SOLEBAD, BAD DÜRREIM

db deutsche bauzeitung 03.2016
SCHWERPUNKT : JUBILÄUM
IN DIE JAHRE GEKOMMEN ...
3
1
2
62
SOLEBAD, BAD DÜRREIM –
WIEDERBETRACHTET 2016
{Architekten: Geier + Geier
{ Kritik: Ursula Baus
Fotos: Ursula Baus; Kur- und Bäder GmbH
Bad Dürrheim
Nach Bad Dürrheim, auf 700 m Höhe im Südschwarzwald gelegen, reisen
Besucher aus aller Welt. Das höchstgelegene Solebad der Republik bietet in Kurund Wellness-Angeboten den »State of the Art« und darf sich rühmen, als eines
der ganz wenigen Bäder seiner Art schwarze Zahlen zu schreiben. Tatsächlich ist
die imposante Badelandschaft unter einer 2 500 m² überspannenden Holzrippenkonstruktion das Eindrucksvollste, was der Ort zu bieten hat. Weitere
Angebote ergänzen das Solebad heute auf insgesamt 13 500 m² zu einem
Wallfahrtsort für Bade- und Kurgäste.
Es geht im Folgenden weniger um die Architektur der Badelandschaft mit Beckenformen und Entspannungsemporen, Umkleidekabinen und Mobiliar,
Fliesengeometrie und -farbe als vielmehr um die Holzkonstruktion des Dachs,
die nach inzwischen 30 Jahren immer noch einwandfreie Dienste leistet. Die
Entscheidung, das Solebad mit einer Holzkonstruktion zu überdachen, lag
nahe, denn Holz verträgt die badübliche Luftfeuchtigkeit von etwa 85 % ausgesprochen gut. Die weichen, organischen Formen entsprachen der Zeit, das
Münchner Olympiadach oder die Mannheimer Multihalle von Frei Otto (s. db
09/2015, S. 54) beispielsweise begeisterten Architekten und Ingenieure nach
wie vor. Die Bad Dürrheimer Holzrippenschale ruht auf fünf unterschiedlich
hohen, hölzernen Baumstützen und ist als doppelt gekrümmte Fläche über
dem amöbenförmigen Grundriss eine sinnfällige, Orientierung bietende
Raumstruktur. Der größte Baum besteht aus neun, im unteren Bereich gebündelten Leimholzsegmenten, die sich oben vergabeln und dadurch 18 Äste bilden. Meridian- und Ringrippen folgen in etwa den Hauptspannungsrichtungen, wie sie in einer Membran auftreten würden. Dank Zapfen, Überblattungen, Hartholzdübeln, eingeleimten Astlochdübeln und anderen Raffinessen
des Zimmererhandwerks blieb letztlich keines der nötigen Metallverbindungsteile sichtbar. Das Schalendach aus Holz – heimische Fichte – ist innen erlebbar,
als Warmdach ausgeführt und mit einem Foliendach abgedichtet. Die tragenden Teile bestehen aus Leimholz, die Schalung darunter aus zwei Brettlagen, die
gegenläufig diagonal über zwei Felder laufen und auf den Meridianrippen
versetzt gestoßen sind. Die untere Lage wurde raumseitig gehobelt.
Erst für 2018 ist eine Erneuerung der Dachfolie vorgesehen – kaum jemand
hätte damals eine Lebensdauer der Folie von über drei Jahrzehnten erwartet.
Lediglich an den Blitzschutzstellen riss aufgrund von geringen Formveränderungen unter Schneelast die Haut etwas ein. Eigentlich eine Lappalie. Und nur
einzelne, blind gewordene Glasscheiben der Lichtkuppeln über den Baumstützen mussten bislang ersetzt werden. Nebenbei: Nach wie vor leisten die seewasserfesten Halogenleuchten beste Dienste. Schadensfrei blieben auch die
Anschlüsse der Fassade an den Randträgern der Holzrippenschale – auch das
spricht für die Präzision von Planung und Ausführung. 2016 ist vorgesehen, die
Baumstützenentfeuchtung zu erneuern, ohnehin stellten sich Lüftungsanlagen
als wartungs- und erneuerungsintensivstes »Bauteil« – das darf in einem Solebad mit der bereits erwähnten Luftfeuchtigkeit nicht wundern – heraus.
