09.02.2100 - 27316 - STAND 11-2011 Gefährlicher Geiz Immer häufiger verzichtet die öffentliche Hand auf die Seitenmarkierung von Landstraßen. Das ist lebensgefährlich: Autofahrern fehlt die Orientierung, und moderne Spurhalte-Assistenten sind ohne Seitenlinien nutzlos D ie Landstraße ist an dieser Stelle überhaupt nicht kurvig. Trotzdem verliert die 19-jährige Autofahrerin in der Nähe des Ammersees plötzlich die Kontrolle über ihren Kleinwagen. Nahezu ungebremst schießt das Auto quer über die Fahrbahn, schlittert auf der linken Seite eine Böschung hinauf, kracht gegen einen Baum. Zum Glück sind Feuerwehr und Rettungshubschrauber rasch zur Stelle, die junge Frau überlebt schwer verletzt. Schnell ist der Unfallhergang ermittelt: Die Fahranfängerin war auf die rechte Bankette geraten, hatte im Schreck das Steuer nach links verrissen. Das Auto denkt mit So arbeitet der Spurhalte-Assistent: Eine kleine Kamera hat ständig die Straßenmarkierungen im Blick. Beim unbeabsichtigten Überfahren der Leitlinien (ohne Blinker) warnt das System den Fahrer akustisch oder durch Lenkradvibration. Außerdem können viele Systeme den falschen Kurs sanft korrigieren. Bislang teuren Autos vorbehalten, ist der Assistent inzwischen in vielen Modellen der Mittelklasse und unteren Mittelklasse zu haben 50 „Unfälle dieser Art registrieren wir leider tagtäglich“, sagt ADAC Sicherheitsexperte Thomas Unger. Amtlich dokumentiert in der Unfallstatistik: Mehr als jeder dritte Crash außerhalb geschlossener Ortschaften passiert, weil ein Auto von der Fahrbahn abkommt. Gut 25 000 Unfälle mit 800 Verkehrstoten waren das bundesweit im Vorjahr. Die ADAC Unfallforschung hat zudem herausgefunden: Bei 30 Prozent dieser Unfälle waren die Fahrer zuvor auf den unbefestigten Seitenstreifen geraten. Oft aus banalem Grund: fehlende Aufmerksamkeit oder Ablenkung. „Und dann sparen die Straßenbauer ausgerechnet an der Farbe für Seitenmarkierungen“, klagt ADAC Ingenieur Hubert Paulus bei einer Sichtungsfahrt durchs bayerische Voralpenland. Seine Beobachtung: Immer häufiger knausern die Behörden auf Kosten der Sicherheit. Paulus stoppt an einer gut ausgebauten Landstraße. LL 115, eine Verbindung zwischen den Ortschaften Rott und Reichling, gerade erst aufwendig saniert, verbreitert und feierlich wiedereröffnet. Eine gestrichelte Mittellinie ist vorhanden, doch weiße Seitenmarkierungen? Fehlanzeige. Es ist nicht die einzige erneuerte Straße dieser unvollkommenen Art. Der kleine Landausflug führt über weitere streifenlose Strecken, aber auch über arg ramponierten Altbestand, dessen ehemalige Seitenmarkierungen längst durch Reifen, Wetter oder schlichten Asphaltschwund vernichtet wurden. Wir blättern nach in der bundesweit gül tigen „Richtlinie für die Markierung von Straßen“. Fahrbahnränder seien außerorts „in der Regel“ zu markieren, heißt es da. Ausnahmen nur bei „Straßen mit untergeord neter Verkehrsbedeutung“, wenn die Breite weniger als fünf Meter beträgt und „der Zustand der Fahrbahnränder zu schlecht ist“. Also muss eine frisch sanierte, über fünf Meter breite Landstraße wie die LL 115 doch Randlinien haben? Im Landratsamt windet man sich: „Das ist eine Kreisstraße und keine Staatsstraße.“ Und: „Wie auch andere Landkreise sehen wir bislang keine Notwendigkeit, auf Kreisstraßen mehr als eine Mittelmarkierung aufzubringen.“ Das beauftragte Baubüro ist da schon offener: „Die Markierungsricht linie ist eben nur eine Richtlinie und keine Vorschrift“, erläutert der Architekt die Sichtweise der Behörde. „Und natürlich geht es auch um Kosten.