nach dem gleichnamigen Film von Éric Toledano und Olivier Nakache Bühnenfassung : Gunnar Dreßler Ziemlich beste Freunde Ziemlich beste Freunde nach dem gleichnamigen Film von Éric Toledano und Olivier Nakache Bühnenfassung: Gunnar Dreßler Inszenierung Bühnenbild Kostümbild Dramaturgie Videoeinspielungen Philippe Driss Magalie Bewerber, Polizist, Antoine, Pfleger Galeristin, Prostituierte, Eleonore Adama In den Videoprojektionen: Philippes Frau und Tochter Gangmitglieder Werke von Robert Schumann und andere klassische Werke Ghettomusik und Sounds Regieassistenz Abendspielleitung Technik Sprecherziehung Maske Praktikant der Ausstattung Regiehospitanten Redaktion Programmheft Layout Programmheft Fotos Programmheft Layout Plakat Verwaltung Besucherservice Kasse Theaterhund Achim Bieler Frank Rommerskirchen Frank Rommerskirchen, Michaela Gabauer Tom Hirtz Achim Bieler Wolfgang Kramer Patrick Joseph Lina Kmiecik Bernhard Schnepf Ulrike Bieler Bernard Kobbina, Youssef Abo Jabbah (alternierend) Premiere: 17.09.2015 Aufführungsdauer: 2 ¼ Stunde, inkl. Pause Aufführungsrechte Dreamland Media GmbH, Berlin Unser besonderer Dank gilt der Firma BB Medica für die Bereitstellung des Rollstuhls. Ein herzliches Dankeschön geht an das Team des Kletterwaldes Aachen für die Unterstützung der Dreharbeiten. Heike Sievert, Linja Dupont Silvana Coenen, Joana van Ryn eingespielt von H. Bieler Tom Schreyer, Achim Bieler Susanne Schreyer Susanne Schreyer, Li Pappert Armin Pappert (Leitung), Jürgen Melzer, Timo Pappert, Lukas Kleinen, Jan Terstegge Ingrid Schäfermeier Nadine Dupont, Michaela Gabauer Steven Meyd Theresa Schneider, Charlotte Nolles Anja Mathar Hanyo Lochau Achim Bieler CARABIN CREATIVES Ilona Büttgens Nadine Dupont (Leitung), Lina Alt, Lili Bergmann, Lena Braunisch, Ida Chakraboty, Laura Gaisendris, Theresa Hirtz, Annik Klafka, Inge Klusemann, Katharina Mainz, Hanna Mertens, Sophia Nellissen Ilona Büttgens (Leitung), Beate Dupont, Wally Herbertz, Jan Hildebrandt Hera, Diva (1993-2009) Das DAS DA THEATER wird unterstützt von: Sparkasse Aachen, LEO – der Bäcker & Konditor; Rechtsanwälte Daniel, Hagelskamp & Kollegen; KOHL automobile GmbH; HIT-Markt; Bartsch Holzbau; Goebels SanitärHeizungsbau; ASEAG; Brasserie Aix; eventac; Deubner Baumaschinen; DEKRA; nesseler grünzig bau GmbH; Druckerei Mainz; Malermeister Wynands; Partyservice Hennes; Buchladen Pontstraße 39; NetAachen; Bertram-Ackens Ledermode; CarabinBackhaus Communication; Power + Radach; Steuerberatungsgesellschaft T. Bergs; APAG; STAWAG; Förderkreis DAS DA THEATER Das Stück Anfang 2012 kam „Ziemlich beste Freunde“ in die Kinos und sorgte für weltweite Begeisterung. Den Stoff, der auf einer wahren Begebenheit beruht, sahen allein in Deutschland mehr als neun Millionen Besucher. Der Sozialhilfeempfänger Driss – gerade aus dem Gefängnis entlassen – bewirbt sich gezwungenermaßen auf eine Stelle als Pflegekraft bei dem querschnittsgelähmten, wohlhabenden Philippe. Dieser Ziemlich beste Freunde nach dem gleichnamigen Film von Éric Toledano und Olivier Nakache Bühnenfassung: Gunnar Dreßler ist beeindruckt von Driss schonungsloser Art und engagiert ihn. Zwei Welten prallen aufeinander. Doch Driss und Philippe können eine Menge voneinander lernen und ergänzen sich vortrefflich. Philippe gewinnt seine Lebensfreude zurück, und Driss beginnt zu verstehen, was es bedeutet, Verantwortung für jemanden zu übernehmen. Es entwickelt sich eine außergewöhnliche Freundschaft. Die Autoren Olivier Nakache Éric Toledano Olivier Nakache (* 14. April 1973 in Su- Éric Toledano (* 3. Juli 1971 in Paris) resnes) ist ein französischer Drehbuch- ist ein französischer Drehbuchautor und Filmregisseur. autor und Filmregisseur. Nakache stammt aus einer jüdischen Familie. Seine jüngere Schwester ist die Filmemacherin Géraldine Nakache. Er ist seit Mitte der 1990er Jahre als Filmregisseur und Drehbuchautor tätig. Bis heute war er an mehr als zehn Filmproduktionen beteiligt. Er wurde 2012 zusammen mit Eric Toledano für den César in den Kategorien Beste Regie und Bester Film nominiert. Toledano ist seit Mitte der 1990er Jahre als Filmregisseur und Drehbuchautor tätig. Bis heute war er an mehr als zehn Filmproduktionen beteiligt. Er wurde 2012 zusammen mit Olivier Nakache für den César in den Kategorien Beste Regie und Bester Film nominiert. Gedanken zur Bühne ZIEMLICH BESTE FREUNDE Kanten und Membranen Philippe ist dünnhäutig geworden. Sein Körper – kraftlos, unbeweglich und gefühllos – passt nicht mehr zu seinem wachen Geist und scharfen Verstand. Er, der vor seinem dramatischen Unfall ein erfolgreicher Geschäftsmann, aktiver