Einbaupflicht digitaler - Landtag Mecklenburg Vorpommern

LANDTAG MECKLENBURG-VORPOMMERN
6. Wahlperiode
Drucksache 6/4855
02.12.2015
ANTRAG
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Kein Smart-Meter-Zwang für Privathaushalte - Einbaupflicht digitaler, „intelligenter“ Messsysteme bei Kleinverbrauchern ist kein Beitrag zur Energiewende
Der Landtag möge beschließen:
1. Intelligente Zähler und Messsysteme können der Energiewende dienen, wenn sie dabei
helfen, einen Beitrag zur Stabilisierung des Stromnetzes zu leisten.
2. Die Kosten der Verbraucher müssen jedoch in einem angemessenen Verhältnis zu den
erwarteten Energieeinsparungen und Lastverlagerungen stehen. Der Einbau von SmartMetern sollte sich daher auf Bereiche beschränken, in denen ein erhebliches Potenzial für
Energieeinsparungen und für mehr Lastflexibilität im Sinne der Energiewende vorhanden
ist und dies von konkreten Verbrauchern auch gewollt ist.
3. Darüber hinaus sind die notwendigen Rahmenbedingungen zu schaffen, um das Angebot
attraktiver variabler Stromtarife deutlich zu erhöhen.
4. Der Landtag lehnt eine Einbauverpflichtung für intelligente Messsysteme bei Kleinverbrauchern ab, da sie in der Regel keinen Mehrwert für die Energiewende bringen. Der Einbau von Smart-Metern in Haushalten mit einem Jahresstromverbrauch von unter
6.000 Kilowattstunden sollte daher als Mindestforderung auf Freiwilligkeit basieren.
5. Die Landesregierung wird aufgefordert, sich im Bundesrat dafür einzusetzen, dass der
Entwurf eines Gesetzes zur Digitalisierung der Energiewende entsprechend nachgebessert
wird.
Jürgen Suhr, Johann-Georg Jaeger und Fraktion
Drucksache 6/4855
Landtag Mecklenburg-Vorpommern - 6. Wahlperiode
Begründung:
Die Bundesregierung hat ein Gesetz auf den Weg gebracht, das die stufenweise, breit angelegte Einführung von „intelligenten“ Messsystemen - Smart-Meter - in Deutschland regeln
soll. Beginnen soll der Rollout 2017 bei Stromerzeugern und Großverbrauchern und
anschließend über mehrere Jahre gestaffelt mit kleineren Verbrauchsgruppen weitergehen.
Smart-Meter steht für intelligente Messsysteme und moderne Stromzähler und bezeichnet
Geräte, die den Stromverbrauch erfassen können. Im Unterschied zu den heute in der Regel
verwendeten analogen Ferraris-Zählern können die neuen Stromzähler den Verbrauch und die
verwendete Leistung in Echtzeit erfassen und gegebenenfalls übertragen.
Der Entwurf eines Gesetzes zur Digitalisierung der Energiewende vom 6. November 2015
(Bundesratsdrucksache 543/15) sieht zwei unterschiedliche Smart-Meter vor: moderne Zähler
(auch als intelligente Stromzähler bezeichnet) und intelligente Messsysteme. Beide neuen
Zähler erfassen den Verbrauch und die Leistung von Strom in Echtzeit. Während die
modernen Zähler Informationen nicht übermitteln können, verfügen intelligente Messsysteme
zusätzlich über ein Kommunikationsmodul im Keller, womit eine Kommunikation nach
außen oder in die Wohnung der Verbraucher möglich ist.
Der Entwurf eines Gesetzes zur Digitalisierung der Energiewende gibt verpflichtend vor,
Letztverbraucher mit einem Jahresstromverbrauch von mehr als 6.000 Kilowattstunden (kWh)
sowie Erzeuger nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) und nach dem Kraft-WärmeKopplungsgesetz mit einer installierten Leistung von über 7 Kilowatt von 2017 an mit einem
intelligenten Messsystem auszustatten, sofern dies technisch möglich und wirtschaftlich
vertretbar ist (§ 29 Abs. 1 des Gesetzentwurfs). Bei Verbrauchern bis zu 6.000 kWh Jahresverbrauch ist zwar kein flächendeckender Pflichteinbau vorgesehen. Jedoch können Liegenschaftsinhaber oder die zuständigen Messstellenbetreiber ab 2020 die Option nutzen, auch in
diesem Verbrauchsbereich intelligente Messsysteme einzubauen. Dies hätten Kunden nach
dem jetzigen Gesetzesentwurf hinzunehmen und dann auch zu bezahlen. Das gleiche soll für
Mieter gelten, wenn der Hauseigentümer entscheidet, an seinem Anschluss für alle Bewohner
ein intelligentes Messsystem installieren zu lassen.
