ST. ANNA-GEMEINDE ZÜRICH Berufen zur Gemeinschaft mit Jesus

ST. ANNA-GEMEINDE ZÜRICH
Berufen zur Gemeinschaft mit Jesus
Predigt von Pfarrer Luzi Candrian
gehalten am 23. August 2015
Schriftlesung: Johannes 15,9-17
Predigttext:
1. Korinther 1,9
„Gott ist treu, durch den ihr berufen seid zur Gemeinschaft
seines Sohnes Jesus Christus, unseres Herrn.“
Liebe Gemeinde
Ich möchte heute Morgen mit einer ganz einfachen Frage einsteigen: Welchen Beruf haben Sie? Oder welchen Beruf haben Sie
kürzere oder längere Zeit ausgeübt? Es gäbe eine lange und interessante Liste, wenn wir alle verschiedenen Berufe zusammentragen würden, die heute Morgen unter uns vertreten sind! Wir
kommen zu einer zweiten Frage: Haben Sie eine Berufung? Sind
Sie ein Berufener, eine Berufene? Jetzt wird‘s schon schwieriger.
Bei dem Wort Berufung denkt man an besondere Leute. Ein Professor zum Beispiel wird an eine Universität berufen. Oder wir
denken an die Schwestern im Ländli oder in einer anderen
Schwesterngemeinschaft. Bei einer speziellen Aufgabe oder bei
einem geistlichen Stand, da reden wir von Berufung. Aber es muss
schon etwas Besonderes sein. Da überrascht uns der Apostel Paulus im 1. Korintherbrief mit einer erstaunlichen Aussage in Sachen
Berufung (Lesung Predigttext 1. Korinther 1,9).
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1. Alle Christen haben eine Berufung
Paulus erinnert uns hier daran, dass es für alle Christen eine Berufung gibt. Also nicht nur für Diakonissen, nicht nur für Pfarrer,
nicht nur für Missionare gibt es eine Berufung, die von Gott her
kommt. Wenn wir wissen wollen, ob diese These stimmt, müssen
wir fragen: Wem schreibt Paulus diese Zeilen? Er schreibt nicht
irgendwelchen Würdenträgern in der Gemeinde von Korinth.
Auch nicht der Gemeindeleitung oder einem besonderen Kreis von
Christen. Er schreibt allen Christen in Korinth. Wörtlich schreibt
er an die Geheiligten in Christus Jesus, die berufenen Heiligen.
Im Neuen Testament werden alle Männer und Frauen, die an Jesus
glauben als berufene Heilige bezeichnet. Jetzt wird es sehr persönlich. Glaubst du an Jesus Christus, den gekreuzigten und auferstandenen Sohn Gottes? Hast du dein Leben ihm anvertraut? Gilt
für dich das Bekenntnis: Jesus ist mein Herr und er ist der Herr
über alle Herren? Hast du die Erlösung, die Jesus am Kreuz vollbracht hat, persönlich angenommen? Hast du durch Jesus Christus
Vergebung deiner Sünden empfangen? Hast du Frieden mit Gott?
Dann gehörst du nach dem Sprachgebrauch des Neuen Testamentes zu den berufenen Heiligen!
In der griechischen Hafenstadt Korinth hatte Paulus das Evangelium von Jesus Christus verkündigt. Männer und Frauen, die vorher
Juden oder Heiden waren, sind zum Glauben gekommen. Jetzt
gehören sie zur Gemeinde der Christen in dieser heidnischen
Stadt. Diesen Geheiligten in Christus Jesus, diesen berufenen Heiligen schreibt Paulus seinen Brief. Das muss wohl eine besonders
gute und fromme Gemeinde gewesen sein, dass Paulus für die
Gemeindeglieder so schöne Worte gebraucht, denken wir, und
liegen voll daneben! Wer die beiden Briefe an diese Gemeinde im
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Neuen Testament liest, merkt schnell einmal, dass sie dem Apostel
viel Sorge und Kummer bereitet hat. Vieles, was sich die Christen
in Korinth geleistet haben, passt überhaupt nicht zu einer Mustergemeinde. Umso erstaunlicher ist der kräftige Dank an Gott, den
Paulus im Blick auf diese Christen an den Anfang seines Briefes
stellt. Warum ist Paulus so positiv eingestellt gegenüber diesen
Christen in Korinth, die ihn massiv kritisiert haben und seine Arbeit und seine Autorität in Frage gestellt haben?
