Konfliktlösung mittels Mediation

P L A T T F O R M | Mediation
Den Blick über den Gartenzaun
­wagen
Das Konfliktbüro Bern – ein Raum für Mediation und Vermittlung
Text: Denise Zerulla und Joël Frei
Der berüchtigte Gartenzaun, der die Land­
grundstücke des einen vom anderen Nach­
barn trennt, ist nicht immer aus Holz an­
gefertigt. Der Zaun kann in unseren Köpfen
existieren, besonders wenn der Nachbar
Ausländer ist.
Eine Mutter mit vier Kindern, die seit viereinhalb Jahren in einer kleinen Wohnung
haust, verliert aufgrund einer plötzlichen
Kündigung ihr Dach über dem Kopf. Was
ist passiert? Beschwerden von Nachbarn
über die Waschordnung, Lärm im Treppenhaus, Gegenstände, die vor der Haustür der Familie liegen, haben das empfindliche nachbarschaftliche Gleichgewicht
aus dem Lot gebracht.
Spielt es eine Rolle, dass die Frau mit ihren
Kindern aus dem krisengeschüttelten Eritrea fliehen musste? Dass sie ihre Kinder
alleine erziehen muss? Die deutsche Sprache nicht gut versteht?
Der Schwächsten wird gekündigt
Die für die Hausverwaltung zuständige
Person ist nicht in der Lage, herauszufinden, wer für die Streitigkeiten verantwortlich ist. Sie überprüft nicht, wer wirklich
«im Recht» ist. Die Hausverwalterin entscheidet sich, der schwächsten Partei zu
kündigen, nur um wieder Ruhe ins Haus
zu bringen. Sie kündigt den Mietvertrag
der alleinerziehenden Mutter mit ihren
vier Kindern.
Mit ähnlichen Situationen wird das Konfliktbüro Bern des Instituts für Konfliktbearbeitung und Friedensentwicklung, ICP,
immer wieder konfrontiert. Das Konfliktbüro hat sich auf Mediation in interkulturellen Konflikten spezialisiert. Mediation
ist ein Verfahren zur friedlichen Konfliktlösung. Zentral dabei ist, dass die Streitparteien eigenständig nach Lösungen suchen: Die Mediatorin oder der Mediator
gibt nicht vor, wie der Konflikt beigelegt
werden soll.
Allzu oft werden Konflikte, seien es solche
zwischen Nachbarn oder bei Scheidungen,
an ein Gericht delegiert, wo ein Richter
vorschreibt, wie der Streit beigelegt wer-
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SozialAktuell | Nr. 11_November 2015
den muss. Bei einer Mediation aber suchen
die Beteiligten mithilfe einer den Konflikt
moderierenden Person gemeinsam nach
einer Lösung, mit der sie leben können.
Eine Lösung zeichnet sich ab
Die in der Mediation geführten Gespräche
haben zunächst zum Ziel, eine empathische Sichtweise unter den Konfliktparteien zu fördern. In einem zweiten Schritt
arbeiten Mediatoren an einem Lösungsansatz, der für alle Parteien tragbar ist.
Beim Streit um die Wohnungskündigung
kommt es zu einer überraschenden Wende.
Die Hausverwalterin lenkt ein, als die
­Mediatorin ihr die Konfliktsituation genau
schildert, ihr die schwierige Situation der
Familie vor Augen führt und ihr die im Fall
einer Mietvertragskündigung schwerwiegenden Konsequenzen für die vier Kinder
aufzeigt. Daraufhin schiebt die Hausverwaltung die Kündigung um sechs Monate
auf.
Eine Lösung des Konflikts erreichte das
Konfliktbüro im Nachgang der Mediation
vor der Schlichtungsstelle. Hier brachte die
Mediatorin nochmals die Konsequenzen
für die Familie im Fall einer Wohnungskündigung vor. Insbesondere interessierte
sich die Richterin dabei für die Situation
der schulpflichtigen Kinder, deren psychische Belastung, die Situation der Mutter
sowie für die Integration der Familie in
den Kreis der Nachbarn und im weiteren
Umfeld.
Ganzheitlicher Mediationsansatz
Der Fall der eritreischen Familie zeigt, dass
es in einer Mediation nicht nur darum gehen kann, auf das als erstes ins Auge springende Problem zu fokussieren, also die
Wohnsituation der Familie. Vielmehr wird
oft ein Muster aus ineinander ver­wobenen
Konflikten sichtbar, in welche die Konfliktparteien verstrickt sind. Die grösste
Herausforderung für das Konfliktbüro
war, dass niemand, weder die Hausverwaltung noch das Sozialamt, für die Notsituation der Familie Verantwortung tragen
wollte.
