Überblick über das materielle Strafrecht Ausbildung der Justizwachtmeister Silvia Eger Stand: Januar 2016 Unterscheidung materielles - formelles Recht Materielles Strafrecht Wann liegt eine strafbare Handlung vor? Welche Rechtsfolgen ergeben sich hierfür? Formelles Strafrecht Wie ist der Verfahrensablauf für eine objektive Ermittlung der strafbaren Handlung? StPO StGB Der Tatbestand Tatbestand Rechtswidrigkeit Schuld Objektiver Tatbestand Subjektiver Tatbestand Merkmale, die die äußeren Umstände der Tat beschreiben (z.B. Tathandlung, Merkmale Tatobjekt, Merkmale Täter, Erfolg) Merkmale, die den inneren Willen des Täters zur Tat beschreiben Diese kann man aus den verschiedenen §§ im besonderen Teil entnehmen Evtl. Fahrlässigkeit strafbar, wenn im Gesetz bestimmt (§ 15 StGB) Grundsätzlich immer Vorsatz nötig § 15 StGB Bei der Tatbestandsmäßigkeit ist immer der objektive und subjektive Tatbestand zu prüfen!!! Der subjektive Tatbestand Tatbestand Rechtswidrigkeit Schuld Grundsatz § 15 StGB: nur vorsätzliches Handeln ist strafbar! Definition Vorsatz: Vorsätzlich handelt, wer die objektiven Tatbestandsmerkmale mit Wissen und Wollen verwirklicht. Der subjektive Tatbestand Tatbestand Rechtswidrigkeit Schuld Ausnahme: § 15 StGB: Fahrlässiges Handeln ist nur strafbar, wenn es ausdrücklich im Gesetz steht! (z.B. bei Körperverletzung § 229 StGB) Definition Fahrlässigkeit: Fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt, dessen Beachtung im zuzumuten war, außer Acht lässt, d.h. Täter denkt sich „wird schon nichts passieren.“, bzw. Täter handelt „aus Versehen“. Tatbestand Die Rechtswidrigkeit Rechtswidrigkeit Schuld Grundsatz: Erfüllt der Täter den objektiven und subjektiven Tatbestand ist dies in der Regel auch rechtswidrig (Regel-AusnahmeVerhältnis) § 11 Abs. 1 Nr. 5 StGB Ausnahmen: Rechtfertigungsgründe, z.B. Notwehr, Nothilfe § 32 StGB Vorläufige Festnahme § 127 StPO Handlungen im Rahmen des JSOG iVm PAG/StVollzG/BayStvollzG Rechtfertigungsgrund Notwehr/ Nothilfe § 32 StGB Tatbestand Rechtswidrigkeit Schuld Angriff = Bedrohung eines Rechtsguts durch menschliches Verhalten Gegenwärtig = unmittelbar bevorstehend, begonnen oder noch andauernd Erforderliche Notwehrhandlung = geeignetes Handeln, um den Angriff mit dem geringsten Schaden sicher abzuwenden. Nach den allgemeinen notwehrrechtlichen Grundsätzen ist der Betroffene berechtigt, dasjenige Abwehrmittel zu wählen, das eine sofortige und endgültige Beseitigung der Gefahr gewährleistet. Unter mehreren Abwehrmöglichkeiten ist er auf die für den Angreifer minder einschneidende Möglichkeit nur dann zu verweisen, wenn ihm Zeit zur Auswahl sowie zur Abschätzung der Gefährlichkeit zur Verfügung steht und die für den Angreifer weniger gefährliche Abwehr geeignet ist, die Gefahr zweifelsfrei und sofort endgültig auszuräumen. (BGH NStZ 2005, 31) Rechtfertigungsgrund vorläufige Festnahme § 127 StPO Tatbestand Rechtswidrigkeit Schuld JEDER kann eine Person vorläufig festnehmen, wenn…: • sie auf frischer Tat betroffen oder verfolgt ist (dringender Tatverdacht reicht aus) + • • • • sie der Flucht verdächtigt ist oder ihre Identität nicht sofort festgestellt werden kann „Ungeschriebene“ Voraussetzungen: Vorl. Festnahme nur bei Vorliegen einer Straftat (nicht bei Ordnungswidrigkeiten!) Vorl. Festnahme muss verhältnismäßig sein (keine vorl. Festnahme bei Kindern unter 14 Jahren) ACHTUNG: nach Identitätsfeststellung ist eine vorl. Festnahme nicht mehr angezeigt bei Straftat sofort Polizei und StA informieren! Rechtfertigungsgrund nach JSOG iVm PAG Tatbestand Rechtswidrigkeit Schuld Bei allen Delikten besteht für Maßnahmen des JWM im Rahmen des JSOG iVm. dem PAG/StVollzG ein