Universalmuseum Joanneum Presse Das Paradies der Untergang

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Das Paradies der Untergang
Hartmut Skerbisch - Medienarbeiten
Begleitheft
Der Grazer Künstler Hartmut Skerbisch (1945–2009) ist einer der wichtigen bildenden
Gegenwartskünstler Österreichs. Diese Retrospektive im Kunsthaus Graz widmet sich seinen
frühen Medienarbeiten, die ausgehend von der Architektur eine grundlegende
Auseinandersetzung mit dem Raum und seiner Wahrnehmung zeigen. Dabei spielte schon sehr
früh ein virtueller Kommunikationsraum eine Rolle. In den späten Skulpturen, die ihn weithin
bekannt werden ließen, bleiben seine zentralen Überlegungen zur Konstruktion von Raum nach
wie vor relevant, lassen die konzeptuellen Ansätze allerdings in konkrete Formen übergehen.
Räumliche Anordnung: Putting Allspace in a Notshall
Als Architekturstudenten haben Hartmut Skerbisch und Manfred Wolff-Plottegg die Räumliche
Anordnung gemeinsam konzipiert, um sie für die den Wettbewerb zur Ausstellung trigon ’69
einzureichen. Das ausgeschriebene Motto „Architektur und Freiheit“ verstanden sie als
Herausforderung, um über Verhältnisse zu Objekten ganz generell nachzudenken. Es
interessierte sie dabei nicht, wie einige andere zu dieser Zeit, ein psychedelischer
Erfahrungsraum, sondern vielmehr ging es ihnen um die Raumverhältnisse elektronischer
Medien. Manfred Wolff-Plottegg berichtet auch vom damaligen Bestreben der jungen
Architekturstudenten, Ansätze zu finden, die sich nicht aus Vorbildern der Architekturgeschichte
entwickeln sollten – Letztere sollten verworfen werden, um Neues zu schaffen und zu erfinden.
Der literarische Raum, der musikalische Raum, der mediale Raum und der neue elektronische
Raum gewinnen deshalb zunehmend an Bedeutung, werden zum Quell der Auseinandersetzung
mit neuen Formen.
Der Titel Putting Allspace in a Notshall geht auf ein Zitat aus dem Roman Finnegans Wake von
James Joyce zurück. Die Wortkreationen dieses Schriftstellers haben Hartmut Skerbisch
inspiriert, dienten ihm nicht nur bei dieser Arbeit als Ausgangspunkt für neue Überlegungen. Für
Marshall McLuhan, den maßgeblichen Medientheoretiker der 1960er-Jahre, entdeckte James
Joyce die Möglichkeit, in allen Kulturformen gleichzeitig zu leben – und das bei vollem
Bewusstsein. In diesem Sinne fügt auch Hartmut Skerbisch in dieser Räumlichen Anordnung den
Einbruch einer elektrischen Kommunikationswelt auf einen Punkt zusammen. Alles ist zur selben
Zeit an jedem Ort möglich, wobei sich gleichzeitig auch alles in Raum und Zeit aufzulösen
vermag. Für Hartmut Skerbisch entsteht dabei eine unsichtbare, elektronisch errichtete
Architektur.
Zepter und gleißender Stein
Am 9. Dezember 1977 wurde in mehreren Räumen der Neuen Galerie Graz in der Sackstraße eine
Stunde lang die Ausstellung Zepter und gleißender Stein von Hartmut Skerbisch präsentiert: Um
19 Uhr wurden Vitrinenbeleuchtungen, 14 Bildmonitore, 2 Rekorder und 1 Farbgenerator
eingeschaltet und um 20 Uhr wieder vom Strom getrennt. Die Monitore flackerten rötlichhautfarben und formten eine (damals durchaus beeindruckende) elektronische Wand. Eine
Vidiconröhre (Bildaufnahmeröhre früher tragbarer Videokameras) lag auf einem roten
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Samtpodest und wurde als wertvollstes Prunkstück inszeniert. Nach einer Stunde war die
Ausstellung beendet, wie eine Fernsehsendung hatte sie eine geplante Abspieldauer. Diese
Ausstellung von 1977 ist im Kunsthaus Graz nun rekonstruiert. Wilfried Skreiner, der damalige
Leiter der Neuen Galerie, führt in einem kurzen historischen Film in die Arbeit ein. Der damals
junge Grazer Kunsthistoriker Werner Fenz ist mit dem Künstler in einem Gespräch zu sehen.
