WuV-ZivilRI_Loesung_Fall_6

Dr. Falk Mylich
Wiederholungs- und Vertiefungskurs BGB-AT und SchuldR-AT
Inhaltsverzeichnis der Lösung
A)
B)
C)
D)
I)
Fall 1 zum Minderjährigenrecht
Fall 2 zum Minderjährigenrecht
Zur Vorbereitung:
Lösung Fall 1
Gegen H
1)
§ 985 BGB
2)
§ 812 Abs. 1 S. 1 F. 1 BGB
a)
Etwas erlangt
b)
Leistung
c)
Ohne Rechtsgrund
aa) Willenserklärung von H
bb) Willenserklärung von M
(1) § 110 BGB
(2) Zustimmung
cc) Anfechtung der Willenserklärung
d) Gegenrechte von H
II) Gegen E
1) § 985 BGB
a) Ursprünglich M
b) Veräußerung an S
c) Erwerb von E gem. § 932 BGB
aa) Redlicher Erwerb vom nichtberechtigten Minderjährigen?
bb) Schädlichkeit der Kenntnis von der Anfechtung?
cc) Ergebnis
d) Ergebnis
e) Ergänzend: Abhandenkommen?
2) § 812
III)
Gegen S
E) Lösung Fall 2
I) Grundstück Goethestraße
1) Erklärung von M
2) Erklärung von T
3) Ergebnis
II) Grundstück in der Lessingstraße
1) Erklärung von M
2) Erklärung von T
a) § 107 BGB
aa) Zwangshypothek
bb) Vermietung
b) Zustimmung von M
c) Ergebnis
3) Ergebnis
I
Dr. Falk Mylich
Wiederholungs- und Vertiefungskurs BGB-AT und SchuldR-AT
A) Fall 1 zum Minderjährigenrecht
Der 16-jährige M erhält von seinen Eltern 100 € Taschengeld pro Monat. Außerdem ist er
stolzer Quad-Fahrer. In diesem Alter sind maximal 50 cm³ Hubraum und maximal 45 km/h
Geschwindigkeit erlaubt. Seine Eltern haben ihm verboten, von seinem Taschengeld Zubehör
für das Quad zu kaufen, weil sie befürchten, dass M dieses frisiert. Weil Händler H auch bei
Bargeschäften gerade deswegen stets eine Einwilligung der Eltern verlangt, manipuliert M
den Vergaser, zeigt seinen Eltern das defekte Quad, sodass sie ihre Zustimmung für den
Erwerb eines Ersatzteils geben. Dabei übersehen sie, dass sie die Zustimmung für einen viel
leistungsstärkeren Vergaser geben, der aus dem Quad 60 km/h herausholt. Unter Vorlage der
Zustimmung erwirbt M gegen Zahlung von 350 € aus seinen Taschengeldrücklagen diesen
Vergaser und baut ihn ein. Den alten Vergaser veräußert er an einen ehemaligen Mitschüler
(S), der 17 Jahre alt ist. Dafür erhält er eine Zündanlage, die noch mehr Leistung aus dem
Quad herausholen kann. Eigentlich ist die Zündanlage defekt, doch hat der volljährige E, der
davon ausging, dass S auch volljährig ist, die Zündanlage behelfsmäßig repariert. Im
Gegenzug hatte S versprochen, dem E den eingetauschten Vergaser preisgünstig für 100 €
weiter zu veräußern. M wird erfolgreich von S getäuscht; im Anschluss veräußert S den alten
Vergaser an E weiter. Kurz darauf wird M von der Polizei angehalten; als sein Vater den
Quad nach Hause fahren will, stellt die Zündanlage ihren Dienst ein. Zu Hause „beichtet“ M
umfassend. Ansprüche von M gegen H, E und S?
