Nachrichten Ausgabe 2 Juni 2015 B u n d e s l e h r e r ta g 2 0 1 5 Ökonomisierung von Bildung? Dr. Josef Gappmaier Vorsitzender ÖPU-OÖ D er Bundeslehrertag in OÖ ist alljährlich die größte standespolitische Veranstaltung von AHS und BMHS in Österreich. Das Generalthema der diesjährigen ÖPU-FCG Veranstaltung am 12. März im Oberbank-Donauforum in Linz war die Ökonomisierung von Bildung und deren Folgen für Kultur, Demokratie und Wirtschaft. Dazu referierte Dr. Matthias Burchardt, akademischer Rat der Universität zu Köln, und sprach den 1.200 anwesenden Lehrkräften zutiefst aus der Seele. Ich versuche an dieser Stelle, einige seiner Gedanken wiederzugeben. Orte verlagern. International mächtige Akteure wie die OECD auf globaler oder der „European Round Table of Industria lists“ auf europäischer Ebene sind es, die Druck auf die Staaten machen, ihre Bildungssysteme ökonomischen Grundsätzen zu unterwerfen. Das sei auch durch die empirische Sozialforschung belegt und davon müsse man ausgehen, wenn man sich die politische Entwicklung der Bildungsreform anschaut. © Josef Gappmaier Ein Sonderforschungsbereich der Universität Bremen ist der Frage nachgegangen, wohin die Macht geht, wenn sie nicht mehr in den Händen der Staaten Matthias Burchardt ging es nicht darum, ist, und beobachtete, dass der Reformdie legitimen Interessen der Ökonomie prozess maßgeblich von Initiativen auf zu kritisieren, sondern um den Ökono- internationaler Ebene angestoßen und mismus, der zunehmend „wirtschaft beeinflusst worden ist, namentlich durch die PISA-Studie der liches“ Denken dem OECD einerseits und Bildungswesen überden Bologna-Prozess stülpt. Er berief sich andererseits. Gewähldabei auf den deutte politische Mandatsschen Politiker und träger, die sich aus Philosophen Norbert guten Gründen – AufBlüm1, der beklagt, klärung, Humboldt, dass Strömungen in Christentum – dageder Wirtschaft sich gen stellten, wurden anschicken, totalitär und werden in diesem zu werden, indem sie Zusammenhang von alles unter den Befehl internationalen Orgaeiner ökonomischen nisationen bzw. InitiRatio zu zwingen ativen, als „Vetopunksuchen. Aus MarktDr. Matthias Burchardt te“ und „blockierende wirtschaft soll MarktAkademischer Rat der Universität zu Köln Effekte“ bezeichnet, gesellschaft werden. Marktkategorien sollen Hirn und Herz, die es zu umgehen bzw. zu neutralisiealso die Zentralen der inneren Steuerung ren gelang.3 Das bedeutet, dass weder der Menschen, vereinnahmen. die politischen Mandatsträger noch unsere kulturellen Grundüberzeugungen Auch der britische Politologe Colin der Ausgangspunkt für diese Reformen Crouch2 argumentiert, die Demokratie waren, sondern dass sie mit der Absicht sei in einer Schwächephase, und zwar bewusster Zerstörung dieser kulturellen nicht aus eigener Erschöpfung, sondern Grundlagen und unter bewusster Um aufgrund von Aktivitäten mächtiger Inter- gehung und Neutralisierung der Mandatsessensgruppen. Diese Phase bezeichnet träger durchgesetzt wurden. er als Postdemokratie. In ihr verkommt Demokratie zu einer bloßen Attrappe der Die OECD hat schon in den Sechzigerpolitischen Aktion, weil sich die wahren jahren in einem Papier, das mit dem Machtzentren in andere Gremien und Europarat abgestimmt war, festgestellt: 14 „Heute versteht es sich von selbst, dass auch das Erziehungswesen in den Komplex der Wirtschaft gehört, dass es genauso notwendig ist, Menschen für die Wirtschaft vorzubereiten wie Sachgüter und Maschinen.“4 Weil das die einzelnen Kulturen nicht freiwillig tun, musste eine Transformation der öffentlichen Meinung vorbei an der kulturellen Tradition stattfinden. Die zwei Hauptstrategien dazu waren „discursive dissemination“ und „standard setting“. Damit wurde unter dem Einfluss dieser internationalen Akteure etabliert, wie über Bildung gedacht und gesprochen werden soll. Vokabel wie „internationaler Vergleich“, „Standortfaktor“ usw. rückten in den Fokus der Diskussion, während gleichzeitig Standards festgelegt wurden, nach denen sich die Bildung zu richten habe. Die Inszenierung des PISA-Schocks und der damit verbundenen Katastrophenstimmung, v.a. in Deutschland und Österreich, wurde schließlich zum Startschuss für die beabsichtigte Transformation von Bildung. PISA ging es keinesfalls darum zu erkennen, was Bildungssysteme leisten können, sondern einzig darum, mit Macht Bildungssysteme umzubauen. Auf der Basis eines wissenschaftlich äußerst dünnen Konzeptes wurden weitreichende Reformen angestoßen, unter denen wir heute leiden, weil sie eben nicht Bildung verbessert haben, sondern PISA-Erfolge erzeugen sollten, nämlich Testerfolge. Diese spiegeln