Programmheft

nach dem gleichnamigen Film von Éric Toledano und Olivier Nakache Bühnenfassung : Gunnar Dreßler
Ziemlich beste Freunde
Ziemlich beste Freunde
nach dem gleichnamigen Film von Éric Toledano und Olivier Nakache
Bühnenfassung: Gunnar Dreßler
Inszenierung
Bühnenbild
Kostümbild
Dramaturgie
Videoeinspielungen
Philippe
Driss
Magalie
Bewerber, Polizist, Antoine, Pfleger
Galeristin, Prostituierte, Eleonore
Adama
In den Videoprojektionen:
Philippes Frau und Tochter
Gangmitglieder
Werke von Robert Schumann und andere
klassische Werke
Ghettomusik und Sounds
Regieassistenz
Abendspielleitung
Technik
Sprecherziehung
Maske
Praktikant der Ausstattung
Regiehospitanten
Redaktion Programmheft
Layout Programmheft
Fotos Programmheft
Layout Plakat
Verwaltung
Besucherservice
Kasse
Theaterhund
Achim Bieler
Frank Rommerskirchen
Frank Rommerskirchen, Michaela Gabauer
Tom Hirtz
Achim Bieler
Wolfgang Kramer
Patrick Joseph
Lina Kmiecik
Bernhard Schnepf
Ulrike Bieler
Bernard Kobbina, Youssef Abo Jabbah
(alternierend)
Premiere: 17.09.2015
Aufführungsdauer: 2 ¼ Stunde, inkl. Pause
Aufführungsrechte Dreamland Media GmbH, Berlin
Unser besonderer Dank gilt der Firma BB Medica für die Bereitstellung des Rollstuhls.
Ein herzliches Dankeschön geht an das Team des Kletterwaldes Aachen für die
Unterstützung der Dreharbeiten.
Heike Sievert, Linja Dupont
Silvana Coenen, Joana van Ryn
eingespielt von H. Bieler
Tom Schreyer, Achim Bieler
Susanne Schreyer
Susanne Schreyer, Li Pappert
Armin Pappert (Leitung), Jürgen Melzer,
Timo Pappert, Lukas Kleinen, Jan Terstegge
Ingrid Schäfermeier
Nadine Dupont, Michaela Gabauer
Steven Meyd
Theresa Schneider, Charlotte Nolles
Anja Mathar
Hanyo Lochau
Achim Bieler
CARABIN CREATIVES
Ilona Büttgens
Nadine Dupont (Leitung), Lina Alt,
Lili Bergmann, Lena Braunisch,
Ida Chakraboty, Laura Gaisendris,
Theresa Hirtz, Annik Klafka,
Inge Klusemann, Katharina Mainz,
Hanna Mertens, Sophia Nellissen
Ilona Büttgens (Leitung), Beate Dupont,
Wally Herbertz, Jan Hildebrandt
Hera, Diva (1993-2009)
Das DAS DA THEATER wird unterstützt von:
Sparkasse Aachen, LEO – der Bäcker & Konditor; Rechtsanwälte Daniel, Hagelskamp
& Kollegen; KOHL automobile GmbH; HIT-Markt; Bartsch Holzbau; Goebels SanitärHeizungsbau; ASEAG; Brasserie Aix; eventac; Deubner Baumaschinen; DEKRA;
nesseler grünzig bau GmbH; Druckerei Mainz; Malermeister Wynands; Partyservice
Hennes; Buchladen Pontstraße 39; NetAachen; Bertram-Ackens Ledermode;
CarabinBackhaus Communication; Power + Radach; Steuerberatungsgesellschaft
T. Bergs; APAG; STAWAG; Förderkreis DAS DA THEATER
Das Stück
Anfang 2012 kam „Ziemlich beste
Freunde“ in die Kinos und sorgte für
weltweite Begeisterung. Den Stoff, der
auf einer wahren Begebenheit beruht, sahen allein in Deutschland mehr als neun
Millionen Besucher.
Der Sozialhilfeempfänger Driss – gerade
aus dem Gefängnis entlassen – bewirbt
sich gezwungenermaßen auf eine Stelle als Pflegekraft bei dem querschnittsgelähmten, wohlhabenden Philippe. Dieser
Ziemlich beste Freunde
nach dem gleichnamigen Film von Éric Toledano und Olivier Nakache Bühnenfassung: Gunnar Dreßler
ist beeindruckt von Driss schonungsloser
Art und engagiert ihn.
Zwei Welten prallen aufeinander. Doch
Driss und Philippe können eine Menge
voneinander lernen und ergänzen sich
vortrefflich. Philippe gewinnt seine Lebensfreude zurück, und Driss beginnt zu
verstehen, was es bedeutet, Verantwortung für jemanden zu übernehmen. Es
entwickelt sich eine außergewöhnliche
Freundschaft.
Die Autoren
Olivier Nakache
Éric Toledano
Olivier Nakache (* 14. April 1973 in Su- Éric Toledano (* 3. Juli 1971 in Paris)
resnes) ist ein französischer Drehbuch- ist ein französischer Drehbuchautor und
Filmregisseur.
autor und Filmregisseur.
Nakache stammt aus einer jüdischen Familie. Seine jüngere Schwester ist die
Filmemacherin Géraldine Nakache. Er
ist seit Mitte der 1990er Jahre als Filmregisseur und Drehbuchautor tätig. Bis
heute war er an mehr als zehn Filmproduktionen beteiligt. Er wurde 2012 zusammen mit Eric Toledano für den César
in den Kategorien Beste Regie und Bester Film nominiert.
Toledano ist seit Mitte der 1990er Jahre als Filmregisseur und Drehbuchautor
tätig. Bis heute war er an mehr als zehn
Filmproduktionen beteiligt. Er wurde
2012 zusammen mit Olivier Nakache für
den César in den Kategorien Beste Regie
und Bester Film nominiert.