Sportler und smarter Frauentyp war, scheint nur noch Hülle zu sein. ist, seinen Gedanken nachhängt und elegische Briefe an seine Brieffreundin Eleonore verfasst. Ein Arbeitszimmer, der persönliche Schlafraum mit angrenzendem Bad, ist der Kern seiner Wohnung. Sein tauber Körper ist lediglich noch eine traurige Erinnerung an seine Sehnsüchte und all das, was seit dem Absturz mit dem Paraglider nicht mehr geht. Im Grunde hat er sich aufgegeben. Eremitisch – nur begleitet von wenigen Angestellten – lebt er in seiner Pariser Stadtwohnung. Dieser Raum definiert sich nur durch seine Kanten, ist gleichsam gestaltlos. Gestaltungslos. Lediglich ein paar vereinzelte exemplarische Möbelstücke lassen den guten Geschmack und das sichere Stilempfinden Philippes erahnen, ohne dabei konkret zu werden. Und mehr als das bekommt der Zuschauer auch nicht gezeigt. Die Wände sind kaum existent. Dünne Membranen erlauben Einblicke in tiefer gelegene Räume, lassen schemenhaft erkennen, was Philippe tut, wenn er nicht in seinem Arbeitszimmer ist. Dosiert. Kontrolliert. Das Ganze ähnelt eher einem Mausoleum, einem Ort der Abgeschiedenheit, einer Klosterzelle, wo der Blick nach innen gerichtet ist und sich auf den Bewohner fokussiert. Einziger Schmuck sind die Faberge-Eier, die ihn an eine glückliche Zeit vor dem Philippe hat sich in seiner Wohnung sol- Unfall mit seiner Frau erinnern. Alles che Räume geschaffen, in denen er privat andere ist praktisch und funktionell. So eine Stadtwohnung ist schon eine luxuriöse Angelegenheit. Weite Korridore, die die Räume miteinander verbinden, großzügige Raumfluchten und Durchgangszimmer, die sich zu kleinen Refugien abgrenzen lassen. Man kann „Hof halten“ in einer solchen Wohnung. Man erlaubt dem Gast, nur so weit in die private Sphäre einzutauchen, wie man das möchte. Der Rest bleibt verschlossen. Und dann wiederum gibt es Momente, wo sich auf diesen Membranen das Leben abzeichnet. In grellen Farben, in bewegten Bildern, Lichtern. Momente, die erzählen, dass abseits von Phillippes Einsiedelei auch noch eine andere Welt existiert. Und diese Welt ist im wesentlichen die Welt von Driss, dem Underdog aus der Pariser Vorstadt. Eine Welt, die durch Armut, Kriminalität, Gewalt und Drogen geprägt ist. Aber auch durch den Mut zu leben, von Lust und Freude. Driss dringt in den Mikrokosmos Phillippes ein und infiziert ihn mit dieser Lebenslust. Er hinterlässt Spuren im aufgeräumten und organisierten Leben von Philippe. Neue optische und akustische Akzente verändern den Raum, die Stimmung. Der Raum bleibt der gleiche, der Körper bleibt der gleiche und trotzdem ist alles verändert, weil sich die Sicht, die Perspektive ändert. Und aus der Klosterzelle wird eine Keimzelle für neues Leben und neue Hoffnung. Frank Rommerskirchen Das Schicksal ist doof Von Markus Feldenkirchen, DER SPIEGEL 29/2012 Philippe Pozzo di Borgo, dessen Geschichte in „Ziemlich beste Freunde“ verfilmt wurde, und Samuel Koch, der bei „Wetten, dass …“ verunglückte, diskutieren ihre Einsamkeit und ihre Sehnsüchte. Am Vorabend die erste Begegnung der beiden in einem Münchner Hotel. Samuel Koch und Philippe Pozzo di Borgo haben sich zum Essen verabredet. Sie reden viel, lachen miteinander, haben sich eine Menge zu sagen - trotz des Altersunterschieds von 37 Jahren und trotz ihrer unterschiedlichen Herkunft. Zwei Männer, denen das Schicksal den gleichen herben Schlag versetzt hat. Koch, 24, war von klein auf ein Bewegungsfreak, begann mit sechs Jahren mit dem Leistungsturnen, später gab es kaum eine Sportart, die er ausließ, auch Bungee-Jumping probierte er aus. Kurz bevor Koch am 4. Dezember 2010 in der Sendung „Wetten, dass …?“ mit dem Kopf gegen das Dach eines Autos prallte, hinter dessen Steuer sein Vater saß, hatte er den Plan für sein Leben gefunden. Die Hochschule für Musik, Theater und Medien in Hannover hatte ihm einen ihrer begehrten Plätze gegeben. Beide sind sogenannte Tetraplegiker, ihre Lähmung betrifft alle vier Gliedmaßen. Bewegen können sie nur den Kopf, und auch das nur eingeschränkt, Koch hat zusätzlich noch ein wenig Kontrolle über die rechte Hand. Es ist eine der schlimmsten Formen der QuerschnittsPhilippe Pozzo di Borgo, 61, dessen Au- lähmung. tobiografie die Vorlage für den Kinohit „Ziemlich beste Freunde“ lieferte, ent- SPIEGEL: Herr Koch, mochten Sie den stammt dem alten französischen Adel Film „Ziemlich beste Freunde“? und wurde, wie er sagt, „mit einem silbernen Löffel im Mund geboren“. Als Koch: Ja, natürlich. Das kann aber auch Sprössling der Herzöge Pozzo di Bor- daran liegen, dass ich indirekt irgendwie go und der Marquis von Vogüé