Licht, das in die Welt gekommen - ref. Kirchgemeinde St.Gallen

Evang.-ref. Kirchgemeinde St. Gallen C
Kirchkreis Linsebühl
Predigt am 1. Advent über Johannes 12,46:
"Licht, das in die Welt gekommen"
Linsebühl, 30. November 2015; von Pfr. Stefan Lippuner
Lesung:
Jesaja 9,2-7a
aus Johannes 1,1-14
Das Volk, das im Dunkel lebt, sieht ein helles Licht; über denen, die im Land der Finsternis wohnen, strahlt ein Licht auf. Du erregst lauten Jubel und schenkst grosse
Freude. Man freut sich in deiner Nähe, wie
man sich freut bei der Ernte, wie man jubelt,
wenn Beute verteilt wird.
Denn wie am Tag von Midian zerbrichst du
das drückende Joch, das Tragholz auf unserer Schulter und den Stock des Treibers.
Jeder Stiefel, der dröhnend daherstampft,
jeder Mantel, der mit Blut befleckt ist, wird
verbrannt, wird ein Frass des Feuers.
Denn uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist
uns geschenkt. Die Herrschaft liegt auf seiner Schulter; man nennt ihn: Wunderbarer
Ratgeber, Starker Gott, Vater in Ewigkeit,
Fürst des Friedens. Seine Herrschaft ist
gross, und der Friede hat kein Ende.
Im Anfang war das Wort, und das Wort war
bei Gott, und das Wort war Gott.
In ihm war das Leben, und das Leben war
das Licht der Menschen. Und das Licht
leuchtet in der Finsternis, und die Finsternis
hat es nicht erfasst.
Das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet, kam in die Welt. Er war in der
Welt, und die Welt ist durch ihn geworden,
aber die Welt erkannte ihn nicht.
Allen aber, die ihn aufnahmen, gab er
Macht, Kinder Gottes zu werden, allen, die
an seinen Namen glauben.
Und das Wort ist Fleisch geworden und hat
unter uns gewohnt, und wir haben seine
Herrlichkeit gesehen, die Herrlichkeit des
einzigen Sohnes vom Vater, voll Gnade
und Wahrheit.
"Licht, das in die Welt gekommen." ‒ Liebe Gemeinde, das feiern wir in der Adventszeit. Das
bekennen wir auch gegen alle Finsternis, die wir in dieser Welt immer noch sehen und erleben. Das Licht ist schon gekommen, es scheint in der Finsternis, denn der ewige Gott ist in
seinem Sohn, in seinem Wort (wie es bei Johannes heisst) ein Mensch geworden.
Dass in Jesus Christus das Licht in unsere Welt hineingekommen ist, ist aber nicht einfach
nur das Bekenntnis von Christen und erst recht nicht nur ein frommer Wunsch, sondern Jesus
selber hat dies deutlich gesagt. In Johannes 12,46 ist aufgezeichnet, was Jesus sprach: "Ich
bin als Licht in die Welt gekommen, damit jeder, der an mich glaubt, nicht in der Finsternis bleibt." ‒ Jesus Christus als Licht zu feiern, wie wir es immer wieder in der Adventszeit
tun, ist also in ihm selbst und in seinen Worten begründet: "Ich bin als Licht in die Welt gekommen."
Interessant an diesen Worten dünkt mich nun aber das Ziel und der Zweck des Kommens
von Jesus: "… damit jeder, der an mich glaubt, nicht in der Finsternis bleibt." Das zeigt mir
nämlich, dass es ihm nicht nur um die materielle und seelische Finsternis geht, sondern letztlich um die geistliche.
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Wenn wir davon reden, dass es in unserer Welt dunkel ist, dann denken wir doch in der Regel
zuerst an die Kriege auf der Erde, an Unfriede, Gewalt und Terrorismus; wir denken an das
Böse und das Unrecht, das Menschen anderen Menschen antun; wir denken an Naturkatastrophen, Hunger und Armut; wir denken an Unfälle und Verbrechen; wir denken an Krankheit
und Leid. Solche, wie ich sagen möchte: materielle Nöte sind es doch, die uns unsere Welt
oftmals als dunkel erscheinen lassen, als Jammertal, wie es unsere Altvorderen manchmal
ausgedrückt haben. ‒ Vielleicht denken wir zusätzlich auch an seelische Leiden: Wir denken
daran, dass viele Menschen in der Finsternis von Angst, Depression, Bitterkeit, Trauer, Verzweiflung oder Hoffnungslosigkeit gefangen sind, in seelischer Finsternis also.
