich hatte X Alleingewahrsam an dem Dolch.
A könnte jedoch neuen Gewahrsam begründet haben, indem sie den Dolch von X entgegennahm und in der Hand
hielt.
Nach der Apprehensionstheorie ist es hierzu ausreichend, dass der Täter einen kleinen Gegenstand, wie etwa einen
Ring, ergriffen und damit in den Tabubereich seines Körpers verbracht hat. Ein Dolch ragt jedoch sichtbar aus der
Hand heraus. Die Apprehensionstheorie greift hier nicht.
Zudem muss die Verkehrsanschauung und der Einzelfall berücksichtigt werden: Nach der Verkehrsanschauung verliert der Geschäftsinhaber seinen Gewahrsam nicht, wenn er Kunden noch im eigenen Laden – und somit in seiner
(oder auch Gewahrsamsspähre) – Gegenstände zum Prüfen der Ware überlässt
Zudem ist der Gedanke des Tabubereichs nur für den diebstahlswillig Handelnden anwendbar, da ein normaler Kunde
nach der Verkehrsauffassung den fremden Gewahrsam respektiert A hatte aber zum Zeitpunkt des Ergreifens keine
deliktischen Absichten.
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Dadurch dass A den Dolch ergriff, kam es folglich nicht zu einem Gewahrsamswechsel sondern nur zu einer Gewahrsamslockerung.
Anmerkung:
Die Differenzierung „Ergreifen“ und „Einstecken in Tasche“ musste hier ausnahmsweise genau durchgeführt werden.
Im Normalfall genügt es festzustellen, dass jedenfalls mit dem späteren Einstecken in die Tasche ein Gewahrsamswechsel stattgefunden hat.
Nimmt man bereits mit dem Ergreifen einen Gewahrsamswechsel an, verändert sich der Fall komplett: Es liegt dann
insgesamt im Fall kein Diebstahl § 242 vor. X hätte dann insoweit bzgl. des Gewahrsamswechsels (Übergabe) ein tatbestandsausschließendes Einverständnis erteilt, also liegt kein Bruch vor. Seitens A läge weder Vorsatz noch Zueignungsabsicht im Moment des Ergreifens vor. Diese Absicht entwickelt A ja erst, als sie das Etikett mit dem Preis
sieht.
Auch die Tatsache, dass A den Dolch später in ihre Tasche steckt, würde dann nicht zur Strafbarkeit gem. § 242 I führen, sondern zur Strafbarkeit wegen Unterschlagung gem. § 246 I: In diesem Moment hätte A nach „falscher Lösung “
bereits alleinigen Gewahrsam und könnte folglich keinen Gewahrsam des X mehr brechen. Indem A den Dolch in die
Tasche steckte, vollendet sie dann lediglich die Zueignung i.S.v. § 246 I.
Dieses Ergebnis wäre auch klausurtaktisch völlig verfehlt, da man sich sämtliche Folgeprobleme abschnitte: § 243 und
§ 244 sind bei einer Unterschlagung nicht anwendbar.
Zudem konnte man durch die genaue Prüfung zeigen, dass man die Apprehensionstheorie nicht „blind“ anwendet, sondern differenziert unter Einbeziehung der des Einzelfalls („Dolch“) und der Verkehrsanschauung.
Der Sachverhalt umschreibt die Entwicklung von Vorsatz und Zueignungsabsicht nicht genau. Mit dem perfekten SV
ist im Examen nicht zu rechnen. Man sollte den SV so nehmen wie er ist und die Reihenfolge der Sätze auch als Ordnung hinsichtlich der Abfolge des Geschehens verstehen. Hier also : Ergreifen des Dolches in Kaufabsicht, dann Blick
auf das Etikett mit dem Preis, dann Entwicklung von Vorsatz und Zueignungsabsicht.
Als sich X ins Hinterzimmer begab, behielt er gelockerten Gewahrsam.
Jedoch begründete A eigenen Gewahrsam, als sie den Dolch in ihre Tasche und damit in ihren Herrschaftsbereich
verbrachte, sogenannte Gewahrsamsenklave. Die soziale Anschauung ordnet demjenigen Gewahrsam zu, der eine
Sache in seiner Körpersphäre bei sich trägt, da ein Zugriff Dritter sozial auffällig wäre.
Dies geschah auch ohne Willen des X. Damit liegt auch ein Gewahrsamsbruch vor.
Eine Wegnahme ist gegeben.
Klausurtipp Aufbau:
Prüfen Sie die Wegnahme anhand des folgenden Schemas/Reihenfolge:
1. Bestand an der Sache im Tatzeitpunkt fremder Gewahrsam?
2. Ist durch die Handlung des Täters neuer Gewahrsam des Täters selbst oder einer anderen Person begründet worden?
3. Gewahrsamsverschiebung gegen/ohne den Willen des Gewahrsamsinhabers = Bruch?
Abgrenzung (Trick-)Diebstahl – (Sach-)Betrug
- Hätte die A durch Täuschung darauf hingewirkt, dass X ihr den Dolch übergibt, wäre in der Klausur am passenden
Prüfungspunkt (Vermögensverfügung beim Betrug bzw. Bruch bei der Wegnahme) zwischen Trickdiebstahl und
Sachbetrug abzugrenzen.