Die Antwort hat mit unserem Predigttext zu tun. Paulus weiss um
die einzigartige Berufung, die allen Christen gilt. Auch an dieser
Stelle ist uns Paulus ein grosses Vorbild. Sobald wir es mit Menschen zu tun haben, die in der Nachfolge von Jesus stehen, wollen
wir das eine nicht vergessen: Sie haben eine wunderbare Berufung! Auch die, die uns nicht besonders sympathisch sind und
auch die, welche einen anderen Frömmigkeitsstil pflegen als wir!
Haben wir es noch im Ohr, worin die Berufung besteht, die für
alle Christen gilt?
„Gott ist treu, durch den ihr berufen seid zur Gemeinschaft seines
Sohnes Jesus Christus, unseres Herrn.“ Das ist kein schwieriger
Bibeltext. Man kann sich ihn gut merken. Und ich freue mich,
wenn Sie es für den Rest Ihres Lebens nicht mehr vergessen,
welch wunderbare Berufung allen Christen gilt! Christen sind von
Gott berufen zur Gemeinschaft mit seinem Sohn Jesus Christus.
Paulus wusste sich zum Apostel, zum Gesandten von Jesus berufen. Diese Berufung, die er in der Stunde seiner Bekehrung in
Damaskus bekam, war ihm kostbar, er hat sie mit äusserstem Einsatz gelebt. Aber für Paulus gab es neben dieser Berufung zu einer
besonderen Aufgabe noch eine grössere, noch kostbarere Beru-
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fung: die Berufung zur Gemeinschaft mit Jesus, zur Gemeinschaft
mit seinem Herrn und mit seinem König.
2. Was bedeutet diese Gemeinschaft mit Jesus für mein Leben?
Diese Frage können wir in diesem Gottesdienst nur andenken. Es
ist eine Frage, die uns immer neu beschäftigen muss. Bei vielen
Christen hat man den Eindruck, dass das Feuer des Glaubens auf
Sparflamme brennt. Man hat sich vor vielen Jahren Jesus zugewandt, aber jetzt ist das Leben als Christ farblos und langweilig
geworden. Man hat sich zwar ein paar äussere Formen bewahrt,
die darauf hinweisen, dass man Christ ist, aber von Leidenschaft
in der Nachfolge Jesu ist nichts mehr zu finden. Wie konnte es nur
so weit kommen? Vielleicht hat es etwas mit unserem Predigttext
zu tun? Vielleicht haben wir unsere grösste Berufung aus den Augen und aus dem Sinn verloren? Deshalb ist das eine wichtige
Frage, der wir uns stellen müssen: Was bedeutet diese Gemeinschaft mit Jesus für mein Leben?
Das griechische Wort, das hier für Gemeinschaft steht, heisst
koinonia. Dieses Wort kann man mit Vereinigung, mit Verbindung oder mit Teilhaberschaft übersetzen. Wir wissen, dass dieses
Wort in der christlichen Gemeinde einen wichtigen Platz eingenommen hat. Von den ersten Christen zählt Lukas in der Apostelgeschichte vier Kennzeichen auf, die für sie typisch sind: „Sie
blieben aber beständig in der Lehre der Apostel und in der Gemeinschaft und im Brotbrechen und im Gebet“ (Apostelgeschichte
2,42). Als hilfreiche Gemeinschaft des gegenseitigen Dienens sind
die ersten Christen damals aufgefallen. Menschen werden zu einer
Gemeinschaft, wenn etwas Gemeinsames sie verbindet. Darüber
wäre nun viel zu sagen, wie sehr der gemeinsame Glaube an Jesus
Christus eine Gemeinschaft wirkt, die stärker ist als eine Bluts-
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verwandtschaft. Heute geht es nun aber um unsere grösste Berufung: „Gott ist treu, durch den ihr berufen seid zur Gemeinschaft
seines Sohnes Jesus Christus, unseres Herrn.“ Was bedeutet diese
Gemeinschaft mit Jesus für unser Leben?
