WIRTSCHAFT Mittwoch, 20. April 2016 23 Neuö Zürcör Zäitung Ein heikler Deal beschäftigt Australien: Chinesen kaufen die grösste Rinderfarm des Landes SEITE 25 Die Geografie der Ölkriege: warum sie brutaler geführt werden und länger dauern SEITE 27 Mehr Arbeit für ältere Angestellte Die 55- bis 64-Jährigen sind in der Schweiz besser in den Arbeitsmarkt integriert als in anderen Ländern Freispruch in Sicht Deutsche-Bank-Chefs vor Gericht slz. München V Jürgen Fitschen, Noch- Erwerbsquote nach Altersgruppe In % 2010 2015 100 80 60 40 20 0 Jahre: 15–24 25–39 40–54 55–64 65+ Im internationalen Vergleich Erwerbsbeteiligung der 55- bis 64-Jährigen, 3. Quartal 2015 , in % Türkei Griechenland Polen Österreich Spanien Italien Frankreich Portugal Tschechien Irland OECD-Total Finnland Kanada USA Australien Niederlande Grossbritannien Dänemark Korea Deutschland Japan Schweiz Norwegen Schweden Neuseeland Island 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 NZZ-Infografik/lea. QUELLE: BFS – SCHWEIZERISCHE ARBEITSKRÄFTEERHEBUNG (SAKE), OECD In den vergangenen fünf Jahren ist die Integration älterer Arbeitnehmer im Schweizer Arbeitsmarkt deutlich gestiegen. Doch verliert jemand den Job, dauert die Suche nach einer neuen Stelle viel länger. NATALIE GRATWOHL Die demografische Entwicklung hinterlässt auch Spuren auf dem Schweizer Arbeitsmarkt. Allein im vergangenen Jahr ist die Zahl der Erwerbstätigen im Alter von 55 bis 64 Jahren um 27 800 Personen gestiegen. Laut einer Mitteilung des Bundesamts für Statistik (BfS) erhöhte sich die Erwerbsquote dieser Altersgruppe zwischen 2010 und 2015 um 5,3 Prozentpunkte auf 75,8% (siehe Grafik). Dabei zeigen sich grössere Unterschiede zwischen den Geschlechtern. Bei den Frauen stieg die Erwerbsquote um 8,5 Prozentpunkte auf 69,1%, Auf ältere Arbeitnehmer bauen Kommentar, Seite 11 während die Beteiligung der Männer um 2 Prozentpunkte auf 82,5% zunahm. Angestiegen ist über die letzten Jahre auch das geschätzte Durchschnittsalter von Personen beim Austritt aus dem Arbeitsleben, das im vergangenen Jahr mit 65,5 Jahren ein halbes Jahr höher lag als noch vier Jahre zuvor. Schwierigere Schritte Laut Boris Zürcher, Leiter der Direktion für Arbeit beim Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco), hat sich der bereits positive Trend durch die verstärkte Sensibilisierung für das Potenzial älterer Arbeitnehmer in den letzten zwei Jahren noch verstärkt. Im Vergleich zu vielen anderen OECD-Ländern sind die älteren Arbeitnehmer in der Schweiz stärker in den Arbeitsmarkt eingebunden (siehe Grafik). Da bereits ein hohes Mass des Arbeitskräftepotenzials in dieser Altersgruppe ausgeschöpft ist, wird es laut Zürcher immer schwieriger, die Beteiligung künftig noch zu steigern. Nationale Konferenz Besonders seit der Annahme der Masseneinwanderungsinitiative verweisen Arbeitgeber gerne auf die Bedeutung von älteren Mitarbeitern. Das Potenzial wird auch im Rahmen der Fachkräfteinitiative des Bundes adressiert. Zudem findet am Donnerstag die zweite Nationale Konferenz zum Thema ältere Arbeitnehmer statt. Am Tisch sitzen Vertreter von Bund, Kantonen und Sozialpartnern. Nachdem man sich beim ersten Treffen auf die wichtigsten Stossrichtungen geeinigt hatte, dürfte nun unter anderem über das Thema Stelleninserate weiter diskutiert werden. Es geht darum, dass Arbeitgeber in Inseraten grundsätzlich auf Altersangaben verzichten. Zudem steht voraussichtlich der jeweilige Beitrag von Arbeitgebern und Arbeitnehmern bei der Aus- und Weiterbildung auf der Agenda. Der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB) forderte im Vorfeld des Treffens, dass konkrete Massnahmen beschlossen werden. So sollen etwa langjährige ältere Mitarbeiter besser gegen Kündigungen geschützt werden. Der Schweizerische Arbeitgeberverband (SAV) lehnt einen erweiterten