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- Prüfungsreihenfolge § 242 – § 263: Welches Delikt zuerst?
Ein logisches Vorrangverhältnis gibt es nicht. Es gibt auch keine allgemeine Regel, ob man zwingend beide Delikte
anprüfen muss. Bei schwieriger Abgrenzung empfiehlt es sich, in der Klausur zunächst auf das Delikt einzugehen, welches „nicht durchgeht“.
- Bei Zeitknappheit oder einfacher Abgrenzung empfiehlt sich genau umgekehrtes Vorgehen. Man prüft nur das Delikt, welches durchgeht. Ein kurzer Verweis auf das Ausschlussverhältnis von §§ 263 und 242 am passenden Prüfungspunkt (Vermögensverfügung bzw. Gewahrsamsbruch) genügt dann.
- die Begriffe, die zur Abgrenzung verwendet werden, wie „Verfügungsbewusstsein“ (vgl. Einheit Betrug) passen besser zum Betrug.
2. Subjektiver Tatbestand
A handelte mit Wissen und Wollen, § 15, bzgl. der Tatbestandsverwirklichung und mit Zueignungsabsicht.
Die erstrebte Zueignung war objektiv rechtswidrig, was A auch in ihren Vorsatz aufnahm.
Anmerkung:
Vorsatz nur beim ersten Mal in der Klausur so ausführlich. Standardsätze zur Zueignungsabsicht.
II. Rechtswidrigkeit
In Ermangelung von Rechtfertigungsgründen handelte A rechtswidrig.
III. Schuld
Entschuldigungsgründe liegen nicht vor. A handelte schuldhaft.
Anmerkung:
RW und Schuld nur beim ersten Mal in der Klausur so ausführlich, vgl. auch Einheit 1.
IV. Strafzumessung § 243
Es könnte ein besonders schwerer Fall des Diebstahls gem. § 243 I 2 Nr. 6 gegeben sein, da X auf Grund seiner
Krankheit zum Tatzeitpunkt abgelenkt war.
Aufbauschema § 242 i.V.m. § 243
I. Tatbestand § 242
1. Objektiver Tatbestand: Wegnahme einer fremden beweglichen Sache
2. Subjektiver Tatbestand
a) Vorsatz bzgl. obj. TB
b) Absicht rechtswidriger Zueignung
II. Rechtswidrigkeit
III. Schuld
IV. Strafzumessung, § 243
1. objektive Voraussetzungen des Regelbeispiels
2. subjektive Voraussetzungen (= Quasivorsatz)
3. Ausschlussklausel des § 243 II (Geringwertigkeit)
4. Unbenannter Fall § 243 I 1, wenn Regelbeispiele in Betracht kamen, aber nicht gegeben waren (sehr selten
zu prüfen, da kein Pflichtstoff, Hinweis genügt.)
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Das Regelbeispiel § 243 I 2 Nr. 6 ist erfüllt, wenn A die Hilflosigkeit des X ausnutzte. Hierunter ist ein Zustand zu
verstehen, in dem sich eine Person nicht ohne fremde Hilfe gegen einen Gewahrsamsverlust wehren kann.
Krankheit ist zwar als ein Fall der Hilfslosigkeit anerkannt. In erster Linie ermöglichte aber der Umstand, dass X den
Raum verließ, die Wegnahme und nicht der Asthmaanfall selbst. Das genügt jedoch nicht. Mangels Hilflosigkeit ist
das Regelbeispiel nicht erfüllt. (a.A. gut vertretbar, wenn man auf die Krankheit als Ursprung der Kausalkette abstellt)
Anmerkung:
Ist ein Regelbeispiel erfüllt, muss im Normalfall nicht auf eine mögliche Widerlegung der Indiz- bzw. Regelwirkung
eingegangen werden.
Bei gegebenem Regelbeispiel darf der Quasivorsatz § 15 analog (Analogie zugunsten des Täters) bzw. die „subjektiven
Voraussetzungen“ nicht vergessen werden. Den Begriff „Vorsatz“ sollte man jedoch wie alle Termini des Tatbestands
vermeiden, da Regelbeispiele zur Strafzumessung gehören und keine Tatbestände sind. Die Regelbespiele sind nur
tatbestandsähnlich.
