Basel, den 25 - Stiftung Schweizer Jugend forscht

Von Seeräubern zu Siedlern – die Wikinger in der lateinischen Literatur
Westfrankens
Autorinnen und Autoren: Fabienne Pel, Ena Lucic, Philipp Fehr, Michael Wittweiler
Projektleiterinnen und Projektleiter: Dörthe Führer, Jannis Körth
In der Studienwoche zum Thema Migration haben wir uns mit den Wikingern beschäftigt, wobei wir
die Beschreibungen in lateinischen Texten, die im westfränkischen Reich entstanden sind, genauer
unter die Lupe nahmen und uns fragten, wie die Wikingerzüge und die Wikinger selbst darin
dargestellt wurden. Im Übrigen verglichen wir die Beschreibungen der Wikinger, die von Franken
geschrieben wurden, mit denen, die später im normannischen Herrschaftsgebiet verfasst wurden. Wir
beobachteten dabei, wie die Wahrnehmung der Leser durch die gezielte Verwendung unterschiedlicher
Begriffe (Heiden, Normannen, Dänen, Seeräuber, fremde Völker) gesteuert wurde. Erwartungsgemäss
wurden die Wikinger von den fränkischen Autoren eher negativ beschrieben, während sie sich selber
eher positiv präsentierten.
1. Einführung
In der Zeitspanne, die wir in dieser Studienwoche betrachtet haben – also etwa vom Beginn des 9.
Jahrhunderts n.Chr. bis zur Mitte des 10. Jahrhunderts – haben wir leider keine schriftlichen Zeugnisse
von den Wikingern selbst, weil diese erst später begonnen haben, ihre Geschichte entweder in Form
von Inschriften zu wichtigen Personen auf Runensteinen oder in Form von Sagas, die über vergangene
Taten von Helden berichten, niederzuschreiben, weshalb unser Bild der Wikinger vor allem von den
fränkischen Quellen geprägt ist. Auf fränkischer Seite ist vor allem Geschichtsschreibung in Form von
Annalen vorhanden, ausserdem wurden die Wikinger in panegyrischen Texten, Gedichten, Briefen,
Gesetzestexten und Synodalbeschlüssen thematisiert. Verfasst und abgeschrieben wurden solche Texte
hauptsächlich von Mönchen in Klöstern. Anhand der Texte einiger wichtiger Autoren wollten wir
herausfinden, wie die Wikinger in den fränkischen Quellen dargestellt werden und wie sich diese
Darstellungen von späteren Selbstzeugnissen aus dem normannischen Raum unterscheiden. Da
Migration als eine dauerhafte Übersiedlung definiert ist, stellte sich zudem die Frage, ab wann die
Wikingerzüge mit diesem Begriff zu fassen sind. Aufgrund der geschilderten Quellenlage konnten wir
die Frage, weshalb die Wikinger überhaupt migrierten und auf Raubzüge gingen, nicht beantworten.
2. Material und Methoden
Wir erhielten am Montag ein Textcorpus, auf dessen Basis wir das Thema gemeinsam erarbeiteten.
Wir übersetzten und analysierten die Texte im Plenum unter der Leitung von Dörthe Führer oder
Jannis Körth, wobei wir uns jeweils fragten, welche historischen Rückschlüsse diese erlauben und wie
der Autor die Wikinger wahrnahm und charakterisierte. Aufgrund dieser Ergebnisse wollten wir dann
die folgenden Leitfragen beantworten: Wie wurden die Wikinger in der Literatur Westfrankens
dargestellt? Welche Begrifflichkeiten wurden dabei verwendet?
Des Weiteren erstellten wir noch einen Vergleich zwischen der Literatur zur Zeit der Raubzüge, die
vor allem in Klöstern geschrieben wurde, und der Literatur, die in der Normandie selbst geschrieben
wurde, nachdem die Normannen dort sesshaft wurden. Die wichtigsten Autoren, von denen wir Texte
gelesen haben waren folgende:
- Alkuin war ein bedeutender Gelehrter seiner Zeit (730 – 804) und verfasste viele Schriften
über wissenschaftliche Themen. Er war lange am Hofe Karls des Grossen tätig und hatte dort
eine zentrale Position inne. Über die Wikinger schreibt er unter anderem in einem Brief an den
König Northumbriens, in dem er die Plünderung des Klosters von Lindisfarne thematisiert.
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-
Ermoldus Nigellus war ein Kleriker am Hofe des Königs Pippin von Auquitanien. Von Kaiser
Ludwig verbannt, schrieb er ein Lobgedicht auf eben diesen, damit er die Verbannung aufhebe.
- Aimoin von Saint Germain (845-896) war ein Mönch, der zwei Bücher über die Wunder des
heiligen Germanus schrieb, in denen er seine Augenzeugenberichte über Wikingereinfälle
einfliessen liess.
- Flodoard von Reims (892-966) war ein Priester und Archivar an der Kathedrale von Reims. Er
schrieb während mehreren Jahren Einträge in die Reichsannalen und ausserdem eine Geschichte der Kirche von Reims.