Hartmut Skerbisch untersuchte in dieser Ausstellung das Fernsehen, indem er dessen Kern
bloßlegte. Der gleißende Schimmer der Bildröhre überstrahlt auch heute noch alles und wird zur
Lebensbedingung, zu einem Ort des Geschehens. Das Fernsehen ist in den 1970er-Jahren zum
Massenphänomen geworden, seine manipulativen Fähigkeiten wurden von Beginn an erkannt
und die Gefahr der medialen Einwirkung auf das reale Leben in der Kunst und Medientheorie
wurde thematisiert.
Fluidum
„Wenn wir fernsehen, sehen wir gesteuerten Lichtschein. Auf diese Weise sehen wir die ganze
Welt“, sagt Hartmut Skerbisch. Wenn sich zwei Scheinwerfer anstrahlen, spiegeln sie sich nicht
bis in die Unendlichkeit, erzeugen aber eine Aura, die diesem Empfinden sehr nahe kommt.
„Fluidum“ bezeichnet generell die besondere Ausstrahlung einer Sache, die hier im Scheinwerfer
selbstredend wird, andererseits aber auch das Fließen des Lichts an sich.
n x 4 Reproduktionen auf Cibachrome
Immer zwei gleiche Fotos und die Bezeichnungen „Das Paradies“ und „Der Untergang“
unterteilen in vier kleinen Quadraten jeweils ein großes. Die Farbfotos, die Skerbisch in dieser
Größe – damals noch sehr aufwendig – im Atelier seines Künstlerkollegens Michael Schuster als
Cibachrome herstellte, zeigen schnappschussartige Momentaufnahmen, Ausschnitte eines
größeren Zusammenhangs. „Um zu erkennen, ob ein Bild wahr oder falsch ist, müssen wir es mit
der Wirklichkeit vergleichen“, zitiert Skerbisch den Philosophen Ludwig Wittgenstein. Doch
welches der beiden Fotos zeigt welche Wirklichkeit, und welche wollen wir darin erkennen? Das
Medium Foto ist immer eine im Moment eingefrorene Konstruktion von Wirklichkeit. Auf
Monitoren wird diese Wirklichkeit hingegen zur vorläufigen Erscheinung im elektronischen Raum.
Der Realitätsgrad bleibt dabei unerheblich.
Land Art, poolerie 1975
1974 gründeten der Konzept- und Medienkünstler Richard Kriesche und der Werbefachmann und
Ausstellungsmacher Horst Gerhard Haberl die Produzentengalerie poolerie. Wie in dem davor
initiierten Verein pool und der damit verbundenen Zeitschrift Pfirsich wollte die poolerie jene
Avantgarde vertreten, die außerhalb geltender ökonomischer Wertvorstellungen von Kunst
agierte und dabei vor allem eine internationale Tendenz der jeweiligen Avantgarde darstellen.
Die konzeptuelle Verwendung von Medien und das soziale Engagement waren wesentliche
Aspekte, die in diesen Räumen diskutiert wurden und die Medienkunst zu dieser Zeit in Graz
auch generell ausmachte. 1975 hat Hartmut Skerbisch in der poolerie eine Ausstellung realisiert,
die anhand von Dokumentationsmaterial nur bedingt rekonstruierbar ist. Sie geht von einem sehr
ursprünglichen Zusammenhang von Mensch und Umwelt aus. Zeit und Raum haben sich in einer
allgemeingültigen Nullzeit aufgelöst bzw. verdichtet. Man sieht Skerbisch in performativrituellen Handlungen die Natur bearbeiten, wie er magische Orte schafft, die keine Beständigkeit
haben, aber dennoch immerwährende Gültigkeit zu besitzen scheinen. Ein höherer, spiritueller
Sinn scheint in seinen Handlungen zu liegen. Wie in der zeitnah entstandenen Land Art, wird
auch bei Skerbisch die Natur zum Material seiner Kunst, die Landschaft zum Bildgrund einer
medialen Inszenierung, bei der das Werk in der Landschaft sekundär zurückzubleiben scheint.