wuchs er etwas mit dem Thema zu tun habe. in Schlössern und Herrenhäusern auf. Er besuchte die besten Schulen Frankreichs SPIEGEL: Zeigt der Film ein und arbeitete zunächst als Manager bei realistisches Bild vom Leben eines Moët & Chandon, später als Geschäfts- Querschnittsgelähmten? führer der ebenso berühmten Marke Koch: Ich habe vieles wiedererkannt. Pommery. Ein Champagner-Leben. Bei Stellen aber, wo es im Alltag kri1993 stürzte er im Alter von 42 Jah- tisch, kompliziert und unschön wird, ren beim Paragliding vom Himmel und wurde im Film geschickt geschnitten. In einer Szene etwa steht der Protagonist brach sich das Rückgrat. Philippe vor dem Flugzeug, dann zack, Schnitt - plötzlich sitzt er gestriegelt im Flieger. Oder was die Klamotten betrifft, zack, Schnitt - plötzlich ist man umgezogen. Ich wünschte, das ginge tatsächlich so schnell. Aus meiner Erfahrung kann das schon mal eine halbe Stunde dauern. SPIEGEL: Welche Szene hat Ihnen besonders gefallen? Koch: „Keine Arme, keine Schokolade“, dieser Satz, den Philippes Pfleger sagt, während er ihm Schokolade vors Gesicht hält, hat mich sehr amüsiert. Zumal ich ähnliche Kommentare ebenfalls von engen Freunden oder meiner Familie zu hören bekomme. SPIEGEL: Ist das nicht grausam und gemein? Koch: Ja, vielleicht beides. Aber ich finde das lustig. „Keine Arme, keine Schokolade“ - so ist es nun mal. Warum soll man die Dinge schöner reden, als sie sind? SPIEGEL: In welchen Sequenzen konnten Sie sich außerdem wiederfinden? Koch: Besonderen Eindruck hinterließ bei mir auch die Szene, als Philippe vor Schmerzen nachts aus der Haut fährt, wie er sich verkrampft und sich förmlich im Bett wälzt, innerlich, weil er sich äußerlich nicht wälzen kann, bis ihn dann sein Pfleger einfach packt und mit ihm durch die Stadt zieht, um ihn abzulenken. Solche Nächte voller Schmerzen erlebe ich ebenfalls oft. Glücklicherweise gab es auch Freunde oder Pfleger, die sich dann, ähnlich wie im Film, nicht zu schade waren, mich nachts um drei noch an den Strand zu tragen. SPIEGEL: Was können Sie von Philippe lernen? Koch: Schon in der Rehabilitationsklinik wurde mir eingebläut: Samuel, du darfst nicht immer so höflich und freundlich sein. Scheuch die Leute ruhig rum. Es geht schließlich um dein Leben. Das widerspricht aber meinem Naturell. Als ich gestern Abend also erstmals Philippe sah, bemerkte ich gleich, wie liebevoll er zu den Menschen in seiner Umgebung ist. Und in seiner scheinbaren Hilflosigkeit dennoch hilfsbereit. Ich habe ihn gefragt, ob er nie unfreundlich war. Nein, sagte er, kein einziges Mal in den 19 Jahren im Rollstuhl. Seine Begründung war pragmatisch: Wir brauchen die Leute um uns herum, wir sind auf sie angewiesen, sagte er. Deshalb sei es klüger, freundlich zu ihnen zu sein. Das war für mich eine ganz wichtige Bestätigung, ein Paradebeispiel und der Beweis: Es geht doch. Man darf ruhig freundlich sein, es hilft einem sogar. SPIEGEL: Was können Sie Samuel mit Ihrer fast 20-jährigen Erfahrung als Gelähmter noch vermitteln? Pozzo di Borgo: Ach, ich glaube, Samuel muss ich gar nichts groß vermitteln. Viel lieber würden wir Ihnen etwas Das Schicksal ist doof vermitteln, Ihnen und allen anderen meinem Zimmer im Rollstuhl sitze und mich nicht bewegen kann. Dieses UnNichtbehinderten. wohlsein empfinde ich erst recht, wenn ich nach draußen gehe und von anderen SPIEGEL: Nur zu. angeschaut werde. Noch schlimmer ist Pozzo di Borgo: Ich finde, dass nicht nur es, wenn ein Kamerablitzlicht auf mich wir Behinderte freundlich sein sollten. gerichtet ist. Aber wie Philippe sagte: In Wahrheit sind alle Menschen vonei- Wenn diese Öffentlichkeit etwas Gutem nander abhängig, wir brauchen uns alle dient oder eine gewisse Produktivität gegenseitig. Wenn die Nichtbehinder- hat, hilft einem das über die Sinnlosigten ebenfalls freundlicher wären, zu uns, keit eines solchen Unfalls ein wenig hinaber auch untereinander, dann wäre die weg, allein dadurch, dass woanders ein Welt angenehmer. Freundlichkeit tut al- Sinn entsteht. len gut. SPIEGEL: Welche Ungeschicklichkeiten erleben Sie im Umgang mit Ihnen? SPIEGEL: Ihren Unfall, Herr Koch, haben Millionen Deutsche live im Koch: Der Klassiker ist die entgegengeFernsehen verfolgt. Die Verfilmung streckte Hand, die mir vor dem Gesicht Ihrer Geschichte, Herr Pozzo di hängt. Die Hand verharrt da und verBorgo, haben allein in Deutschland harrt, bis mein Gegenüber peinlich beüber 8 Millionen Besucher gesehen, in rührt errötet, weil ihm klar wird, dass ich Frankreich gar mehr als 20 Millionen. den Handschlag nicht erwidern kann. Sie beide zählen damit zu den prominentesten