Wasserstoffversprödung an Ammoniak-Verdichtern

Wasserstoffversprödung an Ammoniak-Verdichtern
Allgemeines
Zur Erzeugung von Waschmitteln hatte sich in der DDR das sogenannte Parex-Verfahren
durchgesetzt: Aus Erdöl gewinnt man n-Paraffine der Kettenlänge C10 bis C20 durch selektive
Adsorption der n-Paraffine an Molekularsieben. Die Desorption der n-Paraffine erfolgt mit
Hilfe von Ammoniak [1].
Das Ammoniak muss verdichtet werden. Dazu kommen Radialverdichter zum Einsatz.
Ihr Aufbau ist folgendermaßen: Auf eine Grundscheibe werden die Schaufelbleche senkrecht
aufgesetzt und über Kehlnähte mit ihr verschweißt. Auf letztere wird dann die Deckscheibe
gesetzt und wiederum angeschweißt. Die Grundscheibe wird auf die Welle geschrumpft.
Das Gas wird wellennah angesaugt und radial herausgeschleudert. Danach wird das Gas
umgelenkt und von der nächsten Stufe erfasst.
Bei einem Radialverdichter handelt es sich somit um eine Ansammlung von relativ dünnen
Blechen und zahlreiche Schweißnähten (Kehlnähte). Ihre Wärmeeinflusszonen bilden die
Schwachstelle des Systems.
Ausbrüche an den Deckscheiben gefährdeten die Produktion von Waschmitteln in der DDR.
Im vorliegenden Fall war das Laufrad der zweiten Stufe betroffen, siehe Bild 1.
Bild 1:
ausgebauter Läufer mit
Riss in der
Deckscheibe der
zweiten Stufe
(Foto des Kunden)
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Technische Daten:
Betriebstemperatur: ca. 100 oC
Laufzeit: 20.000 Stunden
Stahl-Analyse (i.w.) 0,16%C; 0,52% Cr; 0,84% Ni; 0,5% Mo; 0,1% V = StE70
(Norm: DIN EN 10083 T1 + T2)
Wanddicke: mindestens 5 mm (im Schaufelblech)
Härte: im Grundwerkstoff der Deckscheibe 250 HV 30, in den Wärmeeinflusszonen bis
350 HV 30
Untersuchungen
metallographische Untersuchung (durch den Kunden)
Die Risse fanden sich in den Wärmeinflusszonen (WEZ) aufseiten der Deckscheibe. Im
Allgemeinen handelte sich um einen Riss, seltener um zwei.
Eine solche Ausnahme ist in Bild 2 zu sehen.
Bild 2:
zwei Risse in der
Deckscheibe neben der
bzw. unter der Naht, aber
immer in der
Wärmeeinflusszone
In der Hauptsache starteten Risse in der Grobkornzone und gaben die Kornstruktur wieder
d.h., sie verliefen interkristallin. Als Ausnahme zeigten sich auch Risse in entfernteren
feinkörnigen Bereichen (Bild 3).
Bild 3
rechts:
interkristalliner
Rissverlauf im
Grundwerkstoff
(Grobkornzone der
WEZ), links
transkristalliner
Riss, der einen
Einschluss als
Zentrum hat.
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fraktographische Untersuchung
Für die REM-Untersuchung brach man einen Riss auf; es haben sich einzelne Fronten
ausgebildet, die sich teilweise überschneiden (Bild 4).
Bild 4:
Rissbereich für
REMUntersuchung
aufgebrochen;
Anrisse dunkel
Direkt unter der Blechoberfläche wirkt das Bruchgefüge körnig. Es handelt sich um das
Gebiet der Wärmeeinflusszone (Bereich A); wie das schon auf der Schliffaufnahme erkennbar
war. Mit zunehmender Tiefe verflachen die Strukturen. Im Bereich B wurde die
Wärmeeinflusszone bereits verlassen. Der Restbruch zeigt sich als Scherlippe (Bereich C),
siehe Bild 5.
Bild 5:
Übersicht der Bruchfläche,
A = Kornstrukturen in WEZ
B = transkristalliner Bruch
C = Scherlippe
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Hervorgehoben wird zunächst der Bereich der Wärmeeinflusszone (A). Der körnige Charakter
verliert sich mit zunehmender Risstiefe (Bild 6).
