Turnerinnen künstlich klein gehalten Dem Doping-Experten Werner Franke sind mehrere Fälle bekannt, in denen DDR-Turnerinnen durch Doping-Präparate körperlich klein gehalten wurde. Jetzt stellte er deshalb Strafanzeige. Von Frank Thomas Berlin/Cottbus (dpa) 25 Jah re nach dem Ende der DDR hat der MolekularBiologe Werner Franke mit einer Strafanzeige einen neuerli chen DopingSkandal öffent lich gemacht. „Es handelt sich nicht mehr nur um Doping während der sportlichen Lauf bahn, sondern um Menschen veränderungen vor und nach der Karriere“, bestätigte der Professor für Zell und Mo lekularBiologie aus Heidel berg am Sonntag. Er habe da her bei der Staatsanwaltschaft Berlin Strafanzeige gegen eine verantwortliche Medizinerin des einstigen DDRTurnver bandes und weitere Verant wortliche gestellt. Zuerst hatte der „Spiegel“ über Frankes Verdacht berich tet, dass DDRTurnerinnen im Kindesalter durch die Vergabe von Anabolika klein gehalten und nach ihrem Karriereende mit dem Wachstumshormon aus Leichen misshandelt wur den, um ihr Wachstum wie der anzuregen. Grundlage von Frankes Anzeige ist das Ver fahren der ehemaligen Tur nerin Heike M. aus Berlin, die aus Verletzungsgründen früh ihre Laufbahn beenden musste. Wie aus Dokumen ten hervorgeht, erfolgte bei der Jugendlichen nach der Verabreichung eines Soma tropinPräparats über sechs Wochen damals ein Wachs tumsschub von zehn Zenti metern (von 1,53 Meter auf 1,63 Meter) in nur zehn Mo naten. Heike M. wurde nach dem Ende ihrer Karriere im sächsischen Kreischa das So matropin gespritzt. Die heute 52 Jahre alte Leh rerin leidet heute unter einer Degeneration der Hals und Lendenwirbel, der Verknöche rung des Ellenbogens, Entzün dungen am Hüftgelenk, Kopf, Schulter und Muskelschmer zen. „Seit meinem 7. Lebens jahr war ich keinen Tag mehr schmerzfrei“, beklagte sie im „Spiegel“. Wie Franke weiter unter strich, bekamen die jungen Turnerinnen in der DDR an drogene Hormone (Antibio tika) nicht nur um belast barer zu sein, sondern auch zur Reduktion des Größen wachstums. „Systematisch wurden die Wachstumsfugen in den Knochen verfestigt“, meinte er. Mit dem Präparat Somatropin H, das nach sei ner Kenntnis überwiegend aus russischen Leichen ge wonnen worden sei, sollten die Wachstumsfugen wieder geöffnet werden. Versöhnung im Angesicht des Krieges Bundeswehrangehörige helfen in der Ukraine und Russland freiwillig bei der Bergung von gefallenen Wehrmachtssoldaten Noch immer werden in Osteuropa Zehntausende im Zweiten Weltkrieg gefallene deutsche Soldaten geborgen. Der „Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge“ setzt mit seiner Versöhnungsarbeit jetzt auch Zeichen gegenüber dem aktuellen Konflikt zwischen der Ukraine und Russland. Von Dietrich SchröDer Kiew/Sankt Petersburg (MOZ) „Slawa Ukrainy, Gerojam Slawa!“ Der patriotische Gruß „Ehre für die Ukraine, Ehre ihren Helden“ geht dem Bundeswehr-Feldwebel Patrick Hendel inzwischen so inbrünstig wie den Einheimischen über die Lippen. Die deutschen Soldaten, die von der Kriegsgräberfürsorge eingeladen wurden, haben verspürt, was es für die Ukrainer bedeutet, dass im Osten des Landes ein blutiger Kampf gegen die pro-russischen Separatisten tobt. Auf dem „Askoldowa Mogila“, einer Anhöhe über dem Fluss Dnepr in Kiew, bergen die Bundeswehrangehörigen gemeinsam mit ukrainischen Kameraden die Gebeine von Wehrmachtssoldaten, die hier während der Besatzung Kiews durch die