B) Fall 2 zum Minderjährigenrecht
Die allein sorgeberechtigte Mutter M will ihre 16-jährige Tochter T mit Grundstücken
beschenken. Sie schließt vor dem Notar mit T einen Schenkungsvertrag über das Wohnhaus
in der Goethestraße, der T zugleich verpflichtet, ihrer Mutter einen lebenslangen Nießbrauch
einzuräumen. Außerdem wird notariell beurkundet der T das Grundstück in der Lessingstraße
geschenkt. Darauf steht ein komplett vermietetes Haus mit Wohnungen. Es ist außerdem vor
wenigen Tagen mit einer Zwangshypothek belastet worden, nachdem ein Gläubiger gegen die
Mutter einen rechtskräftigen Titel erwirkt hatte. Die Mutter erklärt die Auflassung und die
Tochter nimmt sie im Beisein der Mutter an. Das Grundbuchamt verweigert mittels einer
Zwischenverfügung die Eigentumsumschreibung. Wäre die Beschwerde gem. § 71 GBO
begründet?
C) Zur Vorbereitung:
Das gesamte Minderjährigenrecht, insbesondere §§ 107, 110 BGB; BGHZ 78, 28; 161, 170;
162, 137; BGH NJW 2010, 3643?
D) Lösung Fall 1
I) Gegen H
1)
§ 985 BGB
Der Anspruch scheitert, weil H das Geld zwar nicht redlich erworben hatte – es sich aber in
der Kasse vermischt hatte (§ 948 BGB).
2)
§ 812 Abs. 1 S. 1 F. 1 BGB
a)
Etwas erlangt
Geld.
1
Dr. Falk Mylich
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b)
+
Leistung
c)
Ohne Rechtsgrund
aa)
+
Willenserklärung von H
bb) Willenserklärung von M
Grundsätzlich bedarf der Minderjährige gem. § 107 BGB der Einwilligung des gesetzlichen
Vertreters bei der Abgabe einer Willenserklärung. Diese ist entbehrlich, wenn das Geschäft
dem Minderjährigen lediglich einen rechtlichen Vorteil bringt. Die Einwilligung ist gem.
§ 183 S. 1 BGB die vorherige Zustimmung. Fehlt diese, können die Eltern nachträglich dem
Geschäft zustimmen, d.h. genehmigen. Die Regelungen finden sich in §§ 108, 109 Abs. 1
BGB. Die ganz herrschende Meinung verzichtet trotz des klaren Wortlauts auch bei neutralen
Geschäften auf die Zustimmung der Eltern1. Das wird unter Rückgriff auf die Wertung von
§ 165 BGB begründet. Ein schuldrechtliches Geschäft, das dem Minderjährigen irgendeine
Verpflichtung auferlegt, ist immer rechtlich nachteilhaft. Schuldverträge sind nur dann nicht
nachteilig, wenn der Minderjährige beschenkt werden soll. Der Kauf eines Vergasers enthält
die Verpflichtung zur Kaufpreiszahlung.
(1)
§ 110 BGB
Fraglich ist, ob § 110 BGB die Zustimmung entbehrlich ist, weil der Minderjährige die
Leistung mit seinem Taschengeld bewirkt hat. Wie die Vorschrift zu verstehen ist, ist nicht
ganz klar. So wurde teilweise vertreten, dass die Mittelbewirkung die Zustimmung ersetzt.
Diese Sichtweise hat sich aber nicht durchgesetzt. Der Minderjährige könnte Geld ansparen
und dadurch Dinge erwerben, wofür ihm die Erziehungsberechtigten nie eine Zustimmung
erteilt hätten. Daher wird § 110 BGB als generalisierte Einwilligung verstanden. Das bedeutet
einmal, dass keine Generaleinwilligung wie bei §§ 112, 113 BGB vorliegt. Andererseits
bedarf es nicht wie bei § 107 BGB zu jedem Geschäft einer Einwilligung. Es wird eine
generelle Zustimmung zu bestimmten Geschäften gegeben, die aus den Mitteln des
Taschengeldes bewirkt werden. Der Nachteil gegenüber § 107 BGB ist dagegen, dass das
Geschäft eben nicht bereits mit oder aufgrund der generellen Einwilligung wirksam ist,
sondern erst dann, wenn es mit den Mitteln des Taschengeldes „bewirkt“ ist. Vorliegend
geben die Eltern dem M Taschengeld, versagen aber gerade die Zustimmung zu
leistungsfähigerem Quadzubehör. Daher ist trotz der Bewirkung des Geschäfts mit
Taschengeldmitteln § 110 BGB nicht einschlägig.