Kündigungsschutz für ältere Angestellte dagegen entschieden ab, weil sich dies für die entsprechenden Arbeitnehmer als Bumerang herausstellen würde. Von Sparen keine Spur Problematischer Stimmenkauf der französischen Regierung Die französische Regierung plant einen Ausbau der Sozialhilfe für 18- bis 25-Jährige. Auch ihnen soll neu ein Mindesteinkommen garantiert werden. Die Ankündigung folgt einer Reihe anderer massiver Ausgabenerhöhungen. NIKOS TZERMIAS, PARIS Der französische Finanzminister Michel Sapin hat kürzlich bei der Präsentation des neusten Stabilitätsprogramms zuhanden der EU-Kommission erklärt, dass die Regierung in Paris ihre Fähigkeit unter Beweis gestellt habe, die Staatsfinanzen zu sanieren. Er verwies dabei auf den Umstand, dass die Neuverschuldung 2015 von 4% auf 3,5% des Bruttoinlandprodukts (BIP) reduziert werden konnte und damit um 0,3 Prozentpunkte mehr, als ursprünglich in Aussicht gestellt wurde. Sapins Frohlocken ist indes mit grösster Vorsicht zu geniessen. Nicht nur hat sich die Staatsverschuldung noch stärker der Marke von 100% des BIP genähert und liegt das Haushaltsdefizit weiterhin deutlich über der Maastricht-Limite von 3,0%, wogegen die durchschnittliche Neuverschuldung aller Euro-Mitgliedstaaten 2015 von 2,6% auf 2,2% abnahm. Zu denken gibt auch, dass die Staatsausgaben (die zweithöchsten in der EU) unter Ausklammerung der von der Europäischen Zentralbank bedenklich stark verbilligten Zinskosten immer noch um real 1,6% zunahmen, wie das Statistikamt Insee feststellte. Staatsquote gesteigert Stark zu relativieren ist sodann auch Sapins Feststellung, dass sich der Steuerdruck erstmals seit 2009 ermässigt habe. Denn der BIP-Anteil der Steuern und anderen Zwangsabgaben verharrte mit offiziell ausgewiesenen 44,5% nicht nur weit über dem EU-28-Durchschnitt von 40%. Er lag 2015 auch immer noch deutlich über der Quote im Jahr vor der Machtübernahme durch die Sozialisten in Paris (vgl. Tabelle). Die Regierung ist jedoch bisher nicht nur vor substanziellen nachhaltigen Einsparungen zurückgeschreckt, während die bürgerlich-konservative Opposition Frankreichs öffentliche Finanzen Angaben in % des Bruttoinlandprodukts Neuverschuldung Bruttoschulden Staatsausgaben Staatseinnahmen Zwangsabgaben 2011 5,1 85,2 55,9 50,8 42,6 2012 4,8 89,6 56,8 52,0 43,8 2013 2014 4,0 4,0 92,4 95,3 57,0 57,3 52,9 53,4 44,8 44,8 2015 3,5 95,7 56,8 53,2 44,5 QUELLE: INSEE zur Sanierung der Staatsfinanzen und zur Stimulierung des Wachstums eine Reduktion der Staatsfinanzen um 100 Mrd. € fordert. Seit Anfang Jahr haben der unpopuläre Staatspräsident François Hollande und sein Premierminister Manuel Valls erst noch ein kostspieliges Sozialprogramm nach dem anderen angekündigt, obschon Frankreichs Sozialausgaben schon heute ein Rekordniveau im OECD-Raum erreicht haben. «Purer Wahnsinn» Soeben hat sich Valls nicht nur für eine Vereinheitlichung der Sozialhilfen, sondern auch für deren Ausdehnung auf 18- bis 25-Jährige ausgesprochen, denen ebenfalls ein Mindesteinkommen von 400 € garantiert werden soll. Diese Bestrebung, die von einem Kommentator von «Le Figaro» als «purer Wahnsinn» etikettiert wurde, ging offenbar selbst der linken früheren Arbeitsministerin Martine Aubry zu weit, die meinte, dass es besser wäre, den Jungen eine Arbeit zu verschaffen. Kostenpunkt für das neue Programm: mindestens 6 Mrd. € pro Jahr. Doch nicht genug damit. Schon während der letzten Wochen hatte die Regierung kostspielige Programme angekündigt, die den penetranten Beigeschmack von Stimmenkauf hatten. Anfang Jahr wurden neue Finanzhilfen an die Bauern in der Höhe von 825 Mio. € angekündigt sowie gar 2 Mrd. € teure Beschäftigungs- und Umschulungsprogramme für eine halbe Million Arbeitslose. Dann folgten Reallohnerhöhungen für die Staatsbeamten im jährlichen Gesamtbetrag von 2,4 Mrd. € sowie