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Skulptur
Hartmut Skerbisch ist vor allem für seine großen skulpturalen Arbeiten bekannt, die im
öffentlichen Raum, besonders in Graz oder Gleisdorf, die Kraft von Wahrzeichen haben können.
So wurde in Graz die Statue (Lichtschwert) nahe der Grazer Oper im Rahmen der Oper Amerika
von Roman Haubenstock-Ramati im steirischen herbst 1992 realisiert. Die sichtbare
Konstruktion der Statue spielt dabei eine zentrale Rolle, wie sie Eiffel auch im Inneren des New
Yorker Vorbilds – der Freiheitsstatue – aus Eisen entwickelt hatte. Skerbisch bezieht sich auf den
Roman Amerika (Der Verschollene) von Franz Kafka, wo die Freiheitsstatue anstelle der Fackel
ein Schwert in die Höhe schwingt. Spannend im Vergleich ist dazu ein sehr früher, noch während
des Studiums entstandener Entwurf für ein Haus auf einer Stütze: Raum aus Elementen 1m x 1m.
Viele der von Skerbisch konsequent weiterentwickelten Überlegungen finden hier einen ersten
Ausdruck. Im Zentrum ist eine zentrale Stütze aus einer Stahlkonstruktion, auf der das Haus wie
ein Nest aufliegt. Der Innenraum des Hauses ist für das Konzept des Wohnens gleichbedeutend
wie der umgebende Außenraum. Auch bei der Sphäre oder dem Fraktal entwickelt sich die
geometrisch konstruierte Form aus einem zentralen Punkt, um den sich die Form mit der
Unendlichkeit verbindet.
Piet Mondrian
Toward the True Vision of Reality ist der Titel der Lebenserinnerungen von Piet Mondrian. Man
sieht den niederländischen Künstler 1943 in seinem New Yorker Atelier, vor seinen Bildern
agierend. Für Mondrian war der Raum wesentlicher Bestandteil seiner Malerei, seine Bilder waren
stets nur Ausschnitte eines größeren Ganzen. Hartmut Skerbisch filmt die Passanten vor der
Reproduktion des Fotos, lässt sie Mondrian in Lebensgröße begegnen. Die Echtzeit wird dabei
dokumentiert und verschmilzt wie der Raum mit dem historischen Vorbild.
Reden blattartig
Der Künstler steht vor einem am Boden liegenden Monitor und betrachtet die Atembewegungen
seines eigenen Brustkorbes. reden blattartig nennt er diese Arbeit in Anlehnung an James Joyces
Wortschöpfung „leafy speafing“ aus Finnegans Wake. Die Atmung ist im Gange, der Bildschirm
wird zur lebenden Lunge, zur Außenstelle des Körpers. Die Buchstaben werden beim Sprechen
zum Raum, Begriffe wörtlich übersetzt. Die Sprache ist dabei raumgebend und das Publikum
aufgefordert, den Bewegungen zu folgen, wie der auf Lebensgröße reproduzierte Künstler es
suggeriert.
Gegenwart als Gegenwart, Endsignatur
„Von hier führte im Medium kein Weg mehr weiter“, sagte Hartmut Skerbisch in Bezug auf seine
Arbeit Null-Party in der Jetzt-Dub-Disco, die mit der Endsignatur ihren Abschluss findet. Von da
an verlässt Skerbisch den Bereich der medienbasierten und konzeptuellen Kunst und wendet
sich einem narrativen und materialgeprägtem Begriff von Skulptur zu. In Endsignatur (1981) ist
der Bildschirm das Schlüsselelement seiner Annäherung an die elektronischen
Raumverhältnisse. Das Standbild visualisiert das Ende der Auseinandersetzung mit dem
Monitorbild in der „Gegenwart als Gegenwart“ und wird zum Abschluss seiner Reflexionen über
den Bildschirm. In der Ausstellung in der galerie h waren 1981 konsequenterweise keine
Bildgeräte mehr zu sehen. Die reale Situation von Menschen im Sound des Kamikazi Dub von
Prince Jammy ersetzt übertragene Bilder. „Alles, was wir tun, ist Musik“, könnte man mit John
Cage zusammenfassen.