Zusammenfassung des Forschungsprojekts1 Wirtschaftsberichterstattung in den Fernseh- und Radionachrichten – Erfüllen die Nachrichtensendungen den Service Public? Durchgeführt von: Sabine Einwiller, Diana Ingenhoff, Dominik Lehmann, Katharina Sommer und Norbert Winistörfer2 Die Wirtschaft übt einen starken Einfluss auf die Gesellschaft aus. Vor dem Hintergrund des Service Public Auftrags ist daher von den elektronischen Medien Fernsehen und Radio zu fordern, dass diese die Bevölkerung der Schweiz in ausreichendem Masse mit relevanten, verständlichen und objektiven Informationen zum Wirtschaftsgeschehen versorgen. In wieweit dieser Auftrag erfüllt wird, wurde im Rahmen des Kooperationsprojekts der Fachhochschule Nordwestschweiz, Hochschule für Wirtschaft, und der Universität Fribourg, Medien- und Kommunikationswissenschaft, untersucht. Der Fokus der Untersuchung lag auf den Hauptnachrichtensendungen ausgewählter Fernseh- und Radiosender der SRG SSR idée suisse in den drei Sprachregionen Deutschschweiz, Romandie und Tessin. Daneben wurden die Hauptnachrichtensendungen der jeweils reichweitenstärksten privaten TV- und Radiosender analysiert. Um einen umfassenden Einblick in die Fragestellung zu erhalten, wurden Rezipierende in Fokusgruppen befragt, eine Medieninhaltsanalyse der Nachrichtensendungen durchgeführt sowie Journalisten der untersuchten Sender interviewt. Die Antwort auf die Frage, ob die Hauptnachrichten in Schweizer Fernseh- und Radiosendungen den Service Public erfüllen, ist mit "teils teils" und "es kommt darauf an" zu beantworten. Denn nicht alle zentralen Forderungen an den Service Public werden erfüllt. Zudem sieht die Situation in den öffentlichen und privaten Sendern und den verschiedenen Sprachregionen nicht überall gleich aus. Zufriedenstellend ist der Anteil, den die Wirtschaftsberichterstattung an der Gesamtberichterstattung der Hauptnachrichtensendungen einnimmt. Mit etwas mehr als 20 Prozent an Wirtschaftsnachrichten erhalten die Bürgerinnen und Bürger der Schweiz in den Hauptnachrichtensendungen eine hinreichende Menge an Information zu Wirtschaftsthemen. Zu bemerken ist, dass es hinsichtlich der durchschnittlichen Quantität zwischen den Sprachregionen keine starken Unterschiede gibt (Tessin 24 Prozent, Deutschschweiz 22 Prozent, Romandie 20 Prozent). Es zeigt sich jedoch, dass die Hauptnachrichten der Sender der SRG SSR idée suisse durchschnittlich etwas mehr Wirtschaftsberichte enthalten als die der Privaten (24 versus 20 Prozent). Dieser Unterschied ist massgeblich auf die verstärkte Wirtschaftsberichterstattung der öffentlich Sender im Vergleich zu den Privaten in der Deutschschweiz zurückzuführen (TV: SRG 28 Prozent versus Privat 10 Prozent; Radio: SRG 1 Das Projekt wurde finanziellunterstützt vom Forschungsfonds des Bundesamtes für Kommunikation (BAKOM) 2 Namen des Projektmitarbeitenden in alphabetischer Reihenfolge; Kontakt: Sabine Einwiller, Fachhochschule Nordwestschweiz, Hochschule für Wirtschaft, Riggenbachstrasse 16, 4600 Olten, [email protected] 1 30 Prozent versus Privat 21 Prozent). In der Romandie und im Tessin ist dieser Unterschied zwischen öffentlichen und privaten Sendern nicht zu finden. Als nur teilweise zufriedenstellend ist die Auswahl der Themen zu bewerten, über die in den Nachrichten berichtet wird. Aus der Sicht des Service Public wäre