Gedanken zur Bühne
ZIEMLICH BESTE FREUNDE
Kanten und Membranen
Philippe ist dünnhäutig geworden. Sein
Körper – kraftlos, unbeweglich und gefühllos – passt nicht mehr zu seinem wachen Geist und scharfen Verstand. Er,
der vor seinem dramatischen Unfall ein
erfolgreicher Geschäftsmann, aktiver
Sportler und smarter Frauentyp war,
scheint nur noch Hülle zu sein.
ist, seinen Gedanken nachhängt und elegische Briefe an seine Brieffreundin Eleonore verfasst. Ein Arbeitszimmer, der persönliche Schlafraum mit angrenzendem
Bad, ist der Kern seiner Wohnung.
Sein tauber Körper ist lediglich noch
eine traurige Erinnerung an seine Sehnsüchte und all das, was seit dem Absturz
mit dem Paraglider nicht mehr geht. Im
Grunde hat er sich aufgegeben. Eremitisch – nur begleitet von wenigen Angestellten – lebt er in seiner Pariser Stadtwohnung.
Dieser Raum definiert sich nur durch seine Kanten, ist gleichsam gestaltlos. Gestaltungslos. Lediglich ein paar vereinzelte exemplarische Möbelstücke lassen
den guten Geschmack und das sichere
Stilempfinden Philippes erahnen, ohne
dabei konkret zu werden.
Und mehr als das bekommt der Zuschauer auch nicht gezeigt.
Die Wände sind kaum existent. Dünne
Membranen erlauben Einblicke in tiefer
gelegene Räume, lassen schemenhaft
erkennen, was Philippe tut, wenn er
nicht in seinem Arbeitszimmer ist.
Dosiert. Kontrolliert. Das Ganze ähnelt
eher einem Mausoleum, einem Ort der
Abgeschiedenheit, einer Klosterzelle,
wo der Blick nach innen gerichtet ist
und sich auf den Bewohner fokussiert.
Einziger Schmuck sind die Faberge-Eier,
die ihn an eine glückliche Zeit vor dem
Philippe hat sich in seiner Wohnung sol- Unfall mit seiner Frau erinnern. Alles
che Räume geschaffen, in denen er privat andere ist praktisch und funktionell.
So eine Stadtwohnung ist schon eine luxuriöse Angelegenheit. Weite Korridore,
die die Räume miteinander verbinden,
großzügige Raumfluchten und Durchgangszimmer, die sich zu kleinen Refugien abgrenzen lassen. Man kann „Hof
halten“ in einer solchen Wohnung. Man
erlaubt dem Gast, nur so weit in die private Sphäre einzutauchen, wie man das
möchte. Der Rest bleibt verschlossen.
Und dann wiederum gibt es Momente,
wo sich auf diesen Membranen das Leben abzeichnet. In grellen Farben, in bewegten Bildern, Lichtern. Momente, die
erzählen, dass abseits von Phillippes
Einsiedelei auch noch eine andere Welt
existiert. Und diese Welt ist im wesentlichen die Welt von Driss, dem Underdog aus der Pariser Vorstadt. Eine Welt,
die durch Armut, Kriminalität, Gewalt
und Drogen geprägt ist. Aber auch durch
den Mut zu leben, von Lust und Freude.
Driss dringt in den Mikrokosmos Phillippes ein und infiziert ihn mit dieser
Lebenslust. Er hinterlässt Spuren im aufgeräumten und organisierten Leben von
Philippe. Neue optische und akustische
Akzente verändern den Raum, die Stimmung.
Der Raum bleibt der gleiche, der Körper
bleibt der gleiche und trotzdem ist alles
verändert, weil sich die Sicht, die Perspektive ändert. Und aus der Klosterzelle wird eine Keimzelle für neues Leben
und neue Hoffnung.
Frank Rommerskirchen
Das Schicksal ist doof
Von Markus Feldenkirchen,
DER SPIEGEL 29/2012
Philippe Pozzo di Borgo, dessen Geschichte in „Ziemlich beste Freunde“
verfilmt wurde, und Samuel Koch, der
bei „Wetten, dass …“ verunglückte, diskutieren ihre Einsamkeit und ihre Sehnsüchte.
Am Vorabend die erste Begegnung der
beiden in einem Münchner Hotel. Samuel Koch und Philippe Pozzo di Borgo haben sich zum Essen verabredet. Sie reden viel, lachen miteinander, haben sich
eine Menge zu sagen - trotz des Altersunterschieds von 37 Jahren und trotz ihrer unterschiedlichen Herkunft. Zwei
Männer, denen das Schicksal den gleichen herben Schlag versetzt hat.
Koch, 24, war von klein auf ein Bewegungsfreak, begann mit sechs Jahren
mit dem Leistungsturnen, später gab
es kaum eine Sportart, die er ausließ,
auch Bungee-Jumping probierte er aus.
Kurz bevor Koch am 4. Dezember 2010
in der Sendung „Wetten, dass …?“ mit
dem Kopf gegen das Dach eines Autos
prallte, hinter dessen Steuer sein Vater
saß, hatte er den Plan für sein Leben gefunden. Die Hochschule für Musik, Theater und Medien in Hannover hatte ihm
einen ihrer begehrten Plätze gegeben.
Beide sind sogenannte Tetraplegiker,
ihre Lähmung betrifft alle vier Gliedmaßen. Bewegen können sie nur den Kopf,
und auch das nur eingeschränkt, Koch
hat zusätzlich noch ein wenig Kontrolle über die rechte Hand. Es ist eine der
schlimmsten Formen der QuerschnittsPhilippe Pozzo di Borgo, 61, dessen Au- lähmung.
tobiografie die Vorlage für den Kinohit
„Ziemlich beste Freunde“ lieferte, ent- SPIEGEL: Herr Koch, mochten Sie den
stammt dem alten französischen Adel Film „Ziemlich beste Freunde“?
und wurde, wie er sagt, „mit einem silbernen Löffel im Mund geboren“. Als Koch: Ja, natürlich. Das kann aber auch
Sprössling der Herzöge Pozzo di Bor- daran liegen, dass ich indirekt irgendwie
go und der Marquis von Vogüé wuchs er etwas mit dem Thema zu tun habe.
in Schlössern und Herrenhäusern auf. Er
besuchte die besten Schulen Frankreichs SPIEGEL: Zeigt der Film ein
und arbeitete zunächst als Manager bei realistisches Bild vom Leben eines
Moët & Chandon, später als Geschäfts- Querschnittsgelähmten?
führer der ebenso berühmten Marke
Koch: Ich habe vieles wiedererkannt.