Hinweis: Die Vergabe von Taschengeld enthält auch nicht die Zustimmung zu Geschäften mit
Erlösen, die aus Mitteln des Taschengeldes erwirtschaftet worden sind. So hat das
Reichsgericht Rechtsgeschäfte des Minderjährigen nicht über § 110 BGB legitimiert,
nachdem er von seinem Taschengeld ein Lotterielos gekauft hatte und aus dem großen
Gewinn dann weiteren Geschäften nachgegangen war2.
(2)
Zustimmung
Die Eltern haben im Vorfeld dem Geschäft zugestimmt, d.h. eingewilligt. Allerdings wurden
sie dabei von ihrem Kind getäuscht, sodass sie eine Zustimmung abgegeben haben, die sie
nicht abgeben wollten. Diese Konstellation ist umstritten. (Wohl) eine Mehrheit im
1
2
Staudinger/Knothe, 2011, § 107 BGB Rn. 20.
RGZ 74, 234.
2
Dr. Falk Mylich
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Schrifttum plädiert für eine Unwirksamkeit der Zustimmung. Flume spricht generell von der
unwirksamen Zustimmung3; Medicus4 und Knothe5 diskutieren diese Frage als ein Problem
der Genehmigung. Die Gegenansicht nimmt nur einen internen Willensmangel des
Zustimmenden an und gewährt ihm allenfalls die Anfechtung der Zustimmungserklärung6.
Aus der Perspektive effektiven Minderjährigenschutzes ist die erste Ansicht vorzuziehen.
Durch seine Täuschung gegenüber den Eltern kann der Minderjährige nicht in ein für ihn
untragbares Geschäft gedrängt werden. Das Gesetz stellt den Minderjährigenschutz über alle
anderen Prinzipien. Letztlich hätten sich auch der Vertragspartner und die Eltern verständigen
können, hätten sie absolute Sicherheit gewollt. Meines Erachtens überzeugt das nicht. Bereits
das letzte Argument kann allenfalls auf die Genehmigung angewendet werden. Warum soll
der Vertragspartner einen Anhalt zur Rückfrage und Rücksprache bei den Eltern haben, wenn
der Minderjährige mit einer Einwilligung bei ihm erscheint. Die Täuschung der Eltern durch
den Minderjährigen ist ein Internum. Kein Minderjähriger ist gegenüber arglose, gutgläubige
Eltern geschützt, die seine Geschäfte billigen. Kein Minderjähriger ist gegen dämliche Eltern
geschützt, die eine Gefährlichkeit seiner Geschäfte nicht erkennen. Ein Minderjähriger soll
nicht davor geschützt werden, dass er intern seine Eltern über das Ohr hauen kann. Letztlich
spricht für meine Lösung noch der folgende Gedanke. Wird das Geschäft ohne Einwilligung
abgewickelt und holt der Vertragsgegner die Genehmigung der Eltern ein, wird der
Minderjährige auch gebunden, wenn der Vertragspartner die Eltern täuscht bzw. die Eltern im
Gespräch mit ihm einem Irrtum erliegen. Auch in diesen Fällen ist der Minderjährige bis zu
einer Anfechtung der Eltern gebunden.
(3)
Zwischenergebnis
Nach meiner Auffassung handelt es sich um eine interne Täuschung der Eltern, die für den
Vertragsschluss unbeachtlich ist. Die Gegenansicht würde bereits den Vertragsschluss
ablehnen.
cc) Anfechtung der Willenserklärung
Die Eltern könnten die Genehmigung anfechten. Das Rechtgeschäft muss nicht angefochten
werden, denn dieses leidet nicht unter einem Mangel. Vielmehr ist es so zustande gekommen,
wie die Vertragspartner es sich vorgestellt haben. Meines Erachtens passt § 166 Abs. 1 BGB
hier nicht. Das scheint die Literatur auch so zu sehen, weil sie nur die Zustimmung des
Elternteils angefochten wissen will. Dazu bedarf es einer Anfechtungserklärung (der SV gibt
keinen Hinweis) und eines Anfechtungsgrundes
(1)
Anfechtungsgründe
(a)
§ 123 BGB
Die Eltern könnten die Genehmigung wegen arglistiger Täuschung durch M anfechten. Aber
hier profitiert H von der Erklärung, aber die gesamte Konstellation des § 123 Abs. 2 S. 1 BGB
passt nicht7. Die Eltern geben nach der Täuschung durch M (ein Dritter) nicht gegenüber dem
H (ein anderer) eine Erklärung ab, sondern gegenüber dem Täuschenden M. Man könnte aber
den Rechtsgedanken heranziehen, insbesondere bei einer Genehmigung gegenüber H. Das
hätte den Vorzug, dass die Vorschrift zur Anwendung kommt, wenn M und H gemeinsame
Sache machen und die Eltern „über das Ohr hauen“. Das ist aber vorliegend nicht geschehen.
