An alle Krankenhausträger An alle Krankenhausleitungen Unsere Zeichen Durchwahl kü -16 Ihre Nachricht vom Datum 2015-07-28 Mitteilung Nr. 321/2015 Die Auswirkungen des Tarifeinheitsgesetzes in der betrieblichen Praxis Am 10.07.2015 ist das Tarifeinheitsgesetz in Kraft getreten. Das Gesetz soll Tarifkollisionen in Betrieben vermeiden. Damit wird, zumindest teilweise, zum Grundsatz „Ein Betrieb - ein Tarifvertrag“ zurückgekehrt. Nach dem Gesetz soll bei kollidierenden Tarifverträgen allein der Tarifvertrag der Mehrheitsgewerkschaft im gesamten Betrieb anwendbar sein; der Tarifvertrag der Minderheitsgewerkschaft wird aus dem Betrieb verdrängt. Was bedeutet dies jedoch nun insbesondere für Krankenhäuser? Seit nunmehr mindestens 10 Jahren ist die Tarifpluralität Alltag in Krankenhäusern. Wie wirkt sich das Tarifeinheitsgesetz zukünftig aus? Bedeutet das Tarifeinheitsgesetz „Alles auf Anfang“? Wie wirkt es sich auf bestehende Tarifverträge und Bezugnahmeklauseln in Arbeitsverträgen aus? Diese und weitere Fragen stellen sich Krankenhäusern durch das Tarifeinheitsgesetz. Mit dieser Mitteilung möchten wir, in Kooperation mit Rechtsanwältin Susanne Boemke, Boemke und Partner Rechtsanwälte, Leipzig, einen Überblick über die Inhalte und Auswirkungen des Tarifeinheitsgesetzes auf die betriebliche Praxis sowie Tipps und Hinweise zum rechtssicheren Umgang mit dem Tarifeinheitsgesetz geben. Anwendungsfälle Das Tarifeinheitsgesetz ist kein Gesetz, welches eigenständig die Tarifeinheit regelt, sondern ein Änderungsgesetz, das Änderungen im Tarifvertragsgesetz (TVG) und Arbeitsgerichtsgesetz (ArbGG) beinhaltet. Kernstück des Gesetzes ist die Ergänzung des TVG um § 4a, der die Tarifkollision regelt. Hierbei schließt § 4a TVG eine Tarifpluralität, also eine Bindung eines Arbeitsgebers an mehrere Tarifverträge unterschiedlicher Gewerkschaften, nicht grundsätzlich aus. Telefon: 0341 98410 - 0 Telefax: 0341 98410 25 E-Mail: [email protected] Internet: www.kgs-online.de Bank: Deutsche Kreditbank AG Leipzig IBAN: DE77 1203 0000 0018 5047 95 BIC: BYLADEM1001 2 Das Tarifeinheitsgesetz soll vielmehr nur kollidierende Tarifverträge verhindern. Kollidierende Tarifverträge liegen vor, wenn sich die Geltungsbereiche von Tarifverträgen von unterschiedlichen Gewerkschaften überschneiden. Dies ist beispielsweise in fast allen Krankenhäusern der Fall, da die überwiegende Anzahl der Tarifverträge mit ver.di auch die Ärzte in den Geltungsbereich einschließen. Diese aber auch seitens des Marburger Bundes eigene Tarifverträge erstritten haben. Wirkung Kommt es zu einer Tarifkollision, ist gemäß § 4a TVG im gesamten Betrieb nur der Tarifvertrag der Gewerkschaft anwendbar, der im Betrieb die meisten Arbeitnehmer angehören. Der Tarifvertrag der Minderheitsgewerkschaft ist hingegen gemäß § 4a Abs. 2 S. 2 TVG nicht anwendbar. Die Kollisionsregel führt zur Verdrängung des Minderheitentarifvertrags, unabhängig, ob sich die Tarifverträge auch inhaltlich überschneiden. Es gilt der Mehrheitstarifvertrag, auch wenn dieser zu bestimmten Themen keinerlei Regelungen enthält. Liegt eine Überschneidung der Geltungsbereiche nicht vor, können auch mehrere Tarifverträge nebeneinander in einem Betrieb bestehen. Die Tarifkollisionsregelung des § 4a TVG soll ausweislich der Gesetzesbegründung nur subsidiär eingreifen, wenn es den Tarifvertragsparteien nicht gelingt, selbst Tarifkollisionen zu vermeiden. Zahlreich diskutiert wird derzeit die Frage, ob bei Tarifkollision die betroffenen Gewerkschaften auf deren Geltendmachung und Auflösung verzichten können und es bei einer Tarifpluralität im Betrieb belassen können (sog. gewillkürte Tarifpluralität). Es gibt bereits Verlautbarungen von Gewerkschaften, die den Schluss zulassen, sie würden auf ihre Rechte als Mehrheitengewerkschaft verzichten. Vom Gesetz her ist dies jedoch nicht möglich. Liegt eine Tarifkollision nach dem § 4a TVG vor, muss sie nach den Regeln des § 4a TVG aufgelöst werden und es darf nur der Mehrheitstarifvertrag Anwendung