- Dudo von Saint-Quentin (960-1026) schrieb ein wichtiges Werk, das den Normannen gewidmet war. Er selbst war ein Kanoniker und man kann ihn als den ersten Geschichtsschreiber der
Normandie bezeichnen, er schrieb am Hofe Richards II.
Ausser diesen Texten lasen wir auszugweise den Brief der Synode von Quierzy an Ludwig den
Deutschen, die Beschlüsse des Konzils von Tribur und ein Klagegedicht auf die Ermordung Wilhelms
des I. von der Normandie.
3. Resultate
Begrifflichkeiten
Bei der Erwähnung der Wikinger in der mittellateinischen Literatur spielt der gewählte Begriff eine
entscheidende Rolle dafür, welcher Eindruck von diesem Volk beim Leser bewirkt werden soll. Dabei
ist nicht nur die reine Beschreibung ausschlaggebend, sondern vielmehr auch die Herkunft des Autors
selbst.
Der Begriff „pagani“, welcher die Angehörigen des Heidentums bezeichnet, wird sehr häufig von
Alkuin als prominentestes Beispiel verwendet. Mit dem Gebrauch dieser Bezeichnung für eine
Volksgruppe wird auf die religiöse Zugehörigkeit Bezug genommen, wobei vor allem der Gegensatz
zwischen Heiden und Christen hervorgehoben wird. Dabei wirkt der Ausdruck „pagani“ abwertend.
Die eigene Gruppenidentität wird so gestärkt und die Trennung von Gut und Böse klar aufgezeigt.
„Nordmanni“ ist die fränkische Bezeichnung aller nördlichen Völker, inklusive der Schweden,
Norweger und Dänen. Er ist einer der beiden meist benutzten Begriffe und war laut Aimoin in der
Bevölkerung üblich, die anscheinend keinen Gebrauch vom negativ behafteten Ausdruck „pagani“
machte.
Zusammen mit „Nordmanni“ findet man „Dani“ als Beschreibung des Volkes der Dänen in der
mittellateinischen Literatur am meisten. „Dani“ gilt als Selbstbezeichnung und ist nicht mit den bereits
erwähnten „Normanni“ zu verwechseln, denn die Normannen können in verschiedene Stämme wie die
Schweden oder Norweger etc. unterteilt werden. Grundsätzlich kann gesagt werden, dass „Dani“ der
neutralste Begriff für die Bezeichnung der Wikinger ist.
Nur die Handlungsweise einer Menschengruppe beschreibt der Ausdruck „piratae“, von welchem das
deutsche Lehnwort Pirat abstammt. Einem Autor, der dieses Wort verwendet, ist weder die Herkunft
noch die ethnische Zugehörigkeit von erster Priorität, sondern das Verhalten der Gruppen, welche die
Franken angriffen und ihren Lebensunterhalt durch Raubzüge zu Schiff bestritten.
„Exterae gentes“ beschreibt nicht ein bestimmtes, sondern alle fremdländischen Völker, über die
keine weiteren Informationen abgegeben werden sollen. Es werden keine Stammes- und Religionszugehörigkeiten, sowie keine Tätigkeiten beschrieben. Wichtig ist primär, dass das Fremde betont
wird.
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Vergleich Normannisch – Fränkisch
In einer Gegenüberstellung zeigen wir die Unterschiede auf, die zwischen der westfränkischen und der
normannischen Literatur bei der Darstellung der Wikinger bestehen. Erwähnenswert hier ist, dass die
Zeugnisse aus normannischer Sicht erst nach der Christianisierung niedergeschrieben wurden. Wichtigster Vertreter der normannischen Sicht ist Dudo von Saint-Quentin.
Franken
 Der Begriff „Heiden“ wird abwertend benutzt als Menschen, die das Seelenheil nicht finden
werden.
 Sie sind stolze und blutrünstige Krieger, die selbst die Klöster nicht ehren.
 Sie halten sich nicht an Absprachen, die mit Tributzahlungen verbunden sind, es geht ihnen
nur ums Geld.
 Wikinger werden als Plage Gottes beschrieben – sie „bestrafen“ die Christen, die sie angreifen
aufgrund von deren Sünden (wie Hurerei, Ehebruch, Unkeuschheit etc.)
Normannen:
 Rollo, ein Normannenführer, wird als ehrenhafter Herzog beschrieben.
 Er ist von grosser Tugend, Klugheit, Macht und grossem Rat.
 Er schwört Karl dem Einfältigen einen Lehenseid, was seine Vorfahren nie getan hätten –>
kluge, weise Entscheidung sich dem König zu unterwerfen.
 Er lässt sich taufen und erkennt also die Richtigkeit des christlichen Glaubens und legt den
irreführenden Götzendienst ab.