Pommery. Ein Champagner-Leben.
Bei Stellen aber, wo es im Alltag kri1993 stürzte er im Alter von 42 Jah- tisch, kompliziert und unschön wird,
ren beim Paragliding vom Himmel und wurde im Film geschickt geschnitten. In
einer Szene etwa steht der Protagonist
brach sich das Rückgrat.
Philippe vor dem Flugzeug, dann zack,
Schnitt - plötzlich sitzt er gestriegelt im
Flieger. Oder was die Klamotten betrifft,
zack, Schnitt - plötzlich ist man umgezogen. Ich wünschte, das ginge tatsächlich
so schnell. Aus meiner Erfahrung kann
das schon mal eine halbe Stunde dauern.
SPIEGEL: Welche Szene hat Ihnen
besonders gefallen?
Koch: „Keine Arme, keine Schokolade“,
dieser Satz, den Philippes Pfleger sagt,
während er ihm Schokolade vors Gesicht hält, hat mich sehr amüsiert. Zumal
ich ähnliche Kommentare ebenfalls von
engen Freunden oder meiner Familie zu
hören bekomme.
SPIEGEL: Ist das nicht grausam und
gemein?
Koch: Ja, vielleicht beides. Aber ich finde das lustig. „Keine Arme, keine Schokolade“ - so ist es nun mal. Warum soll
man die Dinge schöner reden, als sie
sind?
SPIEGEL: In welchen Sequenzen
konnten Sie sich außerdem
wiederfinden?
Koch: Besonderen Eindruck hinterließ
bei mir auch die Szene, als Philippe vor
Schmerzen nachts aus der Haut fährt,
wie er sich verkrampft und sich förmlich
im Bett wälzt, innerlich, weil er sich äußerlich nicht wälzen kann, bis ihn dann
sein Pfleger einfach packt und mit ihm
durch die Stadt zieht, um ihn abzulenken.
Solche Nächte voller Schmerzen erlebe ich ebenfalls oft. Glücklicherweise
gab es auch Freunde oder Pfleger, die
sich dann, ähnlich wie im Film, nicht zu
schade waren, mich nachts um drei noch
an den Strand zu tragen.
SPIEGEL: Was können Sie von Philippe
lernen?
Koch: Schon in der Rehabilitationsklinik wurde mir eingebläut: Samuel, du
darfst nicht immer so höflich und freundlich sein. Scheuch die Leute ruhig rum.
Es geht schließlich um dein Leben. Das
widerspricht aber meinem Naturell. Als
ich gestern Abend also erstmals Philippe
sah, bemerkte ich gleich, wie liebevoll er
zu den Menschen in seiner Umgebung
ist. Und in seiner scheinbaren Hilflosigkeit dennoch hilfsbereit. Ich habe ihn gefragt, ob er nie unfreundlich war. Nein,
sagte er, kein einziges Mal in den 19 Jahren im Rollstuhl. Seine Begründung war
pragmatisch: Wir brauchen die Leute um
uns herum, wir sind auf sie angewiesen,
sagte er. Deshalb sei es klüger, freundlich zu ihnen zu sein. Das war für mich
eine ganz wichtige Bestätigung, ein Paradebeispiel und der Beweis: Es geht
doch. Man darf ruhig freundlich sein, es
hilft einem sogar.
SPIEGEL: Was können Sie Samuel mit
Ihrer fast 20-jährigen Erfahrung als
Gelähmter noch vermitteln?
Pozzo di Borgo: Ach, ich glaube, Samuel muss ich gar nichts groß vermitteln. Viel lieber würden wir Ihnen etwas
Das Schicksal ist doof
vermitteln, Ihnen und allen anderen meinem Zimmer im Rollstuhl sitze und
mich nicht bewegen kann. Dieses UnNichtbehinderten.
wohlsein empfinde ich erst recht, wenn
ich nach draußen gehe und von anderen
SPIEGEL: Nur zu.
angeschaut werde. Noch schlimmer ist
Pozzo di Borgo: Ich finde, dass nicht nur es, wenn ein Kamerablitzlicht auf mich
wir Behinderte freundlich sein sollten. gerichtet ist. Aber wie Philippe sagte:
In Wahrheit sind alle Menschen vonei- Wenn diese Öffentlichkeit etwas Gutem
nander abhängig, wir brauchen uns alle dient oder eine gewisse Produktivität
gegenseitig. Wenn die Nichtbehinder- hat, hilft einem das über die Sinnlosigten ebenfalls freundlicher wären, zu uns, keit eines solchen Unfalls ein wenig hinaber auch untereinander, dann wäre die weg, allein dadurch, dass woanders ein
Welt angenehmer. Freundlichkeit tut al- Sinn entsteht.
len gut.
SPIEGEL: Welche Ungeschicklichkeiten
erleben Sie im Umgang mit Ihnen?
SPIEGEL: Ihren Unfall, Herr Koch,
haben Millionen Deutsche live im
Koch: Der Klassiker ist die entgegengeFernsehen verfolgt. Die Verfilmung
streckte Hand, die mir vor dem Gesicht
Ihrer Geschichte, Herr Pozzo di
hängt. Die Hand verharrt da und verBorgo, haben allein in Deutschland
harrt, bis mein Gegenüber peinlich beüber 8 Millionen Besucher gesehen, in
rührt errötet, weil ihm klar wird, dass ich
Frankreich gar mehr als 20 Millionen.
den Handschlag nicht erwidern kann.