finden. Möglich wäre es jedoch seitens der Gewerkschaften bereits keine Tarifkollision entstehen zu lassen, indem die Geltungsbereiche der unterschiedlichen Tarifverträge konkurrierender Gewerkschaften aufeinander abgestimmt werden. Dies bedeutet z. B. ver.di müsste sich zukünftig darauf beschränken, ausschließlich für das nichtärztliche Personal Tarifverträge abzuschließen. Betrieb als Bezugsobjekt Anders als häufig behauptet, setzt sich nicht der Mehrheitstarifvertrag in der jeweiligen Berufsgruppe durch. Anknüpfungspunkt ist stets der Betrieb. Dabei ist der Betrieb nicht zwangsläufig das Unternehmen in gesellschaftsrechtlicher Form. § 4a TVG verweist für den Betriebsbegriff auf die Regelungen in § 1 Abs. 1 S. 2 und § 3 Abs. 1 Nr. 1 – 3 BetrVG und zwar unabhängig, ob das Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) in dem jeweiligen Unternehmen Anwendung findet. Betrieb ist daher eine organisatorische Einheit des Arbeitgebers, innerhalb derer der Arbeitgeber mit seinen Mitarbeitern und den (Betriebs)-Mitteln bestimmte arbeitstechnische Zwecke verfolgt. Durch den Betrieb als Bezugspunkt kann es vorkommen, dass z. B. der Marburger Bund in einem Betrieb einen extrem hohen Organisierungsgrad unter den Ärzten hat und dessen Tarifvertrag trotzdem von dem Tarifvertrag von ver.di verdrängt wird, wenn ver.di in der Summe mehr Mitglieder in dem Betrieb hat. Für den Arbeitgeber hat u. U. die Anknüpfung an den Betriebsbegriff den Vorteil, dass er durch Umgestaltung der Betriebsstrukturen Einflüsse auf die Mehrheitsverhältnisse nehmen kann, sodass der Tarifvertrag mit der von ihm bevorzugten Gewerkschaft auf den Betrieb Anwendung findet. Dies wird insbesondere bei zwei beinahe gleichstark vertretenen Gewerkschaften möglich sein. 3 Zusätzlich kann der Arbeitgeber mit der jeweiligen Gewerkschaft durch Tarifvertrag einen Betrieb gem. § 3 Abs. 1 Nr. 1 – 3 BetrVG errichten. Feststellung der Mitgliederanzahl Welcher Tarifvertrag in einem Betrieb der Mehrheitstarifvertrag ist, wird verbindlich in einem speziellen arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren gemäß dem neu eingeführten § 2a Abs. 1 Nr. 6 ArbGG in Verbindung mit den §§ 80ff. ArbGG festgestellt. In diesem Verfahren kann durch Vorlage öffentlicher Urkunden, z. B. notarielle Erklärung, die Anzahl der Gewerkschaftsmitglieder im Betrieb seitens der Gewerkschaft nachgewiesen werden. Entscheidender Zeitpunkt bezüglich der Anzahl der Gewerkschaftsmitglieder ist der Zeitpunkt des Abschlusses des zuletzt abgeschlossenen kollidierenden Tarifvertrags. Tritt die Kollision der Tarifverträge erst später ein, ist der Kollisionszeitpunkt entscheidend. Streik und Nachzeichnungsrecht Besonderheiten zum Streikrecht der Gewerkschaften werden durch das Tarifeinheitsgesetz nicht geregelt. In der Gesetzesbegründung wird jedoch ausgeführt, dass ein Arbeitskampf zur Erwirkung eines Tarifvertragsabschlusses wohl unzulässig ist, wenn die streikende Gewerkschaft keine Mehrheit im Betrieb hat. Dies wäre für Arbeitgeber natürlich erfreulich. Hiergegen spricht jedoch, dass die Mehrheitsverhältnisse gem. § 4a Abs. 2 S. 2 TVG erst zum Zeitpunkt des Abschlusses des kollidierenden Tarifvertrags relevant sind. Eine Feststellung kann somit erst nach Abschluss des Tarifvertrags erfolgen, wodurch die Mehrheitsverhältnisse zuvor oftmals unbekannt und ein Streik zur Erwirkung eines Tarifvertragsabschlusses damit zulässig sein wird. U. U. müssen sich daher Arbeitgeber auf sehr ambitionierte Forderungen der Gewerkschaften einrichten, mit denen Minderheitsgewerkschaften Mitglieder anwerben wollen. Die Minderheitsgewerkschaft hat außerdem ein sog. Nachzeichnungsrecht. Dies bedeutet, sie kann sich dem Mehrheitstarifvertrag anschließen, so dass dieser inhaltsgleich normativ für ihre Mitglieder gilt und dadurch für Gewerkschaftsmitglieder vom Arbeitgeber nicht zu Ungunsten des einzelnen Arbeitnehmers abgewichen werden kann. Pflichten des Arbeitgebers Mit dem Tarifeinheitsgesetz werden auch neue Verpflichtungen