Technisch möglich ist der Einbau von intelligenten Messsystemen nach § 30 des Gesetzentwurfs, wenn mindestens drei voneinander unabhängige Unternehmen intelligente Messsysteme am Markt anbieten, die den Vorgaben und Technischen Richtlinien des Bundesamtes
für Sicherheit in der Informationstechnik genügen.
Hinsichtlich der wirtschaftlichen Vertretbarkeit der Ausstattung mit intelligenten Messsystemen sieht § 31 des Gesetzentwurfs verbrauchsabhängige abgestufte Preisobergrenzen
vor. So dürfen bei einem Jahresstromverbrauch von über 50.000 kWh bis zu 200 Euro brutto
jährlich in Rechnung gestellt werden; bei einem Jahresstromverbrauch zwischen 6.000 und
10.000 kWh darf der Preis nicht über 100 Euro brutto jährlich liegen und bei einem
Jahresstromverbrauch zwischen 4.000 und 6.000 kWh liegt die Preisobergrenze bei 60 Euro
brutto jährlich.
Intelligente Stromzähler können helfen, den Energieverbrauch intelligent zu steuern, etwa
wenn zu bestimmten Tageszeiten fluktuierende Erneuerbare Energien besonders viel oder
wenig Strom erzeugen. Sie erhöhen zudem die Transparenz beim Energieverbrauch und
helfen beim Energiesparen. Diesen Vorteilen stehen jedoch vor allem im Privatkundenbereich
auch Bedenken gegenüber.
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Landtag Mecklenburg-Vorpommern - 6. Wahlperiode
Drucksache 6/4855
Nach Angaben im Gesetzentwurf der Bundesregierung können privaten Haushalten mit dem
Einbau von Smart-Metern Kosten von bis zu 100 Euro pro Jahr entstehen.
Die Einsparpotenziale bei den klassischen Haushaltsgeräten wie Kühlschrank,
Waschmaschine und Geschirrspüler sind dagegen zu gering, um mit einer zeitlich angepassten
Nutzung damit Geld zu sparen. Hinzu kommt, dass die typischen Geräte eines Privathaushalts
aufgrund des geringen Verbrauchs für die Netzstabilität nahezu unerheblich sind.
Sind Wärmepumpen oder Speicher im Haushalt vorhanden, sieht das unter Umständen anders
aus, da damit das Lastverlagerungspotenzial steigt. Allerdings senden vieler diese Geräte
ohnehin selbstständig Informationen über ihren Betriebszustand.
Eine Studie der Unternehmensberatung Ernst & Young im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums hat ergeben: Die Kosten für den modernen Zähler mitsamt der nötigen Kommunikationstechnik liegen für Privathaushalte in der Regel höher als der Betrag, der durch
Verbrauchsverlagerung einzusparen ist.
Einer aktuellen Studie zufolge hält sich der finanzielle Nutzen durch variable Tarife, die mit
intelligenten Messsystemen möglich werden, jedoch sehr in Grenzen. Lediglich Haushalte,
die große Verbraucher wie Nachtspeicherheizungen nutzen, könnten mit Hilfe dieser Geräte
Geld einsparen, urteilt das Wissenschaftliche Institut für Infrastruktur und Kommunikationsdienste (WIK). Kleinverbraucher könnten hingegen je nach Tarif bis zu 60 Euro im Jahr
zuzahlen (Wissenschaftliches Institut für Infrastruktur und Kommunikationsdienste, Quantitative Auswirkungen variabler Stromtarife auf die Stromkosten von Haushalten, Kurzstudie
für Verbraucherzentrale Bundesverband e. V., 11. November 2015, http://zap.vzbv.de/ce0
ba83d-8d69-4aed-bbc3-af50e58fdf59/Auswirkungen-variabler-Stromtarife-auf-StromkostenHaushalte-WIK-vzbv-November-2015.pdf).