Sie beide zählen damit zu den
prominentesten Querschnittsgelähmten
Pozzo di Borgo: In Paris kommt es hin
Europas. Ist das ein Fluch oder ein
und wieder vor, dass ich auf der Straße
Segen?
aus meinem Rollstuhl falle. Und ich sage
Pozzo di Borgo: Eher ein Segen. Viel- dann zu den Leuten: Können Sie mich
leicht können wir mit unserer Prominenz bitte wieder in meinen Rollstuhl setnützlich für andere Rollstuhlfahrer sein, zen? Doch niemand fasst mich an. Wir
vielleicht auch für die Nichtbehinderten. müssen meist warten, bis die Feuerwehr
Es macht mir nichts aus, der Clown des kommt. Aber das gehört zu dem, was ich
Systems zu sein - das ist in Ordnung. Ich meinen „Job“ nenne.
war stets überzeugt, dass wir eine Verantwortung tragen - egal in welchem Ge- Koch: Manche Leute reden mit mir, als
wäre ich nicht nur körperlich, sondern
sundheitszustand wir sind.
auch geistig behindert. Die beugen sich
Koch: Für mich ist es beides. Ich fühle zu einem runter und fragen mit extremer
mich ja schon unwohl, wenn ich allein in Artikulation: „K-ö-n-n-e-n S-i-e d-i-e
W-o-r-t-e v-e-r-s-t-e-h-e-n, d-i-e m-e-in-e-n M-u-n-d v-e-r-l-a-s-s-e-n?“ - Dann
sage ich: Ja, klar. Was ist mit dir los?
Wieso redest du so komisch? Das gibt es
durchaus, dass man mit so einem Rollstuhl schnell auch eine geistige Schwäche assoziiert. Ich kann mir jedoch kaum
anmaßen zu sagen, dass ich das, als ich
noch Fußgänger war, besser zu unterscheiden gewusst hätte.
Koch: Ja, der ist gut.
SPIEGEL: Wie war das bei Ihnen, als
Sie noch Fußgänger waren?
Pozzo di Borgo: Der Humor ist auch ein
Werkzeug. Wissen Sie, ich habe ständig
Angst, dass man mich in meiner Ecke allein sitzen lässt. Da ich Sie mit meiner
Körperkraft nicht mehr dazu bringen
kann, mir zu helfen, bringe ich Sie eben
zum Lachen - spätestens dann werden
Sie sich um mich kümmern. Die Flucht
in den Humor ist auch eine pragmatische
Art, mit unserer Situation umzugehen.
Und sie ist besser für alle Beteiligten.
Pozzo di Borgo: Ich war so erfolgreich,
so schnell, so getrieben, dass ich meine Mitmenschen nicht wahrgenommen habe. Ich habe nicht gesehen, dass
es Menschen gibt, die in einem anderen Rhythmus leben. Ich habe die Kopfnuss sozusagen gebraucht, um aufhören
zu können, um zu verstehen, was wirklich passiert.
SPIEGEL: In den Büchern, die Sie
beide geschrieben haben, blitzt
immer wieder Witz auf, Sie pflegen
einen beinahe humoristischen
Umgang mit Ihrer Situation.
Haben Sie einen Lieblingswitz über
Querschnittsgelähmte?
SPIEGEL: Auch der Film über Ihre
Geschichte strotzt vor Selbstironie.
„Ich würde mir die Kugel geben“, sagt
Pfleger Abdel zu Philippe, und der
antwortet: „Auch das ist schwer für
einen Querschnittsgelähmten.“ Wie
kommt es, dass Sie über Ihr Schicksal
lachen können?
Koch: Es gibt einen deutschen Dichter namens Ringelnatz, der sagte: „Humor ist der Knopf, der verhindert, dass
uns der Kragen platzt.“ Da ist viel dran.
Außerdem macht Lachen viel mehr Spaß
als Weinen. Mir zumindest.
SPIEGEL: Als Sie Ihren 60. Geburtstag
feierten, sagten Sie in einer Ansprache:
Pozzo di Borgo: Wissen Sie, wo man ei- Man feiere heute „42 gesunde und 18
behinderte Jahre, von denen jedes für
nen Querschnittsgelähmten findet?
sieben zählt, wie bei Hunden“. Wie
kommen Sie zu dem Vergleich?
SPIEGEL: Nein.
Pozzo di Borgo: Dort, wo Sie ihn zu- Pozzo di Borgo: Als ich jung und gesund
war, hatte ich den Eindruck, dass ich
rückgelassen haben.
Das Schicksal ist doof
ewig jung sein würde. Seit ich behindert
bin, ist jede Sekunde sehr willkommen.
Zudem ist es viel anstrengender, ein Jahr
lang als Behinderter zu leben als sieben
Jahre als Gesunder.
Leistungsturner oder ein Leben als
Rollstuhlfahrer entscheiden können?
Koch: Nein, das Schicksal ist doof. (Er
schmunzelt.)
SPIEGEL: Wie sehen Sie das
inzwischen: Haben Ihre Unfälle einen
Sinn?
SPIEGEL: Herr Koch, Sie hätten Ihren
Sprung bei „Wetten, dass …?“ sogar
mit verbundenen Augen durchgeführt.
Sagen Sie im Nachhinein: Ich war zu
Pozzo di Borgo: Wenn es einen Gott gibt, leichtsinnig, ich habe das Schicksal
dann ist er in jedem Fall unschuldig. Er herausgefordert?
hat das nicht gewollt. Es ist Pech, ein
Missgeschick, ein Fehler von uns oder Koch: Nein, ich habe das Schicksal nicht
ein Unfall, aber es ist auch eine Chan- herausgefordert. Jeden Tag machen Leuce für uns. Wir sind vielleicht ein biss- te riskantere Sachen. Ich selbst habe im
chen auf einem Abweg gewesen, und das
täglichen Turntraining schon wesentlich
ist korrigiert worden. Das wäre eine Art
unkontrolliertere Dinge gemacht. Vielvon Sinn. Ich bin wegen meines Unfalls
leicht wäre der Sprung mit verbundenen
jedenfalls niemandem böse, spreche nieAugen sogar geglückt. Weil ich mich
mandem Schuld zu, sei es auf der Erde,
noch mehr auf den routinierten Ablauf
sei es im Himmel. Ich versuche, das Beder Übung konzentriert hätte. Aber es ist
ste daraus zu machen.
langweilig, darüber noch nachzudenken.