Ja, es ist wirklich dunkel in unserer Welt und im Leben von zahlreichen Menschen, vielleicht
gerade auch von uns selber. Darum sind wir so froh, dass diese weitverbreitete Dunkelheit
doch nicht das letzte Wort hat, sondern dass uns ein Licht verheissen ist, das wirklich alle
Finsternis durchdringt und überwindet; ja, dass dieses Licht bereits in unsere Welt hineingekommen ist und wir es da und dort, an zahlreichen Orten sehen und erfahren dürfen. – Jesus
Christus ist dieses Licht. Jesus Christus ist als Retter und Heiland gekommen, damit es in
unserer Welt und im Leben der einzelnen Menschen immer heller werden darf.
Wenn Jesus sagte: "Ich bin als Licht in die Welt gekommen, damit jeder, der an mich glaubt,
nicht in der Finsternis bleibt", dann höre ich aus diesen Worten aber auch noch eine andere
Art von Finsternis heraus, die er erhellen und überwinden will, nämlich eine geistliche Finsternis, das heisst: die Finsternis von Unglauben und Gottlosigkeit. – Wo Menschen sich von
Gott abwenden, ihm den Rücken zukehren, vor ihm davonlaufen und ganz allein für sich ihr
Leben bestimmen wollen; wo Menschen nicht an Gott und an seinen Sohn, den er auf die
Erde geschickt hat, glauben wollen, da herrscht geistliche Finsternis.
Und das ist, so meine ich, die tiefste Finsternis von allen und die fundamentalste. Denn Finsternis wie auch Licht in dieser geistlichen Dimension unseres menschlichen Lebens bestimmen massgeblich und grundlegend darüber, wie dunkel oder wie hell es ist in der seelischen
und in der materiellen Dimension. Für die Heilung des ganzen Menschen und für den Frieden
in der ganzen Welt ist es darum entscheidend, dass gerade die Dunkelheit von Unglaube und
Gottlosigkeit vom wahren Licht, das Jesus Christus selber ist, durchdrungen und überwunden
wird.
Auch im Advent und an Weihnachten geht es also letztlich um den Glauben, um den Glauben
an Jesus Christus, der als Licht vom Himmel her in unsere dunkle und leidvolle Welt hineingekommen ist und ganz besonders zu den Menschen gesandt wurde, die noch in geistlicher
Dunkelheit leben, weil sie eben nicht an Gott glauben, weil sie Gott gar nicht wirklich kennen.
Aus diesem Grund wird oftmals einer der Advents-Sonntage auch als Missionssonntag gefeiert, weil das wahre Licht des Lebens die ganze Welt erhellen soll, weil das Mensch gewordene
Wort Gottes von allen Menschen gehört und erfahren werden soll. – So haben wir ja im Lied
vor der Predigt auch gesungen: "Gib dem Wort, das von dir zeuget, einen recht gepriesnen
Lauf, dass noch manches Knie sich beuget, sich noch manches Herz tut auf"; und am Schluss
davon: "O erleuchte, ewges Wort, Ost und West und Süd und Nord" [Ref. Gesangbuch Nr.
259, Str. 2 und 4].
Ich weiss, "Mission" ist in unserer Zeit und Gesellschaft ein belasteter Begriff. Viele denken
dabei an Kreuzzüge, an Bekehrung mit Schwert und Feuer, an Kolonialismus, Unterdrückung
und Ausbeutung, an Zerstörung von alten Kulturen. Und tatsächlich sind solche Dinge im Lauf
der Geschichte des Christentums leider vorgekommen. – Dennoch ist die Grundidee der Mission, so wie sie auch Jesus selber verstand, alles andere als schlecht und menschenverachtend, im Gegenteil. Es geht ja letztlich um nichts anderes als um die Ausbreitung des wahren
Lichts, nach dem sich doch alle Menschen sehnen. Es geht um nichts anderes als um die
Verkündigung der frohen Botschaft, dass in Jesus Christus dieses Licht schon in unsere Welt
hineingekommen ist.