Alles in allem erweist sich die Solemar-Holzrippenschale als ideale Überdachungsart, in Bad Dürrheim maßgeblich von den entwerfenden Architekten
Geier und Geier (heute Geier und Völlger) und dem Konstrukteur Fritz Wenzel perfektioniert. Klaus Linkwitz steuerte die numerische Formfindung und
die Fertigungsdaten bei. ›
[1] Organische
Formensprache sowie
größtmögliche Transparenz zwischen
Innen- und Außenbereichen prägen das
»Solemar« in Bad Dürrheim bis heute
[2] Selbst
nach bald 30 Jahren zeigt
sich die imposante Holzkonstruktion
immer noch in tadellosem Zustand
[3] Durch
seine eigenständige Gestaltung hebt sich das Gebäude des »Solemar« deutlich vom Kurhaus (links) ab
63
db deutsche bauzeitung 03.2016
SCHWERPUNKT : JUBILÄUM
IN DIE JAHRE GEKOMMEN ...
6
4
FORMFINDUNG UND BERECHNUNG
Auf die Suche nach der Form dieser Bad Dürrheimer Holzrippenschalen-Konstruktion begab man sich Anfang der 80er Jahre noch mit Drahtnetzmodellen (s.
S. 58), die vom Büro Linkwitz vermessen worden sind; damit waren die Daten für
eine FE-Berechnung geliefert. Das Solemar-Bad entstand in einem Jahrzehnt, das
baugeschichtlich eine Wendezeit markiert, weil wenige Jahre später, seit den 90er
Jahren, auch komplexe Formfindungen am Computer erarbeitet wurden.
Hier liegt ein kleiner Exkurs nahe, der den Typus und die Entstehungsweise der
Schale erklärt. Bereits in den 20er Jahren hatte Franz Dischinger (1887-1953)
an einer Schalentheorie gearbeitet, um daraus Berechnungsmodelle zu entwickeln. Gleichzeitig bauten aber »Modellstatiker« wie beispielsweise Eduardo
Torroja (1899-1961) in Spanien – später auch Frei Otto (1925-2015) und Heinz
Isler (1926-2009) – mit Experimentalwissen herausragende Schalen- und Netz-
[4] Auf
{ Standort: Huberstraße 8, 78073 Bad Dürrheim
[5] Die
{ Hohe Luftfeuchtigkeit und nasse Oberflächen im gut besuchten Bad hinderten
unsere Kritikerin Ursula Baus daran, ein Foto zu machen – auch war sie
durchs eigene Badevergnügen abgelenkt!
[6] Die
5
{ Ich danke Prof. Mike Schlaich für wichtige Hinweise zur Konstruktionsgeschichte.
dem Luftbild bestens zu erkennen: das amorphe Foliendach des Solebads am Rande des Kurparks
eingestellte Empore gewährt
einen Blick über Innen- und Außenbecken
bis hin zum Kurpark
64
konstruktionen. Bis in die 80er Jahre wurden Formen tatsächlich noch primär
mit Modellen entwickelt, Berechnungsverfahren waren aber bereits seit den
60er Jahren, u. a. von John Hadji Argyris (1913-2004), an der TU Stuttgart
vorangetrieben worden. Was von Hand viel zu aufwendig zu berechnen gewesen wäre – Rechnungen mit zigtausend Unbekannten –, ließ sich mit FE-Berechnungen mit vertretbarem Aufwand präzisieren.
Die Bad Dürrheimer Holzrippenschale würde heute vermutlich am Computer
entworfen. Aber rückblickend muss man den damaligen Modellentwurf als
Grundlage tadelloser Dimensionierung anerkennen, die Umsetzung wurde
konstruktiv und bautechnisch gut durchdacht und das Bauwerk über Jahrzehnte von den Betreibern kontinuierlich gepflegt. Die Holzrippenschale darf
als geeigneter Bautypus für ein Solebad gelten und gewinnt im Vergleich zu vielen neuen Wellnesstempeln an einzigartiger, formaler Kraft. Bemerkenswert
sind allemal Haltbarkeit und Pflegeleichtigkeit des materialgerecht ausgeführten Konstruktionstypus. •
Holzkonstruktion, noch ohne
die Möglichkeit komplexer Computerberechnungen entworfen, zeigt sich als
gelungene Symbiose technischer und
ästhetischer Anforderungen
Literatur:
Fritz Wenzel, Bernd Frese und Rainer Barthel: Die Holzrippenschale in Bad
Dürrheim. In: Bauen mit Holz 5/1987, S. 282-287
Wenzel, F. Frese, B. Barthel, R.: The timber ribbed shell roof in Bad Dürrheim.
In: Structural Engineering Review 1/1989, S. 75-81
·
·
65