nur eine minimale Sparversion von Bildung wider und nicht den ursprünglichen Reichtum der Bildungskulturen der Länder. Mit der Fokussierung auf Kompetenzorientierung zulasten von Wissen zielt die OECD auf die Fähigkeit der Anpassung ab. Kompetenz ist keine Umformulierung des Bildungsbegriffes, sondern dessen krasses Gegenteil. Es ist die Amputation der kulturellen und persönlichen Fähigkeiten des Menschen und dadurch auch seiner Fähigkeiten, Wirtschaft mit Innovation und Querdenkerei weiterzubringen. Damit ist eine erhebliche Einbuße B u n d e s l e h r e r ta g 2 0 1 5 Ausgabe 2 Juni 2015 Nachrichten Mit der ständigen Diffamierung, die dem Bildungswesen unterstellt ineffizient zu sein, sollte möglichst alles, was Bildungstradition ausmacht, raschest möglich entsorgt werden. Die Schulen wurden unter einen gewaltigen Reformstress gestellt und dabei bis zur Besinnungslosigkeit beschäftigt, sodass kaum Zeit zum Reflektieren über die politischen Hintergründe blieb. Immer mehr Argumente wie die Humankapitaltheorie, die Notwendigkeit des permanenten Messens und Dokumentierens und die Propaganda für neue Lernformen prasseln auf das Bildungswesen ein und geben den Reformen den Status einer scheinbar unausweichlichen Notwendigkeit. Dahinter stecken Akteure, die sich nicht Verfassungszielen – wie wir Lehrerinnen und Lehrer – verpflichtet fühlen, sondern dem eigenen Gewinnstreben. Bild lizenziert von BigStockPhoto.com Die Lehrkräfte, die als Praktiker die Problematik der Reformen erkannten und ihnen selbstbewusst kritisch gegenüberstehen, versucht man über verschiedene Fortbildungsmaßnahmen auf den neuen Kurs zu bringen, nicht durch gute Argumente, sondern durchwegs mit Psychospielchen. Wie das auch bei der „Leadership Academy“ passiert, bei der den Teilnehmern suggeriert wird, Bild lizenziert von BigStockPhoto.com von kultureller Bildung und letztendlich auch an Persönlichkeitsbildung verbunden. Persönlichkeitsentwicklung und ökonomischer Erfolg schließen einander nicht aus, sondern müssen einander wechselseitig bedienen. traditionelle Ansprüche über Bord werfen zu müssen, um bereit zu werden, alles fahren zu lassen, was sie daran hindert, das Fähnchen nach dem Wind zu drehen. Gelebt wird „Change Management“: Nicht direkt über die Seminarleitung, sondern über Gruppendruck werden Überzeugungen verändert. Dabei geht es darum, dem Einzelnen die Rollensouveränität zu nehmen und ihn somit in eine Phase der Empfänglichkeit zu bringen, in der dann die Etablierung der Change-Botschaft erfolgen kann. Dabei wird viel diskutiert und euphorisiert und „interessanterweise“ kommt am Ende immer das heraus, was für die Seminarleitung vorher schon feststand. Für äußerst bedenklich hält Matthias Burchardt die Empfehlung der OECD, den lehrerorientierten Klassenunterricht durch „innovative Lernumgebungen“ zu ersetzen, in denen die Schülerinnen und Schüler selbstorganisiert Kompetenzzuwächse produzieren sollen. Daran würden gerade die sozial Schwachen und „Bildungsfernen“, die pädagogische Ansprache, einen Klassenunterricht und eine didaktische Aufbereitung durch eine Lehrkraft bräuchten, Schaden nehmen. Inwieweit eine Demokratie sich diese Form der institutionalisierten Verwahrlosung leisten könne, müsste diskutiert werden, bevor die negativen Effekte in die Breite gehen. Für viele Lehrerinnen und Lehrer bedeute diese Kluft zwischen politischer Verheißung und schulischer Realität bei gleichzeitiger Einschränkung eigener Gestaltungsmöglichkeit eine große Belastung. Matthias Burchardt spricht sich ausdrücklich nicht gegen wirtschaftliche Prosperität, legitime Interessen von Arbeit gebern und glückende Berufsbiografien von Schülerinnen und Schülern aus, doch dürfe dabei die allgemeine Menschenbildung, wie in den Verfassungen der OECD-Staaten vorgesehen, nicht zu kurz kommen. Das Leben sei nicht nur Arbeitsund Wirtschaftsleben, sondern kulturelles, politisches, soziales und religiöses Leben. Bildung könne man nicht messen, aber beurteilen. Doch, um Urteilskraft zu haben, müsse man gebildet sein!5 1 Blüm‚ Norbert (2006): Gerechtigkeit. Eine Kritik des Homo oeconomicus 2 Colin Crouch (dt. Ausgabe 2008): Postdemokratie 3Vgl. Dennis Niemann (2009): Changing Patterns in German Education Policy Making – The Impact of International Organizations – Abstract; in: http://www. sfb597.uni-bremen.de/pages/pubApBeschreibung. php?SPRACHE=de&ID=139 4 Kulturkommission des Europarates (Hrsg.): Wirtschafts wachstum und Bildungsaufwand. Wien 1966, S. 46 5Das Referat von Dr. Matthias Burchardt ist auf www.oepu.at/ooe als Broadcast abrufbar. 15
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