Wir begleiten Menschen einblicke Kreativität Nr. 10 | März 2016 Augenblick Herausforderungen und Probleme mit eigenen Ideen und neuen Methoden bewältigen – auch das ist kreativ. Wer nur denkt, was man jetzt denken kann, spricht die Gegenwart heilig und verrät die Zukunft. Fulbert Steffensky Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dossier Kreativität . . . . . . . . . . . . . . . 5 6 8 10 12 13 14 15 16 17 18 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Von der Kunst, Kreativität im Alltag zu leben Florian Reichert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Veränderungsmanagement bei Diaconis Interview mit Therese Roth-Hotz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bilder vom Vergessen Reportage mit Cécile Keller . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kreative Lösungen für den sicheren Weg ins Arbeitsleben Interview mit Inés Roethlisberger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Von der Kreativität im christlichen Glauben Brigitte Becker Linder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gärten mit Kreativität und Witz Beat Wyder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rundschau > Schwesterngemeinschaft > Wohnen – Pflege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rückblick Unsere kleinen Patienten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Persönlich Antoinette Niggli, Musiktherapeutin SFMT und psychosoziale Beraterin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . eitenblick S David Leutwyler, Geschäftsführer Haus der Religionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . usblick A Diaconis-Kurse und -Veranstaltungen 3 Liebe Leserin, lieber Leser Der Begriff «Kreativität» hat seinen Ursprung bekannt lich im lateinischen «creare», was so viel bedeutet wie «schöpfen, etwas erzeugen, herstellen» aber auch «aus wählen und herausholen», was ohnehin schon vorhan den ist. In unserer Gesellschaft ist der Begriff omnipräsent. Ob in der Arbeitswelt, in der Freizeit oder bei der Bewälti gung privater und gesellschaftlicher Konflikte – gefragt sind «kreative Ideen» und «kreative Lösungen». Befinden wir uns in einem Notzustand, der uns dazu zwingt, heute besonders kreativ zu sein? Etwa aufgrund der rasanten technischen Entwicklung und der moder nen Kommunikationstechnologie? Oder ausgelöst durch die Globalisierung? Müssen wir uns heute besonders anstrengen, um den Anschluss nicht zu verlieren und um im weltweiten, kompetitiven Miteinander als Indivi duen herauszustechen? Steht Kreativität vielleicht deshalb so hoch im Kurs, weil die Gefahr besteht, dass wir sie in weiten Teilen unseres Lebens verlieren? Oder geht es doch darum, mit Kreati vität Energie frei zu setzen – für das Allgemeinwohl ebenso wie für uns selbst? In der vorliegenden Ausgabe unseres Magazins werden die verschiedenen Formen und Schattierungen von Kreativität aus unterschiedlichen Perspektiven ausge lotet. Mögen Sie darin Anregung finden, selbst «schöp ferisch» zu werden und das Leben mit kreativen Augen zu sehen – im positiven Sinn. Ich wünsche Ihnen eine (re)kreative Lektüre! Peter Friedli Direktor Stiftung Diaconis Einblicke | Nr. 10 | März 2016 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das hundertste Schaf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Er ist es, der Eine mitten unter 100 Schafen, der 99 um sich sieht, sich ausbreitet, in jeden Winkel schwarzer und weisser Freiheit, der behutsam Aberhundertste aus tödlicher Ohnmacht auferweckt, aus schreiendem Lichtkegel reisst, aus dornig schattigem Verliess löst und ihre Wege neu erleuchtet: Brich auf – erlebe deinen Anfang! Brigitte Becker Linder 4 Einblicke | Nr. 10 | März 2016 Dossier Kreativität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Von der Kunst, Kreativität im Alltag zu leben Was ist Kreativität? Welche Bedeutung hat sie in unserem Alltag? Florian Reichert, Leiter des Fachbereichs Oper und Theater an der Hochschule der Künste Bern, erlebt Kreativität als «Wahrnehmen im Alltag». Eine Aufforderung zum Innehalten: . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . «Kreativität beginnt dann, wenn wir nichts mehr tun. Wenn wir langsamer werden und innehalten. Einfach nur schauen, hören, riechen, schmecken und diese Eindrücke auf uns wirken lassen: Schon sind wir kreativ. Sitze ich zum Beispiel im Zug, kann ich mich der Umwelt verschliessen, oder ich kann sie aktiv wahrnehmen. Zum Beispiel die Frau vis-à-vis: Wo mag sie hingehen? Was transportiert sie wohl in ihrem Koffer? Personen, Ge genstände und Landschaften wecken in mir Bilder. Las se ich diese Assoziationen zu, bin ich schon im kreativen Prozess. Kunst ist sichtbar gemachte Kreativität Bei uns an der Hochschule der Künste Bern verbringen wir viel Zeit damit, bewusst wahrzunehmen. Im ganz heitlichen Beobachten sammeln die Studierenden Material, das sie später in einer Kunstform zum Aus druck bringen. Was der Mensch wahrnimmt, macht er durch die Kunst für andere erlebbar. Kunst ist für mich also sichtbar, hörbar und erlebbar gemachte Kreativität. Erst im letzten Schritt benötigen wir dabei das hand werkliche Können: die Beherrschung eines Musikinstru ments, die Kenntnis der Farbenlehre oder den einstu dierten Tanzschritt. Je mehr wir Kreativität pflegen, desto ausgeprägter wird sie Kreativität mündet nicht immer in Kunst. Und nicht jeder äusserst kreative Mensch wird deshalb Künstler. Viele Menschen verstehen Kreativität als etwas My thisch-Spirituelles – als eine besondere Begabung. Ich sehe das anders. Natürlich ist Kreativität nicht bei allen Menschen gleich ausgeprägt. Aber viel wichtiger als die Veranlagung ist die Pflege unseres kreativen Potenzials. Wie beim Muskeltraining: Wer weiterkommen will, muss trainieren, üben. Die Wirkung dieses Trainings ist nicht körperlich sichtbar, aber das Prinzip ist dasselbe: Je mehr wir unsere Kreativität pflegen, desto ausgeprägter wird sie. Auch wenn wir uns dessen nicht bewusst sind. Zum Beispiel, wenn wir geschäftlich eine Sitzung verein baren. Wie lösen wir eine Terminkollision? Oder wenn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 wir einen Menschen treffen, der uns nicht sympathisch ist. Finden wir einen Konsens? Bei all diesen alltäglichen Herausforderungen sind wir kreativ. Das Besondere im Alltäglichen Die Kunst entwickelt sich oft aus dem Alltäglichen: Die Geschichte von Romeo und Julia an sich ist nicht ausser ordentlich. Aber Shakespeare findet im Gewöhnlichen das Spezielle. Im Alltag das Besondere entdecken – ge nau darum geht es in meinen Augen auch bei der Be gleitung von älteren oder kranken Menschen: einen ganz normalen Moment wahrzunehmen und ihn kreativ zu verarbeiten. Lassen wir uns auf ältere und kranke Menschen ein, statt dass wir hurtig wegrennen! Eine strukturierte Form des Zuhörens ist die Biografie-Arbeit. Dabei stellen wir die individuelle Biografie in einen ge sellschaftlichen und historischen Zusammenhang. Wie ist ein Mensch zu dem geworden, was er ist? Die alte Person blickt zurück auf ein volles Leben. Indem sie er zählt und ihre Erinnerungen reflektiert, wird sie kreativ. Ihre Biografie wird Teil der Geschichte. Mit etwas Refle xion entstehen zudem höchst spannende Erzählungen mit Eigenwert. Die eigene Kreativität entdecken Der Kreativkiller schlechthin ist die Frage «Wozu?». Nach dem Nutzen der Kreativität zu fragen, ist wie jemanden anzubrüllen: «Entspann dich!» Ein Widerspruch in sich. Richtungsweisend finde ich hier den berühmten Satz von Friedrich Schiller: «Der Mensch ist nur da ganz Mensch, wo er spielt.» Kreativität geschieht ohne Zwang. Sie geschieht uns. Und sie steht jedem Menschen offen. Die Frage ist: Nehmen wir uns die Zeit, unsere kreative Seite zu pflegen, also hinzuschauen, zuzuhören, wahr zunehmen? Auf welche Weise geben wir ihr in unserem Alltag Raum, und wie viel? Es lohnt sich, Antworten zu suchen ... und zu finden.» 1997 übernahm Florian Reichert (*1960) die Direktion der Scuola Teatro Dimitri, die er bis 2007 innehatte. Seit dem Herbstsemester 07/08 leitet Florian Reichert den Fachbereich Oper/Theater an der Hochschule der Künste Bern. Einblicke | Nr. 10 | März 2016 Therese Roth-Hotz Leiterin Human Resources . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Veränderungsmanagement: Die Analogie der Heldenreise erleich tert Diaconis die Orientierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Um langfristig auf dem Markt bestehen zu können, hat sich Diaconis in den vergangenen Monaten einem umfassenden Wandel unterzogen. Die Analogie der Heldenreise hilft der Stiftung, diese Veränderungsprozesse erfolgreich zu gestalten. Im Interview erläutert Therese Roth-Hotz, Leiterin Human Resources, das sogenannte «Heldenprinzip». Therese Roth-Hotz, was steckt hinter dem geheimnisvollen Begriff «Heldenprinzip»? Das «Heldenprinzip» ist eine im Bereich des Verände rungs- und Entwicklungsmanagements bewährte Me thode, um komplexe unternehmerische Veränderungs prozesse einfach und mit allen Sinnen versteh- und erlebbar zu machen. Die Transformation eines Unter nehmens wird dabei als Heldenreise dargestellt. Der Protagonist des Geschehens durchlebt seine Entwick lungsreise in elf Schritten. Oder sagen wir: Der Held durchlebt Abenteuer mit Stationen. Diese lassen sich symbolisch übertragen auf das Verhalten eines Individu ums oder das einer Organisation sowie auf deren Um gang mit Wandel, Veränderung und Entwicklung. Was für Etappen sind das zum Beispiel? Dem Aufbruch folgt das Abenteuer mit ersten Erfahrun 6 gen im neuen Umfeld. Weitere Etappen sind das Über winden von Widerständen und die abschliessende Rückkehr. Der Held reist aus der ihm bekannten in die unbekannte Welt, um dann gereift zurückzukehren. Neue Erfahrungen werden in bestehende Traditionen integriert. Dabei ist der Held nicht etwa einfach ein «Su perman». Die Metapher steht für Organisationen und Menschen ganz generell, die Herausforderungen kreativ und ganzheitlich meistern. Wie muss man sich die Arbeit mit der Methode vorstellen? Die Metapher des Helden ergänzt moderne Manage mentmethoden. Im Rahmen von Umstrukturierungs prozessen erstellen wir bei Diaconis nicht nur Or ganigramme und Konzepte: Wir fragen uns auch, was die geplanten oder bereits umgesetzten Verände rungen für das Unternehmen als Ganzes bedeuten und wie sie von den einzelnen Mitarbeitenden erlebt werden. Die Methode umfasst eine Reihe von Übungen, die dabei helfen, menschliches Verhalten in Verände rungsprozessen ganzheitlich zu erleben und zu reflek tieren. Wie sieht eine solche Übung aus? Wie bei vielen unterstützenden Methoden des Verände rungsprozesses helfen uns die Übungen, überholte Stra tegien und Denkmuster über Bord zu werfen. Zum Bei spiel, indem wir für einmal gestalterisch tätig sind. Es er fordert zugegebenermassen etwas Überwindung, im Kreise des Kaders plötzlich mit einem Stück Lehm zu ar beiten, statt an einem Organigramm zu feilen. Die an fängliche Skepsis hat sich jedoch schnell gelegt: Indem wir uns die Zeit nehmen, für einen Moment unsere tra ditionellen Methoden beiseite zu lassen, öffnen wir uns neuen Ideen. Wir sind eben nicht alle Rädchen im Ge triebe, sondern Menschen mit Emotionen, Stärken und Schwächen. Einblicke | Nr. 10 | März 2016 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wie hilft Ihnen denn die Arbeit mit Lehm ganz konkret? In einer solchen kreativen Übung «erleben» wir eine Si tuation, statt dass wir darüber sprechen. Wenn sich eine Organisation auf das Heldenprinzip einlässt, fällt es ihr einfacher, die Phasen einer Transformation zu verstehen und Rückschläge aufzufangen. Sie kann die Heldenreise als Referenzrahmen nutzen, um systematisch einzuord nen, an welchem Punkt des Wandlungsprozesses sie sich befindet. Das Kader erhält Instrumente, um die Her ausforderungen in seinem Führungsalltag zu meistern. Wenn wir uns in einem Umstrukturierungsprozess mit einem ins Abenteuer aufbrechenden Helden identifizie ren, reflektieren wir unsere eigenen Erwartungen, Hoff nungen, aber auch Ängste. Das Heldenprinzip® Quelle: www.heldenprinzip.de 7 Setzen Sie das Prinzip ausschliesslich im Kader ein? In einem ersten Schritt ja. Ich denke, die Methode hat dem Kader wesentlich dabei geholfen, Veränderungs prozesse ganzheitlich anzugehen. Einzelne Mitglieder des Kaders haben mittlerweile damit begonnen, ausge suchte Übungen mit ihren Mitarbeitenden durchzuspie len. Die Rückmeldungen sind grundsätzlich positiv. Die Stiftung Diaconis ist in der christlichen Tradi tion verwurzelt. Die Metapher des Helden basiert auf archaischen Mythen – ein Widerspruch? Ganz im Gegenteil. Die Metapher des Helden hat ein stark verbindendes Element. Bei uns arbeiten Menschen aus verschiedensten Ländern mit unterschiedlichen Reli gionen und aus vielen Kulturen. Wir begegnen uns bei Diaconis auf Augenhöhe und mit Respekt, leben Freiheit und Offenheit. Das Prinzip des Helden, der eine Auf gabe zu bewältigen hat, ist allen Kulturen vertraut. Man kann übrigens auch die Akteure in der Bibel als Helden verstehen, auf ihrer Reise hin zu Gott. Wie geht es weiter? Metaphorisch gesprochen sind wir als Organisation in einem neuen «Land» angekommen. Nun geht es darum, die anstehenden «Prüfungen» erfolgreich zu meistern. Diaconis