3
Flume, Das Rechtsgeschäft, 4. Aufl. 1992, § 13 7 d bb.
Medicus, BGB AT, Rn. 575.
5
Staudinger/Knothe, 2011, § 110 Rn. 8.
6
Wolf/Neuner, BGB AT, § 34 Rn. 58; wohl auch MünchKommBGB/Schmitt, § 108 Rn. 21.
7
Wolf/Neuner, BGB AT, § 34 Rn. 58.
4
3
Dr. Falk Mylich
Wiederholungs- und Vertiefungskurs BGB-AT und SchuldR-AT
(b)
§ 119 Abs. 1 Alt. 1 BGB
Die Eltern könnten bei der Zustimmung gegenüber M einem Inhaltsirrtum erlegen sein, weil
sie sich nicht darüber klar waren, dass sie die Zustimmung zum Kauf eines leistungsstarken
Vergasers gegeben haben.
(c)
§ 119 Abs. 2 BGB
Letztlich könnte man auch von einem Irrtum über die verkehrswesentlichen Eigenschaften des
Vergasers ausgehen. Sie dachten an einen leistungsschwachen und stimmten einem
leistungsstarken Vergaser zu.
(2)
Anfechtungsgegner
Fraglich ist noch, wer der Anfechtungsgegner ist. Hier könnte diskutiert werden, ob der
täuschende M oder der H es ist, weil sich die Anfechtung bei ihm auswirkt. § 143 Abs. 3 S. 1
BGB besagt für einseitige Rechtsgeschäfte, wozu auch Einwilligung oder Genehmigung
gehören, dass es derjenige ist, dem gegenüber die Erklärung abgegeben worden war. Das ist
M.
dd) Zwischenergebnis
Unterstellt man eine Anfechtungserklärung gegenüber dem M, dann ist das Rechtsgeschäft
zwischen H und M unwirksam, weil die Einwilligung angefochten worden ist. Im Ergebnis
fehlt es am Rechtsgrund.
d)
Gegenrechte von H
aa) § 812 BGB gegen H auf Herausgabe des Vergasers
Fraglich ist, ob H dem M gegenüber seinen Anspruch aus § 812 BGB auf Herausgabe des
Vergasers geltend machen kann. Ein Anspruch aus § 985 BGB existiert nicht, weil auch ohne
Zustimmung der Eltern das dingliche Vollzugsgeschäft für M lediglich rechtlich vorteilhaft
ist. Gleichwohl mangelt es am Kaufvertrag, sodass H Herausgabe verlangen kann. Fraglich
ist, ob er diesen Herausgabeanspruch dem M entgegenhalten kann oder selbständig geltend
machen muss.
(1)
Saldierung
Grundsätzlich wird im Bereicherungsrecht saldiert. Dazu existiert die Saldotheorie; d.h. es
werden Anspruch und Gegenanspruch (egal worauf gerichtet) automatisch miteinander
saldiert (d.h. verrechnet bzw. als Gegenrecht eingesetzt). Bei arglistiger Täuschung, bei
Sittenwidrigkeit und bei Minderjährigen existiert zu deren Schutz jedoch die
Zweikondiktionentheorie. Jede Kondiktion wird separat geltend gemacht, sodass der nicht
leistungsfähige Partner seine Sache herausverlangen kann, während die Gegenseite evtl.