Ich möchte hier einmal die Teilhaberschaft betonen, die auch in
dem Wort koinonia steckt. Paulus betont hier, dass alle Christen
zur Teilhaberschaft berufen sind. Nicht zu einer Teilhaberschaft an
einer Firma, sondern zur Teilhaberschaft an Jesus. Im Geschäftsleben setzt Teilhaberschaft gleichberechtigte Teilhaber voraus. Da
haben wir grosse Mühe uns das auch nur vorzustellen. Wie sollten
wir an Jesus einen ‚Anteil‘ haben? Aber Gottes unbegreifliche
Liebe hat uns zu diesem ‚Anteil‘ an Jesus berufen. Ganz praktisch
bedeutet dies: Jesus nimmt Anteil an allem was mich betrifft. Er
nimmt Anteil an allem was mich bewegt und beschäftigt. Deshalb
ist das Gespräch mit Jesus, das Gebet so wichtig. Hier kann ich
Jesus sagen wo ich im Moment dran bin. Was mich freut und beflügelt und was mich nervt oder traurig macht, was mich blockiert
oder lähmt.
Manchmal sind wir an dieser Stelle angefochten, dass wir uns fragen: Interessiert das Jesus wirklich, wie ich meinen Alltag bewältige und wie ich in so vielen Fragen meinen Weg suche? Weil es
Gottes Wille ist, dass wir Teilhaber von Jesus sind, können wir
diese Frage mit einem klaren Ja beantworten. Aber diese Teilhaberschaft an Jesus bedeutet auch, dass wir Anteil haben an allem,
was Jesus gehört. Und dies vergessen wir so leicht. Im Alltag
kommen wir immer wieder auf die falsche Spur, dass wir meinen,
wir müssten aus den eigenen Quellen leben. Das ist falsch. In der
Theorie wissen wir, dass Jesus die Quelle des Lebens ist, aber
wenn‘s drauf ankommt, strampeln wir, als wüssten wir nichts von
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der Lebensquelle, die uns zur Verfügung steht. Durch die Gemeinschaft mit Jesus, zu der wir berufen sind, haben wir Anteil an seiner Liebe. Seine Liebe ist unerschöpflich und so reich, dass sie
nicht nur unsere eigenen Bedürfnisse abdeckt, sondern noch weiter
fliesst zu den Menschen um uns her. Durch die Gemeinschaft mit
Jesus, zu der wir berufen sind, haben wir Anteil an seiner Kraft.
Wer mit Jesus verbunden lebt, hat Anschluss an Gottes Kraft. Wie
schnell vergessen wir das!
Haben Sie auch schon über Männer und Frauen des Glaubens gestaunt und sich gefragt, woher nur nehmen sie in grossen Krisenzeiten die Kraft, um durchzuhalten? Ihr Geheimnis heisst: Sie leben als Teilhaber an der Kraft ihres Herrn Jesus Christus! Durch
die Gemeinschaft mit Jesus, zu der wir berufen sind, haben wir
Anteil an seiner Geduld. Ich bin von Natur aus kein geduldiger
Typ. Warten ist nicht meine Stärke. Ich liebe es gar nicht, wenn
alles in der Schwebe ist und man eine Sache nicht abschliessen
kann. Aber wie oft müssen wir im Leben auf Gottes Stunde warten! Hier bin ich echt froh um die Geduld von Jesus. Er macht mir
immer wieder Mut, gewisse Dinge ihm zu überlassen. Er wird zu
seiner Zeit eingreifen und die Erfahrung zeigt, dass Jesus nie zu
spät kommt!
