6.2 Handlesetechnik

6 Was können wir durch Betrachten von Händen und Fingern erschließen?
6.2
Handlesetechnik
Man lässt sich zunächst immer beide Hände geben, jeweils mit geöffneten
Handflächen. Hierbei bekommt man schon einen Allgemeineindruck durch die
Handform. Die Meinung, die dem Herzen näher liegende linke Hand soll mehr
über Talent und Veranlagung aussagen, ist reine Behauptung. Ebenso, dass die
Erbmerkmale in der linken Hand von der Mutter, und die in der rechten Hand
vom Vater sich herleiten, ist Humbug.
Wichtig ist auch, dass man selbst die Hand des Gegenübers in die eigene
Hand nimmt. Durch diesen Kontakt mit der Haut des Anderen erfährt man,
wie trocken, wie schweißig, wie rau und rissig, wie zart und zierlich, wie derb die
Hautbeschaffenheit ist oder wie ausgelaugt „Waschfrauenhände“ sind.
Es kann nicht schaden, auch den Händedruck zu prüfen und beiläufig
nach der Händigkeit (Links-, Rechts-) zu fragen. Die Menschen sind nun
einmal Einhänder, und die Rechtshändigkeit war sogar überwiegend bei den
Vor- und Urmenschen vorhanden. Auch heute beträgt der Anteil der Linkshändigkeit in der europäischen Bevölkerung nur 10 bis 15 %. Die genetisch
weitergegebene Rechtshändigkeit (mit dem Sprachzentrum in der linken Gehirnhälfte) muss also in der Evolution einen gewissen Überlebensvorteil gegeben haben.
Immer wieder staunt man über das Wundergebilde der menschlichen Hand,
vom Säugling bis zum Greis, bei allen Menschen und „Rassen“ dieser Erde
gleich. Hände, die die Welt um uns ergreifen und damit begreifen. Rund ein
Viertel der Knochen eines Körpers stecken in beiden Händen. Welch ein perfektes Werkzeug, bewegt von 33 Muskeln. Und jeder Finger eines Menschen
wird im Laufe eines Lebens über 20 Millionen Mal gebeugt und gestreckt
(Wehr/Weinmann 1999, Wilson 2000).
Hände geben manchmal auch einen ganz anderen Eindruck als das äußere
Erscheinungsbild unseres Gegenüber erwarten lässt.
Will man die Sitzung etwas wissenschaftlicher gestalten, so braucht man dazu
ein Millimetermaß, eine Lupe, ein Lämpchen und vielleicht noch ein kleines
Stöckchen zum Demonstrieren. Man fängt meist mit dem markanten MM
(„Matheus-Müller-Sekt“)-Zeichen für die Handfurchen an. Dies wird als „offen“
bezeichnet, wenn Lebens- und Kopflinie schon am Ursprung getrennt verlaufen, „geschlossen“, wenn diese beiden Hauptlinien gemeinsam an der Daumen72
6.4 Finger
seite der Innenhand entspringen. Man benennt die traditionellen Namen und
erklärt die Hauptfurchen der Innenhand.
Auch die Beugefurchen an den Fingern und die Fingerformen dürfen nicht
vergessen werden. Dann kommt die feinere Handlesetechnik zur Geltung, das
Hautleistenmuster oder die Dermatoglyphen in der Innenhand und auf den
Fingerbeeren. Hierzu braucht man aber Licht und Lupe.
Dann geht der Untersuchungsblick über Ohren- und Nasenregion zu Mund
und Lippe. Hier werden die im Laufe des Lebens erworbenen Falten erwähnt.
Die Sitzung wird meist mit der Nageldiagnostik beendet, schon weil sie sehr
solide medizinisch unterbaut ist.
6.3
Handformen
Intuitiv wird man leicht eine derb-muskulöse Hand mit einfachem Linienmuster von einer „geistigen“ Hand mit fein-differenziertem Handlinienmuster unterscheiden können.
Je mehr Linien in einer Hand, umso mehr können sie ausdrücken, um so
mehr soll „die Empfindungskraft der Seele“ vorhanden sein.
Es ist fraglich, ob man mit den sieben oder neun Handtypen der Chirologen etwas anfangen kann, wenn von der elementaren, der spatelförmigen, der
eckigen, der konischen, der idealen, der knotigen, der gemischten Hand etc. gesprochen wird und Eigenschaften wie „schwerfällig im Denken“ bis „materielle
Orientiertheit“ und viele andere entsprechend zugeordnet werden.
6.4
Finger
6.4.1 Zeigefinger-Ringfinger-Längen-Verhältnis
Als erstes schaut man sich bei ausgestreckten Händen die Länge der Finger an.
Dabei achtet man besonders auf Zeigefinger (2D) und Ringfinger (4D) und
misst mit dem Zentimetermaß den rechten Zeigefinger, dann den Ringfinger,
jeweils vom Innenhandansatz bis zur Spitze, und teilt 2D durch 4D. Ein längerer Ringfinger ergibt ein Zahl unter 1, ein längerer Zeigefinger eine Zahl
über 1.