Probleme bekommt, ihren Anspruch durchzusetzen. Fraglich ist jedoch, ob das auch bei
einem Minderjährigen gilt, mit dem ein wirksamer Vertrag geschlossen worden ist, der jedoch
durch Anfechtung wieder entfallen ist. Meines Erachtens sprechen hier gute Gründe für das
Beibehalten der Saldotheorie. Die Abweichung von dieser soll bei grundsätzlich nichtigen
Geschäften dem Minderjährigen helfen. Hingegen soll der Minderjährige nicht deshalb
besserstehen, weil seine gesetzlichen Vertreter Fehler gemacht haben bzw. er und seine
gesetzlichen Vertreter sich geirrt haben. (a.A. gut vertretbar; das wird – soweit ersichtlich –
nirgends erörtert).
bb)
§ 122 BGB gegen M
4
Dr. Falk Mylich
Wiederholungs- und Vertiefungskurs BGB-AT und SchuldR-AT
Fraglich ist, ob H darüber hinaus einen Anspruch aus § 122 BGB gegen M hat. Das würde ich
ablehnen. In diesem Fall soll der Minderjährigenschutz den Minderjährigen vor
weitergehenden Schäden bewahren. Vielmehr würde ich einen solchen Anspruch allein gegen
die Eltern richten. Das ist m.E. auch die richtige Konsequenz, weil die Rechtsgeschäfte auf
Wunsch der Eltern vernichtet werden, weil sie einem Irrtum erlegen gewesen sind.
e)
Ergebnis
M kann gem. § 812 BGB sein Geld herausverlangen, jedoch muss er m.E. die Saldierung
durch H ausnahmsweise hinnehmen. Darüber hinausgehende Schäden kann H nicht gegen M
mit Gegenrechten geltend machen, sondern muss sich vielmehr damit an die Eltern halten.
II) Gegen E
M könnte einen Anspruch gegen E haben, bei dem sich nun der alte Vergaser befindet.
1)
§ 985 BGB
E ist unproblematisch Besitzer; M muss aber Eigentümer sein.
a)
+
Ursprünglich M
b)
Veräußerung an S
aa) Unwirksame Übereignung
M hat den Vergaser an S veräußert. Beide waren minderjährig. Für M wäre der Verlust des
Eigentums rechtlich nachteilig, sodass die Übereignung gem. § 929 BGB an S nicht wirksam
war und an § 107 BGB scheitert.
bb) Anfechtung?
Fraglich ist, ob die Eltern von M das Geschäft zwischen M und S zusätzlich anfechten können
(Erklärung fehlt). Mit § 123 BGB gäbe es einen Grund. Derartige Möglichkeit wirkt perplex,
weil ein nichtiges Rechtsgeschäft nicht angefochten werden kann. Gleichwohl gibt es
Wirkungen, die über die Nichtigkeit nicht erreicht werden, während die Anfechtung
weiterhilft. Man spricht hier von Doppelwirkungen im Recht8. Das Grundprinzip vorsichtig
angewendet, halte ich diese Überlegung für richtig. Das ist richtig, wenn der
Minderjährigenschutz dadurch verstärkt werden kann (unser Fall). Für absurd halte ich
hingegen die Doppelwirkungen im Recht, wenn einem Verbraucher nach einem
sittenwidrigen Fernabsatzvertrag gleichwohl das Widerrufsrecht gem. § 312g BGB zugebilligt
wird9. Wo liegt der Sinn des Verbraucherschutzes bei Fernabsatzverträgen? Bei der
Überprüfung der Ware auf Tauglichkeit und Passgenauigkeit für die eigenen Bedürfnisse
nach Erhalt, was eigentlich nur im Laden möglich ist. Wieso soll ein Verbraucher nach einem
sittenwidrigen Geschäft noch prüfen, ob die Ware für ihn taugt?
c)
Erwerb von E gem. § 932 BGB
Ein Erwerb des E von S gem. § 929 BGB scheitert, weil S nicht Eigentümer war.
8
Bork, BGB AT, 3. Aufl. Rn. 927; Grigoleit/Herresthal, BGB AT, Rn. 193; Staudinger/Roth, 2010, § 142
Rn. 27 ff.
9
So wie hier (leider ohne Begründung) Staudinger/Roth, 2010, § 142 BGB Rn. 30; anders die ganz h.M., die
dem BGH NJW 2010, 610 Rz. 18 zustimmt.
5
Dr. Falk Mylich
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aa) Redlicher Erwerb vom nichtberechtigten Minderjährigen?