will die Veränderungsprozesse in der unterneh merischen Praxis implementieren. Seit Januar setzen wir die Metapher der Heldenreise auf allen Hierarchiestufen ein. Helena Jansen/Serena Failla Mehr Informationen: www.heldenprinzip.de Einblicke | Nr. 10 | März 2016 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bilder vom Vergessen Wie können wir uns noch ausdrücken, wenn wir unsere Identität im Verlauf einer Demenzerkrankung verlieren? Die Malstunde im Haus Altenberg von Diaconis bietet Menschen mit Demenz die Möglichkeit, sich kreativ zu betätigen – jenseits von Worten und Begriffen. Ein Zimmer im Untergeschoss des Hauses Altenberg. Eine Wand ist grossflächig mit braunem Papier abge deckt, am Fenster steht ein langer Palettentisch auf Rol len. Es riecht nach frischer Farbe. Vier Stühle sind im Kreis angeordnet, auf der Sitzfläche liegen bunte, hand gestrickte Decken. Gestützt von ihren Pflegerinnen be treten die Seniorinnen Heidi B. und Margret S. den Raum. Cécile Keller, Dipl. Pflegefachfrau AKP und Mitar beiterin des Teams Alltagsgestaltung/Aktivierung, emp fängt die Frauen. Die Gruppe trifft sich einmal pro Wo che. Gemalt wird, was gefällt. Auf einer grossen Fläche mit Pinsel und Farbe. Inhaltliche und technische Anwei sungen gibt es keine. Es ist das Tun, das zählt, nicht das Resultat. Eine Sinneserfahrung Heute sind sie zu viert: Die 80-jährige Modesta R. ist zum ersten Mal dabei. Sie sitzt im Rollstuhl und hat Mühe, die Bewegungen ihrer Hände zu kontrollieren. Ihre Demenzerkrankung ist noch in einem frühen Stadi um. Die Italienerin hat noch nicht akzeptiert, dass die Hände nicht mehr gehorchen wollen. Sie will schreiben. Worte, die ihr vielleicht schon bald entgleiten werden. Auch die 87-jährige Heidi B. und die 75-jährige Margret S. sind an Demenz erkrankt. Sie sitzen zusammen mit Cécile Keller im Kreis, lächeln freundlich, wissen aber of fensichtlich nicht so recht, was auf sie zukommt. Dass sie hier bereits letzte Woche mithilfe von Pinsel und Far be ausdrückten, was sie mit Worten nicht mehr können, 8 ist im Nebel des Vergessens verschwunden. «Im Malen erfahren diese Menschen ihre Sinne», erklärt Cécile Kel ler. Die Fähigkeit zu fühlen bleibt Demenzkranken erhal ten. Auf den Verlust ihrer Worte und ihres Denkens re agieren sie oft mit Wut, Traurigkeit und Verzweiflung. «Das gestalterische Schaffen ermöglicht es ihnen, den Moment zu leben und auszudrücken, was sie empfin den.» «Muss ich malen?» Trauer und Verzweiflung haben in dieser Malstunde kei nen Platz. Cécile Keller geht herzlich und vertraut mit den Seniorinnen um, lacht viel und schafft so im Nu eine gelöste Atmosphäre. Sie bindet Margret S. die «schönste» Malschürze um. Die 75-Jährige zieht mit ver schmitztem Gesichtsausdruck theatralisch ihren Bauch ein. Heidi B. mustert derweil kritisch den Palettentisch. Fast scheint es so, als hätte die zierliche Frau, die früher leidenschaftliche Porzellanmalerin war, keine Lust, ei nen Pinsel in die Hand zu nehmen. Sie fragt: «Müssen wir hier malen?» Nein, hier «muss» niemand. Aber sel ten verlässt eine Teilnehmerin den Raum am Ende der Stunde, ohne ein Bild gestaltet zu haben. Wenn eine Person zögert, tut sie dies laut Cécile Keller eher, weil sie sich in einer unbekannten Situation befindet, und nicht, weil ihr die Lust am Malen fehlt. Cécile Keller hilft, diese Hemmschwelle zu überwinden. «Welche Farbe gluschtet Sie?», fragt sie in die Runde. Margret S. Ant wort kommt wie aus der Pistole geschossen: «Blau». Modesta R. wählt Violett. Und Heidi B., die vor einer halben Minute noch gezögert hat, greift nun zielstrebig nach der hellblauen Farbe. «Wir spüren, was noch möglich ist» Cécile Keller reicht den Seniorinnen die Pinsel mit ihrer Wunschfarbe. Heidi B. zögert erneut: «Malen ist nicht immer so einfach. Was ist, wenn es nicht schön wird?» Cécile Keller wird nach der Malstunde erklären: «Das Einblicke | Nr. 10 | März 2016 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Leistungsdenken unserer Gesellschaft ist so tief in uns verankert, dass nicht einmal die Demenz es uns zu neh men vermag.» Aber Kunst im herkömmlichen Sinn ist nicht das Ziel der Malstunde. Kriterien und Wertungen wie «schön» oder «talentiert» haben hier keinen Platz mehr. Heidi B. setzt den Pinsel aufs Papier. Strich um Strich entsteht ein Haus mit Giebeldach, quadratischen Fenstern und rauchendem Schornstein. Als Cécile Keller sie auffordert, ihren Pinsel zur Seite zu legen, protestiert sie: «Non ho ancora finito!» Erst mit dem Versprechen, dass sie in einer Woche weitermalen dürfe, gelingt es Cécile Keller schliesslich, die Italienerin zu überzeugen, ihre Malschürze auszuziehen. Die Mal stunde ist nicht nur eine Stunde, in der sich Menschen mit Demenz kreativ ausdrücken können, sondern auch ein Ort, an dem sie mit Menschen zusammenkommen. «Diese Kontakte sind besonders wertvoll, da es den De menzkranken oft nicht mehr möglich ist, sich unterein ander verbal auszutauschen», so Cécile Keller. Verena Felber Alltagsgestaltung/Aktivierung bei Diaconis Ältere und in ihrer Aktivität eingeschränkte Menschen haben in der Alltagsgestaltung und Aktivierung die Möglichkeit, sich mit verschiedenen Elementen und Materialien zu beschäftigen. Musik, Bewegung, Kochen, Singen, Gespräche, Farbe und Material fördern ihre körperlichen und geistigen Fähigkeiten. Die Alltagsgestaltung und Aktivierung vermittelt Orien tierung und Sicherheit. Sie unterstützt die Bewohnerin nen und Bewohner darin, ihre neue Lebenssituation mitzugestalten, um sie besser zu bewältigen. Sie ermög licht soziale Kontakte und fördert die gemeinschaftliche Lebensgestaltung. Das Alltägliche wird zum Besonde ren, zum Aussergewöhnlichen, da es nicht mehr aus eigener Kraft getan werden kann. Insgesamt trägt die Aktivierung zum persönlichen Wohlbefinden bei und bringt Freude und Abwechslung in den Alltag. Während Heidi B. ihr Haus mit einem Garten, einem Baum und einem Hund ergänzt, reicht Cécile Keller Margret S. einen Pinsel mit dunkelblauer Farbe und er läutert nachträglich: «Wir spüren, was die Menschen noch können und helfen ihnen, dies zum Leuchten zu bringen.» Margret S. unterbricht sie: «Was soll ich ma len?» Keller: «Was Sie möchten.» Mit breiten Pinselstri chen verteilt Margret S. nun das Blau auf dem Papier, ganz auf sich und ihr Werk konzentriert. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mehr Wohlbefinden Die konzentrierte Stille im Raum wird nun nur noch sel ten unterbrochen von Cécile Keller. Sie reicht den Senio rinnen weiter Pinsel in den gewünschten Farben, rückt ihre Stühle zurecht oder holt neues Papier. Plötzlich lacht Modesta R. laut auf: «Ho scritto: Ti voglio bene!» Nun kommentiert sie lautstark jedes weitere Wort, das sie in ihrer italienischen Muttersprache und in ihrer wackligen Handschrift aufs Papier schreibt. Sie geniesst diese für sie neue, kreative Erfahrung sichtlich. Heidi B. und Margret S. sitzen mittlerweile vor ihren Werken, stumm, die Hände in ihrem Schoss. «Sind Sie fertig?», fragt Cécile Keller. «Wenn ich noch mehr male, sind Dinge drauf, die da nicht hingehören», sagt Heidi B. ernst. Cécile Keller schmunzelt, aber Heidi B. ist sich nicht bewusst, dass ihr ein Witz gelungen ist. Während sich Heidi B. und Margret S. von Cécile Keller verab schieden, schreibt Modesta R. unbeirrt weiter. Sie scheint nicht zu merken, dass die Malstunde vorüber ist. 9 Einblicke | Nr. 10 | März 2016 Inés Roethlisberger Leiterin Bereich Mensch und Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kreative Lösungen für den sicheren Weg ins Arbeitsleben Von der Stellenvermittlung über den arbeitsspezifischen Sprachkurs bis zum Coaching – mit zahlreichen Angeboten unterstützt der Bereich Mensch und Arbeit Personen in schwierigen beruflichen und persönlichen Situationen. Dabei setzt die Leiterin Inés Roethlisberger nicht nur auf Fachkenntnisse, sondern auch auf eine grosse Portion Kreativität. Inés Roethlisberger: Sind Sie ein kreativer Mensch? Ich nähe zwar weder Kleider, noch erstelle ich Skulptu ren oder bastle Postkarten. Aber ich glaube schon, dass ich kreativ bin. Zum Beispiel indem ich offen und neu gierig durchs Leben gehe – mit viel Lust und Freude an Neuem! Oder indem ich Farben und Formen vielfältig und spielerisch einsetze. In der Mitte meines Büros steht ein farbiges Deko-Möbel, an der Wand hängen farben frohe Bilder, im Regal bilden meine Bücher ein buntes, fröhliches Durcheinander – auch das ist kreativ. Wie wichtig sind unkonventionelle Lösungen in Ihrer Arbeit? Besteht diese nicht in erster Linie aus Formalitäten und Papierkrieg? Nein, überhaupt nicht. Administrative Aufgaben ma chen zwar einen Grossteil unserer Arbeit aus, und wir bewältigen sie mit grosser Sorgfalt und Umsicht. Geht 10 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . es darum, Lösungen für Menschen zu finden, sind un konventionelle und kreative Ansätze jedoch nicht min der wichtig. Gemeinsam mit meinem Team begleite ich Menschen in herausfordernden beruflichen und persön lichen Situationen. Sie erreichen uns in unterschiedli chen Stimmungen und Erwartungen. Wir gehen auf sie ein und holen sie bei ihren persönlichen Bedürfnissen ab. Ziel sind Lösungen, die zu einer Person und ihrer Si tuation passen. Gleichzeitig können wir Stellen nicht einfach herzaubern. Da ist oft sehr viel Kreativität ge fragt. Es gibt keine Patentrezepte. Können Sie ein Beispiel geben für eine kreative Lösung? Spontan fallen mir zwei Beispiele ein: Eine Frau, die ihre Stelle im Verkauf verloren hat, plant nun den Schritt in die Selbstständigkeit. Einen Kredit für die Eröffnung ih res Geschäfts können wir ihr zwar nicht beschaffen. Auch die Finanzierung einer Ausbildung ist nicht mög lich. Wir haben der Frau also einen befristeten Arbeits einsatz bei einer unserer Partnerorganisationen vermit telt. Sie behält dadurch den Anschluss an den Arbeits markt und erlernt gleichzeitig das Handwerk des kauf männischen Berufes. Know-how, das ihr den geplanten Schritt in die Selbstständigkeit erleichtern kann. Und das zweite Beispiel? Ein Beispiel für eine kreative Lösung ist auch unser Pilot programm «speak and work». Es entstand aus einem Bedürfnis der Caritas und des Schweizerischen Roten Kreuzes. Die beiden Hilfsorganisationen suchten nach Möglichkeiten, Migrantinnen und Migranten zu unter stützen, die zwar schon lange in der Schweiz sind, aber noch nicht gut Deutsch sprechen. Oft besitzen diese Menschen zwar ein Deutsch-Zertifikat – im Arbeitsalltag können sie sich aber trotzdem kaum durchschlagen. Sie stehen damit vor fast unlösbaren Problemen. Wir haben ein Programm geschaffen, in dem Migranten im ersten Einblicke | Nr. 10 | März 2016 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Arbeitsmarkt einen Einsatzplatz erhalten und gleichzei tig Deutsch lernen können. Vier Tage pro Woche sind die Teilnehmenden in einem Unternehmen tätig, am fünften Tag besuchen sie den Kurs «Deutsch für die Ar beitswelt». Bezahlt wird der Einsatz durch die Hilfsorga nisationen. Was unterscheidet den Sprachkurs von ähnlichen Angeboten? Die Lektionen verlaufen zunächst wie herkömmliche Sprachstunden. Die Lehrperson greift ein bestimmtes Thema auf und bearbeitet dieses mit den Teilnehmen den. Herzstück des Kurses aber ist die Behandlung spe zifischer Sprachfragen, die von den Teilnehmenden di rekt aus der Arbeitswelt in den Kurs getragen werden. Manchmal bringt ein Teilnehmer auch eine Notiz in die Klasse, die er nicht versteht. Oder die Arbeitgeber selbst kommen auf uns zu und machen die Kursleitung auf ein sprachliches Problem eines Angestellten aufmerksam. Jedes Anliegen wird aufgenommen und individuell oder in der Gruppe behandelt. Die Kursleitung beantwortet den Teilnehmenden konkrete sprachliche Fragen aus ih rem Arbeitsalltag. Wie kommt dieses Angebot bei der Zielgruppe an? Im Rahmen des Pilotprogramms unterrichten wir 15 Per sonen. Die Teilnehmenden sind hochmotiviert. Wir ver zeichnen kaum Absenzen. Die Gelegenheit, Deutsch be rufsbezogen zu lernen, wollen sich die Teilnehmenden auf keinen Fall entgehen lassen. Das Angebot deckt ein grosses Bedürfnis ab und ist durchaus ausbaufähig. So bald der Erfahrungsbericht vorliegt, wollen wir deshalb weitere zuweisende Stellen angehen und die Kurse als Standardprogramme anbieten. Inwiefern ist Kreativität für Ihre Klienten wichtig? Im Grunde genommen ist sie zentral. Manche Men schen, die zu uns kommen, fühlen sich wie in einer 11 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sackgasse. Aus verschiedenen Gründen ist es ihnen nicht mehr möglich, aus eigenem Antrieb eine kreative Lösung zu suchen. Mit der richtigen Beratung geben wir den Anstoss, diese Hürde zu überwinden und auch mal um die Ecke herum zu denken. Wie leben Sie Ihre eigene Kreativität im Arbeitsalltag? Ich gehe mit offenen Augen durch die Welt: Ideen für meine Arbeit finde ich oft, wenn ich mich mit Interesse etwas ganz anderem zuwende. Zum Beispiel bei der Lektüre eines spannenden Artikels oder beim Lesen ei nes Inserats in der Zeitung. Aber auch ein anregendes Gespräch mit einem Menschen im Tram kann ganz neue Ideen auslösen. Wie stellen Sie sicher, dass Sie diese Ideen auf dem Weg ins Büro nicht wieder vergessen? (Lacht.) Ich schreibe