Hitlertruppen von 1941 bis 1944 beerdigt wurden. Laut noch existierenden Unterlagen werden mindestens 1300 Tote auf dem Gelände vermutet, das schon unmittelbar nach dem Krieg dem Erdboden gleich gemacht wurde. Als Patrick Hendel in 1,60 Meter Tiefe auf den Schädel eines jungen Mannes stößt, der bei seinem Tod höchstens 25 Jahre alt war, muss er an seinen Kumpel Sven denken. Der stammt aus dem gleichen Dorf bei Gera in Thüringen wie er. „Wir sind zusammen in den Kindergarten gegangen, dann in die Schule und Auf einem verwilderten Gelände in Kiew: Ukrainische Priester und der deutsche Militärpfarrer Christian Stock (mit lila Tuch) segnen das Grab von Wehrmachtssoldaten, die schließlich zum Bund.“ Nur ih- dort während der deutschen Besatzungszeit von 1941 bis 1944 bestattet wurden und jetzt auf einen Sammelfriedhof umgebettet werden. Foto: MOZ/DIetrich Schröder ren Afghanistan-Einsatz absolvierten die beiden nicht gleich- und Moskau kommen könnte. ges mehr als eine Million Men- tronentasche voll Munition“, ruft wir es bei der Blockade Lenin- Nachmittag ihre letzte Ruhe finzeitig. Am 15. April 2010 wurde Auf den Einwand, dass es ohne schen verhungerten, weil die der Stabsgefreite Matthias Bode grads geschafft haben“. den, sagt Meckel. Da die meisten auf das Fahrzeug, in dem Sven Kompromisse keinen Frieden ge- Wehrmacht das damalige Le- und bemerkt erstaunt, dass sich Trotzdem ist das Interesse von ihnen ihre gesamte Jugend saß, ein Sprengstoffanschlag ben wird, entgegnet er: „Die Rus- ningrad fast 1000 Tage belagert in den Hülsen noch immer Pul- für die Volksbund-Aktion groß. über von der Hitlerdiktatur beeinverübt, bei dem drei deutsche sen akzeptieren nicht, dass die hatte, nehmen dieser Tage deut- ver befindet. „Die Patronen ge- Gleich fünf Fernsehteams der flusst wurden, könne man aber größten russi- auch nicht die gesamte Schuld Soldaten getötet Ukraine ein sou- sche und russische Soldaten an hören zu einem und fünf verwunveränes Land ist.“ einem Volksbund-Einsatz teil. Er deutschen Mauschen Sender sind auf ihren Schultern abladen. Mit „Viele Russen Unweit dem det wurden. „SeitDass es bei den findet an einem neuralgischen ser-Gewehr K98“, vor Ort, als auf Blick auf den Ukraine-Konflikt früheren Leningrad her muss Sven im akzeptieren nicht, dass Begegnungen zwi- Punkt der damaligen Ereignisse erkennt der Russe dem deutschen mahnt der Deutsche, dass man Sammelfriedhof wieder zu den gemeinsamen Rollstuhl sitzen“, schen Bundes- statt, der nur etwa 700 Meter brei- Alexander Puschdie Ukraine ein wurden 50 000 kin auf den ersten in St. Petersburg Grundrechten und Werten in Eusagt Hendel. wehrund einheiten „Newski-Landenge“ im Südsouveränes Land ist“ mischen Soldaten, osten der Stadt. Dieses Gelände Blick. Deutsche begraben die Gebeine von ropa finden müsse. „Hoffentlich Die ukraiDer 24-jährige Ukrainer Bogdan nischen Soldaten aber auch zwi- war von 1941 bis 1944 besonÜber die gegen38 weiteren Toten wird diese Aussage so auch im schen Jugend- ders umkämpft. „Das war hier wärtige Politik diskutieren die ihre letzte Ruhestätte finden. russischen Fernsehen gesendet“, können noch aktuellere Geschichten über Ver- lichen, die der Volksbund orga- ein Fleischwolf“, beschreibt Uwe Soldaten hier dagegen kaum. Schon mehr als 50 000 Deutsche sagt jemand. In der kleinen orthodoxen Kirwandte oder Bekannte berichten, nisiert, nicht nur um die Bergung Fischer drastisch. Jeder Quadrat- Das