“ Um erstaunlich geringe jedoch, wie Nachfragen im Markierungsgewerbe ergeben: 20 bis 25 Cent je laufenden Meter kostet im Schnitt der Strich auf > Illustration: Martin Stallmann Verkehrssicherheit 12/2011 ADAC Motorwelt 09.02.2100 - 27316 - STAND 11-2011 Viel sicherer: Landstraße mit Seitenmarkierung. Der Streckenverlauf ist gut erkennbar, auch bei Nacht und Nässe einer Seite. Anders ausgedrückt: Die Sicherheit der Autofahrer ist den Straßenbauern in vielen Fällen nicht einmal 500 Euro je Straßenkilometer wert. Die Ämter ignorieren wissentlich, wie wichtig eine gute Markierung für Autofahrer ist, sagen ADAC Experten. Jeder Verkehrsteilnehmer weiß es aus Erfahrung: Vor allem nachts, bei Regen und bei Nebel sorgen die weißen Linien für Orientierung und sichere Blickführung. Doch es gibt noch einen ganz anderen Grund, weshalb Seitenlinien unverzichtbar sind: Moderne Assistenzsys teme im Auto versagen ihren Dienst, wenn Markierungen fehlen. Ein Problem teurer Premiumautos? Keineswegs: Mit Ford Focus, Opel Astra, Mercedes B-Klasse, BMW 1er oder Citroën C4 ist der elektronische Spurhalte-As52 Text: Claus Christoph Eicher c Video und Liste der lieferbaren Neuwagen mit Spurhalte-Assistent: www.adac.de/spurassistent Fotos: Ralph Wagner Gefährlich: Landstraße ohne Seitenmarkierung. Die Orientierung fällt schwer, Spurhalte-Assistenten sind wirkungslos sistent inzwischen in der unteren Mittelklasse angekommen und bei Neuwagen für rund 500 Euro zu haben. Nicht mehr lange, und er wird wie ABS oder ESP zur Standardausrüstung von Autos gehören. Ein sehr sinnvolles Zubehör, wie die Ausfahrt im neuen Ford Focus zeigt. Zunächst eine Landstraße mit intakter Mittelund Seitenmarkierung. Wir lenken den Wagen bewusst in Richtung Straßengraben. Rechtzeitig, bevor die rechten Räder in die Bankette abrutschen, rüttelt das vibrierende Lenkrad den Fahrer auf. Zusätzlich dirigiert die Lenkung, wenn entsprechend aktiviert, das Auto mit sachtem Nachdruck wieder in die sichere Spur zurück. Genauso beim ungewollten Überfahren der Mitteltrennung. Das vermittelt ein gutes und sicheres Gefühl, weil die Ein griffe nicht bevormundend, sondern sehr diskret passieren und die Befehlsgewalt jederzeit beim Fahrer bleibt. Das Ganze funktioniert durch ein „drittes Auge“ des Fahrers: eine Kamera, die die Straßenmarkierungen ständig im Blick hat. Logisch also, dass der Spurassistent nichts unternimmt, als wir den Fahrfehler auf einer Landstraße ohne Seitenmarkierung wiederholen. Und bei Straßen mit verblasster oder lückenhafter Markierung arbeitet der Assistent auch nur lückenhaft. Die Lücken sind groß, das Problembewusstsein der Ämter dagegen gering: Selbst bestehende Markierungen seien zu mehr als 85 Prozent schadhaft, schlecht reflektierend oder bei Nacht und Nässe unsichtbar, rügte soeben der Landesrechnungshof Schleswig-Holstein in seinem Bericht 2011. Für den ADAC ist die Sache klar: Markierungen gehören auf jede Straße. Das muss durch eine unmissverständliche Vorschrift klar geregelt werden. Wenn die öffentliche Hand sparen will, dann muss sie erst recht in mehr Sicherheit investieren. Verkehrsunfälle belasten die deutsche Volkswirtschaft jährlich mit Kosten von mehr als 30 Milliarden Euro, für die wir alle gemeinsam aufkommen. Zur Erinnerung: Ein Meter Seitenstreifen kostet 25 Cent. Dieser QR-Code navigiert Ihr Smartphone direkt zu einem Film über Spurhalte-Assistenten 12/2011 ADAC Motorwelt Randlinien: Erster Erfolg