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6 Was können wir durch Betrachten von Händen und Fingern erschließen?
Abb. 42: Zeigefinger-Ringfinger-Verhältnis in der rechten Hand von Männern (mit
längerem Ringfinger als Zeigefinger). Unbekannte Quelle.
Schon seit über 100 Jahren bekannt (Ecker, 1875), aber erst in den 80-er Jahren und danach publik gemacht (Wilson, 1983; Wilson, 2010) ist die Tatsache,
dass die Längen von 2D und 4D bei Mann und Frau verschieden sind und
vom Fetalalter zeitlebens stabil in der 2D:4D ratio bleiben (Manning, 2002,
Phelps, 1952). Wahrscheinlich bedingt durch Einfluss der Sexualhormone auf
das Gehirn mit Kontrolle der HOX-Gene in der Fetalzeit, ist gewöhnlich beim
Mann der Ringfinger länger als der Zeigefinger und bei der Frau umgekehrt.
Östrogen macht wahrscheinlich den Zeigefinger länger, während Testosteron
den Ringfinger länger macht, so dass der Zeigefinger bei Männern im Vergleich zum Ringfinger kürzer erscheint (Längenverhältnis unter 1, bei Frauen
über 1).
Übrigens, der Chirurg Ferdinand Sauerbruch hatte das typisch männliche Fingerverhältnis, wie Ursula von Kardorff in den „Berliner Aufzeichnungen“ (Biederstein, 1962) in ihrem Tagebuch vom 6. November 1943 vermerkte: „Was
sofort an ihm auffällt, sind die zarten, schmalen Hände, bei denen der vierte
Finger genau so lang wie der Mittelfinger ist.“ Auch von Casanova (1725-1798)
74
6.4 Finger
ist der Ausspruch bekannt: „Meine Hand ist so geformt wie die aller Abkömmlinge Adams, der Zeigefinger ist kürzer als der Ringfinger.“
Durch die Unterschiede dieser Fingerlängen kann man auf die Menge von
Testosteron im Fötusgehirn schließen und damit auf spätere männliche Verhaltensweisen. Immerhin, ein männliches Fingerlängenverhältnis mit dem längeren Ringfinger soll den Träger für Frauen attraktiver machen (Roney u. Maestripieri, 2004) und eine höhere Fruchtbarkeit des Mannes anzeigen. Auf der
anderen Seite sollen Frauen mit dem vergleichsweise längeren Zeigefinger die
fruchtbarsten sein (Manning, 2002).
Ja, es haben sogar statistische Untersuchungen gezeigt, dass Männer mit mehr
weiblichem 2D:4D-Verhältnis leichter zu depressiven Zuständen neigen (Bailey
u. Hurd, 2005). Auch habe das 2D:4D Verhältnis eine Beziehung zu Autismus
(Manning et al., 2001) oder würde die spätere sexuelle Orientierung anzeigen
(Terrance et al., 2000).
6.4.2 Kleinfinger
Die Einwärtskrümmung des Kleinfingerendglieds, die Klinodaktylie V, entweder ein- oder beidseitig, fällt beim Blick auf die geöffnete Hand sofort auf
(Abb. 30). Diese angeborene Abknickung eines Fingerglieds im Handskelett
wird durch die fehlende Fingerbeugefurche (nur eine statt zwei) noch gründlicher diagnostiziert (Abb. 43).
Abb. 43 Eine einzelne Beugefurche am Kleinfinger; aus: Stengel-Rutkowski/Schimanek, 1985
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6 Was können wir durch Betrachten von Händen und Fingern erschließen?
Bei dem Dubois-Zeichen (single crease V) ist der 5. Finger verkürzt und erreicht nicht die Höhe des Endgelenks des 4. Fingers. Dieses Zeichen ist nicht
ganz so selten, und man muss sich hüten, es als Hinweis auf eine Störung von
Hirnfunktionen zu deuten. Die Kleinfingerbeugefurche erreicht also nicht die
Höhe der ersten Beugefurche des Ringfingers. Röntgenologisch kann man dabei oft eine Verkümmerung oder ein Fehlen der Mittelphalanx nachweisen.
Dieser äußerlich sichtbare „verbogene“, nicht ganz streckbare Kleinfinger ist
häufig vergesellschaftet mit angeborenen Chromosomenstörungen, vor allem
Trisomien.
Beim Kleinfinger kann man eine kleine humoristische Einlage der Chirologen
anfügen: Kann dieser „Merkurfinger“ weit abgespreizt werden, so bedeutet dies
einen „Verlust von Naivität“, „eine Verstellung in seinem natürlichen Wesen“.