mir selbst eine E-Mail. So ist die Idee gesichert. Es besteht nicht die Gefahr, einen Zettel zu verlieren. Und selbst bei einem Computerabsturz würde die Idee nicht für immer verloren gehen. Im Büro angekommen, erinnert mich die E-Mail in meinem Post eingang an meine Idee. In einem nächsten Schritt neh me ich den Denkanstoss auf, und wir besprechen ihn im Team. Das geht manchmal auch ganz informell zwi schen Tür und Angel oder in der Pause. So entstehen neue, unkonventionelle und oft auch sehr nachhaltige Lösungen, ganz nebenbei. Serena Failla/Helena Jansen Ende Februar hat der Bereich Mensch und Arbeit in Os termundigen an der Bernstrasse 5 neue Räumlichkeiten bezogen: Hier unterstützen rund 40 Fachkräfte Perso nen bei unterschiedlichen Problemen und Fragestellun gen in Bezug auf ihr Berufsleben. Unter anderem ver mittelt Diaconis Stellensuchenden Einsatzplätze im ers ten Arbeitsmarkt und bietet Coachings zu verschiede nen Themen an. Ein besonderes Angebot richtet sich an Migrantinnen und Migranten. Diese können einen Einsatz im Arbeitsmarkt mit einem auf ihre beruflichen Bedürfnisse abgestimmten Sprachkurs kombinieren. Bisher wurden diese Dienstleistungen an verschiedenen Standorten innerhalb der Stadt Bern erbracht. Inés Roethlisberger leitet den Bereich Mensch und Arbeit von Diaconis seit März 2015. Einblicke | Nr. 10 | März 2016 Erfahrungsbericht Pfrn Brigitte Becker Linder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Von der Kreativität im christlichen Glauben Glaube ist in dreierlei Hinsicht kreativ: in den schriftlichen Grundlagen und deren Wirksamkeit zu allen Zeiten – in der Lehre, absichtsvoll formuliert in je historischer Situation und in den unterschiedlichen Formen menschlicher Spiritualität. In der Bergpredigt lesen wir mitten in unsere Zeit hinein: «Selig sind die Gewaltlosen, denn sie werden das Land erben» (Matth.5). Ist das eine Zielformulierung, eine Utopie oder einfach ein treuherzig frommer Wunsch? Kreatives Hören, Denken und Umsetzen sind gefragt. Gewaltlosigkeit 2016? Die Erde als Heimat im umfas sendsten Sinn aller Menschen? Sind Theologie und Han deln aus Glauben kreativ? Kreativ – von lateinisch «crea re» erschaffen – bedeutet: fortwährend erschaffend, neu schaffend. Die Bergpredigt Jesu von Nazareth ist so kreativ, neu und ganz anders. Schon dieser eine Satz zur Gewaltlosigkeit schreit geradezu nach Hinterfragung und Neuschaffung menschlicher Wirklichkeit. Glaube und Theologie sind, in der hier gebotenen Kürze, in dreierlei Hinsicht kreativ: Kreativität in den heiligen Schriften Erstens: Die Schriften der Bibel, vor über 2000 Jahren durch unterschiedlichste geistbewegte, schöpferische Personen aufgeschrieben, sprechen in jede Gegenwart bis heute, berühren immer neu die spirituelle Saite im 12 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Menschen und haben so Auswirkungen. «Heilige Schrif ten sind Schriften in Höchstform, die zeigen, was Schriftliches kann. Sie sammeln in sich die Fülle der Zeit und spenden sie aus an alle Zeiten... nicht nur (gegen wärtiges) Geschehen wird von da nach dort vermittelt, sondern es kommt – in die Welt – das Mögliche und das Unmögliche.» (Safransky, Zeit, 2015, 202/3) Erzähl bar wird, was die Ursprünge betrifft, das Woher, das Wohin. Kreativität in der Lehre Zweitens ist Kreativität im Spiel in der Theologie, der Lehre über Gott und den Glauben an ihn. Im Lauf der Kirchengeschichte begegnet sie uns bis heute in Be kenntnisse und Dogmen gegossen: traditionshütend in Bedrohungszeiten, lehrhaft abgrenzend und allzu oft die Macht der jeweilig herrschenden Partei erzwingend, stets kreativ restaurativ oder progressiv, im Guten wie im Schlechten. Spätestens die Reformation formulierte, wiederum höchst kreativ, jeglicher Erstarrung Einhalt gebietend und das Unverfügbare, Unsichtbare bewah rend, den Anspruch des «semper reformanda», der Not wendigkeit fortwährender Veränderung der Kirche. Kreativität in der Spiritualität Genuin kreativ ist drittens die Spiritualität des einzelnen Menschen, seine Fähigkeit, frei und neugierig Fragen zu stellen über Leben und Tod, mit dem Herzen zu hören und Nächstenliebe zu üben, aufzubrechen und Neues zu wagen. Was brauche ich als Individuum, als Teil der Mitwelt und mitmenschlicher Beziehungsgeflechte, täg lich neu für ein gutes Leben und ein würdiges Sterben? In der Stiftung Diaconis sind wir dabei, uns in den drei genannten Dimensionen zu orientieren, zu positionie ren und zu handeln. Undogmatisch, unvollkommen, aber unterwegs. Kreativ unterwegs durch Zeit und Wandel für die sichtbaren und unsichtbaren Bedürfnisse der uns aufsuchenden Menschen. Einblicke | Nr. 10 | März 2016 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Parkanlagen von Diaconis: Gärten mit Kreativität und Witz Seit knapp einem Jahr kümmern sich Beat Wyder und sein Team um die Gärten von Diaconis. Die Truppe bewirtschaftet die Anlagen mit viel Einsatz und Herzblut – aber auch mit einer grossen Portion Kreativität und Humor. Uralte Baumbestände, prächtige Blumenbeete und lau schige Winkel – die historischen Gärten von Diaconis tragen viel dazu bei, dass sich Bewohnerinnen und Be wohner wohlfühlen. Insgesamt erstrecken sich die Park anlagen der verschiedenen Häuser der Stiftung über 4,5 Hektaren. Für die Pflege der Grünflächen wurden im Frühjahr 2015 eigens fünf Stellen geschaffen: Unter der Leitung von Beat Wyder betreut neu ein fünfköpfiges, professionelles und top motiviertes Team die Gärten. Bis anhin wurden die entsprechenden Arbeiten jeweils ex tern vergeben. Von einer internen Lösung erhofft sich die Stiftung mehr Flexibilität: Die neue Abteilung Diaco nis-Garten sorgt nicht nur für die Bearbeitung der Grün flächen und Beete, sondern übernimmt auch anfallende Garten-Team (von links nach rechts): Bernhard Saurer, Andreas Hofmann, Lisa Moser, Bruno Schenk, Beat Wyder 13 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Reparaturarbeiten an Mauern, Zäunen und Treppen so wie die Schneeräumung. «Unbekannter Künstler» Mit Beat Wyder hat sich Diaconis für einen ausgespro chen kreativen Gärtner entschieden. Neben den gros sen gestalterischen Würfen sind es die kleinen Details, die seine Gärten einladend machen. «Ich gehe mit offe nen Augen durch die Welt», sagt Beat Wyder. «Dabei kommen mir die besten Ideen.» Eine von Unbekannten angebrachte Sprayerei an der Nordseite des Blumen berghauses hat Beat Wyder kurzerhand eingerahmt. Auf dem Schild unter der Sprayerei steht heute: «Black against Grey. Acryl auf Beton. Unbekannter Künstler.» Auch ein einfaches Schild mit der Aufschrift «Privat. Kein Durchgang» hat er