eine Priorisierung von gesellschaftlich relevanten wirtschaftspolitischen Themen (Makroebene) wünschenswert, da diese für die Meinungsbildung in der Gesellschaft am bedeutendsten sind. In den Nachrichtensendungen werden jedoch mehrheitlich Wirtschaftsberichte gebracht, in denen es um Einzelunternehmen und Branchen geht (Mesoebene). Die Analysen ergaben, dass in den Wirtschaftsnachrichten mehrheitlich über Unternehmen und auch über Branchen berichtet wird (59 Prozent), ein Effekt der sich auch dann zeigt, wenn man Berichte ausklammert, in denen es um die Jahreszahlen von Unternehmen geht (noch 53 Prozent Berichte auf Mesoebene). Zu Mikrothemen, die die private Lebenswelt der Konsumenten betreffen, wird in den Hauptnachrichten kaum berichtet. Dies ist nicht negativ zu werten, da Themen, die einzelne Personen betreffen, in anderen Sendegefässen als den Hauptnachrichtensendungen thematisiert werden sollten. Die Verteilung der Relevanzebenen (Makro-, Meso- und Mikroebene) gestaltet sich über die drei Sprachregionen hinweg gleich. Interessant ist, dass den Rezipientinnen und Rezipienten in den Fokusgruppen vor allem jene Themen spontan zum Thema Wirtschaftsnachrichten in den Sinn kamen, die in den Nachrichten auf der Meso- und der Makroebene am häufigsten gebracht werden: die Finanzkennzahlen der Unternehmen und die Börsendaten. Ein Agenda Setting Effekt der Medien scheint hier ersichtlich zu sein. Zur Relevanz der Wirtschaftsnachrichten wurden des Weiteren verschiedene Nachrichtenfaktoren analysiert. Es zeigt sich dabei, dass die gesendeten Wirtschaftsthemen überwiegend von mittlerer Reichweite sind, also gesellschaftliche Teilgruppierungen oder einzelne Institutionen betreffen. Die grösste Reichweite (hier sind alle Bürgerinnen und Bürger der Schweiz oder anderer Länder vom Thema betroffen), kann nur 10 Prozent der Wirtschaftsnachrichten bescheinigt werden. Interessant ist auch, dass der Faktor Nähe (zur Schweiz) vor allem in den Deutschschweizer Nachrichten der SRG dominiert, ebenso wie in den Sendungen der Privaten aller Regionen. In den Nachrichten der öffentlichen Sender im Tessin und in der Romandie kommen zuweilen auch Wirtschaftsbeiträge vor, die das (meist benachbarte) Ausland betreffen. Die Ergebnisse für die Faktoren Reichweite und Nähe zeigen also, dass Wirtschaft in den Schweizer Nachrichten vor allem Schweizer Wirtschaft bedeutet, deren Wirkung meist eine mittlere Reichweite hat. Von der Mehrheit der interviewten Journalisten wird ein Trend zur Personalisierung wahrgenommen, der schon seit mehreren Jahren zu beobachten ist. Sie selbst binden Wirtschaftsvertreter deshalb gerne in ihre Berichte ein, da diese die Wirtschaftsthemen ihrer Ansicht nach interessanter und auch verständlicher machen. Die vorliegende Untersuchung zeigt, dass in der Hälfte der Wirtschaftsbeiträge mindestens ein Einzelakteur vorkommt. In den Beiträgen auf Mesoebene kommen sogar bei 60 Prozent der Themen und auf Mikroebene bei 71 Prozent der Themen Einzelakteure vor. Dabei werden in allen drei Sprachregionen vor allem die CEOs und Firmenchefs in den Vordergrund gestellt. Der Hang zur Prominenz drückt sich auch darin aus, dass auf Mesoebene überwiegend über Grossunternehmen berichtet wird. KMU kommen nur in sieben Prozent der Berichte vor. Die 2 Vernachlässigung von KMU in den Sendungen von Radio und TV wurde