funktioniert schon deshalb wurden seit Mitte der 1990er-Jahdie bei den Kämpfen im Osten von Toten oder die Pflege der be- meter sei vom Blut der Zehntau- nicht, weil die Englisch-Kennt- ren auf diesem Gelände bestattet. che gleich neben dem Friedhof des Landes fielen. „Sie wun- stehenden deutschen Sammel- senden Soldaten getränkt, die nisse der Russen geringer sind In seiner Rede tastet sich Mar- zündet unterdessen eine Nonne dern sich, wenn wir ihnen sa- friedhöfe in Osteuropa geht, damals monatelang um die Ver- als die der jungen Ukrainer in kus Meckel vorsichtig an aktuelle Kerzen an. Das Gotteshaus war gen müssen, dass viele Deutsche betont der neue Präsident des bindung in die blockierte Stadt Kiew. Aber auch, weil meist hö- Botschaften heran. Am Vormit- während der Blockade von den mehr Verständnis für die russi- Volksbundes, Markus Meckel. kämpften, weiß der Bundeswehr- here Offiziere ihre Ohren spitzen tag hatte die Volksbund-Delega- Deutschen als Lazarett genutzt sche Seite haben als für die Ukrai- „Die Auseinandersetzung mit Hauptmann. Er leitet die Gruppe und keiner etwas Falsches sa- tion zunächst den Piskarjows- und später zerstört worden. Der ner“, sagt Feldwebel Hendel. Der den Ursachen und Folgen von von Soldaten des Berliner Sani- gen will. In Vier-Augen-Gespräch kij-Friedhof besucht, auf dem Volksbund half beim Wiederauf24-jährige Bogdan etwa, der Poli- Kriegen ist Teil unserer Arbeit“, tätsregiments, die hier ebenfalls vertreten die Offiziere die Posi- Hunderttausende Opfer der Le- bau. Heute findet man im Keller tik studiert hat und derzeit einen sagt der SPD-Politiker. Er weiß freiwillig angereist sind. Die Gast- tion des Kreml: „Die Nato be- ningrader Blockade in Massen- des Gebäudes ein Museum mit Reservedienst in der Armee leis- ziemlich genau, worüber er geber kommen dagegen von ei- droht heute Russland, die illegale gräbern liegen. „Nichts ist verges- bewegenden Erinnerungen von tet, betont, „dass die Ukraine zu spricht, denn auch sein Vater ner Sondereinheit, die auf die Su- ukrainische Führung ist nur ein sen und niemand ist vergessen“, Angehörigen der im Krieg GefalEuropa gehört und uns Russland war vier Jahre in sowjetischer che nach Toten in Kampfgebieten Handlanger der Amerikaner“, lautet ein Schwur, der dort auf ei- lenen. Sowie ein Verzeichnis mit diesen Weg mit allen Mitteln ver- Gefangenschaft. spezialisiert ist. sagt ein Oberleutnant. Aber das ner Gedenktafel steht. den Namen Hunderttausender bauen will“. Er kann sich nicht Ortswechsel ins russische Fast im Minutentakt stoßen die russische Volk werde auch die An diesem verbrecherischen deutscher Soldaten, die in Russvorstellen, wie es wieder zu ei- Sankt Petersburg: Auch nahe der Soldaten beim Graben auf Zeug- heutigen Sanktionen des Wes- Krieg hätten auch jene Deutsche land bereits identifiziert und würner Annäherung zwischen Kiew Stadt, in der während des Krie- nisse der Kämpfe. „Hier eine Pa- tens überstehen, „genauso wie einen Anteil gehabt, die jetzt am dig bestattet werden konnten. Volkskammer auf Klassentreffen Große Zufriedenheit und milde Kritik beim Festakt zum Beitrittsbeschluss der DDR vor 25 Jahren Freiheit und Verantwortung: Lothar de Maizière, letzter Ministerpräsident der DDR, hält den Weg der Wiedervereinigung auch im Rückblick für den richtigen. Foto: dpa/Gregor Fischer Die letzte Volkskammer der DDR war mit dem Mandat angetreten, sich selbst und