aufgepeppt: Die mit alten Nägeln gespickte Holztafel leuchtet nun rot und gelb und hängt an zwei Ketten. «Beides soll ein Blickfang sein für Be wohner, Mitarbeitende und Besucher von Diaconis», sagt Beat Wyder. Erlebnis fürs Auge Eine Welt schaffen, die immer wieder neu erkundet werden kann – das ist eines der Ziele des neuen Garten teams. «Ein gelungener Garten ist ein Erlebnis für das Auge», sagt Beat Wyder, der sich selbst als «Regisseur» der Gärten bezeichnet. Für Bewohner der Stiftung, die sich nur noch beschränkt frei bewegen können, ist diese visuelle Erfahrung besonders wichtig. «Wir haben hier Patienten, die viele Stunden pro Tag im Bett verbrin gen», so Wyder. «Wenn sie das Zimmer dann einmal ver lassen können, sollen sie etwas sehen, das ihnen gut tut.» Farbtupfer setzen Wenn es nach Beat Wyder geht, können die Gärten von Diaconis nicht abwechslungsreich genug sein. Mit farbigen Zäunen, verspielten Formen und künstlerischen Kleinoden sollen sie zu kleinen farbenprächtigen Oasen werden. «Es sind Details, dezent eingesetzt, die den Gärten ihren Reiz verleihen», sagt Wyder. Mit bunten Möbeln will das neue Team Farbtupfer setzen. «Ich stel le mir Tische, Stühle und Bänke vor, die zwar bunt sind, sich aber gleichzeitig so in unsere Pärke einfügen, als würden sie schon immer hier stehen. Bewohner gestalten mit Zur Vielfalt in den Gärten tragen in Zukunft aber auch die Bewohner der Stiftung selbst bei – mit ihren eigenen Kreationen. In einer Rabatte vor dem Haus Belvoir ste cken von den Bewohnern angefertigte bunte Holzfigu ren auf Holzstäben. Gleich neben diesen Rabatten, im Rasen, liegt ein erhöhtes Beet. Es wurde eigens für die Heimbewohner eingerichtet, sodass diese im Sitzen oder Stehen Kräuter pflanzen, pflegen und riechen kön nen. «Wissen Sie, warum die Menschen die Stadt Bern so schön finden?», fragt Wyder und gibt die Antwort gleich selbst: «Weil sie nicht uniform ist.» Dasselbe wünscht er sich von einem Garten. Er soll vielfältig sein und bunt. Eben genauso wie die Anlagen von Diaconis. Einblicke | Nr. 10 | März 2016 Rundschau *Am 5. November 2016 wird die Stiftung Diaconis zu einem «Tag der offenen Tür» einladen. Dieser ersetzt in Zukunft den Basar. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kreativität kann vielfältigsten Ausdruck finden... ... wenn geschickte Hände die im Kopf geborenen Ideen umsetzen. Einen Augenschein dieser Vielfalt konnte erhaschen, wer am 7. November 2015 den letzten Basar* der Schwestern von Diaconis besuchte. Da fand man nebst unzähligen gestrickten Pullovern, Socken und Finklein für die Allerkleinsten auch liebevoll neu eingekleidete Sascha-Puppen (aus dem Nachlass einer Schwester), prächtige Patchworkarbeiten, aus Kunstkarten gefertigte Schachteln und Schächtelchen, aber ebenso Köstlichkeiten für den Gaumen: diverse Konfitüren (wunderschön kalligrafisch beschriftet), ge dörrte Apfelschnitze, Nidletäfeli, ganz zu schweigen von all den gebackenen Köstlichkeiten! Dass man aus vielem, an dem die meisten von uns acht los vorbeigehen, etwas Wunderschönes kreieren kann, davon zeugten die verschiedensten Kränzlein aus Natur materialien oder die farbig gestalteten Karten für jede Gelegenheit. Diese Aufzählung ist in keiner Weise vollständig, sie will nur aufzeigen, wie unterschiedlich sich Kreativität prä sentieren und wie viel Freude sie machen kann: dem jenigen, der etwas kreiert, oder derjenigen, die das Pro dukt geniesst. Der Genuss kann auch ein flüchtiger sein, beim Hören ei nes Musikstücks oder eines Textes: Zum Schreiben von 14 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Noten oder Worten braucht es genauso Kreativität wie bei deren Umsetzung in klingende Musik, hörbare Wor te. Der Genuss ist flüchtig, die Wirkung kann aber eben so nachhaltig und freudespendend sein wie ein Gemälde oder ein originell zusammengestellter Blumenstrauss! Der Kreativität sind (fast) keine Grenzen gesetzt, das zei gen auch die Bilder des Diaconis-Basars auf schöne und eindrückliche Weise. Dorothea Marti-Henny Leiterin Schwesterngemeinschaft Gut umsorgt Der Bereich Wohnen – Pflege ist eines der drei Standbeine der Stiftung Diaconis. Als Institution mit total 165 Betten in der Langzeitpflege bieten wir Menschen in Lebens übergängen die Möglichkeit, bei uns wohlumsorgt zu le ben. Sie können im Jugendstilhaus in der Villa Sarepta nicht nur wohnen, sondern auch zahlreiche Dienstleis tungen beanspruchen. Bei Pflegebedürftigkeit können die Mieter/innen nach Wunsch in eines unserer drei Häu ser ein- oder übertreten. Hier sind wir für stärker pflege bedürftige Menschen eingerichtet, und in einer palliati ven Situation ist die Abteilung der Palliative Care nicht weit weg. Auch das Salem-Spital befindet sich in unmit telbarer Nähe. Diese Standortvorteile unterscheiden Dia conis von anderen Anbietern auf dem Markt – nicht zu vergessen natürlich die zentrale Lage mit wunderbarer Aussicht auf die Alpen und die Altstadt mit der Aare. Weshalb kommen Menschen zu uns? Oftmals sind es Sozialdienste von Spitälern oder Reha-Kliniken, die sich an uns wenden. Sie suchen übergangsweise oder defini tiv für jemanden einen Aufenthaltsort. Es sind aber auch Angehörige, die sich für eine Weile entlasten möchten und für ihre Verwandten ein Ferienbett suchen. Men schen kommen zu uns in einer sich verändernden Phase ihres Lebens, die sich vor allem dadurch kennzeichnet, dass die Gesundheit nachlässt und Pflege notwendig ist. Das Durchschnittsalter bei einem Heimeintritt und da mit auch die Pflegebedürftigkeit haben in den letzten Jahren deutlich zugenommen. Ein Phänomen, das in al len Institutionen der Pflege zu beobachten ist. Wer könnte es alten Menschen verübeln: Die meisten wollen so lange wie möglich zu Hause wohnen bleiben. Nebst der Abklärung, was in pflegerischer Hinsicht gewährleis tet sein muss, übernimmt das Team der Bewohnerauf nahme/Beratung finanzielle Abklärungen, damit einem Heimeintritt nichts mehr im Wege steht. Angehörige werden auf Wunsch beraten oder an andere Beratungs stellen weitergeleitet, ganz im Sinne von Diaconis und dem Credo: Wir begleiten Menschen. Regula-Sibylle Schweizer Leiterin Bewohnermanagement Einblicke | Nr. 10 | März 2016 Rückblick Unsere kleinen Patienten «Unsere lieben kleinen Patienten machen uns Schwestern nicht nur viel Arbeit, müde Füsse oder oft auch zappelige Nerven; o nein, sie machen uns mit ihren oft so drolligen Aussprüchen, mit ihrer oft mit grosser Geduld ertragenen Krankheit auch viel Freude. Wie oft hat uns auch ein stiller, kleiner Dulder oder (eine) Dulderin schon eine rechte Predigt gehalten. Und wie freuen wir uns Schwestern, wenn wir helfen dürfen, ein krankes Kind gesund zu pflegen. – Darf dieses nicht sein, so ist es uns eine heilige Pflicht, mitzutragen, mitzuleiden...» Quelle: Archiv Diaconis, ca. 1950, «Was unsere lieben, kleinen Patienten jahraus und -ein Lustiges zu fragen, zu sagen und zu erzählen wissen» von Schwester E.L, 2. Auflage. 