Querschnittsgelähmten Pozzo di Borgo: In Paris kommt es hin Europas. Ist das ein Fluch oder ein und wieder vor, dass ich auf der Straße Segen? aus meinem Rollstuhl falle. Und ich sage Pozzo di Borgo: Eher ein Segen. Viel- dann zu den Leuten: Können Sie mich leicht können wir mit unserer Prominenz bitte wieder in meinen Rollstuhl setnützlich für andere Rollstuhlfahrer sein, zen? Doch niemand fasst mich an. Wir vielleicht auch für die Nichtbehinderten. müssen meist warten, bis die Feuerwehr Es macht mir nichts aus, der Clown des kommt. Aber das gehört zu dem, was ich Systems zu sein - das ist in Ordnung. Ich meinen „Job“ nenne. war stets überzeugt, dass wir eine Verantwortung tragen - egal in welchem Ge- Koch: Manche Leute reden mit mir, als wäre ich nicht nur körperlich, sondern sundheitszustand wir sind. auch geistig behindert. Die beugen sich Koch: Für mich ist es beides. Ich fühle zu einem runter und fragen mit extremer mich ja schon unwohl, wenn ich allein in Artikulation: „K-ö-n-n-e-n S-i-e d-i-e W-o-r-t-e v-e-r-s-t-e-h-e-n, d-i-e m-e-in-e-n M-u-n-d v-e-r-l-a-s-s-e-n?“ - Dann sage ich: Ja, klar. Was ist mit dir los? Wieso redest du so komisch? Das gibt es durchaus, dass man mit so einem Rollstuhl schnell auch eine geistige Schwäche assoziiert. Ich kann mir jedoch kaum anmaßen zu sagen, dass ich das, als ich noch Fußgänger war, besser zu unterscheiden gewusst hätte. Koch: Ja, der ist gut. SPIEGEL: Wie war das bei Ihnen, als Sie noch Fußgänger waren? Pozzo di Borgo: Der Humor ist auch ein Werkzeug. Wissen Sie, ich habe ständig Angst, dass man mich in meiner Ecke allein sitzen lässt. Da ich Sie mit meiner Körperkraft nicht mehr dazu bringen kann, mir zu helfen, bringe ich Sie eben zum Lachen - spätestens dann werden Sie sich um mich kümmern. Die Flucht in den Humor ist auch eine pragmatische Art, mit unserer Situation umzugehen. Und sie ist besser für alle Beteiligten. Pozzo di Borgo: Ich war so erfolgreich, so schnell, so getrieben, dass ich meine Mitmenschen nicht wahrgenommen habe. Ich habe nicht gesehen, dass es Menschen gibt, die in einem anderen Rhythmus leben. Ich habe die Kopfnuss sozusagen gebraucht, um aufhören zu können, um zu verstehen, was wirklich passiert. SPIEGEL: In den Büchern, die Sie beide geschrieben haben, blitzt immer wieder Witz auf, Sie pflegen einen beinahe humoristischen Umgang mit Ihrer Situation. Haben Sie einen Lieblingswitz über Querschnittsgelähmte? SPIEGEL: Auch der Film über Ihre Geschichte strotzt vor Selbstironie. „Ich würde mir die Kugel geben“, sagt Pfleger Abdel zu Philippe, und der antwortet: „Auch das ist schwer für einen Querschnittsgelähmten.“ Wie kommt es, dass Sie über Ihr Schicksal lachen können? Koch: Es gibt einen deutschen Dichter namens Ringelnatz, der sagte: „Humor ist der Knopf, der verhindert, dass uns der Kragen platzt.“ Da ist viel dran. Außerdem macht Lachen viel mehr Spaß als Weinen. Mir zumindest. SPIEGEL: Als Sie Ihren 60. Geburtstag feierten, sagten Sie in einer Ansprache: Pozzo di Borgo: Wissen Sie, wo man ei- Man feiere heute „42 gesunde und 18 behinderte Jahre, von denen jedes für nen Querschnittsgelähmten findet? sieben zählt, wie bei Hunden“. Wie kommen Sie zu dem Vergleich? SPIEGEL: Nein. Pozzo di Borgo: Dort, wo Sie ihn zu- Pozzo di Borgo: Als ich jung und gesund war, hatte ich den Eindruck, dass ich rückgelassen haben. Das Schicksal ist doof ewig jung sein würde. Seit ich behindert bin, ist jede Sekunde sehr willkommen. Zudem ist es viel anstrengender, ein Jahr lang als Behinderter zu leben als sieben Jahre als Gesunder. Leistungsturner oder ein Leben als Rollstuhlfahrer entscheiden können? Koch: Nein, das Schicksal ist doof. (Er schmunzelt.) SPIEGEL: Wie sehen Sie das inzwischen: Haben Ihre Unfälle einen Sinn? SPIEGEL: Herr Koch, Sie hätten Ihren Sprung bei „Wetten, dass …?“ sogar mit verbundenen Augen durchgeführt. Sagen Sie im Nachhinein: Ich war zu Pozzo di Borgo: Wenn es einen Gott gibt, leichtsinnig, ich habe das Schicksal dann ist er in jedem Fall unschuldig. Er herausgefordert? hat das nicht gewollt. Es ist Pech, ein Missgeschick, ein Fehler von uns oder Koch: Nein, ich habe das Schicksal nicht ein Unfall, aber es ist auch eine Chan- herausgefordert. Jeden Tag machen Leuce für uns. Wir sind vielleicht ein biss- te riskantere Sachen. Ich selbst habe im chen auf einem Abweg gewesen, und das täglichen Turntraining schon wesentlich ist korrigiert worden. Das wäre eine Art unkontrolliertere Dinge gemacht. Vielvon Sinn. Ich bin wegen meines Unfalls leicht wäre der Sprung mit verbundenen jedenfalls niemandem böse, spreche nieAugen sogar geglückt. Weil ich mich mandem