6.4.3 Daumen
Man sagt, Wille und Energie verkörpere sich am Daumen, und zwar am Endglied. Ist dieses Nagelglied besonders dick, im Vergleich zum Mittelglied fast
keulenförmig aufgetrieben, so soll dieser Mensch mit starkem Willen ausgezeichnet sein.
Der Daumen ist ja am Ansatz mit dem Venusberg verbunden. Dass man bei
einem mächtigen Venusberg Liebe, Sinnlichkeit und Leidenschaft, auch schöpferische Kraft in Arbeit und Beruf erwähnt, will natürlich jeder Mann erfahren.
Und wenn man in der Haut des Venusberges noch viele, feine Fältchen und
Furchen erkennt, so kann man sich über Phantasie in der Erotik auslassen.
6.5
Handfurchen
Die Handfurchen (mit der Fixierung der Haut auf das Unterhautbindegewebe)
entstehen aus mehreren Teilabschnitten und wachsen zwischen dem 2. und 3.
Embryonalmonat zusammen, in einer Entwicklungsrichtung von radial nach
ulnar, von distal nach proximal. Bis zum 6. Embryonalmonat ist die Furchenbildung abgeschlossen. Diese longitudinalen und transversalen Beugefurchen
auf dem Handteller wie auch die Papillarleisten verändern sich nicht während
des ganzen Lebens. Für jeden Menschen sind diese angeborenen, gefurchten
Handlinien „einmalig“ und damit echte Datenträger (Abb. 44).
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6.5 Handfurchen
Abb. 44: Die Hauptfurchen der Handfläche. Links: Aus einem Esoterik-Prospekt (unbekannte Quelle). Rechts: Aus einem medizinischen Lehrbuch (Stengel-Rutkowski/
Schimanek, 1985)
Df: Daumenfurche (Lebenslinie)
pTf: proximale Transversalfurche (Kopflinie)
dTf: distale Transversalfurche (Herzlinie)
Man unterscheidet Hauptlinien (Lebens-, Kopf-, Herzlinie) und Nebenlinien
(Schicksals-, Apollo-, „Ehelinien“ u. a.).
Lebenslinie
Die Lebenslinie (Daumenfurche, Df, Vitalis) umschließt den Daumenballen, beginnt zwischen Daumen und Zeigefinger an der seitlichen Handkante
und schwingt sich in einem (oder mehreren Bögen) um den Handballen zur
Handwurzel. Sie ist als erste der Handfurchen beim Fötus schon in der 7. Embryonalwoche vorhanden. Sie ändert sich im Laufe des Lebens praktisch nicht
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6 Was können wir durch Betrachten von Händen und Fingern erschließen?
mehr. Interessant ist, dass die Lebenslinie in beiden Händen oft voneinander
abweicht.
Ob die Lebenslinie etwas über die Lebenskraft oder Vitalität des Handeigners
aussagt, sei dahingestellt, auf keinen Fall gibt sie Auskunft über den Verlauf
oder die Länge des Lebens.
Kopflinie
Die Kopflinie (proximale Transversalfurche, pTf, „Linie der Geisteskraft“,
Cerebralis) beginnt etwas über der Lebenslinie unterhalb des Zeigefingers und
verläuft quer über die Innenhand. Sie kann getrennt von der Lebenslinie entspringen („offenes M“) oder auch gemeinsam mit der Lebenslinie bis zu 2 cm
gemeinsam verlaufen („geschlossenes M“).
Wie man daraus den Zusammenhang oder Nicht-Zusammenhang von Kopf
(=Gehirn) und Leben deuten will, bleibt der Phantasie des Untersuchers überlassen, ebenso, ob eine dominierende Kopflinie auf eine besondere intellektuelle Begabung hinweist.
Herzlinie
Die Herzlinie (Dreifingerfurche, distale Transversalfurche, dTf), die oberste
Querlinie in der Hand, entspringt gegenläufig zu Kopf- und Lebenslinie an
der seitlichen (ulnaren) Handkante unter dem Kleinfinger und verläuft anfangs
ziemlich waagerecht unterhalb der äußeren drei Finger, meist mit einem kleinen
Bogen unterhalb des Mittelfingers mit der Richtung zum Zeigefinger endend.
Der Name will sagen, dass sie vielleicht für Liebe und Leidenschaft zuständig
ist.
Schicksalslinie
Die Saturn-, Glücks- oder Schicksalslinie teilt die Innenhand in zwei vertikale
Hälften. Sie verläuft, oft zersplittert oder kaum erkennbar, senkrecht von der
Handwurzel bis unterhalb des Mittelfingers.
Es ist verständlich, dass viele Menschen gerade an der Deutung dieser den beruflichen und privaten Lebensweg zeichnenden Schicksalslinie interessiert sind.
Man staunt bei der Untersuchung, wenn man Geradlinigkeit oder Zersplitterungen oder Unterbrechungen dieser Linie beim Handeigner erkennt, auf wie
viel Bestätigung und Zustimmung beim Untersuchten man stößt.
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