Umstritten ist, ob man redlich vom Minderjährigen (hier: S) erwerben kann. Das ist
prinzipiell anzunehmen, wenn für den Minderjährigen kein Nachteil entsteht. Weil der
Minderjährige aber nur Bereicherungsansprüchen ausgesetzt ist und sich zur Not auf § 818
Abs. 3 BGB berufen kann, nimmt man keinen rechtlichen Nachteil des verlierenden
Minderjährigen an. E könnte also bei Redlichkeit von S das Eigentum am Vergaser erwerben.
bb) Schädlichkeit der Kenntnis von der Anfechtung?
Würde man aber § 142 Abs. 2 BGB anwenden, könnte das Eigentum des E durch eine
Anfechtung der Übereignung von M an S wieder entfallen. E hatte Kenntnis von der
arglistigen Täuschung des S und darf daher nicht davon profitieren. Das normiert § 142
Abs. 2 BGB. Nun haben wir aber das Problem, dass das Geschäft zwischen M und S bereits
nichtig war. Wenn dieses aber gleichwohl wegen der anerkannten Doppelwirkungen im Recht
angefochten werden kann, zeigen sich die Wirkungen zu Lasten von E darin, dass er das
Eigentum nicht erworben hat und daher den Gegenstand herausgeben muss.
cc) Ergebnis
E wurde nicht Eigentümer.
d)
Ergebnis
Anspruch (+)
e)
Ergänzend: Abhandenkommen?
Eine immer wieder gestellte Frage lautet, ob die Veräußerung von Sachen durch
Geschäftsunfähige oder Minderjährige zum Abhandenkommen im Sinne von § 935 BGB
führt. Ein Geschäftsunfähiger kann keinen Willen bilden, sodass die Sache abhandenkommt,
weil es am Besitzaufgabewillen mangelt. Der Minderjährige kann hingegen einen Willen
bilden. Daher führt die Weggabe einer Sache durch ihn nicht zum Abhandenkommen. Bei der
Betreuung mit Einwilligungsvorbehalt (§ 1903) müssten die Folgen wie für den
Minderjährigen gelten wegen des Verweises auf das Minderjährigenrecht.
2)
§ 812
(-) Leistung von S sperrt andere Kondiktion (nächstes Semester im Bereicherungsrecht). S hat
nur Besitz geleistet; M verlangt auch nur Besitz heraus – Eigentümer ist er ja noch. (sehr str.)
III) Gegen S
1)
§ 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB
S hat M betrogen und haftet somit aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB. Für das
Verschulden ist § 828 BGB heranzuziehen. S wird sein Tun gewiss verstanden haben.
2)
§ 812 BGB.
a)
Tatbestand
Grundsätzlich ist der Tatbestand erfüllt, sodass S herausgeben muss. Er hat die Sache an E
weitergegeben und beruft sich insoweit auf § 818 Abs. 3 BGB.
aa)
Problem 1: Sperre von § 818 Abs. 3 BGB
6
Dr. Falk Mylich
Wiederholungs- und Vertiefungskurs BGB-AT und SchuldR-AT
Ist § 818 Abs. 3 BGB bei Einschlägigkeit von § 819 Abs. 1 BGB nicht anwendbar? § 819
Abs. 1 BGB erweitert nur § 818 Abs. 4 BGB. Notwendig ist das nicht unbedingt, weil § 819
Abs. 1, § 818 Abs. 4, § 292 i.V.m. mit den §§ 989 ff. BGB einen eigenständigen Anspruch
bilden. Gleichwohl versagt die ganz h.M. § 818 Abs. 3 BGB die Anwendung, wenn § 819
Abs. 1 BGB einschlägig ist.
bb) Problem 2: § 819 Abs. 1 BGB beim Minderjährigen?
Fraglich ist, ob § 819 Abs. 1 BGB zu Lasten des Minderjährigen anwendbar ist. Hier wird
differenziert: Bei der Leistungskondiktion kommt es gem. §§ 104, 166 Abs. 1 BGB auf die
Kenntnisse des Vertreters an, bei der Eingriffskondiktion wird auf § 828 BGB
zurückgegriffen. Das würde im vorliegenden Fall bedeuten, dass § 819 Abs. 1 BGB nicht
angewendet werden kann. Im Ergebnis kann sich S daher auf § 818 Abs. 3 BGB berufen.