Das Sozialamt der zuständigen Wohngemeinde in der Nähe der Stadt Bern war in
diesem Konflikt Partei. Das Amt hätte eigentlich Verantwortung für die Familie
tragen sollen, war dazu jedoch nicht bereit. Im Gegenteil: Das Konfliktbüro wurde
mit einer weder lösungsorientierten noch
konstruktiven Verhaltensweise konfrontiert. Dieses Verhalten des zuständigen
Angestellten des Sozialamts führte zu
nicht nachvollziehbaren Entscheiden. So
war die Tochter der Familie aus Eritrea
nicht in der Lage, ihr Billett zum Arbeitsplatz zu bezahlen, da das vom Amt versprochene Geld verspätet ausbezahlt
wurde. Sie war gezwungen, sich Geld von
den anderen Hausbewohnern leihen, was
zu einer weiteren Verschlechterung der
nachbarschaftlichen Beziehungen führte.
Die Mediation des Konfliktbüros erfüllte
ihr Ziel: Sie konnte eine für die Familie bedrohliche Situation, die Mietvertragskündigung, abwenden. Die Familie wird auch
nach dem Nachbarstreit vom Konfliktbüro
begleitet. Dazu bezieht das Konfliktbüro
den zuständigen Angestellten des Sozialamts mit ein und unterstützt die Mutter
bei der Suche nach einer neuen Wohnung.
Weitere Informationen zu Ausbildungen, Anwendungsfeldern, Kosten etc. im Zusammenhang mit
Mediationen finden Sie auf den Seiten des
­S chweizerischen Dachverbandes Mediation, SDM:
www.infomediation.ch
Konfliktbüro Bern
Raum für Mediation und Vermittlung
Das Konfliktbüro Bern ist die Anlaufstelle für
Migrantinnen und Migranten, welche sich in einer schwierigen Situation befinden. Das Vermittlungsbüro ist auf interkulturelle Konflikte
spezialisiert und bietet günstige und in mehreren Sprachen erhältliche Vermittlungen in Konfliktfällen an. Häufige Mediationsfälle gibt es
zwischen Mietern und Vermietern, in der
Schule, der Nachbarschaft, am Arbeitsplatz
oder in der Familie. Das Erstgespräch vor der
eigentlichen Mediation ist kostenlos und unverbindlich.
www.institute-icp.ch
Mediation | P L A T T F O R M
«Es gibt viele verschiedene
richtige Wege, etwas zu tun»
Interview mit der interkulturellen Mediatorin Tanja Mirabile
Joël Frei: Wie sind Sie Mediatorin geworden?
Tanja Mirabile: Durch Zufall: Ich machte
eine Weiterbildung in der Entwicklungszusammenarbeit und sah am Schwarzen
Brett eine Annonce für einen Kurs in
­Konfliktbearbeitung und Mediation. Da
wusste ich: Das ist es. Während der Ausbildung entwickelte ich mich als Person weiter und verstand dank den erlernten Fertigkeiten meine eigenen Konfliktsituationen mit anderen Menschen besser.
Was ist speziell an interkulturellen Konflikten?
Die Kultur spielt bei allen Konflikten eine
Rolle: Auch zwischen Schweizer Familien
bestehen kulturelle Unterschiede. Wir
sprechen aber von einem interkulturellen
Konflikt, wenn mindestens eine Partei aus
einer anderen Kultur stammt. In einem
­i nterkulturellen Konflikt stehen Fragen im
Zentrum wie: Wie geht man mit Emotionen um? Wird man aggressiv oder gewalttätig? Geht man auf den Konflikt ein? Als
Mediatorin übernehme ich die Rolle einer
Übersetzerin: Ich muss aus dem Gesagten
herausschälen, wo die konkreten Konfliktpunkte sind. Wo genau verstehen sich die
Parteien nicht? Als Beispiel: Pünktlichkeit
wird in der Schweiz als sehr wichtig erachtet. In einer meiner Media­tionen war der
Konfliktpunkt, dass ein ­M igrant oft zehn
Minuten zu spät zur Arbeit kam. Dies war
für ihn nicht so wichtig, er argumentierte,
dass er dafür abends länger arbeite. Diese
Verhaltensweise wurde vorschnell als
Faulheit interpretiert. Meine Rolle war es,
dem Arbeitgeber aufzuzeigen, dass eine
unterschiedliche Einstellung gegenüber
der Zeit möglich ist.