Exkurs: Problem Konkurrenzverhältnis „Einbrechen“ § 243 I 2 Nr. 1 zu §§ 123, 303
Hinsichtlich des Konkurrenzverhältnisses von § 243 I 2 Nr. 1 und § 123 und § 303 gibt es einen klausurrelevanten
Streit:
Die früher h.M. nahm an, dass der Hausfriedensbruch und die Sachbeschädigung bei Verwirklichung des Regelbeispiels § 243 I 2 Nr.1 typische Begleittaten darstellen (z.B. beim Einbrechen in ein Haus unter Beschädigung der Haustüre) und § 243 I 2 Nr.1 deswegen den Unrechtsgehalt der §§ 123, 303 konsumiere und diese auf Konkurrenzebene
verdränge.
Für die Klausur hat diese Ansicht die Konsequenz, dass man sich bei erfülltem § 243 I 2 Nr. 1 nicht lang mit § 303 und
§ 123 aufhält und diese Delikte eher mit einem klarstellenden Satz bei den Konkurrenzen erledigt.
Die im Vordringen befindliche, überzeugendere Gegenansicht (BGH NJW 2002, 150) steht hingegen auf dem Standpunkt, dass § 243 als bloße Strafzumessungsvorschrift anders als ein gesetzlicher Tatbestand nicht mit anderen Tatbeständen (hier §§ 123, 303) konkurrieren und diese verdrängen könne. Abgesehen davon kann es im konkreten Einzelfall auch aus Klarstellungsgründen geboten sein z.B. eine Sachbeschädigung von erheblichem Gewicht im Urteiltenor
zu nennen und damit die erfolgte Rechtsgutsverletzung darzustellen.
Hinzukommt, dass die Delikte § 303 und § 123 I zwar häufig, aber nicht unbedingt typischerweise bei § 243 I 2 Nr. 1
mitverwirklicht werden: Man denke nur an das „sanfte Knacken“ eines Autos ohne Substanzverletzung (ein KFZ ist
ein umschlossener Raum i.S.v. § 243 Nr. 1). Für die Klausur bedeutet das, dass § 303 und § 123 durchgeprüft werden
müssen und zum § 242 I i.V.m. § 243 I 2 Nr. 1 in Tateinheit gem. § 52 stehen.
Stellen jedenfalls sicher, dass Sie bei Einbruchsfällen an § 123 und an § 303 denken.
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V. Strafantrag
Der Dolch im Wert von 70 EUR ist keine geringwertige Sache i.S.v. § 248a. Dies wird erst ab einem Wert von unter
50 EUR angenommen. Ein Strafantrag ist nicht erforderlich.
Anmerkung:
Ist der Wert einer Sache angegeben, ist an das Strafantragserfordernis zu denken. § 243 hat hierzu seine eigenen Regeln: § 243 II. Bei Geringwertigkeit wäre die Indizwirkung des Regelbeispiels zerstört.
Für §§ 244, 244a ist § 248a nicht anwendbar. Es gibt jedoch jeweils die Möglichkeit, einen minder schweren Fall anzunehmen. Unbenannte Strafmilderungen wie § 244 III sind als Strafzumessung nicht Pflicht in der Klausur. Bei eindeutig geringwertigen Sachen zeugt jedoch ein entsprechender Hinweis bei der Prüfung dieser Delikte von Problembewusstsein und Verständnis.
Ergebnis: A hat sich gem. § 242 I strafbar gemacht.
C. §§ 242 I, 244 I Nr. 1a) Var. 1
Durch dieselbe Handlung könnte sich A gem. §§ 242 I, 244 I Nr. 1a) Var. 1 strafbar gemacht haben.
I. Tatbestand
1. Grundtatbestand § 242
Der Grundtatbestand § 242 I ist erfüllt.
2. Qualifikationstatbestand § 244
A könnte mit dem Dolch eine Waffe bei sich geführt haben, § 244 I Nr. 1a) Var. 1.
a) Bei einem Dolch handelt es sich um eine Waf fe im technischen Sinne, da er nach der Art seiner Anfertigung nicht nur dazu geeignet, sondern auch allgemein dazu bestimmt ist, Menschen durch seine mechanische Wirkung körperlich zu verletzen.
Exkurs: Der Begriff des „gefährlichen Werkzeugs in § 244 I Nr. 1a Var. 2
Die Werkzeugproblematik ist absoluter Standard, oft Prüfungsstoff und muss sicher beherrscht werden.
Ausgangspunkt:
Seit der Neufassung durch das 6. StRRefG genügt für § 244 I Nr. 1 a Var. 2 n.F. das bloße Beisichführen. Der Begriff
des gefährlichen Werkzeugs wird in § 224 I Nr. 2 verwendet und sollte nach der Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses in § 244 I Nr. 1a 2. Alt ebenso verstanden werden.