Schuld zu, sei es auf der Erde, noch mehr auf den routinierten Ablauf sei es im Himmel. Ich versuche, das Beder Übung konzentriert hätte. Aber es ist ste daraus zu machen. langweilig, darüber noch nachzudenken. Koch: Philippe antwortet immer so furchtbar intelligent von hinten durch die Brust und doch präzise ins Auge, das gefällt mir gut. Mir erschließt sich der Sinn meines Unfalls leider noch nicht so recht. Aber ich glaube, dass Gott auch auf krummen Zeilen gerade schreiben kann, beziehungsweise, dass er krumme Wege gerade machen kann und auch ich mir mit der Zeit einen Sinn erarbeiten kann. SPIEGEL: Finden Sie es in Ordnung, dass 60 Millisekunden wie bei Ihrem Unfall über ein Leben als Pozzo di Borgo: Ich spreche jetzt für mich, nicht für Samuel. Ich habe einen sehr gefährlichen Sport ausgeübt, das Gleitschirmfliegen, einen Risikosport. Unsere Gesellschaft fördert so etwas, wir suchen dieses starke Gefühl, das extreme Erlebnis. Und eigentlich wähnt man sich ja unsterblich und unzerstörbar. Aber die Suche nach diesem starken Gefühl und der Glaube, wir seien unzerstörbar, sind eine Absurdität der modernen Zeit. So ein Unfall bringt die Dinge wieder ins rechte Maß - zum Teil etwas brutal. SPIEGEL: Verfolgen Sie die Fortschritte der Rückenmarksforschung in der Hoffnung, eines Tages wieder laufen zu können? Pozzo di Borgo: Ich glaube nicht, dass ich eines Tages wieder laufen kann. Christopher Reeve, der „Superman“-Darsteller, hatte nach seiner Querschnittslähmung versprochen, dass er binnen fünf Jahren wieder laufen kann. Er hat es nicht geschafft und so viele Leute, gerade auch Behinderte, enttäuscht. Aber er hat Hunderte von Millionen für die Forschung generiert. Samuel zählt vielleicht zu einer der ersten Generationen, die von dieser Forschung profitieren können. In der Nanotechnologie etwa arbeitet man an der Entwicklung von Exoskeletten oder daran, Impulse aus dem Gehirn direkt an die Muskeln weiterzuleiten. Koch: Die Hoffnung, irgendwann wieder laufen zu können, möchte ich mir bewahren. Aber ich suche nicht jeden Tag vehement nach neuen Forschungsergebnissen. Philippe hat mir sein Buch mit den Worten signiert: „Stick in the present!“ Ich lebe erst mal im Hier und Jetzt. Obwohl das nicht so leicht ist, die grundsätzliche Frage lautet nämlich: Investiere ich extrem viel Zeit ins Training, in die Optimierung meines Zustands, oder lebe ich komplett im Jetzt und lasse das Körperliche dahinfließen? SPIEGEL: Ist Ihnen jede Form von Im Moment versuche ich einen „Quer- Forschung willkommen? schnitt“ aus beidem. Pozzo di Borgo: Man hat mir einmal eiPozzo di Borgo: Samuel ist zwar behin- nen Roboter angeboten, um mich zu fütdert, aber er ist andererseits auch einer tern. Sie kamen mit der Maschine ins der größten Sportler, die es gibt. Er hat Krankenhaus, und ich habe, um sie zu äreine außerordentliche Disziplin. Er ist gern, gesagt: „Ich esse nur Erbsen.“ Die ein Champion. Wir Querschnittsgelähm- Erbsen sind natürlich nie bis zu meinem ten sind Champions der Unbeweglich- Mund gelangt. Ich habe die Leute dann keit. Wir sind gezwungen, eine große gefragt: Wer hat eigentlich den Teller mit Disziplin an den Tag zu legen. Seit 19 den Erbsen auf die Maschine gestellt? Jahren mache ich Tag für Tag Übungen, Das habe die Frau aus der Küche geich muss mich ganz diszipliniert ernäh- macht, hieß es. Da habe ich gesagt: Ich ren. Das ist unabdingbar notwendig, um ziehe diese Frau der Maschine vor. Die sich aufrechterhalten zu können, um zu Technik darf den Behinderten nicht isolieren, sie darf keine Entschuldigung für überleben. die Gesunden werden, nach dem Motto: SPIEGEL: Ist die Hoffnung auf Heilung Wir haben Ihnen eine Maschine hingestellt, jetzt gucken Sie, wie Sie klarkomoder wenigstens Besserung wichtig für men. Sie, Herr Pozzo di Borgo? Das Schicksal ist doof SPIEGEL: Sie haben selbst mal den Wunsch geäußert: „Zieht mir den Stecker! Verlangt bloß nichts mehr von mir, ich habe keine Kraft mehr.