Können Sie ein Beispiel einer gelungenen
­M ediation geben?
Das Ziel einer Mediation ist erfüllt, wenn
die Konfliktparteien merken, dass es noch
andere Herangehensweisen gibt als die ihrigen. Bei der Vermittlung zwischen Nachbarn konnten wir schon manche Wohnungskündigung rückgängig machen und
zudem eine Vereinbarung zwischen den
Parteien abschliessen. Bei Nachbarschaftskonflikten treffen verschiedene Wertvorstellungen aufeinander. Diese zeigen sich
an kleinen Dingen wie: Werden die Schuhe
in der Wohnung oder im Treppenhaus aufbewahrt? Wie wird die gemeinsame Benutzung der Waschmaschine gehandhabt?
Welches sind die Vorteile einer Mediation im
Vergleich zum Gang vor Gericht?
Mediation schaut das ganze System an
und involviert alle Konfliktparteien. Mediation ist also umfassender und darüber
hinaus auch kostengünstiger. Zudem müssen sich die Mediationsparteien mit dem
Konflikt auseinandersetzen. Bei einem
Gang vor Gericht delegieren die Parteien
den Konflikt an einen Anwalt, der sich um
alles kümmert. Der Nachteil dabei: Falls es
in Zukunft zu einem ähnlichen Konflikt
kommt, wiederholen die Parteien ihre
­destruktiven Verhaltensweisen. Während
einer Mediation aber lernen die Parteien
­Herangehensweisen kennen, die es ihnen
erlauben, einen Konflikt konstruktiv zu
­lösen.
Sie gründeten vor zwei Jahren das Konflikt­
büro Bern, eine Anlaufstelle für interkulturelle
Konflikte. Wie ist die Idee dafür entstanden?
Ich las einmal über ein ähnliches Projekt,
das «Haus der Konflikte» oder «casa dei
conflitti» in Turin. Diese Anlaufstelle für
Migranten gibt es schon seit über zwanzig
Jahren, und sie kann einen grossen Erfolg
vorweisen. In der Schweiz gibt es wenige
solche Projekte. Also entschloss ich mich,
das erste Konfliktbüro in Bern zu gründen.
werden. Diese Bedürfnisse sind universell.
Aus diesen Bedürfnisse erwachsen Interessen, die wiederum zu Konflikten führen
können, wie zum Beispiel in der Schule.
Hinter dem Anspruch «Mein Kind darf
nicht in den Schwimmunterricht» verbirgt sich oft das Bedürfnis, mit seiner
Identität, mit seinen Werten und Vorstellungen angenommen zu werden. Die religiös motivierte Begründung wird oft nur
vorgeschoben.
Was können die Konfliktparteien aus einer
Mediation mitnehmen?
Die Parteien lernen, miteinander konstruktiver umzugehen, und merken, dass
auch ihr Gegenüber berechtigte Bedürfnisse hat. Ein Schweizer streitet beispielsweise nicht mit dem Migranten, weil er
rassistisch ist, sondern weil er andere
Wertvorstellungen mitbekommen hat.
Der zwischenmenschliche Umgang wird
sehr erleichtert, wenn die Teilnehmenden
verstehen, warum andere so reagieren,
wie sie eben reagieren. Das Gute an der
­Mediation ist: Sie befähigt die Parteien, in
den Schuhen des anderen zu gehen.
Zur Person
Warum braucht es das Konfliktbüro?
Menschen aus verschiedenen Kulturen
können lernen, konstruktiv miteinander
umzugehen und nicht in negativen Sichtweisen in Bezug auf das Gegenüber zu verharren. Wir haben andere Werte und verhalten uns anders. Diese Andersartigkeit
ist nicht Ausdruck der Böswilligkeit des
Gegenübers, sondern besteht weil man ein
bestimmtes Verhalten in der ursprünglichen Kultur gelernt hat. Es gibt aber viele
verschiedene richtige Wege, etwas zu tun.
Gibt es etwas, das alle Menschen aus ver­
schiedenen Kulturen verbindet?
Jeder Mensch hat ein Bedürfnis nach Identität, will sich akzeptiert fühlen, einer
Gruppe angehören und angenommen
Tanja Mirabile,
interkulturelle Mediatorin, ist Co-Direktorin des
Instituts für Konfliktbearbeitung und Friedensentwicklung (ICP).
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