Peter Morsbach Dankadresse anlässlich der Verleihung des Deutschen Preises für Denkmalschutz 2015 in Regensburg am 2. November 2015 Sehr verehrter Frau Bürgermeisterin, sehr geehrte Herren Staatsminister Ulbig und Dr. Spaenle, um mit Heinrich Heine zu sprechen: hochwohlweises, löbliches Nationalkomitee, liebe Gepreiste, oder soll ich sagen: Gepriesene? meine sehr geehrten Damen und Herren, zwölf Personen und Institutionen – somit gleich der Zahl der Apostel – haben am heutigen Nachmittag in einer schönen Feier den Deutschen Preis für Denkmalschutz 2015 entgegengenommen, sozusagen das Bundesverdienstkreuz für Denkmalschutz. Das erfüllt uns nicht nur mit Freude und Stolz, sondern auch mit einer gewissen Befriedigung, mit Befriedigung darüber, dass unsere Leistungen auf solch hoher Ebene gewürdigt und deutschlandweit zur Kenntnis genommen werden. Der Stolz ist nicht mit Eitelkeit zu verwechseln, denn Eitelkeit haben wir längst verlernt, gelernt haben wir Demut im gemeinsamen Ringen um das Schwere – nämlich um die Bewahrung baulicher Identität, um die Rettung der wenigen Reste historischer Baukultur, die noch zu retten sind, um die Rettung des einen oder anderen jener paar hunderttausend Baudenkmäler in unserem Lande, die nicht einmal mehr zwei Prozent des bundesrepublikanischen Gebäudebestandes ausmachen, um die Rettung des einen oder anderen dieser renitenten Bauwerke, die sich bislang der Vereinnahmung durch die grenzenlose Banalität unserer Alltagsarchitektur entziehen – und wir alle wissen um die bezwingende, die normative Kraft des Banalen –, um die Rettung eines jener Bauwerke, die sich hartnäckig der DIN verweigern, die sich – unsozial wie sie nun einmal sind – ebenso gegen die völlige Barrierefreiheit wehren wie auch gegen den allmächtigen Brandschutz stemmen, Bauwerke, die eben keine Energiesparhäuser sind sein können, Bauwerke, die dauernd nach Pflege rufen. Danke, dass Sie uns mit diesem Preis in unserem Ringen unterstützen. 1 Wir könnten es uns viel leichter machen, könnten jetzt in unserem Nullenergiehaus sitzen, durch Fenster, die man vielleicht nicht mehr öffnen kann, in den Garten schauen – unbelästigt vom Geschrei der Vögel, vom Duft der Blumen und Bäume im Frühling – könnten, die Hände vor dem Bauch gefaltet, hinüberblicken auf die andere Straßenseite, wo unter einer dicken Dämmschicht, die mehr und mehr ein Biotop für Algen und für Spechte wird, die entdeckt haben, dass Höhlen hier viel schneller zu bauen sind als in Bäumen, wo unter dieser Dämmschicht ein Wandmosaik der 1950er Jahre angeblich konserviert wird oder das Fachwerk vor sich hinmodert, könnten auf Nachbars nagelneue Tür aus dem Baumarkt blicken, die endlich diese alte geschnitzte Tür mit nachgemachtem Maßwerk ersetzt hat, könnten uns zufrieden nickend erfreuen an den sauberen Einglasscheiben mit den weißen Rahmen beim Nachbarn, die man nicht mehr streichen muss und würden wohlgefällig auf die Photovoltaikanlage auf dem alten Stadel schauen, mit der der Eigentümer Geld verdient, die aber kein Feuermann im Brandfall ebenso wenig löschen wird wie brennendes Styropor. Wir hingegen tun so, als wären schiefe Bretterböden etwas Erstrebenswertes, Stuckleisten, die man dauernd abstauben muss, Türen mit Spiralbeschlägen, die nicht richtig schließen, knarzende Treppenstufen, Kastenfenster, die man alle paar Jahre streichen muss und die nie ganz dicht sind, sodass es nicht mal schimmelt bei uns, Wanddekorationen, in die wir keine Baumarktregale dübeln dürfen – und wofür? Dafür, dass wir uns wohlfühlen? Dafür, dass wir glücklicher sind als andere Menschen? Dafür, dass Gäste, die zu uns kommen, einfach sagen: Hier bleiben wir? Und was tun wir? Wir setzen Stunden, Tage, Wochen, Monate, Jahre daran, etwas zu erhalten, das Verschwinden, das Verlöschen, das irgendwann doch eintreten wird, aufzuhalten, hinauszuzögern. Zu welchem Preis! Beschimpfungen, Verleumdungen, Drohungen, Angriffe, Auseinandersetzungen mit Behörden, Verwaltungen, Bürgermeistern und Landräten, denen die Wählerstimmen wichtiger sind als die überkommene Hauslandschaft. Das kann zermürben, das kann Kräfte aufzehren, den Dorftrottel zu spielen, der ein altes Bauernhaus herrichten will – das, wenn es fertig ist – vom Bürgermeister stolz den Besuchern gezeigt wird. Hin und wieder ein aufmunterndes Schulterklopfen, ein Weiter so! Dreiviertel der Deutschen halten Denkmalschutz für eine wichtige gesellschaftliche Aufgabe – ich füge hinzu: solange sie nicht selbst betroffen sind. Da werden schnell aus Freunden Gegner. Danke, dass Sie uns mit diesem Preis auch Kraft geben, weiterzumachen. 