Durch die Gemeinschaft mit Jesus, zu der wir berufen sind, haben
wir Anteil an seinen Möglichkeiten. Auch hier leben wir so oft im
Unglauben, weil wir nur mit unseren beschränkten Möglichkeiten
rechnen. Bei Gott ist kein Ding unmöglich. Dazu sagen wir sicher
Ja. Aber wo bestimmt die Verbundenheit mit Jesus unseren Alltag
so, dass wir es immer wieder staunend feststellen dürfen: Herr, bei
dir sind noch viele Wege offen, auch da, wo wir keinen mehr sehen! Im Philipperbrief (1,29) und im Römerbrief (8,17) sagt Pau-
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lus, dass die Teilhaberschaft an Jesus auch die Leiden mit einschliesst. Das ist ein Thema, dem wir gern ausweichen.
„Mit Christus auferstehen“, das möchten wir alle. Doch voraus
geht das „mit Christus gestorben“. Auf diesem Hintergrund hat
Paulus seine vielfältigen Leiden im Dienst für Jesus einordnen
können. Bei ihm merken wir, dass er nicht einfach schöne theologische Sätze macht, wenn er den Christen in Korinth zuruft: „Gott
ist treu, durch den ihr berufen seid zur Gemeinschaft seines Sohnes Jesus Christus, unseres Herrn.“ Paulus hat diese Sätze gelebt.
Er konnte sagen: „Ich lebe, doch nun nicht ich, sondern Christus
lebt in mir“ (Galater 2,20). Kürzer und prägnanter kann man gar
nicht sagen, was eigentlich Gottes Wille für uns Menschen ist. Er hat
uns Jesus gegeben, dass er unser Heiland und unser König sei. In
Jesus Christus will Gott uns seinen ganzen Reichtum schenken. Und
warum tut er das? Die Antwort steht auch in unserem Predigttext.
3. ... denn Gott ist treu!
Paulus muss Gott danken, wenn er an die Christen in Korinth
denkt. Gott selber hat sie herausgerufen aus dem Verderben und
hineingerufen in die Gemeinschaft mit Jesus. Ist Ihnen auch schon
aufgefallen, dass die Gläubigen im Alten Testament und im Neuen
Testament, sowie die Gläubigen in unseren Tagen alle dasselbe
sagen, wenn sie von Gott reden? Sie alle müssen staunend bezeugen: Unser Gott ist treu! In seiner beispiellosen Treue hört er nicht
auf, mit uns zu reden, uns seine Liebe zu zeigen, uns das ABC des
Glaubens zu lehren, uns Mut zu machen für den nächsten Schritt
im Glauben. Es ist nicht unser grosser Glaube, der uns bis ans Ziel
bringt, sonst hätte ich wirklich Bedenken, ob ich es bis zum Ziel
schaffe. Nein, es ist Gottes Treue, die uns ans Ziel bringt. Und am
Ziel, wenn wir einmal bei Jesus sind, werden wir sagen: Welch ein
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Reichtum ist durch die Gemeinschaft mit Jesus in unser Leben
gekommen!
Paulus hat nicht nur die Christen in Korinth daran erinnert, dass
sie wirklich unter einer grossen Berufung leben. Er will es auch
uns ganz tief einprägen, dass wir durch den Glauben an Jesus Berufene Gottes sind. „Gott ist treu, durch den ihr berufen seid zur
Gemeinschaft, zur Teilhaberschaft seines Sohnes Jesus Christus,
unseres Herrn.“ Ich wünsche es uns allen, ich wünsche es auch
mir, dass wir echt froh werden im Ausleben dieser einzigartigen
Berufung, nicht nur am Sonntagmorgen, die ganze Woche. Denn:
Gott ist treu! Amen.
ST. ANNA-GEMEINDE ZÜRICH
St. Anna-Kapelle, St. Annagasse 11, 8001 Zürich
Gottesdienste: Sonntag 10.00 Uhr, Bibelstunden: Mittwoch 15.00 Uhr
Sekretariat St. Anna, Grundstrasse 11c, 8934 Knonau, Telefon 044 776 83 75