“ Was war das für ein Moment? Tyrannen macht, wodurch man schluss endlich auch vereinsamt. Der dritte Weg klang am besten: Man muss sich so annehmen, wie man ist, und dadurch glücklich werden. Pozzo di Borgo: Im ersten Jahr gibt es fast immer einen Moment der Entmutigung. Bei mir kam der richtige Tiefpunkt aber später. Richtig behindert fühlte ich mich erst drei Jahre später, als meine geliebte Frau Béatrice verstarb. Mit ihrem Tod wurde ich plötzlich einsam, und die Einsamkeit ist das Schlimmste. Ich kenne aber auch viele Menschen, die nicht im Rollstuhl sitzen und Selbstmord begehen, weil sie sehr einsam sind, weil sie keinen Sinn gefunden haben. Es sind fast immer die anderen, die Mitmenschen, die uns einen Sinn geben. Mein Therapierezept lautete daher: Nicht allein sein. SPIEGEL: Durch Ihren Unfall, sagen Sie, hätten Sie die Härte des Systems erkannt. Was meinen Sie genau? Koch: In Gesellschaft zu sein ist eine lebenserhaltende Maßnahme für uns. Deshalb ist es so wichtig, dass die Leute keine Angst vor uns haben, sondern gern auf uns zukommen. Umarmen und küssen zum Beispiel hält uns am Leben. Die Voraussetzung dafür müssen wir jedoch selbst schaffen. In der Klinik wurde mir gesagt, dass es nun drei Möglichkeiten der Entwicklung gebe. Erstens, dass man sich vollkommen gehenlässt, jede Lust verliert, nur noch das Elend sieht, sich isoliert und schließlich vereinsamt. Die zweite Variante sah so aus: Die Notwendigkeit, alles ständig kommunizieren zu müssen, könne leicht zu einem Diktieren führen, was einen irgendwann zum Pozzo di Borgo: Wir befinden uns in einer Leistungsgesellschaft, und ich war einer der Leistungsfähigen. Aber die Anforderungen sind so hoch geworden, dass viele Menschen kapitulieren, sie werden zu Randfiguren. Es gibt immer weniger Leute, die sich noch im System befinden, und immer mehr, die an den Rand gedrängt sind. Die Finanzkrise, die eigentlich nur eine logische Folge dieser ganzen Absurdität ist, hat diese Entwicklung beschleunigt. Die Menschen leiden unter Neurosen, sie sind in sich gekehrt, kommen nicht mehr mit sich zurecht, sie werden ausgeschlossen oder fühlen sich ausgeschlossen. Der Menschheit ist der Sinn des Lebens abhandengekommen. SPIEGEL: Hat sich auch Ihr Blick auf unsere Gesellschaft geändert, Herr Koch? Koch: Ich habe plötzlich Einsicht in Bereiche, von denen ich zuvor keine Ahnung hatte. Ich weiß jetzt, was es auch in so einem schönen Sozialstaat wie Deutschland noch zu optimieren gibt, ganz abgesehen von anderen Ländern. Wir müssten nicht mal einen Tag reisen Das Schicksal ist doof und befänden uns an Orten, wo Philip- sozialen Brennpunkte, Orte der Auspe und ich nach unseren Unfällen nicht grenzung, das alles kannte ich vorher nicht. Man kann diese Leute nicht am überlebt hätten. Rande der Gesellschaft belassen. SPIEGEL: Wir leben in einer nervösen SPIEGEL: Abdel wiederum sagt Zeit der ständigen Beschleunigung. über Sie: „Ohne Pozzo wäre ich Schließt dieses Tempo Sie, die wahrscheinlich tot oder im Gefängnis.“ Langsamen, aus? Im Kapitalismus würde man wohl von Koch: Vielleicht bilden wir eher das Ge- einer Win-win-Situation sprechen. gengewicht auf der Waage und dienen der Entschleunigung. Ich fühle mich Pozzo di Borgo: Absolut. Ohne Abdel aber nicht wirklich ausgeschlossen; jetzt säße ich zwar nicht im Gefängnis, aber gerade sitze ich hier in München, vorge- tot könnte ich sein. stern war ich in Berlin. Ich finde es aber wichtig, auch mal innezuhalten und zur SPIEGEL: Wie geht es Abdel heute? Ruhe zu kommen - was ich wohl erst he- Wie ist Ihr Verhältnis zueinander? rausgefunden habe, weil ich es musste. Pozzo di Borgo: Wir sehen uns regelmäßig. Er ist jetzt Unternehmer, erfolgSPIEGEL: Was hat Ihr Pfleger Abdel reicher Hühnerzüchter, ist verheiratet, Sie gelehrt, ein Kleinkrimineller aus hat drei Kinder und 30 Kilo mehr auf der Vorstadt, der fast direkt aus dem den Rippen. Gefängnis zu Ihnen kam? Pozzo di Borgo: Er hat mir den Mut zurückgegeben, die Freude am Leben, als ich nach dem Tod meiner Frau schwer depressiv war. Ich, der Aristokrat, habe durch ihn aber auch eine neue Welt kennengelernt, die Welt der Banlieue, die SPIEGEL: 30 Kilo? Dann geht es ihm gut. Pozzo di Borgo: Ja, sehr gut. Ich freue mich immer noch sehr, ihn wiederzusehen. Aber er ist immer noch so verrückt. Abdel Sellou - ein Interview Von Verena Mayer „Wiener Zeitung“: Monsieur Sellou, seit die Geschichte Ihrer Freundschaft mit einem Schwerbehinderten verfilmt wurde, sind Sie berühmt. Wie ist Ihr Leben nach dem Erfolg von „Ziemlich beste Freunde“? Abdel Sellou: Es hat sich nicht viel verändert, jedenfalls nicht finanziell. Die Filmrechte ha- ben wir an Behindertenzentren übertragen. Bewegt ist höchstens meine familiäre Situa- tion, ich habe drei Kinder. Drei kleine Teufel mehr, die unseren Planeten verschmutzen und viel Arbeit machen. Stimmt es, dass Sie jetzt in Ihrer früheren Heimat Algerien Hühner züchten? Ich betreibe eine Geflügelfarm. Ich weiß nicht, ob ich ins Detail gehen soll, hier ist man ja sehr öko. Es sind hunderttausende Hühner, die auf den lokalen Markt kommen, ich küm- mere mich um Produktion und Vertrieb. Die armen Hühner leben und sterben in der Lege- batterie, sie sehen niemals das Tageslicht. Sie schmecken auch nach nichts, was aber egal ist, da