Aber: Die dortige Definition „Gegenstand, der nach seiner objektiven Beschaffenheit und nach der Art seiner Benutzung im Einzelfall geeignet ist, erhebliche Körperverletzungen zuzufügen“ stellt auf den bei § 224 I Nr. 2 stets gegebenen konkreten Einsatz ab und passt nicht auf § 244 I Nr. 1a Var. 2, bei dem es nicht auf einen Einsatz des Gegenstands ankommt und sich der Täter auch keine Gedanken über dessen Verwendung machen muss. Die Definition des §
224 I Nr.2 Alt.2 kann bei der Frage, ob es sich beim mitgeführten Gegenstand um ein gefährliches Werkzeug iSd §
244 I Nr.1a) Alt. 2 handelt, also nur als Ausgangspunkt dienen, im Übrigen ist das Merkmal hier eigenständig auszulegen.
Daher in der Klausur problematisch.
1. E.A.: Objektiv-generelle Betrachtung:
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Gefährlich sind nur Werkzeuge, denen nach allgemeiner Anschauung eine besondere Eignung zur Zufügung von Verletzungen innewohnt und zu denen erfahrungsgemäß Täter greifen, wenn sie in Bedrängnis geraten.
dagegen:
; sehr viele Alltagsgegenstände lassen sich auch
gebrauchen, um einer Person Verletzungen zuzufügen (z.B. Schraubenzieher, Nagelschere), insb. auch typische Einbruchswerkzeuge; diese Ansicht führt zu einer sehr extensiven Auslegung des Begriffs des gefährlichen Werkzeugs.
2. Objektiv-konkrete Betrachtung:
Ein gefährliches Werkzeug liegt vor, wenn sich das Beisichführen des Gegenstandes beim Diebstahl im konkretsituativen Kontext aus der Sicht eines objektiven Betrachters nur dadurch erklären lässt, dass der Gegenstand zu Verletzungszwecken eingesetzt werden soll und ihm insoweit eine Waffenersatzfunktion zukommt. Dieser Anschein liegt
nicht vor bzw. ist widerlegt, wenn das Beisichführen des Gegenstandes mit einer im Vordergrund stehenden, neutralen Gebrauchsfunktion erklärt werden kann und es nach den konkreten Umständen als normal, alltäglich und bestimmungsgemäß zu bewerten ist.
dagegen:
; Wortlaut gibt eine solche Auslegung nicht zwingend vor
dafür:
gefährlichen Werkzeugen andererseits zu bestimmen
3. Subjektive Betrachtung (Rengier BT I § 4 Rn. 34):
Gefährlich sind Gegenstände, wenn sie nicht nur generell geeignet sind, erhebliche Körperverletzungen zu bewirken,
sondern bezüglich derer der Täter einen inneren Verwendungsvorbehalt hat. Es genügt auch, dass eine vorbehaltene/intendierte Drohung mit diesen Gegenständen eine entsprechende Verletzungsgefahr beinhalten soll.
dagegen:
passt nicht zur Gesetzessystematik, die deutlich zwischen § 244 I Nr. 1b (spezifische Verwendungsabsicht) und § 244 I
Nr. 1a (bloß abstrakte Gefährlichkeit) unterscheidet)
4. Rechtsprechung:
BGH (NJW 2008, 2861 mit Anm. Mitsch; BGHSt 52, 257, 268; NStZ 2011, 158, 159; NStZ 2012, 571): keine subj. Betrachtung; Abgrenzung je nach Einzelfall anhand obj. Kriterien, nämlich ob Gegenstand im Falle seines Einsatzes
gegen Personen auf Grund seiner objektiven Beschaffenheit die Eignung besitzt, erhebliche Verletzungen herbeizuführen (Bsp.: beim Diebstahl zum Abkratzen von Etiketten verwendetes Taschenmesser mit langer Klinge; Schraubendreher, dessen spitzes Ende abgebrochen war).
b) Der Täter führt die Waffe bei sich, wenn sie ihm zu irgendeinem Zeitpunkt während des Tathergangs gebrauchsbereit zur Verfügung steht. Zur Verfügung steht sie ihm, wenn sie so in seiner räumlichen Nähe ist, räumliche Komponente, dass er sich ihrer jederzeit, also ohne großen Zeitaufwand und ohne besondere Schwierigkeiten bedienen
kann, zeitliche Komponente.1
Der Dolch steht der A spätestens in dem Moment zur Verfügung, als sie den Dolch greift. Dieser Zeitpunkt liegt sogar noch kurz vor der Vollendung der Tat, also als sie den Dolch einsteckte.
In der Tasche ist der Dolch jederzeit einsatzbereit. Im gesamten Zeitraum des Tathergangs von kurz vor der Vollendung bis zur Beendigung der Tat stand der A daher eine Waffe zur Verfügung.
Problematisch ist, dass A den Dolch nicht in das Geschäft mitbrachte, sondern dort vorfand.
1
Rengier BT I § 4 Rn. 13
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Eine einschränkende Auslegung des Wortlauts dahingehend, dass nur mitgebrachte Waffen erfasst sein sollen, ist
angesichts des Telos der Norm nicht geboten: Die Qualifikation beruht auf der abstrakten Gefährlichkeit von Tätern,
denen Waffen für den Konfliktfall zur Verfügung stehen. Die abstrakte Gefährlichkeit ist bei aufgefundenen Waffen
nicht geringer als bei mitgebrachten.