von den Rezipientinnen und Rezipienten in den Fokusgruppen bemängelt. Die befragten Medienschaffenden bei den Schweizer Fernseh- und Radiosendern bescheinigen vor allem einigen grossen Unternehmen eine effektive und clevere Medienarbeit. Diese Fähigkeit, "ihre Ideen gut zu verkaufen", ist ein möglicher Grund für den hohen Anteil an Wirtschaftsthemen über Unternehmen in den gesendeten Nachrichtenbeiträgen. Dass hier ein kausaler Zusammenhang besteht, wird allerdings (nicht überraschend) von den meisten Journalisten verneint. Die Gefahr, bei Erhalt eines professionell aufbereiteten Dossiers Verlautbarungsjournalismus zu betreiben, ist jedoch gegeben und wird auch von den Journalisten erkannt. Massnahmen gegen den zu starken Einfluss der PR-Branche bestehen zwar in zahlreichen Redaktionen. Dazu gehören etwa Recherchevorgaben oder die Anzahl der zu zitierenden Quellen. Der hohe Zeitdruck auf den Redaktionen und das mehrheitlich fehlende Know-how der Medienschaffenden in Bezug auf Wirtschaftsthemen begünstigen jedoch eine unkritische Übernahme der von Unternehmen oder Kommunikationsagenturen gelieferten Information. Die befragten Medienschaffenden sind der Meinung, dass die Bedeutung von Wirtschaftsthemen in den Schweizer Radio- und Fernsehanstalten im Laufe der letzten Jahre grundsätzlich zugenommen hat. Dies wurde insbesondere von den Vertreterinnen und Vertretern der SRG SSR idée suisse betont. Sie machten die Bedeutungszunahme der Wirtschaftsthemen auch an der Tatsache fest, dass in diesem Bereich in den Redaktionen in den letzten Jahren neue Stellen geschaffen wurden. Entsprechend verhaltener äusserten sich zu dieser Frage die befragten Journalisten der sechs Privatsender. Es sei zwar ein Bedeutungsanstieg festzustellen, eigens für den Bereich Wirtschaft Stellen zu schaffen sei aus Kostengründen aber nicht möglich. Ein Unterschied in der anteilsmässigen Berichterstattung über die Wirtschaft zwischen öffentlichen und privaten Sendern zeigte sich, wie oben bereits angemerkt, allerdings nur für die Deutschschweiz. Die Ressourcendiskussion um Fachpersonal führt schliesslich auch zu einer Diskussion bezüglich der Fachkompetenz und Rechercheintensität im Bereich Wirtschaft. Der Wirtschaftsthematik wird von den befragten Journalisten fast durchweg ein vergleichsweise hoher Schwierigkeitsgrad bescheinigt. Um Wirtschaftsinhalte kompetent und verständlich vermitteln zu können, müssen Medienschaffende Wirtschaftsinhalte und –zusammenhänge verstehen. Auch für eine fundierte Recherche zu Wirtschaftsthemen ist Wirtschaftskompetenz oder eine Ausbildung im Fachgebiet vonnöten, nicht zuletzt weil dies auch den Aufbau eines persönliches Recherchenetzwerkes erleichtert, dessen Wichtigkeit für die Wirtschaftsberichterstattung von den Medienschaffenden betont wurde. Insgesamt ist zur Ressourcen- und Recherchediskussion zu bemerken, dass die öffentlichen Sender gegenüber den Privaten im Bereich Wirtschaft im Vorteil sind, zum einen aufgrund der entsprechenden Fachspezialisten, die sie sich leisten können, und zum anderen aufgrund ihres grösseren Netzwerkpotenzials (auch innerhalb der SRG). Ob die benutzten Quellen der Wirtschaftsnachrichten den Rezipienten transparent gemacht werden, wurde im Rahmen der Inhaltsanalyse untersucht. Es zeigt sich, dass in der Deutschschweiz nur in drei Prozent der Fälle die Quellen der Wirtschaftsberichterstattung intransparent bleiben, im Vergleich zu 25 Prozent in der Romandie und 16 Prozent im Tessin. 