Die Einführung sogenannter „intelligenter“ Messsysteme ist für die Energiewende ein
zweckmäßiger Schritt, sofern bei den betroffenen Verbrauchern ein entsprechendes Lastverlagerungspotenzial vorhanden ist und der Einbau der Zähler nur dort erfolgt, wo sich die
zusätzlichen Kosten durch Einsparungen amortisieren können. Beide Voraussetzungen
werden insbesondere bei größeren Stromverbrauchern erfüllt, die über entsprechend flexible
Lasten verfügen. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung folgt diesem Ansatz teilweise, ist
allerdings zumindest an einer Stelle inkonsequent: Denn die Netzbetreiber dürfen auch Kleinverbrauchern gegen deren Willen einen intelligenten Zähler einbauen.
Damit ist kein Mehrwert für Verbraucher und Energiewende gegeben.
Für die meisten Verbraucher ergeben sich aufgrund fehlender variabler Tarife und
fixer Standardlastprofile zudem keine finanziellen Vorteile durch eine Änderung
ihres Verbrauchsverhaltens.
Zwar
haben
Energieversorgungsunternehmen
gemäß
§ 40 Abs 5 EnWG für Letztverbraucher von Elektrizität einen Tarif anzubieten, der einen
Anreiz zu Energieeinsparung oder Steuerung des Energieverbrauchs setzt, soweit dies
technisch machbar und wirtschaftlich zumutbar ist. Das Energiewirtschaftsgesetz schreibt
Energieversorgern somit vor, lastabhängige und/oder zeitvariable Stromtarife anzubieten.
Diese sind bisher in der Regel jedoch finanziell nicht attraktiv ausgestaltet: Haushalte
schaffen es im Durchschnitt nicht, die notwendige Menge an Strom in günstigere Tarifzonen
zu verlagern, die notwendig wäre, um eine Ersparnis zu erzielen.
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Drucksache 6/4855
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Auch aus datenschutzrechtlichen Gründen bestehen erhebliche Bedenken. Die Daten über den
Stromverbrauch enthalten sensible Informationen über den Verbraucheralltag der
Stromkunden. Mit Smart-Meter gibt es neue Möglichkeiten zum Erheben und Sammeln
privater Daten. Der Stromverbrauch eines Haushalts kann nicht nur verraten, ob jemand zu
Hause ist, sondern auch, welchen Aktivitäten nachgegangen wird. Selbst eine
viertelstündliche Abrechnung verrät viel darüber, welche Geräte gerade im Betrieb sind, wie
viele Personen zu Hause sind und was diese gerade tun.
Die Konferenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder hat bereits im Jahr
2012 eine Entschließung und eine ergänzende Orientierungshilfe mit Hinweisen zum datenschutzgerechten Einsatz von Smart-Metering in Häusern und Wohnungen verabschiedet.
Darin heißt es, die detaillierte Erfassung und Übermittlung des Energieverbrauchs könne zu
tief greifenden Verletzungen der Persönlichkeitsrechte der Betroffenen führen und sowohl das
Recht auf informationelle Selbstbestimmung als auch die verfassungsrechtlich garantierte
Unverletzlichkeit der Wohnung beeinträchtigen. Durch eine langfristige Aufzeichnung, die
Verknüpfungsmöglichkeiten derartiger Verbrauchsprofile mit anderen Daten und ein Auslesen der Daten per Fernzugriff könnten sich massive Verletzungen der Privatsphäre der
Betroffenen ergeben.
Die Datenschutzbeauftragten begrüßen die im Energiewirtschaftsgesetz getroffenen Datenschutzregelungen, weisen aber nachdrücklich darauf hin, dass die Regelungen weiter konkretisiert und detailliert ausgestaltet werden müssten. Um die Privatsphäre der Verbraucherinnen
und Verbraucher auch beim Einsatz der modernen Messtechnik wahren zu können, den
Betroffenen die Souveränität über ihre Daten zu gewähren und ihnen die Möglichkeit zur
Intervention zu geben, seien neben den gesetzlichen Vorgaben umfangreiche technische und
organisatorische Maßnahmen und Regelungen erforderlich.
Ob die im Gesetzentwurf zur Digitalisierung der Energiewende nunmehr getroffenen Regelungen diesen Anforderungen genügen, gilt es ausführlich zu prüfen.
Insgesamt ist eine Messsystem-Einbaupflicht bei Kleinstverbrauchern aus Kosten- und Datenschutzgründen mehr als bedenklich und wenig energiewendedienlich. Der Einbau sollte daher
nur auf freiwilliger Basis geschehen.
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