ihren Staat abzuschaffen. Der Beschluss, der Bundesrepublik beizutreten, war ein wichtiger Schritt dorthin. Bei einem Festakt wurde dieses historische Datum am Sonntag gewürdigt. Von Mathias Puddig Berlin (MOZ) Mit einem Geständnis beginnt Anja Maier ihren Redebeitrag. Sie habe, so sagt die Parlamentskorrespondentin der Zeitung „taz“, nach der Einladung erst einmal googlen müssen, was genau eigentlich am 23. August 1990 geschehen sei. Das Jahr sei so voller wichtiger Ereignisse gewesen, dass ihr dieser spezielle Termin nicht mehr im Gedächtnis war. Die Podiumsdiskussion, an der Anja Maier gemeinsam mit der Unternehmerin Petra Göring und der Kirchentags-Generalsekretärin Ellen Ueberschär teil- nimmt, ist Teil des Festaktes zum 25. Jahrestag des VolkskammerBeschlusses über den Beitritt der DDR zur Bundesrepublik. Rund 200 Gäste sind am Sonntag in den Rohbau des Humboldt Forums in Berlin gekommen, darunter zahlreiche Mitglieder der letzten DDR-Regierung und Abgeordnete der Volkskammer. Bundespräsident Joachim Gauck nahm ebenfalls an der Veranstaltung teil – auch wenn er, so berichtet er, bei der turbulenten Sitzung gar nicht anwesend war. Gemeinsam erinnerten sie an die „Sternstunde des deutschen Parlamentarismus“, wie Iris Gleicke, Beauftragte der Bundesregierung für die neuen Bundesländer, es formulierte. Der Ort war mit Bedacht gewählt. Genau an der Stelle, an der heute Bauarbeiter unterwegs sind, damit 2019 das Humboldt Forum eröffnen kann, stand noch vor einem Vierteljahrhundert der Palast der Republik – seit 1976 Tagungsort der Volkskammer. Auch die ersten frei gewähl- ten Abgeordneten des DDR-Parlaments tagten hier, als sie, wie Gregor Gysi nach der Abstimmung sagte, „nicht mehr und nicht weniger als den Untergang der DDR“ beschlossen. Mehr noch als die Historie des Ortes passt aber dessen Symbolik. Denn so unfertig und roh wie die Baustelle daherkommt, war auch die Arbeit in dem DDRParlament. Lothar de Maizière selbst erinnert in seiner Ansprache an die mehr als 160 Gesetze, knapp 100 Beschlüsse und drei Staatsverträge, die die letzte Volkskammer verabschiedete – oft begleitet von nicht enden wollenden Debatten. Der letzte Ministerpräsident der DDR lobt die Abgeordneten gar als „das fleißigste Parlament der deutschen Parlamentsgeschichte“ und stellt klar, dass er auch heute noch den damals beschrittenen Weg für richtig hält: „Wir standen vor der Aufgabe, die Freiheit verantwortungsbewusst zu nutzen.“ Widerspruch, wenngleich diplomatischen, gibt es von Jens Reich, der 1990 gegen den Beschluss stimmte. Er erinnert sich an die Debatte als „Commedia dell’Arte mit groteskem Verlauf“. Man habe mit der Entscheidung eine „Blankounterschrift unter den Einigungsvertrag“ gesetzt, so der damalige Bündnis ’90/ Grüne-Parlamentarier. Ein korrektes Vorgehen wäre ihm lieber gewesen. Solche Misstöne halten sich aber in Grenzen. Vielmehr hält auch Reich eine eher launige, Rede, meint mit Blick auf den nackten Beton rundherum, der Sitzungssaal habe sich „kaum verändert“, und freut sich über das „Klassentreffen der Volkskammer“. Geradezu ins Schwärmen gerät der frühere Bürgerrechtler mit Blick auf die Dialekte. Beim Festakt könne man wieder Sächsisch, Thüringisch und Anhaltinisch hören: „Das ist so selten geworden in Berlin.“ Dennoch urteilt Reich heute versöhnlich über die Wiedervereinigung und den Weg dorthin. „Es ist für uns gut ausgegangen.“
© Copyright 2024 ExpyDoc