wir in Algerien viele Gewürze haben. Dokumentation zu machen, Philippe hatte ge- uns herrlich amüsiert. Die zehn Jahre mit ihm eine zweite Doku, es gab Ideen für ein Dreh- essen. rade sein erstes Buch herausgebracht. Es gab buch, aber da war nie etwas lustig oder lie- wollte Philippe nicht. Und dann kamen die- Wie war das, als Sie das erste Mal im Hôtel de Longueuil standen, seinem Palais in Eiffelturmnähe? über uns zu machen. Da denkt natürlich jeder, Diese Welt kannte ich nur vom Einbrechen. derte lachen. Aber gerade der Humor, die Le- und mit Wertsachen wieder verlässt. Ich hatte Leuten die Augen geöffnet. Wenn man jetzt Mal, dass ich durch das Haupttor in ein sol- lacht, atmet, hat ein Leben, hat Sex. Ali Baba und die 40 Räuber. Es gab so viele „Die Leute aus der Banlieue haben kein Mitleid“, heißt es im Film. Fiel Ihnen der Umgang mit Ihrem Chef leichter, weil Sie kein Mitleid hatten? ich als Erstes mitnehmen sollte. Also ging ich benswert. Es ging immer um Mitleid, aber das se Filmer mit der irren Idee, eine Komödie das geht nicht, man kann nicht über Behin- Ich wusste, wie man sie durchs Fenster betritt bensfreude, die im Film rüberkommt, hat den damals ein bewegtes Leben, es war das erste Behinderte sieht, denkt man: Der freut sich, ches Haus kam. Drinnen fühlte ich mich wie Die Leute aus seinem Umfeld sagten: Der kommt aus dem Knast, er wird dich berauben, angreifen, du kannst ihm nicht vertrauen. Aber Philippe ist ein Spieler, so wie ich. Er wollte mir eine Chance geben. Er beurteilt Leute nicht nach ihrer Vergangenheit. Was ja auch eine Art Behinderung ist, eine soziale Ihr Humor war ein Grund, warum der Pariser Adelige Philippe Pozzo di Borgo Sie, einen Kriminellen aus der Banlieue, 1994 als Pfleger einstellte. Wie ist Ihr Verhältnis heute? Behinderung. Wenn man immer seinen Vorur- Es ist eine Fortsetzung unserer Freundschaft. Er hatte kein Mitleid mit Ihnen. Seine Kinder nennen mich „tonton“, Onkel- Als er eine „Hilfskraft als Intensivpfleger“ Marokko, wo er mit seiner Frau und den bei- um einen Wisch fürs Arbeitslosengeld zu be- rien bei ihm. hätte er zugestimmt, dass ich ein System aus- Wie kam es zu dem Film, den alleine in Frankreich bald 20 Millionen Leute gesehen haben? Es hat ihn amüsiert, wie ich daherkam. Ich Philippe ist für mich Vater, Freund, Berater. teilen folgt, denkt, einer aus dem Knast wird ewig ein Verbrecher sein, heißt das ja auch: Ein Kranker muss immer ein Kranker bleiben. Philippe hat sich darüber hinweggesetzt. chen, es ist sehr familiär. Wir besuchen ihn in suchte, ging ich zum Bewerbungsgespräch, den Adoptivtöchtern lebt, verbringen die Fe- kommen. Hätte er das Papier unterschrieben, Ein Journalist sah uns, als wir auf der Terrasse eines Cafés saßen. Er schlug vor, eine kurze gingen so rasch vorbei wie ein gutes Abend- nütze, zu dem ich nie etwas beigetragen habe. war nicht wie die Bewerber vor mir, gut ange- zogen, gut frisiert. Die logen und taten alles, um den Job zu bekommen. Ich war ehrlich, ich wollte nicht arbeiten. Und dann haben wir Dinge, so viele Objekte, ich wusste nicht, was mit gar nichts. Dazu kam, dass ich nichts über Tetraplegiker wusste. Als ich ihn das erste Mal sah, hat ihm eine Angestellte seine Ziga- rette angezündet. Ich dachte, wow, was für ein Was macht eine gute Freundschaft aus? In der Banlieue lernte ich: Freundschaften scheitern, sobald es um Geld oder Frauen geht. Bei uns stand nichts dergleichen im Weg, es ist ein wechselseitiges moralisches Einverständnis, und das seit zwanzig Jahren, mehr als die Hälfte meines Lebens. So etwas ist sehr selten, es gibt kein Wort, das stark genug ist, um unsere Situation zu beschreiben. Waren Sie in Ihrer Freundschaft gleichberechtigt? Wir hatten nichts gemeinsam, nicht die Re- ligion, nicht die Erziehung, nicht das Milieu, nicht die finanzielle Situation, überhaupt nichts. Das ist so, als würde es neben Tag und Nacht noch etwas Drittes geben. Aber wir hatten zwei Dinge, die uns einten: die Lebensfreude und den Respekt. Bourgeois, der zündet sich nicht einmal seine Was war für Sie als Pfleger das Schwierigste? sich nicht bewegen kann, für mich war das ein Für mich war das normal. Man hilft jeman- Zigarette selbst an. Ich wusste ja nicht, dass er Außerirdischer. Pozzo di Borgo war Geschäftsführer des Champagnerherstellers Pommery, er ist adelig, reich. In gewisser Weise lebte er in einem Ghetto wie Sie. Wissen Sie, in der Banlieue ist die einzige Aktivität, der man nachgehen kann, aus dem Fenster zu schauen. Und dort sehen Sie das nächste Hochhaus. In Philippes Welt hinge- dem, weil er schwach ist. Wenn ich jemanden auf der