2 Gehen wir nach der strengen Definition, sind wir als Privatpersonen oder Institutionen nur Denkmalpfleger, keine Denkmalschützer. Denkmalpfleger, die – anders als die Denkmalschützer – keine hoheitlichen Aufgaben haben, keine Gesetze und Vorschriften vollziehen. Das bringt jedoch Freiheiten im Reden, im Denken, die amtlich Bestallte nicht ohne weiteres haben dürfen, unter dem Druck politischer, administrativer oder lobbyistischer Vorgaben. Ich möchte unsere Stellung als Bürger mit der Präambel der Regensburger Altstadtfreunde aus dem Jahre 1966 auf den Punkt bringen: „Wir wollen Wächter sein für die bauliche Substanz unserer Stadt. Wir wissen, dass wir keine Macht ausüben können, aber wir wollen mahnen, anregen und aufklären, die Bürger (Regensburgs) aufklären, wenn Hand an die Schönheit, die Einmaligkeit ihrer Stadt gelegt wird.“ Auf jede andere Bürgerinitiative, auf jede andere Interessensgemeinschaft könnte man diese Präambel übertragen, die zwei Jahre nach der großartigen Charta von Venedig aufgesetzt wurde, in jener Zeit, in der die Bürger begannen sich außerparlamentarisch zu organisieren und zu betätigen. Danke, dass Sie durch diesen Preis unser gesellschaftspolitisches Gewicht erhöhen. Jeder von uns hat nach der Nachricht von der Preisverleihung Glückwunschschreiben erhalten. Die Altstadtfreunde bekamen zwei Briefe, einen von Oberbürgermeister Wolbergs, und einen von Staatsminister Dr. Spaenle, mit der nachdrücklichen Aufforderung, so weiter zu machen und in den Bemühungen nicht nachzulassen. Das werden wir auch nicht, das wird keiner von uns. Wir sind Überzeugungstäter, eine hochaktive Minderheit, Fortschrittsverweigerer, Querulanten – irgendwie gleichen wir unseren Baudenkmälern, oder? Danke, dass Sie uns mit diesem Preis gezeigt haben, dass es sich lohnt, Überzeugungstäter und Querulant zu sein. Wir stehen hier im dankbaren Bewusstsein, den Preis stellvertretend für die vielen Ungenannten entgegen zu nehmen, die ebenfalls kämpfen und ringen, oft vergeblich, manchmal erfolgreich. Machtlos zu erleben, wie Hauslandschaften getilgt werden, wertvollste Bausubstanz kurzzeitigen und kurzlebigen Interessen geopfert wird, machtlos sinnlosem Verfall zusehen zu müssen, schmerzt oft sehr. Musik, wie wir sie heute hören, verklingt, unsere Reden verklingen, Theater verklingt, ein Buch liest man und dann ein neues, doch die Architektur sehen wir täglich, jahrelang, 3 jahrzehntelang, jahrhundertelang. Wir wollen uns nicht stören an ihr, sie soll uns angenehm sein. Doch – wenn etwas weg ist, ist es nicht mehr da. Und das gilt auch für unsere Baudenkmäler: Sie sind nicht reproduzierbar wie ein Musikstück, wie eine Buchauflage, wie eine Fotografie. Bei der Podiumsdiskussion gestern Abend war sicherlich alles, was gesagt wurde, richtig und gut, einen Begriff aber habe ich vermisst, vielleicht auch aufgrund meines akustisch nicht so guten Platzes überhört: Der Mensch. Wenn es uns nicht gelingt, an den Menschen, an den Verstand und das Herz des Denkmaleigentümers, des Denkmalbesitzers, des Denkmalnutzers heranzukommen, sind alle Diskussionen eitel und müßig, wenn in der Zwischenzeit wieder drei oder fünf alte Häuser gefallen sind. Trotzdem: Es geht nicht an, momentanen Befindlichkeiten Jahrhunderte alte Werte zu opfern. Wenn wir heute als frisch gekürte Träger des Deutschen Preises für Denkmalschutz einen Wunsch äußern dürften, würde ich an alle Verantwortlichen in den Kommunen, in den Verwaltungen, in den Oberen und Unteren Denkmalschutzbehörden und in den Denkmalfachbehörden den Appell richten: Bitte vollziehen Sie die Gesetze, bitte vollziehen Sie konsequent geltendes Recht! Danke, dass Sie uns mit diesem Preis ermutigen, zivilen Ungehorsam zu wagen. Danke, dass Sie uns durch diesen Preis hier in Regensburg mit so vielen lieben Menschen von überall her zusammengebracht haben, mit Menschen, die genau wissen, wie wichtig, wie lebenswichtig es ist, eine Heimat zu haben und ein Dach über dem Kopf, das Heimat ist. 4
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