Koch: Philippe antwortet immer so
furchtbar intelligent von hinten durch
die Brust und doch präzise ins Auge, das
gefällt mir gut. Mir erschließt sich der
Sinn meines Unfalls leider noch nicht so
recht. Aber ich glaube, dass Gott auch
auf krummen Zeilen gerade schreiben
kann, beziehungsweise, dass er krumme Wege gerade machen kann und auch
ich mir mit der Zeit einen Sinn erarbeiten kann.
SPIEGEL: Finden Sie es in Ordnung,
dass 60 Millisekunden wie bei
Ihrem Unfall über ein Leben als
Pozzo di Borgo: Ich spreche jetzt für
mich, nicht für Samuel. Ich habe einen
sehr gefährlichen Sport ausgeübt, das
Gleitschirmfliegen, einen Risikosport.
Unsere Gesellschaft fördert so etwas,
wir suchen dieses starke Gefühl, das extreme Erlebnis. Und eigentlich wähnt
man sich ja unsterblich und unzerstörbar. Aber die Suche nach diesem starken
Gefühl und der Glaube, wir seien unzerstörbar, sind eine Absurdität der modernen Zeit. So ein Unfall bringt die Dinge
wieder ins rechte Maß - zum Teil etwas
brutal.
SPIEGEL: Verfolgen Sie die
Fortschritte der Rückenmarksforschung
in der Hoffnung, eines Tages wieder
laufen zu können?
Pozzo di Borgo: Ich glaube nicht, dass
ich eines Tages wieder laufen kann. Christopher Reeve, der „Superman“-Darsteller, hatte nach seiner Querschnittslähmung versprochen, dass er binnen fünf
Jahren wieder laufen kann. Er hat es
nicht geschafft und so viele Leute, gerade auch Behinderte, enttäuscht. Aber er
hat Hunderte von Millionen für die Forschung generiert. Samuel zählt vielleicht
zu einer der ersten Generationen, die von
dieser Forschung profitieren können. In
der Nanotechnologie etwa arbeitet man
an der Entwicklung von Exoskeletten
oder daran, Impulse aus dem Gehirn direkt an die Muskeln weiterzuleiten.
Koch: Die Hoffnung, irgendwann wieder laufen zu können, möchte ich mir
bewahren. Aber ich suche nicht jeden
Tag vehement nach neuen Forschungsergebnissen. Philippe hat mir sein Buch
mit den Worten signiert: „Stick in the
present!“ Ich lebe erst mal im Hier und
Jetzt. Obwohl das nicht so leicht ist, die
grundsätzliche Frage lautet nämlich: Investiere ich extrem viel Zeit ins Training, in die Optimierung meines Zustands, oder lebe ich komplett im Jetzt
und lasse das Körperliche dahinfließen? SPIEGEL: Ist Ihnen jede Form von
Im Moment versuche ich einen „Quer- Forschung willkommen?
schnitt“ aus beidem.
Pozzo di Borgo: Man hat mir einmal eiPozzo di Borgo: Samuel ist zwar behin- nen Roboter angeboten, um mich zu fütdert, aber er ist andererseits auch einer tern. Sie kamen mit der Maschine ins
der größten Sportler, die es gibt. Er hat Krankenhaus, und ich habe, um sie zu äreine außerordentliche Disziplin. Er ist gern, gesagt: „Ich esse nur Erbsen.“ Die
ein Champion. Wir Querschnittsgelähm- Erbsen sind natürlich nie bis zu meinem
ten sind Champions der Unbeweglich- Mund gelangt. Ich habe die Leute dann
keit. Wir sind gezwungen, eine große gefragt: Wer hat eigentlich den Teller mit
Disziplin an den Tag zu legen. Seit 19 den Erbsen auf die Maschine gestellt?
Jahren mache ich Tag für Tag Übungen, Das habe die Frau aus der Küche geich muss mich ganz diszipliniert ernäh- macht, hieß es. Da habe ich gesagt: Ich
ren. Das ist unabdingbar notwendig, um ziehe diese Frau der Maschine vor. Die
sich aufrechterhalten zu können, um zu Technik darf den Behinderten nicht isolieren, sie darf keine Entschuldigung für
überleben.
die Gesunden werden, nach dem Motto:
SPIEGEL: Ist die Hoffnung auf Heilung Wir haben Ihnen eine Maschine hingestellt, jetzt gucken Sie, wie Sie klarkomoder wenigstens Besserung wichtig für
men.
Sie, Herr Pozzo di Borgo?
Das Schicksal ist doof
SPIEGEL: Sie haben selbst mal den
Wunsch geäußert: „Zieht mir den
Stecker! Verlangt bloß nichts mehr von
mir, ich habe keine Kraft mehr.“ Was
war das für ein Moment?
Tyrannen macht, wodurch man schluss­
endlich auch vereinsamt. Der dritte Weg
klang am besten: Man muss sich so annehmen, wie man ist, und dadurch glücklich werden.
Pozzo di Borgo: Im ersten Jahr gibt es
fast immer einen Moment der Entmutigung. Bei mir kam der richtige Tiefpunkt
aber später. Richtig behindert fühlte ich
mich erst drei Jahre später, als meine geliebte Frau Béatrice verstarb. Mit ihrem
Tod wurde ich plötzlich einsam, und die
Einsamkeit ist das Schlimmste. Ich kenne aber auch viele Menschen, die nicht
im Rollstuhl sitzen und Selbstmord begehen, weil sie sehr einsam sind, weil sie
keinen Sinn gefunden haben. Es sind fast
immer die anderen, die Mitmenschen,
die uns einen Sinn geben. Mein Therapierezept lautete daher: Nicht allein sein.