3 Die Überlegenheit der öffentlichen Sender hinsichtlich Ressourcen und Fachpersonal zahlt sich den Analysen zufolge auf der inhaltlichen Ebene der Verständlichkeit der Wirtschaftsnachrichten aus. Es zeigt sich, dass in den Nachrichten der öffentlichen Sender häufiger der Kontext erläutert wird als in den privaten Programmen (78 versus 69 Prozent). Auch geben die Journalisten der öffentlichen Rundfunkanstalten ihren Rezipienten eher eine Antwort auf die Warum-Frage (58 versus 51 Prozent) und auf die Wie-Frage (43 versus 37 Prozent). Ein veranschaulichendes Fallbeispiel wird mit 21 Prozent versus 14 Prozent ebenfalls häufiger in den öffentlichen Nachrichten verwendet. Mit Fremdwörtern jonglieren vor allem die Deutschschweizer und die Tessiner Medien, während sich die Romands diesbezüglich eher zurückhalten. Ob die gesendeten Wirtschaftsbeiträge für die Rezipienten wirklich verständlich sind, kann nicht mit abschliessender Gewissheit gesagt werden. Es scheint jedoch, als seien die Journalisten bemüht durch Hintergrundinformationen und die Beantwortung von W-Fragen die Verständlichkeit der Berichte zu fördern. Grundsätzlich könnten die Beiträge jedoch weiter an Verständlichkeit gewinnen, wenn noch mehr über Ursachen und Umstände von Wirtschaftsereignissen berichtet würde und sich die Rezipienten dadurch ein umfassenderes Wissen bezüglich Wirtschaftsthemen aneignen könnten. Grundsätzlich stellt sich die Frage, inwieweit in den Nachrichten überhaupt vertieft und verständlich über komplexe Wirtschaftsthemen berichtet werden kann. Wie von den Teilnehmenden an den Fokusgruppen bemerkt, sind die Beiträge in den Nachrichten oft zu kurz, um eine Thematik vollends begreifen zu können. Das heisst jedoch keineswegs, dass Wirtschaft aus den Nachrichten ausgeklammert werden sollte. Vielmehr sind zu bestimmten Themen, und dies nicht nur zur Börsenentwicklung, gesonderte Sendungen mit Tiefgang und Hintergrundinformationen sinnvoll, die den Bürgerinnen und Bürger die komplexen wirtschaftlichen Zusammenhänge erklären. Die zu beobachtende vermehrte Einrichtung von Sendegefässen, in denen es speziell um Wirtschaftsthemen geht, ist daher eine sinnvolle und begrüssenswerte Entwicklung. Eine abschliessende Bemerkung betrifft die privaten Sender, die, wie gezeigt wurde, anteilsmässig fast gleichermassen zur Wirtschaftsberichterstattung beitragen wie die öffentlichen Sender. Wenn von den Privaten erwartet wird, dass sie den Service Public erfüllen und verständlich und objektiv über Wirtschaft berichten, müssen sie dafür ausreichende finanzielle Mittel beziehungsweise ausgebildetes Fachpersonal zur Verfügung haben. Gefragt nach ihrem Service Public Verständnis, äussern sich die Vertreterinnen und Vertreter der Privaten positiv, im dem Sinne, dass die Erfüllung des Service Public ein wichtiges Ziel ihrer Berichterstattung sei. Aufgrund ihrer Regionalität haben sie das Potenzial, einen wichtigen Beitrag zur Integration und Meinungsbildung im Bereich Wirtschaft zu leisten – indem sie, im Gegensatz zu den nationalen Sendern, auch über wirtschaftliche Ereignisse berichten, die von lokal ansässigen KMU beziehungsweise regionalen Wirtschaftsakteuren geprägt werden. 4
© Copyright 2025 ExpyDoc