Bild 6:
WEZ; die
Kornstruktur
verflacht
allmählich
(Ausschnitt aus
Bild 5).
Mit zunehmender Vergrößerung zeigen sich die Körner besser (Bild 7).
Bild 7:
Kornstruktur
(Ausschnitt aus
Bild 6)
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Vereinzelt finden sich transkristalline Facetten (Bild 8).
Bild 8:
transkristalline
Bruchfacette im
Kornfeld
(Ausschnitt aus
Bild 7)
Die transkristallinen Facetten nehmen ihren Ausgang an den Korngrenzflächen (Bild 9).
Bild 9:
Start der Facetten
an den
Korngrenzen
(Ausschnitt aus
Bild 8)
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Im Folgenden wird der Bereich B betrachtet. Umgeben von Wabenzonen, welche den
duktilen Gewaltbruch kennzeichnen, finden sich längliche, transkristalline Facettenfelder
(Bild 10).
Bild 10:
längliche
Facettenfelder im
Bereich des
duktilen
Restbruchs
(vgl. Bild 5)
Die Einzelfacetten nehmen ihren Ausgang an längliche Spalten, bei denen es sich um die
Hohlräume der Einschlüsse handelt (Bild 11). Aus der Tatsache, dass die Einschlüsse
verstreckt vorliegen, ist zu schließen, dass es sich um Sulfide handelt. Wirksam wird hier die
lange Schmalseite der Einschlüsse, d. h., die Belastung erfolgte quer zur Walzrichtung.
Bild 11:
Riss-Start an den
Hohlräumen der
Einschlüsse
(Ausschnitt aus
Bild 10)
Diskussion
Bei den freigelegten Korngrenzen, wie sie sich in Zone A zeigten, handelt es sich um die des
primären Austenits. Bei diesem Bruchgefüge könnte es sich außer um Wasserstoffversprödung auch um Härterisse oder um Relaxationsrisse handeln. Allerdings sind die beiden
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alternativ genannten Möglichkeiten im vorliegenden Fall wenig wahrscheinlich. Ein Hinweis
auf die Beteiligung des Wasserstoffes ergibt sich aus den einzelnen Facettenfeldern, die von
den Korngrenzen ausgehen.
Ausgeprägt sind die transkristallinen Facettenfelder in Zone B. Der Wasserstoff wurde in den
Hohlräumen der Sulfide gespeichert und hat von dort her die Matrix aufgebrochen. Diese
Minifischaugen sind von Wabenstruktur (Gewaltbruch) umgeben.
Der Stahl hat sich während des Betriebes mit Wasserstoff aufgeladen, und zwar aus dem
Ammoniak. Das ist grundsätzlich an den sich zyklisch dehnenden Oberflächen möglich; der
Stahl „atmet“. Eine direkte, flächige Korrosion ist dann nicht erforderlich.
Der Verdichter arbeitet bei einer Umgebungstemperatur von etwa 100 oC und befindet sich
damit außerhalb der Bereiches der Wasserstoffversprödung. Zur Rissbildung kommt es erst
nach dem Erkalten, vorzugsweise beim Wiederanfahren, wenn die betriebliche Zugspannung
wieder anliegt.
Man ging beim Material auf einen Stahl über, der deutlich höher legiert war:
weichmartensitischer Stahl X5CrNuCuNb17-4-4 (1.4548), Herstellerbezeichnung 17-4 PH.
Zusammenfassung
Die Turbinenscheiben nahmen Wasserstoff während des Betriebes auf; die Rissbildung
erfolgte nach dem Erkalten bzw. beim Wiederanfahren an den Schweißnähten (WEZ).
Literatur
[1] www.spektrum.de/lexikon/chemie/parex-verfahren/6733
Die Risslage entspricht dem, was man an Schweißnähten findet, wenn der Wasserstoff aus der Schmelze stammt,
siehe in dieser Homepage: „Bruch durch Wasserstoff – Kaltrissigkeit: Nebennahtrisse“ .
Martin Möser, 16. Januar 2016
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