SPIEGEL: Durch Ihren Unfall, sagen
Sie, hätten Sie die Härte des Systems
erkannt. Was meinen Sie genau?
Koch: In Gesellschaft zu sein ist eine lebenserhaltende Maßnahme für uns. Deshalb ist es so wichtig, dass die Leute keine Angst vor uns haben, sondern gern
auf uns zukommen. Umarmen und küssen zum Beispiel hält uns am Leben. Die
Voraussetzung dafür müssen wir jedoch
selbst schaffen. In der Klinik wurde mir
gesagt, dass es nun drei Möglichkeiten
der Entwicklung gebe. Erstens, dass man
sich vollkommen gehenlässt, jede Lust
verliert, nur noch das Elend sieht, sich
isoliert und schließlich vereinsamt. Die
zweite Variante sah so aus: Die Notwendigkeit, alles ständig kommunizieren zu
müssen, könne leicht zu einem Diktieren führen, was einen irgendwann zum
Pozzo di Borgo: Wir befinden uns in einer Leistungsgesellschaft, und ich war
einer der Leistungsfähigen. Aber die
Anforderungen sind so hoch geworden,
dass viele Menschen kapitulieren, sie
werden zu Randfiguren. Es gibt immer
weniger Leute, die sich noch im System
befinden, und immer mehr, die an den
Rand gedrängt sind. Die Finanzkrise, die
eigentlich nur eine logische Folge dieser
ganzen Absurdität ist, hat diese Entwicklung beschleunigt. Die Menschen leiden
unter Neurosen, sie sind in sich gekehrt,
kommen nicht mehr mit sich zurecht, sie
werden ausgeschlossen oder fühlen sich
ausgeschlossen. Der Menschheit ist der
Sinn des Lebens abhandengekommen.
SPIEGEL: Hat sich auch Ihr Blick auf
unsere Gesellschaft geändert, Herr
Koch?
Koch: Ich habe plötzlich Einsicht in Bereiche, von denen ich zuvor keine Ahnung hatte. Ich weiß jetzt, was es auch
in so einem schönen Sozialstaat wie
Deutschland noch zu optimieren gibt,
ganz abgesehen von anderen Ländern.
Wir müssten nicht mal einen Tag reisen
Das Schicksal ist doof
und befänden uns an Orten, wo Philip- sozialen Brennpunkte, Orte der Auspe und ich nach unseren Unfällen nicht grenzung, das alles kannte ich vorher
nicht. Man kann diese Leute nicht am
überlebt hätten.
Rande der Gesellschaft belassen.
SPIEGEL: Wir leben in einer nervösen
SPIEGEL: Abdel wiederum sagt
Zeit der ständigen Beschleunigung.
über Sie: „Ohne Pozzo wäre ich
Schließt dieses Tempo Sie, die
wahrscheinlich tot oder im Gefängnis.“
Langsamen, aus?
Im Kapitalismus würde man wohl von
Koch: Vielleicht bilden wir eher das Ge- einer Win-win-Situation sprechen.
gengewicht auf der Waage und dienen
der Entschleunigung. Ich fühle mich Pozzo di Borgo: Absolut. Ohne Abdel
aber nicht wirklich ausgeschlossen; jetzt säße ich zwar nicht im Gefängnis, aber
gerade sitze ich hier in München, vorge- tot könnte ich sein.
stern war ich in Berlin. Ich finde es aber
wichtig, auch mal innezuhalten und zur SPIEGEL: Wie geht es Abdel heute?
Ruhe zu kommen - was ich wohl erst he- Wie ist Ihr Verhältnis zueinander?
rausgefunden habe, weil ich es musste.
Pozzo di Borgo: Wir sehen uns regelmäßig. Er ist jetzt Unternehmer, erfolgSPIEGEL: Was hat Ihr Pfleger Abdel
reicher Hühnerzüchter, ist verheiratet,
Sie gelehrt, ein Kleinkrimineller aus
hat drei Kinder und 30 Kilo mehr auf
der Vorstadt, der fast direkt aus dem
den Rippen.
Gefängnis zu Ihnen kam?
Pozzo di Borgo: Er hat mir den Mut zurückgegeben, die Freude am Leben, als
ich nach dem Tod meiner Frau schwer
depressiv war. Ich, der Aristokrat, habe
durch ihn aber auch eine neue Welt kennengelernt, die Welt der Banlieue, die
SPIEGEL: 30 Kilo? Dann geht es ihm
gut.
Pozzo di Borgo: Ja, sehr gut. Ich freue
mich immer noch sehr, ihn wiederzusehen. Aber er ist immer noch so verrückt.
Abdel Sellou - ein Interview
Von Verena Mayer
„Wiener Zeitung“: Monsieur Sellou, seit die
Geschichte Ihrer Freundschaft mit einem
Schwerbehinderten verfilmt wurde, sind Sie
berühmt. Wie ist Ihr Leben nach dem Erfolg
von „Ziemlich beste Freunde“?
Abdel Sellou: Es hat sich nicht viel verändert,
jedenfalls nicht finanziell. Die Filmrechte ha-
ben wir an Behindertenzentren übertragen.
Bewegt ist höchstens meine familiäre Situa-
tion, ich habe drei Kinder. Drei kleine Teufel
mehr, die unseren Planeten verschmutzen und
viel Arbeit machen.
Stimmt es, dass Sie jetzt in Ihrer früheren
Heimat Algerien Hühner züchten?
Ich betreibe eine Geflügelfarm. Ich weiß
nicht, ob ich ins Detail gehen soll, hier ist man
ja sehr öko. Es sind hunderttausende Hühner,
die auf den lokalen Markt kommen, ich küm-
mere mich um Produktion und Vertrieb. Die
armen Hühner leben und sterben in der Lege-
batterie, sie sehen niemals das Tageslicht. Sie
schmecken auch nach nichts, was aber egal
ist, da wir in Algerien viele Gewürze haben.