des Arbeitgebers eingeführt. Der Arbeitgeber hat gemäß § 4a Abs. 5 S. 1 TVG die Aufnahme von Tarifverhandlungen gegenüber. einer konkurrierenden Gewerkschaft bekannt zu geben und diese auf Verlangen mündlich anzuhören. Tarifvertragsverhandlungen im Sinne der Vorschrift sollen auch vorliegen, wenn Tarifnormen eines bestehenden Tarifvertrags geändert werden sollen. Die Bekanntgabe hat dabei rechtzeitig, d. h. unverzüglich nach Aufnahme der Tarifverhandlungen und möglichst vor Abschluss des Tarifvertrags, zu erfolgen. Gemäß § 8 TVG ist der Arbeitgeber weiterhin verpflichtet, die im Betrieb anwendbaren Tarifverträge sowie rechtskräftigen Beschlüsse des Arbeitsgerichts über den Mehrheitstarifvertrag im Betrieb bekannt zu machen. Übergangsregelung Für Tarifverträge, die am 10.07.2015 bereits galten gibt es gem. § 13 TVG einen Bestandsschutz; die Regelung des § 4a TVG findet auf diese Tarifverträge keine Anwendung und es bleibt zu- 4 nächst bei der Tarifpluralität im Betrieb. Dies bedeutet, alle Krankenhäuser mit bestehenden Tarifverträgen haben derzeit keinen Handlungszwang. Sobald jedoch eine Änderung der bestehenden Tarifverträge durch Änderungstarifvertrag oder Neuabschluss stattfinden soll, greift die Neuregelung und damit die Regelung über die Tarifkollision. Verfassungsbeschwerden gegen das Tarifeinheitsgesetz Bereits direkt nach dem Inkrafttreten des Gesetzes reichten mehrere Spartengewerkschaften, auch der Marburger Bund, Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht gegen das Tarifeinheitsgesetz ein. Da dieses Verfahren erfahrungsgemäß 2 Jahre dauern wird, haben die klagenden Gewerkschaften auch einen Eilantrag gestellt, die Anwendung des Gesetzes bis zu einer Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde auszusetzen. Obwohl die Kritik zur Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes berechtigt erscheint, ist nicht vorhersehbar, wie das Bundesverfassungsgericht entschieden wird. Sie sind als Arbeitgeber gezwungen, bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts die Änderungen im TVG und ArbGG durch das Tarifeinheitsgesetz zu beachten. Auswirkungen auf Tarifverträge kraft Bezugnahme Das Tarifvertragsgesetz kann nur die normative Geltung eines Tarifvertrags (zwingende Geltung, wie ein Gesetz, die bei beiderseitiger Tarifbindung des Arbeitgebers und des Arbeitnehmers vorliegt) regeln. Gilt ein Tarifvertrag (zusätzlich) durch Bezugnahmeklauseln in den Arbeitsverträgen individualrechtlich, gilt er auch weiter, wenn er der Minderheitentarifvertrag sein sollte. Auch bei Neuverträgen kann auf einen Tarifvertrag einer Minderheitsgewerkschaft verwiesen werden. Da die Anwendung von Tarifverträgen durch Bezugnahmeklauseln in den Arbeitsverträgen standardmäßig in Krankenhäusern vereinbart wird, wird einerseits eine Tarifpluralität auf arbeitsvertraglicher Ebene fortbestehen. Andererseits müssen sich Krankenhäuser trotz Kollisionsregel im § 4a TVG darauf einstellen, dass die Minderheitsgewerkschaft Tarifverträge erstreikt, „nur“ damit dieser dann durch Bezugnahme in den Arbeitsverträgen angewandt wird. Abschließend möchten wir an dieser Stelle auf das Seminar „Das Tarifeinheitsgesetz und seine Auswirkungen auf Krankenhäuser“ am 21.09.2015, 10:00 Uhr bis 14:30 Uhr in unserer Geschäftsstelle, Humboldtstraße 2a, 04105 Leipzig, mit Frau Rechtsanwältin Susanne Boemke, Boemke und Partner Rechtsanwälte mbB, Leipzig, hinweisen. In diesem Seminar werden die in dieser Mitteilung angesprochenen Probleme des Tarifeinheitsgesetzes ausführlich erläutert sowie Tipps, Hinweise und Gestaltungsmöglichkeiten zum rechtssicheren Umgang mit dem Tarifeinheitsgesetz für Krankenhäuser als Arbeitgeber gegeben. Alle Informationen rund um die Veranstaltung können der Seminarinformation (Anlage) entnommen werden. Diese Mitteilung wurde uns von Frau Rechtsanwältin Susanne Boemke, Boemke und Partner Rechtsanwälte mbB, Leipzig, www.boemke-partner.de, zur Verfügung gestellt.
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