Der neue deutsche Militarismus: Grenzenlose Interessen, grenzenlose Einsätze, grenzenlose Aufrüstung Von Christine Buchholz und Frank Renken Die Große Koalition bringt nahezu im Wochentakt neue Einsätze der Bundeswehr oder die Ausweitung bestehender Militärmissionen ins Gespräch. Die Zahl der Auslandseinsätze ist deshalb außerordentlich unübersichtlich geworden. Derzeit befinden sich rund 3000 deutsche Soldaten in sechzehn vom Bundestag mandatierten Einsätzen außerhalb des Nato-Bündnisgebietes. Dazu zählen militärische Beratungs- und Ausbildungsmissionen in Afghanistan, Irak, Mali und Somalia. Rund 800 Soldaten sind auf dem Balkan stationiert. Bombenangriffe von Verbündeten über Syrien und Irak werden mit Luftbetankung unterstützt. Vor Libyen ist die Deutsche Marine an der Flüchtlingsabwehr beteiligt, seit neuestem auch führend in einem Nato-Einsatz in der Ägäis. Daneben ist die Bundeswehr führend mit rund 4000 Soldaten am Aufbau der „Speerspitze“ der Schnellen Eingreiftruppe der NATO beteiligt, die innerhalb 48 Stunden in Osteuropa marschbereit sein soll. Die Schnelle Eingreiftruppe als Ganze umfasst 40.000 Soldaten. Die Deutsche Marine steuert zahlreiche Kriegsschiffe bei, die Luftwaffe Transportflugzeuge und eine Flugabwehreinheit. 4400 deutsche Soldaten nahmen im vergangenen Jahr an insgesamt 17 Manövern in Osteuropa teil. Was bringen die Einsätze? Glaubt man den Beteuerungen der Bundesregierung, dann geht es stets um Terrorabwehr, Stabilisierung oder Friedenssicherung. Die inflationäre Ausdehnung der Einsätze selbst zeigt an, dass sie damit nicht besonders erfolgreich ist. Wolfgang Ischinger, Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, räumt ein: „Krisenprävention hat in den letzten Jahren leider nicht so funktioniert, wie man sich das nach Lehrbuch gerne vorstellen möchte“. Die von ihm geleitete Konferenz fand in diesem Jahr unter dem vielsagenden Titel statt: Grenzenlose Krisen, rücksichtslose Störer, hilflose Wächter. In Afghanistan, aber auch in Irak und Syrien ist den intervenierenden Großund Regionalmächten die Kontrolle über die Situation zunehmend entglitten. Die fortwährende Ausweitung der Bundeswehreinsätze reflektiert diesen Kontrollverlust. Die Herrschenden ziehen daraus mitnichten den Schluss, dass die militärische Eskalation selbst Teil des Problems sei. Ischinger meint: „Wir haben manche Krisen nicht nur unterschätzt, wir haben zum Teil absichtlich oder unabsichtlich weggeguckt. Jetzt sind die Krisen direkt bei uns vor der Haustür angekommen“. Der Eindruck wird erzeugt, das Problem sei militärische Passivität gewesen, es bestehe dringender Handlungsbedarf. Tatsächlich verhält es sich anders herum: Dort, wo die Großmächte, und mit ihnen Deutschland, sich nicht weggeduckt haben, wurden Krisen verschärft oder erst geschaffen. Nehmen wir das Beispiel Afghanistan. 2001 führten die Taliban ein diktatorisches Regime. Eine militärische Bedrohung für andere Staaten stellten sie hingegen nicht dar. In Folge der ausländischen Besatzung versank das Land in einem nicht enden wollenen Bürgerkrieg, in den auch Pakistan hineingezogen wird. Folge: Hunderttausende sind gestorben, Millionen von Menschen sind auf der Flucht. Der neue afghanische Präsident Ghani räumte unlängst ein: „Die menschliche Tragödie der vergangenen 15 Jahre in Afghanistan war, dass mehrere Milliarden Dollar hereingeströmt sind, 1 aber sie wurden nicht dafür verwendet, das Leben der Armen zu verbessern. Wir haben eine räuberische Elite“. Die Interessen hinter den Einsätzen Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen sprach Anfang 2015 aus, was ihre Motivation ist: „Unsere Interessen haben keine unverrückbare Grenze, weder geografisch noch qualitativ“. Für das internationale Engagement Deutschlands müsse gelten: „Kein Zugzwang, aber auch kein Tabu“. Das deutsche Kapital ist wie kein zweites vom Export abhängig, sowie vom Zugang zu Rohstoffen weltweit. Es ist international verflochten und befürwortet deshalb eine aktivere Außenpolitik. Es geht darum, dass Deutsche an möglichst vielen Orten mit am Tisch sitzen, wenn über Nachkriegsordnungen verhandelt