Dokumentation zu machen, Philippe hatte ge-
uns herrlich amüsiert. Die zehn Jahre mit ihm
eine zweite Doku, es gab Ideen für ein Dreh-
essen.
rade sein erstes Buch herausgebracht. Es gab
buch, aber da war nie etwas lustig oder lie-
wollte Philippe nicht. Und dann kamen die-
Wie war das, als Sie das erste Mal im Hôtel
de Longueuil standen, seinem Palais in
Eiffelturmnähe?
über uns zu machen. Da denkt natürlich jeder,
Diese Welt kannte ich nur vom Einbrechen.
derte lachen. Aber gerade der Humor, die Le-
und mit Wertsachen wieder verlässt. Ich hatte
Leuten die Augen geöffnet. Wenn man jetzt
Mal, dass ich durch das Haupttor in ein sol-
lacht, atmet, hat ein Leben, hat Sex.
Ali Baba und die 40 Räuber. Es gab so viele
„Die Leute aus der Banlieue haben kein
Mitleid“, heißt es im Film. Fiel Ihnen der
Umgang mit Ihrem Chef leichter, weil Sie
kein Mitleid hatten?
ich als Erstes mitnehmen sollte. Also ging ich
benswert. Es ging immer um Mitleid, aber das
se Filmer mit der irren Idee, eine Komödie
das geht nicht, man kann nicht über Behin-
Ich wusste, wie man sie durchs Fenster betritt
bensfreude, die im Film rüberkommt, hat den
damals ein bewegtes Leben, es war das erste
Behinderte sieht, denkt man: Der freut sich,
ches Haus kam. Drinnen fühlte ich mich wie
Die Leute aus seinem Umfeld sagten: Der
kommt aus dem Knast, er wird dich berauben, angreifen, du kannst ihm nicht vertrauen. Aber Philippe ist ein Spieler, so wie ich.
Er wollte mir eine Chance geben. Er beurteilt
Leute nicht nach ihrer Vergangenheit. Was ja
auch eine Art Behinderung ist, eine soziale
Ihr Humor war ein Grund, warum der
Pariser Adelige Philippe Pozzo di Borgo Sie,
einen Kriminellen aus der Banlieue, 1994
als Pfleger einstellte. Wie ist Ihr Verhältnis
heute?
Behinderung. Wenn man immer seinen Vorur-
Es ist eine Fortsetzung unserer Freundschaft.
Er hatte kein Mitleid mit Ihnen.
Seine Kinder nennen mich „tonton“, Onkel-
Als er eine „Hilfskraft als Intensivpfleger“
Marokko, wo er mit seiner Frau und den bei-
um einen Wisch fürs Arbeitslosengeld zu be-
rien bei ihm.
hätte er zugestimmt, dass ich ein System aus-
Wie kam es zu dem Film, den alleine in
Frankreich bald 20 Millionen Leute gesehen
haben?
Es hat ihn amüsiert, wie ich daherkam. Ich
Philippe ist für mich Vater, Freund, Berater.
teilen folgt, denkt, einer aus dem Knast wird
ewig ein Verbrecher sein, heißt das ja auch:
Ein Kranker muss immer ein Kranker bleiben.
Philippe hat sich darüber hinweggesetzt.
chen, es ist sehr familiär. Wir besuchen ihn in
suchte, ging ich zum Bewerbungsgespräch,
den Adoptivtöchtern lebt, verbringen die Fe-
kommen. Hätte er das Papier unterschrieben,
Ein Journalist sah uns, als wir auf der Terrasse
eines Cafés saßen. Er schlug vor, eine kurze
gingen so rasch vorbei wie ein gutes Abend-
nütze, zu dem ich nie etwas beigetragen habe.
war nicht wie die Bewerber vor mir, gut ange-
zogen, gut frisiert. Die logen und taten alles,
um den Job zu bekommen. Ich war ehrlich,
ich wollte nicht arbeiten. Und dann haben wir
Dinge, so viele Objekte, ich wusste nicht, was
mit gar nichts. Dazu kam, dass ich nichts über
Tetraplegiker wusste. Als ich ihn das erste
Mal sah, hat ihm eine Angestellte seine Ziga-
rette angezündet. Ich dachte, wow, was für ein
Was macht eine gute Freundschaft aus?
In der Banlieue lernte ich: Freundschaften
scheitern, sobald es um Geld oder Frauen
geht. Bei uns stand nichts dergleichen im
Weg, es ist ein wechselseitiges moralisches
Einverständnis, und das seit zwanzig Jahren,
mehr als die Hälfte meines Lebens. So etwas
ist sehr selten, es gibt kein Wort, das stark genug ist, um unsere Situation zu beschreiben.
Waren Sie in Ihrer Freundschaft
gleichberechtigt?
Wir hatten nichts gemeinsam, nicht die Re-
ligion, nicht die Erziehung, nicht das Milieu, nicht die finanzielle Situation, überhaupt
nichts. Das ist so, als würde es neben Tag und
Nacht noch etwas Drittes geben. Aber wir hatten zwei Dinge, die uns einten: die Lebensfreude und den Respekt.
Bourgeois, der zündet sich nicht einmal seine
Was war für Sie als Pfleger das
Schwierigste?
sich nicht bewegen kann, für mich war das ein
Für mich war das normal. Man hilft jeman-
Zigarette selbst an. Ich wusste ja nicht, dass er
Außerirdischer.
Pozzo di Borgo war Geschäftsführer des
Champagnerherstellers Pommery, er ist
adelig, reich. In gewisser Weise lebte er in
einem Ghetto wie Sie.