Aus demselben Grund ist es auch unschädlich, dass Tatobjekt und Tatmittel mit dem Dolch im Fall zusammenfallen.
Zwischenergebnis: A führte eine Waffe bei sich.
Anmerkung:
Dies war das zentrale Problem des 1. TK und entsprechend ausführlich zu prüfen. Immerhin explodiert der Strafrahmen bei § 244 von „bis zu 5 Jahren“ auf „sechs Monate bis 10 Jahre“. Das Problem von am Tatort aufgefundenen Tatmitteln muss bis zum Examen bekannt sein.
c) In subjektiver Hinsicht genügt hinsichtlich der Qualifikation das Bewusstsein der Verwendungsmöglichkeit einer
Waffe. Dieses Bewusstsein hatte A.
Eine Verwendungsabsicht ist bei Waffen angesichts der bloß abstrakten Gefährlichkeit gerade nicht erforderlich. Dieses Ergebnis wird auch durch einen Vergleich der Norm mit § 244 I Nr. 1 b) bestätigt.
Anmerkung:
Den subjektiven Tatbestand hinsichtlich der Qualifikation nicht vergessen.
Der Tatbestand ist erfüllt.
II. Rechtswidrigkeit und Schuld
A handelte rechtswidrig und schuldhaft.
Ergebnis: A hat sich gem. §§ 242, 244 I Nr. 1a) Var. 1. an dem Dolch strafbar gemacht.
Aufbau:
Kann man wie vorliegend § 243 und § 244 prüfen, hat man ein Aufbauproblem zu lösen:
Denn: Ist § 244 erfüllt, so verdrängt dieser als Qualifikation immer den § 242, auch wenn ein Regelbeispiel § 243 erfüllt ist. § 243 ist gerade kein Tatbestand, sondern bloße Strafzumessungsvorschrift und spielt auf Konkurrenzebene
dann keine Rolle.
Eine Kombination „§ 244 in einem besonders schweren Fall gem. § 243“ darf keinesfalls geprüft werden! § 243 und §
244 zu verbinden, ist bei Bearbeitern leider ein recht beliebter Fehler. Hierfür gibt es eigens den § 244a „Schwerer
Bandendiebstahl“ (→ lesen!!). Der § 244 kennt keine Regelbeispiele. Auch die Strafrahmen passen nicht zueinander.
Prüft und bejaht man in der Klausur also zunächst die Qualifikation § 244, so macht eine anschließende Prüfung des §
242 I i.V.m. § 243 keinen Sinn mehr, da dieser ja auf Konkurrenzebene eindeutig zurücktritt und damit bedeutungslos
wird.
Für die Klausur bedeutet dies: Möchte man § 243 in seiner Klausur unterbringen, da es v.a. eindeutige Sachverhaltsinformationen zu den Regelbeispielen gibt, so sollte man § 242 i.V.m. § 243 vor § 244 prüfen und mit einem Ergebnis
abschießen.
Möchte man hingegen Zeit sparen und hat festgestellt, dass die Prüfung von § 243 im Verhältnis zu § 244 nichts Neues bringt, so sollte man gleich § 244 prüfen und sich § 243 auf diese Weise einsparen.
Beispiel: § 244 I Nr. 3 im Verhältnis zu § 243 I 2 Nr. 1. Hier lohnt die Prüfung des Regelbeispiels nicht.
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D. §§ 242 I, 22, 23 I i.V.m. § 243 I 2 Nr. 2
Indem A mit dem Schlüssel die Registrierkasse öffnete, könnte sie sich zudem wegen versuchtem Diebstahl in einem
besonders schweren Fall gem. §§ 242, 22, 23 I i.V.m. § 243 I 2 Nr. 2 an den Geldscheinen und dem Schlüssel strafbar
gemacht haben.
I. Vorprüfung
Mangels Wegnahme von Geldscheinen oder Münzen war die Tat nicht vollendet.
Die Versuchsstrafbarkeit ergibt sich aus §§ 242 II, 23 I Alt. 2, 12 II.
II. Tatbestand
1. Tatentschluss
A muss Tatentschluss gefasst haben; dies meint Vorsatz bzgl. der Verwirklichung aller objektiven Tatbestandsmerkmale sowie das Vorliegen sonstiger subjektiver Merkmale.
A wollte gegen den Willen des X neuen Gewahrsam an Schlüssel und den Geldscheinen aus der Kasse begründen. A
hatte also Vorsatz bzgl. einer Wegnahme von Schlüssel und Geldscheinen Dass sich keine Scheine in der Kasse befanden, ist irrelevant, der untaugliche Versuch ist strafbar, vgl. § 23 III.