15 Einblicke | Nr. 10 | März 2016 Persönlich Antoinette Niggli arbeitet seit über zehn Jahren als Musiktherapeutin SFMT und psychosoziale Beraterin bei Diaconis Palliative Care. Für Personen in schwierigen Situationen hat sie ein gutes Gespür: «Begegne ich einem Menschen, so sehe ich einen Reisenden auf seinem Weg.» . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wenn ich über Diaconis nachdenke, erinnere ich mich daran, wie ich mit meiner Mutter als kleines Mädchen im Bus von Ostermundigen unterwegs in die Stadt war. Bei der Station Schönburg stiegen oft Diakonissen ein. Ich musste dann von meinem Platz auf den Schoss mei ner Mutter rutschen, damit sich die Frau im schwarzen Cape und der weissen Haube auf den frei gewordenen Platz setzen konnte. Meistens lächelte die Diakonisse mich freundlich und anerkennend an, und ich vergrub mein Gesicht peinlich berührt im Mantel meiner Mutter. Während meiner Ausbildung zur Krankenschwester für Kinder-Wöchnerinnen und Säuglingspflege (KWS) Ende der 70er-Jahre absolvierte ich während neun Monaten ein Praktikum bei den Wöchnerinnen im Salem-Spital. Ich arbeitete im Säuglingszimmer und im Geburtssaal. Wir Schülerinnen durften Hauben tragen, wie die richti gen Krankenschwestern. Darauf war ich besonders stolz. Im Salem-Spital kam ich das erste Mal ganz nah mit dem Tod in Berührung. Ein totgeborenes Kindchen wurde mir nach der Geburt durch Kaiserschnitt in die Obhut gegeben. Ich erinnere mich, wie ich es, tief be rührt mit Tränen in den Augen, wusch und kleidete. Ich hielt es eine Weile weinend im Arm und summte ihm lei se ein Wiegenlied. Dann brachte es die Hebamme den sehr traurigen Eltern, damit diese Abschied nehmen konnten. Als Musiktherapeutin versuche ich, in einem ersten Ge spräch mit dem Patienten herauszufinden, was ihm im Moment gerade wichtig ist und was ihm gut tun könn te. Auf meinem Musiktherapiewagen befindet sich ein 16 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Angebot von Musikinstrumenten, wie: Klangschalen, Zupf- und Saiteninstrumente, Trommeln, Flöten, Ras seln. Ich habe aber auch eine Riesensammlung Musik auf meinem iPod aus den Sparten Volksmusik, Jazz, Klassik, Schlager oder Rock und Pop. Ich erinnere mich, wie ein Patient sich bis zu seinem Todestag, jedes Mal, wenn ich zu ihm kam, laute Rockmusik aus den 60erund 70er-Jahren wünschte. Die Musik war für ihn ein Vehikel, das ihm half zu reden und seine Gefühle auszu drücken. Nach dem Erzählen und Zurückschauen auf sein Leben fühlte sich der Patient erleichtert und ent spannt. Andere Patienten wollen selbst Musik machen, zum Beispiel trommeln. Sie können damit ihr Bedürfnis nach Bewegung stillen, Gefühle von Wut und Hilflosig keit ausdrücken oder Energie tanken. Patienten, die sich schon sehr schwach fühlen oder unter Schmerzen lei den, tauchen gerne in tiefe Entspannung ein mit Klän gen und Schwingungen, die ich für sie spiele: zum Bei spiel mit Klangschalen oder mit der Körpertambura, ei nem obertonreich klingenden Saiteninstrument. Das Wichtigste in meiner Arbeit als Musiktherapeutin und psychosoziale Beraterin ist es, herauszufinden, was dem Sterbenden und seinen Angehörigen anzuspre chen und zu ertragen möglich ist und was nicht. Le benslang eingeübtes Vermeidungs- und Schutzverhal ten auf dieser letzten Wegstrecke zu verändern, ist fast immer eine Überforderung für alle Beteiligten. Wirkliche Veränderungen sind nur möglich, wenn ich anerkenne und gelten lasse, was tatsächlich ist. Existen tielle Veränderung bedeutet ja gerade, das zuzulassen, was vielleicht nie oder nur selten zugelassen wurde: nämlich die zu sein, welche ich in diesem Augenblick, in dieser Situation, in dieser Begegnung, vor diesem Le benshintergrund bin. Auftanken und regenerieren kann ich am besten zu Hause am Thunersee und in den Bergen. Ich mag regel mässige Spaziergänge bei jedem Wetter, zusammen mit meinem Mann zur nahe gelegenen «Blueme» – einem Aussichtsturm auf 1400 Metern über Meer – und Gar tenarbeit. Auch sich beim Kochen von Gerüchen, Far ben und Geschmäcken verzaubern zu lassen, ist Erho lung pur. Nicht zu vergessen sind die Ferientage in der Bretagne, im Finistère – auf Bretonisch «das Ende der Welt» – in der Heimat meiner verstorbenen Mutter. Ich schliesse mit den Worten von Victor Hugo: «Musik drückt das aus, was nicht gesagt werden kann und worüber zu schweigen unmöglich ist.» Antoinette Niggli Musiktherapeutin SFMT und psychosoziale Beraterin Einblicke | Nr. 10 | März 2016 Seitenblick «Dialog führen – damit wir uns nicht nur um uns selbst drehen» David Leutwyler ist Geschäftsführer im Haus der Religionen. Im «Seitenblick» denkt er nach über kulturelle Vielfalt und Wertewandel. Er beschreibt, was wir von anderen Kulturen über uns lernen können und was es für den Dialog zwischen den Religionen braucht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Erde dreht sich um ihre eigene Achse. Sie dreht im mer schneller, sagen wir manchmal. Gemeint ist dann oft die rasende technologische Entwicklung. Das Inter net hat die Welt total verändert. Im Liveticker wird von den Brennpunkten dieser Erde berichtet, in den sozialen Medien finden wir Freunde auf der ganzen Welt. Auch unsere Gesellschaft hat sich in den letzten Jahrzehnten stark verändert: In den Städten Europas leben Angehöri ge verschiedenster Religionen. In vielen Schulklassen auf städtischem Gebiet ist die kulturelle Vielfalt der Schülerinnen und Schüler eine Selbstverständlichkeit. In Bern ist in den letzten fünfzehn Jahren das Haus der Religionen entstanden. Unter einem Dach leben und beten Aleviten, Buddhisten, Christen, Muslime und Hin dus in einem eigenen Sakralraum. Dazwischen liegt der «Dialogbereich», in dem sich auch Juden, Sikhs und Bahai zu Hause fühlen. Auch weniger greifbare Dinge haben sich verändert. Die gesellschaftlichen Normen sind nicht dieselben wie vor zwanzig oder dreissig Jahren. Es ist unwahrscheinlicher als früher, dass junge Menschen den erlernten Beruf bis zur Pensionierung beibehalten. Offen ist auch, ob der «Bund fürs Leben» tatsächlich so lange hält, und es ist nicht in Stein gemeisselt, dass wir der Religion, in die wir hineingeboren wurden, zugehörig bleiben. Hingegen besteht bei uns der breite Konsens, dass sich Beruf, Part nerschaft und Weltanschauung