Wissen Sie, in der Banlieue ist die einzige
Aktivität, der man nachgehen kann, aus dem
Fenster zu schauen. Und dort sehen Sie das
nächste Hochhaus. In Philippes Welt hinge-
dem, weil er schwach ist. Wenn ich jemanden
auf der Straße sehe, der angefahren wurde,
gehe ich ja auch nicht weiter. Die schweren
Dinge, die Körperhygiene, das Pflegen, nah-
men vielleicht eine Stunde am Tag in An-
spruch. Das ist, als würde man auf jemanden
warten und er käme immer eine Stunde zu
spät. Der Rest war Lachen, Glück, Dummheiten.
gen wissen die Leute nicht einmal, was drau-
Was war das Verrückteste, das Sie gemacht
haben?
Fragen Sie irgendeinen von denen, was eine
Schwer zu sagen, ich war Anfang zwanzig,
ist ein superarrogantes Milieu, das sich al-
seine Autos kaputt gefahren. Dass ich ihm
ßen passiert, es würde ihnen Angst machen.
Baguette kostet - er wird es nicht wissen! Das
len anderen überlegen fühlt. Philippes Familie hatte Respekt. Ich war immer mit allen ge-
meinsam am Tisch, das ist in diesem Milieu
ja nicht üblich, da isst der Chauffeur draußen.
Im Haus Pozzo di Borgo hatte jeder Recht auf
seine Würde.
quasi ein Kind, habe nur Blödsinn gemacht,
Marihuana gab, war aber banal, nämlich die
einzige Möglichkeit, seine Schmerzen zu
stillen. Ich wollte ihn beruhigen - und es hat
funktioniert. Aber trotz all der Dinge, die ich
angestellt habe, war ich für ihn da, ohne ihn
zu verraten.
Abdel Sellou - ein Interview
Im Film legt sich „Driss“, gespielt von Omar
Sy, mit einem Mann an, der unerlaubt am
Behindertenparkplatz steht.
So ein Held war ich nie. Als Jugendlicher
habe ich Kopien von Behindertenausweisen
gemacht, mit denen man überall hinkam, und
diese verkauft. Das war sehr dumm. Behinderte haben ohnehin nur ein kleines Territorium, wo sie überhaupt sein dürfen, wo sie
halbwegs mobil sind.
Ist es wahr, dass Sie, bevor Sie zu Philippe
kamen, noch kein Buch gelesen hatten?
Das erste Buch, das ich las, war sein Manuskript. Da habe ich alles noch einmal erlebt.
Seine Bücher handeln immer vom Schmerz.
Aber er kann sagen, dass anderen auch
Schlimmes passiert. Er bleibt auf dem Boden,
akzeptiert die Situation, wie sie ist.
Jetzt haben Sie selbst ein Buch geschrieben,
es heißt „Einfach Freunde“.
Ich habe das immer abgelehnt. Aber nach dem
Film habe ich zugestimmt, es war die einzige
Möglichkeit, eine Spur der Dankbarkeit zu
hinterlassen.
Glauben Sie, Sie hätten das alles auch ohne
Philippe geschafft?
Sage ich ja, hieße das, ich hätte damals meine Zukunft gekannt. Sage ich nein, heißt das:
Alle, die aus der Banlieue kommen, sind verloren. Das ist nicht wahr. Jeder kann da raus,
mit seinen eigenen Mitteln. Nur wenn man
sich einschließt in seinem Hof, bleibt man für
immer dort, das ist wie im Knast.
In den vergangenen Jahren gab es Unruhen
in der Banlieue. Verstehen Sie die Wut
der jungen Leute, die keine Arbeit, keine
Ausbildung finden, nur weil sie Araber,
Afrikaner sind?
Man findet Arbeit in Frankreich, wenn man
nicht bis 12 Uhr pennt. Sicher gibt es Leute
in der Banlieue, die keinen Job finden, wegen ihres Namens, wegen der Vorurteile. Aber
man muss aufhören, sich dafür zu bemitleiden, dass man aus der Banlieue kommt. Einer,
der in der Banlieue lebt, hat denselben Körper, denselben Kopf wie einer, der im Zentrum lebt.
DAS DA Förderkreis
Allerbeste Freunde
Wir beginnen die Spielzeit mit Freunden: Philippe und Driss sind „Ziemlich
beste Freunde“. Auch im Kindertheater wird Freundschaft großgeschrieben: Was wäre Emil ohne Gustav mit
der Hupe oder ohne Pony Hütchen?
Was wäre Findus ohne Pettersson und
Pettersson ohne Findus?
Textnachweise
Die Freunde des DAS DA THEATERS sind im Förderkreis versammelt. Sie unterstützen uns schon viele
Jahre. Wir brauchen sie; sie sind unsere allerbesten Freunde. Vielleicht
möchten auch Sie mitmachen. Wir
würden uns freuen.
– http://www.dasda.de/spielzeit/2015-2016/ziemlich-beste-freunde/
– https://de.wikipedia.org
– DER SPIEGEL 29/2012
– http://www.wienerzeitung.at/themen_channel/wz_reflexionen/zeitgenossen/?em_
cnt=515060&em_cnt_page=3
Rufen Sie uns doch einfach mal an:
Ohne Freunde geht es nicht. Ohne 0241 174168 oder 0241 161688 oder
Menschen, auf die man sich verlassen foerderkreis@dasda. de
kann, die für einen da sind. Das DAS
DA THEATER hat solche Freunde. Herzlichen Dank!
Wenn es sie nicht gäbe, wären Philippe und Driss, Emil und Gustav, Findus und Pettersson auf unserer Bühne nicht zu sehen. Wir schaffen unser
Programm nur mit Freunden, die uns
helfen.
Impressum
Herausgeber
DAS DA THEATER gGmbH
Liebigstraße 9 • 52070 Aachen
(02 41) 16 16 88
[email protected]
www.dasda.de
Theaterleiter
Tom Hirtz
Redaktion
Anja Mathar
Layout
Hanyo Lochau
Szenenfotos
Achim Bieler
Druck
Druckerei Mainz
Spielzeit2015/2016
Geschäftsführer Tom Hirtz
Amtsgericht
Aachen HRB 14199
Steuernummer 201/5957/1905