Rechtfertigungsgrund, soweit die Voraussetzungen hierfür vorliegen! Die Maßnahmen unterliegen immer dem Verhältnismäßigkeitsprinzip! (siehe Unterricht Herr Pöhlmann/Friedlein!) Rechtfertigungsgrund Verhältnis Notwehr JSOG/PAG StVollzG/BayStVollzG Notwehr § 32 StGB Gilt immer und für jeden unter den Voraussetzungen des § 32 StGB Tatbestand Rechtswidrigkeit Schuld JSOG/PAG StVollzG/BayStVollzG Gilt nur für JWM bei „sonstigen Personen“, die nicht „Gefangene“ sind Gilt nur für JWM und nur bei „Gefangenen“ = wer auf Anordnung eines Richters oder eines dafür zuständigen Beamten in behördlichen Gewahrsam ist Schuld Tatbestand Rechtswidrigkeit Schuld Grundsatz: Erfüllt der Täter rechtswidrig den objektiven und subjektiven Tatbestand ist dies in der Regel auch schuldhaft (Regel-AusnahmeVerhältnis) Ausnahmen: Schuldunfähigkeit des Kindes unter 14 Jahren, § 19 StGB Schuldunfähigkeit wegen seelischer Störung § 20 StGB, wenn dadurch keine Unrechtsbewusstsein! Aufbau des Straftatbestandes Tatbestand (objektiv und subjektiv) Rechtswidrigkeit Straffolge Schuld Wer eine andere Person körperlich misshandelt oder an der Gesundheit schädigt und rechtswidrig und schuldhaft handelt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Ausgewählte Delikte (Inhaltsverzeichnis) Allgemeine Delikte: Körperverletzung § 223 StGB Sachbeschädigung § 303 StGB Beleidigung § 185 StGB Freiheitsberaubung § 239 StGB Verwahrungsbruch § 133 StGB Urkundenunterdrückung § 274 Abs. 1 Nr. 1 StGB Verletzung des Briefgeheimnisses § 202 StGB Amtsdelikte: Vorteilsannahme § 331 StGB Bestechlichkeit § 332 StGB Körperverletzung im Amt § 340 StGB Falschbeurkundung im Amt § 348 StGB Hinweis Im folgenden werden insbesondere die objektiven Tatbestandsmerkmale behandelt. Sollten Besonderheiten für den subjektiven Tatbestand oder die Rechtswidrigkeit bestehen, ist dies gesondert vermerkt. vorsätzliche Körperverletzung § 223 StGB Objektiver Tatbestand: Körperliche Misshandlung (= Beeinträchtigung des körperlichen Wohlbefindens oder der körperlichen Unversehrtheit wie z.B.: Schmerz Substanzverlust = z.B. Haare abschneiden Erregung von Ekel) oder Beschädigung der Gesundheit (= Herbeiführung oder Steigerung einer körperlichen oder seelischen Krankheit) einer anderen Person Subjektiver Tatbestand: Vorsatz § 15 StGB oder Fahrlässigkeit § 229 StGB!!! (ggf. Strafantrag erforderlich § 230 StGB) fahrlässige Körperverletzung § 229 StGB Objektiver Tatbestand Begehen einer Körperverletzung (objektiver Tatbestand) nach § 223 StGB Subjektiver Tatbestand Kein Vorsatz Fahrlässigkeit im Gesetz mit Strafe bedroht § 15 StGB ja! § 229 StGB Fahrlässigkeit = wenn man die erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt (ggf. Strafantrag erforderlich § 230 StGB) Sachbeschädigung § 303 StGB Objektiver Tatbestand: Fremde (= jemand anderer ist Eigentümer) Sache (= körperlicher Gegenstand § 90 BGB; auch Tiere werden behandelt wie Sachen § 90a BGB) beschädigen (= bestimmungsgemäßer Gebrauch ist nicht ganz unerheblich beeinträchtigt, z.B. auch Beschmieren von Wänden, Graffiti, Abkleben von Verkehrsschildern, Luft aus Reifen lassen) oder zerstören (= bestimmungsgemäßer Subjektiver Tatbestand: Vorsatz § 15 StGB Gebrauch ist aufgehoben) (Strafantrag erforderlich § 303c StGB) Freiheitsberaubung § 239 StGB Objektiver Tatbestand: Menschen einsperren (= Festhalten in einem umschlossenen Opfer sich nicht wegbewegen kann) Raum, sodass oder auf andere Weise Freiheit entzieht (= jede Handlung, Fortbewegungsfreiheit aufhebt; z.B. auch Festhalten) die Subjektiver Tatbestand: Vorsatz § 15 StGB Achtung bei Rechtswidrigkeit: evtl. Rechtfertigungsgründe nach § 127 StPO oder JSOG iVm Art. PAG oder StVollzG/ BayStVollzG!!!! Verwahrungsbruch § 133 Abs. 1 StGB Objektiver Tatbestand: Schriftstück oder andere bewegliche Sache (alles außer Grundstücke) befinden sich in dienstlicher Verwahrung oder wird in dienstliche Verwahrung gegeben Zerstören (oder) beschädigen (oder) unbrauchbar machen (oder) der dienstlichen Verfügung entziehen Subjektiver Tatbestand: Vorsatz § 15 StGB Urkundenunterdrückung § 274 Abs. 1 Nr. 1 StGB Objektiver Tatbestand: Urkunde oder technische Aufzeichnung gehört nicht dem Täter Vernichten oder beschädigen (z.B. auch durch Veränderung) oder unterdrücken (= Benutzung wird entzogen, z.B. auch Verstecken, nicht herausgeben) Subjektiver Tatbestand: Vorsatz § 15 StGB Achtung: zusätzlich mit der Absicht, einem anderen einen Nachteil zuzufügen!!! Beleidigung § 185 StGB Objektiver Tatbestand: „beleidigen“ = Angriff auf die Ehre eines anderen (auch gegenüber einer Personengruppe, z.B. Verein, Partei, Behörde u.s.w.) durch Kundgabe (= Äußerung: wörtlich, schriftlich, bildlich, symbolisch, schlüssige Handlung) der Missachtung oder Nichtachtung (hängt ab von Anschauung und Gebräuchen der Beteiligten und an sprachlichen und gesellschaftlicher Ebene) Subjektiver Tatbestand: Vorsatz § 15 StGB (Strafantrag erforderlich § 194 StGB) Verletzung des Briefgeheimnisses § 202 Abs. 1 StGB Objektiver Tatbestand: Öffnen eines verschlossenen Briefes oder eines anderen verschlossenen Schriftstücks Pläne usw.; Nicht: elektronisch gesicherte Daten), (z.B. Tagebuch, Notizen, die nicht zu seiner Kenntnis bestimmt sind (Nr. 1) Achtung: Briefe, die Sie in der Poststelle öffnen, sind im Rahmen Ihrer Aufgaben (4.2.3 AufgJWD) zu Ihrer Kenntnis bestimmt, da Sie die Briefe ja öffnen (§ 12 I AGO) und anschauen müssen, um Sie richtig in den Geschäftsgang bringen zu können (§ 12 II AGO) Nicht zu Ihrer Kenntnis bestimmt sind Briefe, die unter § 12 Abs. 4 AGO fallen. oder Kenntnis vom Inhalt verschaffen durch technische Mittel ohne Öffnen (Nr. 2) Subjektiver Tatbestand: Vorsatz § 15 StGB Vorteilsannahme § 331 StGB Objektiver Tatbestand: Amtsträger § 11 Abs. 1 Nr. 2,3 StGB für sich oder Dritten Vorteil (= materielle oder immaterielle Zuwendung, die Amtsträger oder Dritten besser stellt und auf die kein Anspruch besteht) fordern (oder) versprechen lassen (oder) annehmen für eine pflichtgemäße Diensthandlung Subjektiver Tatbestand: Vorsatz § 15 StGB Bestechlichkeit § 332 StGB Objektiver Tatbestand: Amtsträger § 11 Abs. 1 Nr. 2,3 StGB für sich oder Dritten Vorteil (= materielle oder immaterielle Zuwendung, die Amtsträger oder Dritten besser stellt und auf die kein Anspruch besteht) fordern (oder) versprechen lassen (oder) annehmen für eine pflichtwidrige Diensthandlung Subjektiver Tatbestand: Vorsatz § 15 StGB Körperverletzung im Amt § 340 StGB Objektiver Tatbestand: Begehung (oder begehen lassen) einer Körperverletzung § 223 StGB andere Person körperlich misshandeln oder an der Gesundheit schädigen als Amtsträger § 11 Abs. 1 Nr. 2, 3 StGB während der Ausübung seines Dienstes oder in Beziehung auf seinen Dienst (auch außerhalb der Dienstzeit) Subjektiver Tatbestand: Vorsatz § 15 StGB oder Fahrlässigkeit § 340 Abs. 3,§ 229 StGB Achtung bei Rechtswidrigkeit: ggf. Rechtfertigung § 127 StPO, Notwehr/Nothilfe § 32 StGB oder Dienstrechte nach JSOG iVm. PAG oder StVollzG/BayStVollzG Falschbeurkundung im Amt § 348 StGB Objektiver Tatbestand: Amtsträger § 11 Abs. 1 Nr. 2, 3 StGB der zur Aufnahme öffentlicher Urkunden befugt ist Rechtlich erhebliche Tatsachen falsch beurkundet oder in öffentliche Register/Bücher/ Dateien falsch einträgt Innerhalb seiner Zuständigkeit Subjektiver Tatbestand: Vorsatz § 15 StGB
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