Fall 3 Verbandsaustritt

Übung für Nebenfachstudierende
Kollektives Arbeitsrecht SS 2015
Fall 3: Verbandsaustritt
Armin Altmann (A) und Bernhard Berkel (B) sind Arbeitnehmer der C-GmbH.
A ist Mitglied der Gewerkschaft, die mit dem Arbeitgeberverband, dem auch die C-GmbH angehört,
einen Tarifvertrag geschlossen hat. B ist nicht gewerkschaftlich organisiert. Mitarbeiter, die nicht
Mitglied der Gewerkschaft sind, werden ebenfalls tariflich entlohnt. In den Arbeitsverträgen der CGmbH findet sich die Regelung, dass immer der Tarifvertrag, der mit seinem Geltungsbereich die
Arbeitsverhältnisse bei der C-GmbH erfasse, „in seiner jeweiligen Fassung“ gelte.
Im Februar 2013, kurz vor Abschluss eines neuen Tarifvertrags, der für die Tätigkeiten des A und des
B eine um 300 € höhere monatliche Entlohnung festlegt, tritt die C-GmbH aus dem
Arbeitgeberverband aus.
Bearbeitervermerk:
Haben A und B trotzdem Anspruch auf das monatlich erhöhte Gehalt? Der neue Tarifvertrag gilt ab
dem 1.5.2013, der alte endete Ende April 2013.
Abwandlung:
Kann B auch dann das erhöhte Entgelt verlangen, wenn die Bezugnahmeklausel nur in den
Arbeitsverträgen von Außenseitern enthalten ist?
Dirk Selzer | ZAAR | Destouchesstraße 68 | 80796 München | Tel. 089 – 20 50 88 342 |
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Lösungsskizze Fall 3
A) Anspruch des A gegen die C-GmbH auf Zahlung des erhöhten Gehalts nach § 4 I TVG i.V.m. dem
neuen Tarifvertrag
I. Bestehender Arbeitsvertrag (§ 611 BGB) : (+)
II. Anwendungsbereich des Tarifvertrags: (+)
III. Beiderseitige Tarifgebundenheit
1. Tarifbindung nach § 3 I TVG?
Voraussetzung: Mitgliedschaft in den Tarifvertragsparteien
A: Mitglied der tarifvertragsschließenden Gewerkschaft
Tarifbindung nach § 3 I TVG (+)
C-GmbH: Austritt aus dem tarifvertragsschließenden Arbeitgeberverband vor Abschluss des neuen
Tarifvertrags
Tarifbindung nach § 3 I TVG (-)
2. Tarifbindung der C-GmbH nach § 3 III TVG?
§ 3 III TVG: Tarifgebundenheit besteht fort, bis der Tarifvertrag endet
hier:
Austritt der C-GmbH aus dem tarifvertragsschließenden Arbeitgeberverband vor Abschluss des neuen
Tarifvertrags
-> Tarifgebundenheit der C-GmbH bzgl. des bestehenden Tarifvertrags nach § 3 III TVG endete Ende April
2013.
-> Tarifgebundenheit der C-GmbH bzgl. des neu abgeschlossenen Tarifvertrags nach § 3 III TVG (-)
Unmittelbare und zwingende Geltung der Normen des neuen Tarifvertrags im Arbeitsverhältnis
zwischen A und der C-GmbH nach § 4 I TVG (-)
Ergebnis:
Anspruch des A gegen die C-GmbH auf Zahlung des erhöhten Gehalts nach § 4 I TVG i.V.m. dem neuen
Tarifvertrag (-)
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B) Anspruch des A gegen die C-GmbH auf Zahlung des erhöhten Gehalts nach § 611 BGB i.V.m. der
Bezugnahmeklausel
1) Bezugnahme auf den neuen Tarifvertrag (+)
Problem: Wie ist die Klausel zu verstehen?
a) Rspr. früher:
Behandlung von arbeitsvertraglichen Einbeziehungsklauseln als Gleichstellungsabreden.
Das bedeutet:
-Nichtorganisierte Arbeitnehmer sollen sich nur solange auf den Tarifvertrag berufen können, wie dies für
einen organisierten Arbeitnehmer möglich ist.
-Endet die Verbandsmitgliedschaft des Arbeitgebers durch Austritt, soll die Klausel sowohl für organisierte als
auch für nichtorganisierte Arbeitnehmer nicht mehr auf den neuen Tarifvertrag verweisen.
b) Rspr. heute:
Interpretation als Gleichstellungsabrede nur zulässig, wenn konkrete Anhaltspunkte im Vertragswortlaut oder
in den Umständen des Vertragsschlusses vorliegen (§ 305 c II BGB).
Daran fehlt es hier, sodass die Bezugnahmeklausel auch mit Blick auf den neuen Tarifvertrag gilt.
2) Geltung auch für Verbandsmitglieder (+)
Das BAG nimmt auch für Gewerkschaftsmitglieder an, dass die Bezugnahmeklausel konstitutive Wirkung hat.
Zwar folgt ihre Bindung an den Tarifvertrag aus der Mitgliedschaft (§ 3 I TVG). Solange der Tarifvertrag
normativ gilt, braucht es nicht des Rückgriffs auf die Bezugnahmeklausel. Endet die Tarifbindung des
Arbeitgebers durch Verbandsaustritt, dürfen die organisierten Arbeitnehmer nicht schlechter stehen als die
Außenseiter. In diesen Fällen gilt die Bezugnahmeklausel auch für Gewerkschaftsmitglieder. Die Regelungen
des Tarifvertrages gelten schuldrechtlich zwischen den Arbeitsvertragsparteien.
Ergebnis:
A hat gegen die C-GmbH Anspruch auf Zahlung des erhöhten Gehalts nach § 611 BGB i.V.m. der
Bezugnahmeklausel.
C) Anspruch des B gegen die C-GmbH auf Zahlung des erhöhten Gehalts nach § 4 I TVG i.V.m. dem
neuen Tarifvertrag
I. Bestehender Arbeitsvertrag (§ 611 BGB) : (+)
II. Anwendungsbereich des Tarifvertrags: (+)
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III. Beiderseitige Tarifgebundenheit
Tarifbindung nach § 3 I TVG?
-> Voraussetzung: Mitgliedschaft in den Tarifvertragsparteien
B: Mitgliedschaft in der tarifvertragsschließenden Gewerkschaft (-)
-> Tarifbindung nach § 3 I TVG (-)
-> Unmittelbare und zwingende Geltung der Normen des neuen Tarifvertrags im Arbeitsverhältnis zwischen B
und der C-GmbH nach § 4 I TVG (-)
Ergebnis:
Anspruch aus § 4 I TVG i.V.m. dem neuen Tarifvertrag (-)
D) Anspruch des B gegen die C-GmbH auf Zahlung des erhöhten Gehalts nach § 611 BGB i.V.m. der
Bezugnahmeklausel (+)
Abwandlung:
Problem:
Besserstellung des B?
Sofern sich keine Anhaltspunkte finden, dass die Bezugnahmeklausel als Gleichstellungsabrede gewollt war (s.
o.), gilt sie nach aktueller Rechtsprechung selbst dann, wenn sie zu einer Besserstellung des
Nichtorganisierten führt.
Ergebnis:
Anspruch des B gegen die C-GmbH auf Zahlung des erhöhten Gehalts (+)