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Es geht um nichts anderes als darum, dass Menschen erkennen können, wie sehr sie eigentlich in geistlicher Dunkelheit leben, wenn sie sich von Gott losgelöst haben, wenn sie Jesus
Christus nicht kennen und nicht an ihn glauben. Sie sollen zum Licht und zum wahren Leben
kommen können. Um nichts anderes geht es bei Mission.
Jesus Christus ist als Licht in die Welt gekommen, um Menschen aus der geistlichen Finsternis zu befreien und ihnen den Glauben, das Vertrauen auf ihn und auf den himmlischen Vater
zu ermöglichen. Er ist gekommen, um die verlorengegangene Gottesbeziehung wieder herzustellen. – Und wenn wir selber dieses Licht schon gesehen und erkannt haben, wenn für
uns dieses Leben im Glauben und in der Gottesbeziehung schon Realität geworden ist, dann
sind auch wir miteinbezogen in diese Mission.
Wir dürfen Zeugen sein für Jesus Christus, für das Licht, das in die Welt gekommen ist. Wir
dürfen sogar Boten und Träger dieses Lichts sein. Denn Jesus sagte nicht nur an mehreren
Stellen von sich selber, dass er das Licht sei, das Licht für die Welt; er sagte auch einmal zu
seinen Nachfolgern, zu denen, die im Glauben zu ihm gehören: "Ihr seid das Licht der Welt"
[Matthäus 5,14].
Ich denke, auch das ist ein wichtiger Aspekt der Adventszeit, dass wir nicht nur Ausschau
halten nach dem Licht, dass wir nicht nur danken für das Licht, das schon in die Welt gekommen ist, sondern dass wir selber uns anstecken lassen von diesem Licht, dass wir das wahre
Licht des Lebens von Jesus Christus empfangen und dieses Licht dann weitertragen in unsere
dunkle Welt hinein, in die geistliche wie in die seelische und materielle Finsternis. ‒ "Mache
dich auf, werde licht! Denn dein Licht kommt", haben wir ja am Anfang des Gottesdienstes
bei Jesaja gehört [Jesaja 60,1].
So sind alle, die vom Licht und im Licht von Jesus Christus leben, eigentlich Missionare. Das
heisst nicht, dass nun alle nach Übersee, in den Busch zu irgendwelchen Heiden gehen
müssten; das ist ja sowieso eine eher veraltete Vorstellung von Mission. Sicher sind manche
Christen dazu berufen, in die weite Welt hinauszugehen zu Menschen, die noch nie oder
kaum etwas von Jesus Christus und von seinem Lebenslicht gehört und erfahren haben. Doch
unterdessen gibt es auch in nächster Nähe manche Menschen, die ebenso wenig von Jesus
Christus und von Gottes Liebe zu ihnen wissen. So kann unser Missionsfeld durchaus ganz
nahe sein: dort, wo wir wohnen, wo wir arbeiten, wo wir einkaufen, wo wir die Freizeit verbringen usw.
Liebe Gemeinde, die Advents- und Weihnachtszeit ist die Zeit des Lichts; die Zeit der Sehnsucht nach dem Licht und der erfüllenden Erfahrung des Lichts. Es ist die Zeit, in der wir uns
besonders auf Jesus Christus ausrichten, der als Licht in unsere dunkle und kalte Welt gekommen ist, um sie warm und hell zu machen. Wir dürfen darauf vertrauen, wir sollen dafür
beten und wir sollen uns auch dazu einsetzen lassen, dass dieses Licht von Jesus Christus
sich immer weiter ausbreitet – so, wie es im Kirchenlied heisst, das wir gesungen haben:
"Licht, das in die Welt gekommen. Zieh in deinen Wunderschein bald die ganze Welt hinein"
[Ref. Gesangbuch Nr. 259, Str. 1].
AMEN