E) Lösung Fall 2
I) Grundstück Goethestraße
Beschwerde hat Erfolg, wenn dem materiellen Konsensprinzip gem. § 20 GBO Genüge getan
worden ist. § 13 GBO fordert Antrag eines Berechtigten; § 19 GBO Eintragungsbewilligung
des Betroffenen; § 20 GBO die rechtswirksame Auflassung; § 29 GBO die Beachtung der
Form und § 39 GBO die Voreintragung des Betroffenen. Vorliegend geht es um die wirksame
Auflassung.
1)
+
Erklärung von M
2)
Erklärung von T
§ 107 BGB – lediglich rechtlich vorteilhaft? Schenkungsvertrag ist nachteilig, weil er
zugleich zur Bestellung eines Nießbrauchs verpflichtet. Daraus kann aber wegen des
Trennungsprinzips nicht automatisch die Nachteiligkeit des Vollzugsgeschäfts hergeleitet
werden10. Missverständlich war die Entscheidung BGHZ 78, 28, wo Schenkung lediglich
rechtlich vorteilhaft, jedoch Übertragung der Eigentümerwohnung nachteilhaft war. Der BGH
tendierte zur Gesamtbetrachtung; hat sich davon aber wieder gelöst. Beide Rechtsgeschäfte
sind zu trennen und die Nachteiligkeit des Grundgeschäfts hindert nicht den lediglich
rechtlichen Vorteil des Vollzugsgeschäfts.
3)
Ergebnis
§ 20 GBO ist Genüge getan. Es muss eingetragen werden.
4)
Zusammenfassung: Die Entwicklung der BGH-Rechtsprechung
a)
BGHZ 78, 28
In der ersten Entscheidung (BGHZ 78, 28) wusste der BGH § 181 HS. 2 BGB nicht anders zu
umgehen, als dass er das schuldrechtliche Geschäft durch die Nachteiligkeit des dinglichen
Vollzugsgeschäfts infiziert ansah. Letztlich lief diese Sicht auf eine Gesamtbetrachtungslehre
hinaus. Diese ist aus der Perspektive von Trennungs- und Abstraktionsprinzip abzulehnen.
10
BGHZ 161, 170 (173).
7
Dr. Falk Mylich
Wiederholungs- und Vertiefungskurs BGB-AT und SchuldR-AT
b)
BGHZ 161, 170
In Abgrenzung zu dieser Entscheidung hat der BGH in BGHZ 161, 170 aus der Nachteiligkeit
des schuldrechtlichen Geschäfts (mit Recht) nicht auf die Nachteiligkeit des dinglichen
Geschäfts geschlossen. Der Minderjährige konnte das dinglich lediglich vorteilhafte Geschäft
ohne Einwilligung der gesetzlichen Vertreter und damit ohne Ergänzungspfleger (§§ 1643
i.V.m. § 1821 Nr. 1 BGB i.V.m. §§ 1909, 1915 BGB) vornehmen, auch wenn das
schuldrechtliche Geschäft nachteilig war. Außerdem sind vier Punkte zu beachten:
Nachteiligkeit des schuldrechtlichen Geschäfts lässt sich bereits aus einem vereinbarten
Rücktrittsvorbehalt herleiten; eine Grundschuld ist kein Nachteil; ein Nießbrauch ist kein
Nachteil, wenn der Nießbraucher die gewöhnlichen Erhaltungskosten zu tragen hat;
öffentliche Lasten sind kein Nachteil.
c)
BGHZ 162, 137
Der Bundesgerichtshof entschied, dass der Eintritt in Miet- und Pachtverhältnisse nach
Grundstückserwerb (§ 566 Abs. 1 BGB) einen rechtlichen Nachteil (§ 107 BGB) des
dinglichen Geschäfts begründen. Das gilt selbst dann, wenn der Veräußerer sich einen
Nießbrauch vorbehalten hat. Einerseits ist umstritten, ob beim Vorbehaltsnießbrauch
anlässlich einer Grundstücksauflassung § 566 Abs. 1 BGB (nicht) gilt. Nimmt man die
Nichtgeltung an, rückt der Grundstückseigentümer gem. § 1056 Abs. 1 BGB aber spätestens
mit Beendigung des Nießbrauchs in die Position des Vermieters ein.