4. Diskussion
Grundsätzlich beschreiben die Franken die Normannen als blutrünstiges, heidnisches Volk. Fast
durchgehend werden sie als eine Bestrafung Gottes gesehen, die aufgrund des Fehlverhaltens der
Mächtigen geschickt wurde. Auch da gibt es eine Ausnahme, die nennenswert ist: Ermoldus Nigellus
berichtet in seinem Loblied auf Kaiser Ludwig den Frommen über eine Verwandtschaft zwischen den
„ehrenhaften“ und „hübschen“ Dänen und den Franken. Hier werden die Normannen als Urvolk der
Franken bezeichnet, die den wahren Glauben finden. Dabei muss man deutlich festhalten, dass nicht
die plündernden Wikinger gelobt werden, sondern das Volk der Dänen als solches, aus dem konkreten
Anlass, dass ein Teil von dessen Oberschicht sich Kaiser Ludwig unterstellte und zum Christentum
konvertierte. Allgemein kann man sagen, dass die Autoren je nachdem, was sie mit ihrem Werk
beabsichtigten oder was für eine Botschaft sie in die Welt schicken wollten, die Wikinger anders
beschrieben. Natürlicherweise beschreiben die Normannen ihre Anfänge positiver als die Franken.
Nachdem sich verschiedene Gruppen in der Normandie niedergelassen hatten und zum Christentum
konvertiert waren, wurde zwischen heidnischen und christlichen Normannen unterschieden und dementsprechend eher negativ bzw. positiv beschrieben.
Die Frage, wann man denn eigentlich von einer Migration der Wikinger sprechen darf, konnten wir
wie folgt beantworten: Die Wikinger plünderten als Seefahrer zunächst saisonal die Küsten Nordfrankreichs, doch etwa ab Mitte des 9. Jahrhunderts begannen zuerst nur einzelne, dann immer mehr
Wikingergefolgschaften, sich an der Küste dauerhaft niederzulassen. Als „Meilenstein“ der Migration
könnte man Rollos Unterwerfung, die mit einem Lehen verknüpft war, bezeichnen. Dabei ist
erwähnenswert, dass er nach Darstellung Dudos von Saint-Quentin zunächst nicht einverstanden war
mit dem Stück Land, das er erhalten sollte: Dieses war (aufgrund der häufigen wikingischen Plünderungen) wüst gefallen, er hätte die Felder in mühsamer Arbeit selbst bestellen müssen. Doch dies
beabsichtigten die Wikinger nicht, sie wollten sich als Grundherren, nicht als Bauern niederlassen. Zu
den Personengruppen, die migrierten, kann man feststellen, dass es sich vor allem um männliche
Krieger handelte, die zunächst auf Beutezug kamen und sich erst nach und nach niederliessen. Ihre
Familien blieben in Skandinavien, häufig heirateten sie fränkische Frauen.
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Danksagung
Wir möchten uns ganz herzlich bei unseren Betreuern, Dörthe Führer und Jannis Körth, für ihre
tatkräftige, motivierte und kompetente Unterstützung und dafür, dass sie sich Zeit für diese
Studienwoche genommen haben, bedanken. Des Weiteren bedanken wir uns bei der Stiftung
Schweizer Jugend forscht, die uns diese ganze Woche ermöglichte und alles organisierte und bei der
Universität Zürich, die uns die Räumlichkeiten zur Verfügung stellte, sowie bei allen übrigen
Sponsoren, die diese Woche ermöglichten.
Literatur- und Quellenverzeichnis
Quellen:
Aimoin von Saint-Germain-des-Prés, De miraculis sancti Germani. In: Patrologia Latina Bd. 126,
Sp. 1029B-1031A
Alkuin, Brief 16. MGH Epp. 4, 42f.
Annales Bertiniani a.D. 860-863. MGH SS rer. Germ. 5, S. 53-61
Dudo von Saint-Quentin, De moribus et actis primorum Normannorum ducum. MGH SS rer. Germ. 5,
S. 53-61
Ermoldus Nigellus, In honorem Hludowici. MGH Poetae 2, S. 59
Flodoard von Reims, Annales a.D. 943 (Les annales de Flodoard. Philippe Lauer (ed.), Paris 1905,
S. 86-90)
Flodoard von Reims, Historia Remensis ecclesiae 4, 14. MGH SS 36, S. 407
Epistola synodi Carisiacensis ad Hludowicum regem Germaniae. MGH Capit. 2, Nr. 297, S. 431
Concilium Triburiense. MGH Capit. 2, Nr. 252, S. 233
Carmina Fredigardi et Miconis 85. MGH Potetae 3, S. 327
Literatur:
Simon Coupland, From poachers to gamekeepers: Scandinavian warlords and Carolingian kings. Early
Medieval Europe 7 (1998), 85-114
Lexikon des Mittelalters. 9 Bände., Registerband, München 1977-1999. Hier s.v. „ Aimoin von St.
Germain“, „Alkuin“, „Dudo von St.-Quentin“, „Ermoldus Nigellus“, „Flodoard von Reims“, „SaintClair-sur-Epte, Vertrag v.“
https://de.wikipedia.org/wiki/Wikinger (aufgerufen am 22. 10.2015)
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