zusätzliche Finanzhilfen für Studenten in der Höhe von 500 Mio. €. Finanzminister Sapin erklärte, dass alle Mehreinnahmen integral kompensiert würden. Wie, konnte er aber noch nicht sagen. Co-Chef der Deutschen Bank und seit fast einem Jahr auch Angeklagter, kann offenbar im Münchner Prozess wegen Prozessbetrugs nächste Woche mit einem Freispruch rechnen. Damit würde er zumindest juristisch unbelastet in die Hauptversammlung der Deutschen Bank am kommenden 19. Mai gehen können. Dann wird seine Amtszeit enden. Auch die vier weiteren in München angeklagten ehemaligen Manager der Deutschen Bank, darunter Josef Ackermann und Rolf Breuer, können mit einem Freispruch rechnen. Entsprechend zufrieden und siegesgewiss verliessen sie am Dienstag das Münchner Gerichtsgebäude nach dem voraussichtlich vorletzten Verhandlungstag. Umstrittenes Interview Ginge es nach der Staatsanwaltschaft, würde den fünf Angeklagten bald das Lachen vergehen. Sie hat nämlich für Breuer eine Strafe von dreieinhalb Jahren, für Ackermann zweieinhalb Jahre, für Fitschen ein Jahr und drei Monate gefordert. Die beiden anderen Angeklagten sollten mildere Strafen bekom- EPA / REUTERS Mehr Ältere in den Schweizer Arbeitsmarkt integriert Wie das BfS weiter mitteilte, erhöhte sich die Erwerbslosenquote der 55- bis 64-Jährigen gemäss Definition des Internationalen Arbeitsamtes (ILO) zwischen 2010 und 2015 von 3,5% auf 3,9%. Damit liegt die Erwerbslosigkeit aber immer noch unter derjenigen der Gesamtbevölkerung, die im gleichen Zeitraum bei 4,5% verharrte. Doch werden ältere Arbeitnehmer erst einmal arbeitslos, dauert es viel länger, bis sie wieder einen neuen Arbeitsplatz finden. So nimmt die Suche der über 50-Jährigen eineinhalb Mal mehr Zeit in Anspruch als im gesamtschweizerischen Durchschnitt. Die über 50-Jährigen machen rund 40% aller Langzeitarbeitslosen (über ein Jahr arbeitslos) aus. Jürgen Fitschen Josef Ackermann Co-Vorsitzender der Ex-Vorsitzender der Deutschen Bank Deutschen Bank men. Zudem sollen Fitschen und die Deutsche Bank als Nebenbeteiligte insgesamt mehrere Millionen Euro Strafe zahlen. Die Staatsanwaltschaft sieht es als erwiesen an, dass die Angeklagten vorsätzlich falsche und zudem miteinander abgesprochene Zeugenaussagen zum Schutz der Bank im sogenannten Kirch-Prozess gemacht haben. Fitschen soll die Falschaussagen seiner Kollegen nicht verhindert haben. Im 2012 beendeten Kirch-Prozess hatte der Medienmogul Leo Kirch die Deutsche Bank auf Schadenersatz verklagt. Denn Kirch war der Meinung, dass der damalige Bankchef Rolf Breuer den Ruin des Kirch-Imperiums durch ein Anfang 2002 gegebenes Interview ausgelöst hatte, in dem der Banker von Zahlungsschwierigkeiten Kirchs berichtet hatte. Der Kirch-Prozess endete mit einem Vergleich, die Bank musste 900 Millionen Euro an die Erben zahlen. Ohrfeige für Ankläger Das für die fünf Angeklagten positive Prozessende hatte der Vorsitzende Richter der fünften Strafkammer des Landgerichts München, Peter Noll, vergangene Woche sozusagen angekündigt. Aus der Sicht des Gerichts lasse sich nach dem bisherigen Ergebnis der Beweisaufnahme nicht der Nachweis führen, dass die Angeklagten im Kirch-Prozess vorsätzlich falsch ausgesagt hätten, sagte er. Die Staatsanwaltschaft lasse nicht nur jede Auseinandersetzung mit der Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung vermissen, sondern wiederhole schlicht die Anklagevorwürfe. Eine solche schallende Ohrfeige für die Ankläger liess die gesamte Verteidigerriege hörbar frohlocken. Alle haben einen Freispruch für ihre Mandanten gefordert – und sparten dabei nicht mit deutlicher Kritik an der Gegenseite. Die Anklage sei ein Fiasko, fasste es der Fitschen-Verteidiger zusammen, zu keinem Zeitpunkt habe die Staatsanwaltschaft Beweise vorgetragen.
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