A hatte Zueignungsabsicht und Vorsatz bzgl. der objektiven Rechtswidrigkeit der beabsichtigten Zueignung hinsichtlich der Geldscheine. Sie wollte jedoch den Ladenbesitzer nicht dauerhaft aus seiner Eigentümerposition bzgl. des
Schlüssels verdrängen, sondern diesen nur kurzfristig für den Diebstahl an sich nehmen. A handelte also mit sog.
Rückführungswillen und damit insoweit ohne Zueignungsabsicht.
2. Unmittelbares Ansetzen, § 22
Der Täter setzt unmittelbar zur Tat an gem. § 22, wenn er subjektiv die Schwelle zum „Jetzt geht’s los“ überschreitet
und objektiv Handlungen vornimmt, die unmittelbar in die Tatbestandsverwirklichung einmünden sollen.
Nach der Vorstellung der A sollte das Öffnen der Kasse ohne wesentliche Zwischenschritte in die Wegnahmehandlung
übergehen und subjektiv hat sie die Schwelle zum „Jetzt geht’s los“ überschritten. A setzte zur Tat an.
Exkurs:
Problem: Einfluss der Regelbeispiele auf den Versuchsbeginn beim Diebstahl
Vorab: Bei Qualifikationstatbeständen bedeutet nicht bereits das unmittelbare Ansetzen oder das Verwirklichen
einer qualifizierenden (Extra-) Handlung ein unmittelbares Ansetzen zum Grunddelikt (Bsp.: Wer eine Waffe einsteckt, um - diese bei sich führend - einen Diebstahl zu begehen [§ 244 I Nr. 1a Var. 1], setzt noch nicht unmittelbar
zu § 242 an). Entscheidend ist stets das unmittelbare Ansetzen zur Rechtsgutsgefährdung und damit zum Grundtatbestand (vgl. § 22).
Bei § 242: Unmittelbares Ansetzen zur Wegnahme.
Bei Regelbeispielen, die keine eigenständigen Tatbestände sind, kann erst recht nichts anderes gelten: Unmittelbares
Ansetzen zu einem oder Verwirklichung eines Regelbeispiels bedeutet nicht automatisch einen Versuchsbeginn bezüglich des Diebstahls (aber str.)
Aber: Wenn Einsteigen, Einbrechen bei ungestörtem Verlauf unmittelbar anschließend zur Wegnahme führen soll, so
gehört das Regelbeispiel zum derart unmittelbarem Vorfeld, dass Verwirklichung und Regelbeispiel zusammenfallen.
Letztlich bleibt es also bei der Definition des unmittelbaren Ansetzens.
III. Rechtswidrigkeit und Schuld
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A handelte rechtswidrig und schuldhaft.
IV. Persönlicher Strafaufhebungsgrund Rücktritt
Ein strafbefreiender Rücktritt gem. § 24 I 1 kommt hier nicht in Betracht, da der Taterfolg Wegnahme der Scheine
aus Sicht der A erkennbar nicht herbeiführbar war und der Versuch mithin subjektiv fehlgeschlagen war.
Anmerkung:
Es ist nicht zwingend, den Rücktritt vor der Strafzumessung zu prüfen. Es macht einerseits wenig Sinn, eine Strafe
zuzumessen, wenn die Strafe gem. § 24 aufgehoben ist. Andererseits können bei § 243 noch Punkte zu holen sein.
V. Strafzumessung, besonders schwerer Fall
A könnte das Regelbeispiel § 243 I 2 Nr. 2 verwirklicht haben, indem sie mit dem Schlüssel die Registrierkasse öffnete.
Es ist dabei allgemein anerkannt, dass die Indizwirkung eines erfüllten Regelbeispiels auch dann eingreift, wenn der
Tatbestand nur versucht wurde.
Problem: „Versuch“ eines Regelbeispiels (anhand des § 243)
Ausgangspunkt:
Einen Versuch eines Regelbeispiels gibt es aus dogmatischen Gründen nicht. § 243 normiert Strafzumessungsregeln
und keine Tatbestände. Nur Tatbestände können versucht werden. Man sollte von einem Diebstahlsversuch in einem
besonders schweren Fall sprechen.
Es sind grundsätzlich vier Kombinationen von Grunddelikt und Regelbeispiel denkbar; problematisch sind dabei v.a.
diejenigen Fälle, in denen das Regelbeispiel nicht voll verwirklicht, sondern gleichsam nur „versucht“ wird:
Konstellation 1: Vollendung des Diebstahls und Verwirklichung des Regelbeispiels
Bsp.: A öffnet ein gekipptes Fenster, gelangt so in das Haus und stiehlt - wie geplant - einen Brillantring
§ 242 i.V.m. § 243 I 2 Nr. 1 (+)
Konstellation 2: Versuch des Diebstahls und Verwirklichung des Regelbeispiels
Bsp.: A öffnet ein gekipptes Fenster und sucht nach dem Brillantring, den er von Anfang an stehlen möchte. Er kann ihn nicht
finden. Unverrichteter Dinge verlässt er das Haus wieder. (so auch vorliegender Fall)
§§ 242, 22, 23 I i.V.m. § 243 I 2 Nr. 1 (+) (nahezu allg. M.; a.A. nur Arzt, StV 1985, 104). Begründung: Regelwirkung wegen der vollen Verwirklichung des Regelbeispiels
Konstellation 3: Vollendeter Diebstahl, nur „versuchtes“ Regelbeispiel
Bsp.: A will gerade das gekippte Fenster öffnen, als er im Augenwinkel sieht, dass die Kellertür nur angelehnt ist. Er betritt das
Haus daher durch die Tür und entwendet den Brillantring.
