Sie wissen sehr wenig vom Islam» In Zürich wird die

Winterthur: «Sie wissen sehr wenig vom Islam» -Winterthur: Standard -landbote.ch
«Sie wissen sehr wenig vom Islam» In Zürich wird die
Zusammenarbeit mit muslimischen Gruppen bewusst gepflegt. In Winterthur offenbaren
sich Lücken.
Der Saal im «Spheres» im Zürcher Kreis 5 ist am Donnerstagabend so voll, dass die Gäste auf der Treppe sitzen. «Was, wenn sie
plötzlich ganz religiös werden?» ist die Fragestellung des Jahresanlasses der offenen Jugendarbeit Zürich. Die Anschläge von Paris
haben dem Thema eine unerwartete Aktualität verliehen.
Es sprechen Miryam Eser Davolio, ZHAW-Dozentin und Verfasserin einer Studie zu den Hintergründen jihadistischer Radikalisierung in
der Schweiz. Im Anschluss spricht Tugba Schussmann, angehende Sozialarbeiterin und selbst Muslima. Sie hat während eines
Schulpraktikums den Islam Discussion Club gestartet, der bei den Jugendlichen auf grosses Echo stiess. Drei Themenkreise
interessierten die Schüler besonders. Erstens der Klassiker: Liebe, Sex und Beziehungen. Zweitens der Umgang mit Extremismus.
«Fast täglich kursierten auf den Handys Videos, von Diskussionen bis zu Enthauptungen», so Schussmann. Und drittens die Frage nach
verlässlichen Quellen zu Glaubens- und Lebensfragen: Die Eltern oder den Imam will man nicht fragen, Jugendarbeit existiert in den
meisten muslimischen Gemeinden nicht und auf dem Internet stösst man auf viele fragwürdige Angebote. «Ich stellte fest, dass die
meisten Jugendlichen ein sehr geringes Wissen über den Islam haben», sagt Schussmann.
Nicht nur sie. Bei den anschliessenden Fragen werfen viele Sozialarbeiter ein, in der täglichen Arbeit gebe es immer wieder
Jugendliche, die man kaum erreiche, wenn man in Glaubensfragen nicht sattelfest sei.
Winterthur schweigt
Zu Wort meldet sich auch Mireille Stauffer, Jugendbeauftragte der Stadt Winterthur. «Unsere Jugendarbeiter haben einen vorwiegend
christlichen Hintergrund. Wie finden wir vertrauenswürdige Partner, wenn Jugendliche mit Fragen zum muslimischen Glauben
kommen?» Man könne ja nicht einfach bei einer Moschee anklopfen und fragen, so Stauffer. «Gerade in Winterthur nicht.»
Offensichtlich steht die Jugendarbeit in Winterthur, was die Anstellung muslimischer Jugendarbeiter und die Zusammenarbeit mit
entsprechenden Kulturvereinen betrifft noch ganz am Anfang. Zu den Nachfragen des «Landboten» darf Stauffer keine Stellung
nehmen. Es gelte in dieser Sache eine Informationssperre, bestätigt der städtische Mediensprecher Andreas Friolet.
In Zürich ist man weiter. Wie Giacomo Dallo, Geschäftsführer der offenen Jugendarbeit Zürich, erklärt, seien viele seiner Teams bewusst
ethnisch durchmischt und seit einem Jahr pflege man einen regen Austausch mit einer muslimischen Gemeinschaft im Kreis 5. In den
Treffs sei Religion allerdings selten ein Thema, so Dallo. Durch die Medienpräsenz beobachte er aber ein neues Phänomen. «Bis anhin
identifizierten sich die meisten Jugendlichen gar nicht als Muslime.» Die Frage der Religion spiele in ihren Familien eine geringe Rolle,
sie werde kaum praktiziert. Nun würden sie von der Gesellschaft plötzlich gezwungen, sich zu positionieren. Man fragt: «Bist du
Muslim?» Etwas Nebensächliches werde plötzlich identitätsprägend. (Landbote)
(Erstellt: 21.11.2015, 08:54 Uhr)
Michael Graf.
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