Straße sehe, der angefahren wurde, gehe ich ja auch nicht weiter. Die schweren Dinge, die Körperhygiene, das Pflegen, nah- men vielleicht eine Stunde am Tag in An- spruch. Das ist, als würde man auf jemanden warten und er käme immer eine Stunde zu spät. Der Rest war Lachen, Glück, Dummheiten. gen wissen die Leute nicht einmal, was drau- Was war das Verrückteste, das Sie gemacht haben? Fragen Sie irgendeinen von denen, was eine Schwer zu sagen, ich war Anfang zwanzig, ist ein superarrogantes Milieu, das sich al- seine Autos kaputt gefahren. Dass ich ihm ßen passiert, es würde ihnen Angst machen. Baguette kostet - er wird es nicht wissen! Das len anderen überlegen fühlt. Philippes Familie hatte Respekt. Ich war immer mit allen ge- meinsam am Tisch, das ist in diesem Milieu ja nicht üblich, da isst der Chauffeur draußen. Im Haus Pozzo di Borgo hatte jeder Recht auf seine Würde. quasi ein Kind, habe nur Blödsinn gemacht, Marihuana gab, war aber banal, nämlich die einzige Möglichkeit, seine Schmerzen zu stillen. Ich wollte ihn beruhigen - und es hat funktioniert. Aber trotz all der Dinge, die ich angestellt habe, war ich für ihn da, ohne ihn zu verraten. Abdel Sellou - ein Interview Im Film legt sich „Driss“, gespielt von Omar Sy, mit einem Mann an, der unerlaubt am Behindertenparkplatz steht. So ein Held war ich nie. Als Jugendlicher habe ich Kopien von Behindertenausweisen gemacht, mit denen man überall hinkam, und diese verkauft. Das war sehr dumm. Behinderte haben ohnehin nur ein kleines Territorium, wo sie überhaupt sein dürfen, wo sie halbwegs mobil sind. Ist es wahr, dass Sie, bevor Sie zu Philippe kamen, noch kein Buch gelesen hatten? Das erste Buch, das ich las, war sein Manuskript. Da habe ich alles noch einmal erlebt. Seine Bücher handeln immer vom Schmerz. Aber er kann sagen, dass anderen auch Schlimmes passiert. Er bleibt auf dem Boden, akzeptiert die Situation, wie sie ist. Jetzt haben Sie selbst ein Buch geschrieben, es heißt „Einfach Freunde“. Ich habe das immer abgelehnt. Aber nach dem Film habe ich zugestimmt, es war die einzige Möglichkeit, eine Spur der Dankbarkeit zu hinterlassen. Glauben Sie, Sie hätten das alles auch ohne Philippe geschafft? Sage ich ja, hieße das, ich hätte damals meine Zukunft gekannt. Sage ich nein, heißt das: Alle, die aus der Banlieue kommen, sind verloren. Das ist nicht wahr. Jeder kann da raus, mit seinen eigenen Mitteln. Nur wenn man sich einschließt in seinem Hof, bleibt man für immer dort, das ist wie im Knast. In den vergangenen Jahren gab es Unruhen in der Banlieue. Verstehen Sie die Wut der jungen Leute, die keine Arbeit, keine Ausbildung finden, nur weil sie Araber, Afrikaner sind? Man findet Arbeit in Frankreich, wenn man nicht bis 12 Uhr pennt. Sicher gibt es Leute in der Banlieue, die keinen Job finden, wegen ihres Namens, wegen der Vorurteile. Aber man muss aufhören, sich dafür zu bemitleiden, dass man aus der Banlieue kommt. Einer, der in der Banlieue lebt, hat denselben Körper, denselben Kopf wie einer, der im Zentrum lebt. DAS DA Förderkreis Allerbeste Freunde Wir beginnen die Spielzeit mit Freunden: Philippe und Driss sind „Ziemlich beste Freunde“. Auch im Kindertheater wird Freundschaft großgeschrieben: Was wäre Emil ohne Gustav mit der Hupe oder ohne Pony Hütchen? Was wäre Findus ohne Pettersson und Pettersson ohne Findus? Textnachweise Die Freunde des DAS DA THEATERS sind im Förderkreis versammelt. Sie unterstützen uns schon viele Jahre. Wir brauchen sie; sie sind unsere allerbesten Freunde. Vielleicht möchten auch Sie mitmachen. Wir würden uns freuen. – http://www.dasda.de/spielzeit/2015-2016/ziemlich-beste-freunde/ – https://de.wikipedia.org – DER SPIEGEL 29/2012 – http://www.wienerzeitung.at/themen_channel/wz_reflexionen/zeitgenossen/?em_ cnt=515060&em_cnt_page=3 Rufen Sie uns doch einfach mal an: Ohne Freunde geht es nicht. Ohne 0241 174168 oder 0241 161688 oder Menschen, auf die man sich verlassen foerderkreis@dasda. de kann, die für einen da sind. Das DAS DA THEATER hat solche Freunde. Herzlichen Dank! Wenn es sie nicht gäbe, wären Philippe und Driss, Emil und Gustav, Findus und Pettersson auf unserer Bühne nicht zu sehen. Wir schaffen unser Programm nur mit Freunden, die uns helfen. Impressum Herausgeber DAS DA THEATER gGmbH Liebigstraße 9 • 52070 Aachen (02 41) 16 16 88 [email protected] www.dasda.de Theaterleiter Tom Hirtz Redaktion Anja Mathar Layout Hanyo Lochau Szenenfotos Achim Bieler Druck Druckerei Mainz Spielzeit2015/2016 Geschäftsführer Tom Hirtz Amtsgericht Aachen HRB 14199 Steuernummer 201/5957/1905
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