d)
BGHZ 187, 119
Der Bundesgerichtshof sieht den Erwerb einer Eigentumswohnung wegen der damit
verbundenen Belastungen als nicht lediglich rechtlich vorteilhaft an und verlangt daher die
Zustimmung der gesetzlichen Vertreter. Er blendet aber das neutrale schuldrechtliche
Geschäft vollständig aus. Das bedeutet, dass in Abkehr von BGHZ 78, 28 die
Gesamtbetrachtungslehre aufgegeben worden ist und nunmehr das neutrale schuldrechtliche
Geschäft abgeschlossen werden kann, während es einer Zustimmung zum dinglichen
Geschäft durch die gesetzlichen Vertreter bedarf und insoweit § 181 HS. 2 BGB nicht
angewendet wird.
II) Grundstück in der Lessingstraße
1)
+
Erklärung von M
2)
Erklärung von T
a)
§ 107 BGB
aa) Zwangshypothek
Problem: Belastungen als rechtlicher Nachteil? Nein wegen bloßer dinglicher Haftung; aber:
Eigentümer muss Kosten für Titel gem. § 1147 BGB tragen11. Zumindest dann
unproblematisch, wenn alter Eigentümer sich bereits der Zwangsvollstreckung unterworfen
hatte (§§ 800, 794 Abs. 1 Nr. 5 ZPO)12. Hier ist noch die Besonderheit, dass
Vollstreckungstitel gegen M existiert, der gem. § 867 Abs. 3 ZPO auch zum Vorgehen aus
Zwangshypothek berechtigt. BGH verneint allerdings die Anwendbarkeit der Vorschrift auf
11
12
BGHZ 161, 170 (176).
BGHZ 161, 170 (176 f.).
8
Dr. Falk Mylich
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Grundstückserwerber13 ebenso wie Anwendbarkeit zur Zwangsverwaltung14 (Mietshaus
bringt Erträge). In beiden Konstellationen müsste der Gläubiger für den Zugriff auf das
Grundstück erneut klagen und zwar aus § 1147 BGB. Je nach Sichtweise kann man den
Anspruch annehmen oder ablehnen.
bb) Vermietung
Wegen Einrückens in Vermieterposition gem. §§ 566, 578 BGB wird der neue Eigentümer
mit allen Vermieterpflichten belastet, sodass der dingliche Erwerb eines vermieteten
Grundstücks rechtlich nachteilig ist.
b)
Zustimmung von M
Die Zustimmung von M könnte an § 181 BGB scheitern. Jedoch gestattet § 181 HS. 2 BGB
die Erfüllung eines Rechtsgeschäfts durch Insichgeschäft. Missverständlich hat der BGH in
einer früheren Entscheidung auf die Gesamtbetrachtungslehre abgestellt und argumentiert,
dass ein schuldrechtliches Rechtsgeschäft nicht neutral sein könne, wenn das dingliche
Geschäft nachteilig sei. Deshalb scheide § 181 BGB aus, weil eben kein wirksames
schuldrechtliches Geschäft vorliege. Nach der Kritik der Literatur wegen des Verstoßes gegen
das Trennungsprinzip hat der BGH seine Rechtsprechung dogmatisch geändert und reduziert
§ 181 BGB teleologisch. Ist das Erfüllungsgeschäft nachteilig, kann § 181 HS. 2 BGB nicht
angewendet werden15. In der Konsequenz bleibt das schuldrechtliche Geschäft wirksam; die
Wirksamkeit des Erfüllungsgeschäfts ist davon unabhängig. Im Ergebnis muss § 181 HS. 2
BGB hier teleologisch reduziert werden. Es ist die Bestellung eines Ergänzungspflegers gem.
§ 1909 BGB nötig.
c)
Ergebnis
Keine Annahme der Auflassung durch T.
3)
Ergebnis
§ 20 GBO wurde bislang nicht genügt.
13
BGH NJW 2007, 1247.
BGH NJW 2008, 1599.
15
BGHZ 162, 137 (142 f.); BGH NJW 2010, 3643??
14
9