1. e.A.: Strafbarkeit gem. § 242 i.V.m. § 243. BGH: bisher nicht entschieden
2. h.M.: Strafbarkeit nur gem. § 242
dafür:
– anders als in Konstellation 1) leicht gemacht hat und
keine wirkliche Barriere überwunden werden musste.
Entschlossenheit zur Verwirklichung eines Regelbeispiels kann bei den allgemeinen Strafzumessungserwägung
i.R.v. § 46 II strafschärfend Berücksichtigung finden
Unbenannter schwerer Fall bleibt möglich
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Konstellation 4: Versuchter Diebstahl, „versuchtes“ Regelbeispiel
Bsp.: A will gerade das gekippte Fenster öffnen, als er vom Nachbarn überrascht wird, so dass ihm nur noch die Flucht bleibt.
1. H.L.: Strafbarkeit nur gem. §§ 242, 22
dafür:
-recht-Schluss zu Konstellation 3: wenn schon bei vollendetem Diebstahl das Regelbeispiel nicht greift, dann
erst recht nicht, wenn der Täter keine Beute mitnimmt
2. A.A.: Strafbarkeit gem. §§ 242, 22, 23 I i.V.m. § 243 (BGHSt 33, 370, Teil d. Lehre)
dafür:
Vollendung
ehandeln, da sie jedenfalls tatbestandsähnlich seien, so dass auch
der Tatentschluss hinsichtlich der Verwirklichung ausreiche und die Schuld im Hinblick auf die Strafzumessung steigere
strafbarkeit nicht besser gestellt werden sollen
dagegen:
ommen, was hier nicht der Fall ist.
Analogie zu Lasten des Täters
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Merke:
Nach h.M. tritt die Regelwirkung immer nur bei voll verwirklichtem Regelbeispiel ein.
Zusammenfassende Übersicht (nach Joecks § 243 Rn. 44):
Regelbsp. verwirklicht
Regelbsp. „versucht“ – str.
Vollendeter § 242
§ 242 i.V.m. § 243
h.L.: § 242
a.A. § 242 i.V.m. § 243
BGH: offen gelassen
Versuch des § 242
§§ 242, 22 i.V.m. § 243 (ganz h.M.)
h.L.: § 242, 22
BGH: § 242, 22 i.V.m. § 243
Aufbau:
Die Regelbeispiele müssen auch im Versuch nach der Schuld und nicht etwa im Tatentschluss geprüft
werden. § 243 ist Strafzumessung, kein Tatbestand, auch im Versuch.
1. Die Registrierkasse müsste ein Behältnis darstellen.
Ein Behältnis ist ein zur Aufnahme von Sachen dienendes, sie umschließendes Raumgebilde, das nicht zum Betreten
durch Menschen bestimmt ist. Dies ist bei einer Registrierkasse der Fall.
2. Verschlossen ist das Behältnis, wenn es mittels technischer Schließeinrichtung oder anderweitig gegen ordnungswidrigen Zugriff von außen gesichert ist. Dies ist bei einer abgeschlossenen Registrierkasse grundsätzlich der Fall.
Umstritten ist, ob man noch von Sicherung sprechen kann, wenn der Täter das Behältnis mit dem richtigen Schlüssel
öffnet.
Ist der Täter zur Benutzung befugt, liegt keine Sicherung vor, da ihm gegenüber der Verschluss aufgehoben ist. Ist er
dies nicht, so wie im Fall, herrscht Streit über die Lösung des Problems:
E.A. (BGH, wohl h.M.): Das Regelbeispiel ist in konsequenter Umsetzung des Wortlauts erfüllt. Das Behältnis ist
durch Verschluss gesichert, der Täter muss dieses Hindernis überwinden. Wie leicht ihm das fällt, ist egal.
A.A. (Sch/Sch/Eser/Bosch § 243 Rn. 22): Das Regelbeispiel ist dann nicht erfüllt, wenn der Schlüssel frei zugänglich
war.
Grund: Schutzzweck des Norm: Schutz von Eigentum, das besonders gesichert ist und Bestrafung erhöhter krimineller
Energie.
Vorliegend war der Schlüssel frei zugänglich und damit nicht besonders gesichert. Das Regelbeispiel ist also nicht
erfüllt.