verändern können und dass wir als Individuen dafür selbst verantwortlich sind. 17 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Daraus ergeben sich ein Gewinn an individueller Freiheit und eine grosse Selbstverantwortung. Das Verschwin den von Traditionen führt aber auch dazu, dass sich alles um uns selbst dreht: Wer bin ich? Was glaube ich? Wo gehöre ich dazu? Welchen Platz die Religionen in unserer Gesellschaft zu künftig haben werden, ist offen. Der interreligiöse Dia log ist eine Möglichkeit, die eigene religiöse oder kultu relle Identität zu entwickeln und zu vertiefen. Beim Ken nenlernen der hinduistischen Kosmologie, des buddhis tischen Menschenbilds oder der islamischen Gebetszei ten lerne ich nicht nur etwas über «fremde Welten» und über die Weltbilder von Bernerinnen und Bernern, deren Wurzeln in anderen Teilen der Welt liegen. Genauso sehr lerne ich mich und meine religiöse und kulturelle Verankerung (neu) kennen, weil ich gefragt werde: «Wie ist das denn bei dir?» Oder weil ich mich selber fra ge: «Wie ist das denn bei mir oder bei uns?» Jeder Dialog braucht Menschen und Gruppen, die bereit dazu sind. Im interreligiösen Dialog braucht es diejeni gen, die neugierig sind und Fragen stellen. Es braucht aber auch diejenigen, die ihre Religion kennen, darin le ben und davon berichten können. Die Stiftung Diaconis kann ein solcher Dialogpartner sein. Als christliche Insti tution mit aktiven Gemeinschaften und einem breiten diakonischen Angebot wird der «Dienst am Nächsten» sehr konkret gelebt und gibt so einen ganz praktischen Eindruck davon, was «Christentum» ist. Beim Besuch der Stiftung Diaconis im Haus der Religio nen wurden zu Beginn des Jahres erste Kontakte ge knüpft, so dass wir schon bald unter Hindus, Muslimen, Christen und anderen Gemeinschaften über die Bedeu tung der diakonischen Arbeit in der jeweiligen Religion austauschen und einen interreligiösen Dialog führen können – damit wir uns nicht nur ums Selbst, sondern um uns alle drehen. David Leutwyler Geschäftsführer Haus der Religionen Einblicke | Nr. 10 | März 2016 Ausblick Diaconis-Kurse und -Veranstaltungen bis Herbst 2016 Einführungsabend Dienstag, 29. März 19.30–20.30 Uhr Für Teilnehmende, die zum ersten Mal dabei sind Exerzitien im Alltag über 6 Wochen, zwischen Ostern und Pfingsten Gruppenabende:19.30–21.00 Uhr Montag, 4., 11., 18., 25. April, 2., 9. Mai Vertiefter beten und glauben lernen durch Einführung in christliche Meditation und Stille, tägliches Üben zuhause, Begleitgespräche. Leitung: Sr. Lydia Schranz, Diaconis-Schwestern; Ruth Schöni-Sigrist, Utzenstorf; Vreni Amweg, StadtCommunität Don Camillo, Bern alle: Ausbildung in Exerzitienleitung Montag, 4. April bis Freitag, 15. April Vintage Kafi (Flohmarkt) im Bistro Aareblick, Wohnen – Pflege Altenberg Öffnungszeiten: Montag–Freitag: 8.45–16.30 Uhr Samstag/Sonntag: 11.45–16.30 Uhr Die Einnahmen fliessen in Projekte von Diaconis. Montag/Dienstag, 15./16. August 2 Tages-Pilgerwanderung von Lausanne Richtung Genf Unser Pilgern auf dem Jakobsweg führt am 1. Tag von Lausanne nach Morges (13 km) und am 2. Tag weiter nach Rolle (16 km). Wir gehen mit leichtem Gepäck, machen Zwischenhalte mit geistlichen Impulsen. Es gibt Wegabschnitte im «Reden» und andere im «Schweigen». Übernachtung: im Hotel in Morges Leitung: Walter Wilhelm, Pilgerbegleiter EJW, Basel; Sr. Lydia Schranz Samstag, 17. September Pilgertag von Rolle nach Nyon Wir pilgern weiter auf dem Jakobsweg, von Rolle nach Nyon (16 km); Zwischenhalte mit geistlichen Impulsen. Leitung: Walter Wilhelm, Pilgerbegleiter EJW, Basel; Sr. Lydia Schranz 1-mal pro Monat Montag- oder Freitagabend 19.30–20.45 Uhr Meditationsabend (Flyer liegen im Mutterhaus und in der Kirche auf) Als Fortsetzung für Personen, die an den Exerzitien im Alltag teilgenommen haben und weiter in einer Gruppe dranbleiben möchten. Leitung: Sr. Lydia Schranz oder Vreni Amweg, StadtCommunität Don Camillo Bern Auf Anfrage Persönliche geistliche Begleitung Wenden Sie sich direkt an Sr. Lydia Schranz, Diakonisse Ausbildung in Exerzitienleitung und Geistlicher Begleitung T 079 247 77 51, [email protected] Gottesdienste, Tagzeitengebete Nähere Angaben unter www.diaconis.ch. Die Angaben können auch über T 031 337 77 00 angefordert werden. Weitere Informationen finden Sie auf www.diaconis.ch 18 Einblicke | Nr. 10 | März 2016 Spenden Mit einem Beitrag Ihrer Wahl unterstützen Sie Diaconis bei besonderen Anschaffungen oder für spezielle Projekte wie zum Beispiel bauliche Massnahmen zum Wohle unserer Bewohnerinnen und Bewohner (Spendenkonto: PC 30-1777-0). Feedback, Anregungen Wir freuen uns über Ihr Feedback. Ihre Hinweise und Anregungen helfen uns, das Magazin Einblicke noch mehr auf Ihre Bedürfnisse abzustimmen und zu optimieren. Auch für Themenvorschläge sind wir offen. Vielen Dank für Ihre wertvolle Rückmeldung an Stiftung Diaconis, Kommunikation, Schänzlistrasse 43, 3013 Bern T 031 337 77 33, [email protected] Wir begleiten Menschen Villa Sarepta – Alterswohnen mit Stil Impressum Herausgeberin Stiftung Diaconis, Schänzlistrasse 43, 3013 Bern [email protected] www.diaconis.ch _ Redaktionsteam Anja Zani (Leitung), Brigitte Becker Linder, Doris Stopper, Zoebeli Communications _ Fotos Pia Neuenschwander (Seiten 1, 4, 6, 8, 12) Diaconis-Archiv (Seite 15) Zur Verfügung gestellt (Seiten 3, 5, 6, 7, 10, 12, 13, 14, 16, 17) An schönster Lage, mit Blick auf Park, Aare und Berner Altstadt, wohnen Sie in einer Jugendstilvilla in unmittelbarer Nähe von Bus, Einkauf und Apotheke. Hier finden Sie ein vielseitiges Freizeit- und Kulturprogramm sowie Dienstleistungen, Betreuung und Pflege entsprechend Ihren individuellen Bedürfnissen. Aktuell zu vermieten: > einzigartige 2-Zimmerwohnung mit zwei Terrassen > sonnige 2-Zimmer-Dachwohnung mit Blick auf die Berneralpen Melden Sie sich für eine unverbindliche Besichtigung. _ Layout und Druck Druckerei Jakob AG, Grosshöchstetten _ Auflage 5’000 Exemplare _ Einblicke erscheint zweimal jährlich Stiftung Diaconis Wohnen – Pflege Schänzlistrasse 15, 3013 Bern T 031 337 72 06, F 031 337 72 54 [email protected], www.diaconis.ch Männliche Bezeichnungen gelten auch für Frauen Weibliche Bezeichnungen gelten auch für Männer Dieses Produkt wird auf umweltschonendem Papier gedruckt 19 Einblicke | Nr. 10 | März 2016 Wir begleiten Menschen Stiftung Diaconis Schänzlistrasse 43, 3013 Bern T 031 337 77 00, F 031 337 77 63 [email protected], www.diaconis.ch PC 30-1777-0 Diese Nummer konnte durch die Unterstützung folgender Firmen realisiert werden: Tremag AG Versicherungsmakler
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