des ADAC Landkreis Landsberg/Lech beschließt Nachrüstung fehlender Markierungen Amerika auf Sparkurs Hybrid- und E-Autos: Die Detroit Autoshow weist in die Zukunft Auch wenn neue US-Modelle nur selten über den großen Teich auf den deutschen Markt kommen, waren auf der Autoshow in Detroit einige interessante Neuheiten für die Alte Welt zu sehen, darunter auch Elektro- und Hybrid autos. VW überraschte mit einem Elektro-Beetle als Studie und einem Jetta mit Benzin-Hybrid (5,2 Liter Super/100 km), Mercedes mit einer Hybrid-E-Klasse, die mit 4,2 Liter Diesel auskommen soll. Blickfang: der neue SL, der 140 Kilo leichter als sein Vorgänger ist, und das Porsche 911 Cabrio. Nur als Fingerübung der Designer gilt ein Smart Pickup, auf dessen Ladefläche zwei Fahrräder passen. Dagegen sehr real: der neue Ford Mondeo, der 2013 zu uns kommt. c Liste der lieferbaren Neuwagen mit Spur- halte-Assistent: www.adac.de/spurassistent Unsicher: Straße ohne Randmarkierung Die Presseabteilung des Landratsamt Landsberg am Lech steht für Fragen anderer Kommunen gerne zur Verfügung. Berliner Avus wird 90 Jahre Rettungskarte in immer mehr Pkw 112: Ein Notruf für ganz Europa Sie war eine der ersten Autobahnen der Welt und bis 1998 eine Rennstrecke: Die Berliner Automobil-Verkehrsund Übungsstraße, kurz Avus, feiert 90. Geburtstag. Mit ihrer Steilkurve wurde sie 1937 zu einem Rundkurs, auf dem Spitzengeschwindig keiten von bis zu 400 km/h möglich waren. Die Zuschauer kamen in Scharen: Bei der Wiedereröffnung 1951 waren es rund 350 000. Heute ist die 8,7 Kilometer lange Strecke durch den Grunewald ein Teilstück der A 115. Sie hilft Rettungskräften, Unfallopfer schneller aus den Autos zu befreien: Die Rettungskarte. Das Datenblatt mit wichtigen Fahrzeuginfos findet immer mehr Unterstützer: Ab sofort gibt es in BoschServicebetrieben und beim TÜV Süd eine Info-Broschüre und einen kostenlosen Rettungskarten-Aufkleber vom ADAC. Die Leasinggesellschaft Arval rüstet alle Fahrzeuge mit dem Datenblatt aus. Wer innerhalb der Europäischen Union unterwegs ist und schnelle Hilfe von Polizei, Feuerwehr oder Sanitätern benötigt, sollte immer die 112 wählen. Diese Notrufnummer gilt in allen 27 EU-Staaten und ist vom Festnetz und Mobiltelefon kostenlos zu erreichen. Um die lebensrettende Nummer bekannter zu machen, hat die EU außerdem den 11. Februar zum „Europäischen Tag der 112“ erklärt. 16 Formel 1-Lauf auf der Avus am 2. August 1959 Platz an der Sonnenblende: Hier erwartet Helfer die Rettungskarte c Rettungskarten für Ihr Pkw-Modell finden Sie unter www.rettungskarte.de c Weitere Infos unter www. bevoelkerungsschutz-portal.de 2/2012 ADAC Motorwelt Fotos: Ralph Wagner, dpa Picture-Alliance, Simon Katzer Die Automesse in Detroit trumpft mit interessanten Neuheiten auf. Im Bild der Smart For Us (o. l.), Mercedes SL (o. r.) und der Ford Mondeo (l.) Landstraßen ohne Seitenmarkierungen: In der Dezember-Motorwelt kritisierte der ADAC diesen gravierenden Sicherheitsmangel an vielen Strecken im ländlichen Raum. Randstreifenlose Fahrbahnen sind gefährlich und machen zudem das Eingreifen von SpurhalteAssistenten unmöglich, die inzwischen für viele Mittelklasse-Autos zu haben sind. Schnell reagierte der Landkreis Landsberg/Lech: Er teilte mit, binnen drei Jahren alle Straßen nachrüsten zu wollen, die bislang keine Seitenmar kierung haben – in der Summe 150 Kilometer. Der Club hofft, dass viele Kommunen und Kreise dem Beispiel folgen.
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