Die besseren Argumente sprechen für die erste Ansicht, da sie sich stärker am Wortlaut der Norm orientiert und
Rechtssicherheit schafft. Die Kasse war folglich verschlossen und besonders gesichert.
3. Die subjektive Seite des Regelbeispiels ist auch erfüllt, Quasi-Vorsatz.
4. Ausschlussklausel, § 243 II
Ein besonders schwerer Fall könnte jedoch gem. § 243 II ausgeschlossen sein, wenn der Inhalt der Kasse, Münzen, als
geringwertig i.S.v. § 243 II einzustufen ist.
Beim vollendeten Diebstahl fordert die h.M. sowohl das Vorliegen einer objektiven Geringwertigkeit als auch der subjektiven Seite seitens des Täters. Beim Versuch kann es jedoch nur auf die subjektive Seite der Tat ankommen.
A stellte sich eine Beute weit über der Geringwertigkeitsgrenze von 50 EUR vor. Daher greift § 243 II nicht.
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5. Zwischenergebnis: Das Regelbeispiel § 243 I 2 Nr. 2 ist erfüllt
Ergebnis: A hat sich eines versuchten Diebstahls an den Geldscheinen gem. §§ 242 I, 22, 23 I i.V.m. § 243 I 2 Nr. 2
strafbar gemacht.
E. §§ 242 I, 244 I Nr. 1a) Var. 1, 22, 23 I (nochmal Prüfung Registrierkasse)
Durch dieselbe Handlung könnte sich A gem. §§ 242 I, 244 I Nr. 1a) Var. 1, 22, 23 I bzgl. der Geldscheine strafbar
gemacht haben.
Die Versuchsstrafbarkeit ergibt sich aus §§ 244 II, 23 I Alt. 2. Die Tat ist mangels Wegnahme nicht vollendet.
I. Tatbestand
1. Tatentschluss
A hatte Tatentschluss zur Verwirklichung eines Diebstahls sowie Zueignungsabsicht bezüglich der Geldscheine. Weiterhin war sie sich auch der Verwendungsmöglichkeit des Dolches bewusst, sodass A auch zur Verwirklichung der
Qualifikation des § 244 I Nr.1a) Var.1 entschlossen war.
2. Unmittelbares Ansetzen
Mit Öffnen der Kasse, bei welchem sie einen Dolch bei sich trug, setzte A unmittelbar zur Tat an, § 22.
II. Rechtswidrigkeit und Schuld
Sie handelte rechtswidrig und schuldhaft.
Ergebnis: A hat sich gem. §§ 242, 244 I Nr. 1a) Var. 1, 22, 23 I strafbar gemacht.
F. Konkurrenzen und Ergebnis Tatkomplex 1:
§ 246 I ist verwirklicht, tritt aber auf Grund gesetzlich angeordneter formeller Subsidiarität gem. § 246 I hinter § 242
I zurück.
§ 244 I bzgl. des Dolches verdrängt den einfachen Diebstahl § 242 I. (Spezialität)
Der versuchte schwere Diebstahl gem. §§ 242 I, 244, 22 bzgl. der Geldscheine verdrängt §§ 242 I, 22, auch wenn ein
Regelbeispiel, wie hier § 243 I 2 Nr. 2, erfüllt wurde.
Der Diebstahlsversuch beruht auf einem neuen erst am Tatort gefassten Tatentschluss und galt einem neuem, gänzlich andersartigem Tatobjekt, dem Geld in der Kasse. Er steht daher in Tatmehrheit § 53 zum vollendeten Diebstahl
am Dolch. (a.A. (also Diebstahlsversuch tritt hinter vollendeten Diebstahl zurück) sehr gut vertretbar und die Linie des BGH in
ständiger Rspr)
Anmerkung:
Die h.M., v.a. die Rspr., würde im Fall nur einen vollendeten Diebstahl annehmen. Der Versuch hinsichtlich des Inhalts der Registrierkasse wäre konsumiert bzw. würde nicht als eigenständige Tat gewertet werden. Die Rspr. ist bei
Vorsatzwechsel bzw. –erweiterung i.R.v. Zueignungsdelikten sehr großzügig.
Nach allgemeiner Meinung käme man ebenfalls zu keiner eigenständigen Versuchsstrafbarkeit, wenn A den Laden mit
einem generellen Wegnahmewillen betreten hätte.
A hat sich daher gem. §§ 242 I, 244 I Nr. 1a) Var. 1; 53; 242 I, 244 I Nr. 1a) Var. 1, 22, 23 I strafbar gemacht.
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Anmerkung:
Die Konstellation, dass am Ende verdrängte Delikte wie §§ 242, 22, 23 I i.V.m. 243 so ausführlich zu prüfen waren, ist
ungewöhnlich. So ausführlich sollte man nur vorgehen, wenn der Sachverhalt dazu Anlass gibt, so wie hier mit der
Registrierkasse.
Anmerkungen an: [email protected]