wird. Um das zu erreichen, muss Deutschland erst militärische Glaubwürdigkeit beweisen und mit eigenen Truppen in die Konflikte intervenieren. Militärische Potenz schafft politischen Einfluss. Und der ist die Voraussetzung, um wirtschaftliche Interessen geltend zu machen. Der aktuelle Konflikt in Syrien verdeutlicht dies, ebenso wie jener zwischen NATO und Russland in der Ukraine. In Osteuropa drängelte sich die deutsche Verteidigungsministerin regelrecht nach vorn, um Führungsstärke zu zeigen. Erst übernahm die Deutsche Marine die Leitung eines NatoFlottenverbandes in der Ostsee. Es folgte die verstärkte Beteiligung an der Luftraumüberwachung über dem Baltikum, schließlich die Übernahme der Verantwortung beim Aufbau der sogenannten Nato-Speerspitze. In Syrien und im Irak macht die deutsche militärische Beteiligung angesichts der Dimension des Konflikts nur eine geringe Bedeutung aus. Doch sie stellt sicher, dass Deutschland „Player“ im Konflikt ist und mitmischt, sollten am Ende neue Grenzen gezogen oder neue Regierungen gebildet werden. Militärische Intervention und diplomatische Bemühungen gehen in beiden Fällen Hand in Hand. Es geht Deutschland, ebenso wie allen anderen beteiligten Mächten, um die Sicherstellung des größtmöglichen Einflusses zur Wahrung der Interessen des jeweils eigenen Kapitals. Die deutsche herrschende Klasse hat jedoch ein Problem: Die Zunahme der militärischen Konflikte offenbaren eine relative Schwäche der Bundeswehr. Sie ist kaum zu offensiven Kampfoperationen fähig. Und wenn, dann nur im Kielwasser der US-Streitkräfte. Wirtschaftlich ist der deutsche Kapitalismus eine europäische Großmacht. Militärisch ist er in der Lage, von Westafrika bis Zentralasien dabei zu sein, aber ohne wirkliche Durchsetzungsfähigkeit. Der Mythos vom sinkenden Militärhaushalt Vor diesem Hintergrund wächst die Bereitschaft in der herrschenden Klasse, mehr Mittel in die Aufrüstung zu stecken. Um dies durchzusetzen, wurde in den vergangenen zwei Jahren der Eindruck erweckt, bei der Bundeswehr handele es sich um eine Trümmertruppe, die kaputtgespart worden sei. Der Journalist Christoph Prössl behauptet etwa: „Seit 1990 sinkt der Verteidigungshaushalt kontinuierlich. Die Friedensdividende ist aufgebraucht, jetzt soll das Budget wieder steigen. Keine fehlenden Nachtsichtgeräte mehr oder Panzerbataillone ohne Panzer“. Tatsächlich ist der Militärhaushalt in den vergangenen Jahren keineswegs kontinuierlich gesunken. 1999 lag er umgerechnet bei etwa 24 Milliarden Euro. Er stieg bis 2010 auf über 31 Milliarden an. Er sollte dann im Zuge der Bundeswehrreform auf 27,6 Milliarden Euro im Jahr 2015 reduziert werden. Dazu ist es nie gekommen. Der Militärhaushalt lag 2015 bei 32,7 Milliarden Euro; eine Steigerung auf 36 Milliarden bis 2019 ist bereits be- 2 schlossen. Doch diese Steigerungen entsprechen nicht der gestiegenen Wirtschaftsleistung. So verharrte der Anteil der Militärausgaben gemessen am Bruttosozialprodukt seit 2000 bei etwa 1,2 Prozent. Die Nato fordert von ihren Mitgliedstaaten einen Beitrag von 2 Prozent des Bruttosozialprodukts. Die Bundesregierung hat sich zu diesem Ziel bekannt. Dies würde nahezu auf eine Verdopplung der Gelder hinauslaufen, die pro Jahr für die Bundeswehr bereitgestellt werden. Teure Aufrüstungsprojekte Ministerin von der Leyen hat zu Beginn des Jahres die im Zuge der Bundeswehrreform festgelegten Obergrenzen für die Hauptwaffensysteme aufgehoben. Bis 2030 sollen 1500 Aufrüstungsmaßnahmen durchgeführt werden. Ein wichtiges Motiv stellt die neu aufgeflammte Rivalität zwischen Nato und Russland dar. Die Bundeswehr wird mit Panzern aller Arten aufgerüstet, die in einem möglichen Landkrieg in Osteuropa gebraucht werden. Der Bestand an Kampfpanzern des Typs Leopard 2 wird von 225 auf 320 angehoben. Außerdem erhält das Heer etwa 180 neue Schützenpanzer, 130 neue Transportpanzer und 30 neue Spähwagen. Gleichzeitig wird an der Orientierung auf Einsätze außerhalb des NatoGebietes festgehalten. Projekte wie die Beschaffung verschiedener Militärsatelliten oder die Entwicklung der hochfliegenden Spionagedrohne EuroHawk spiegeln die globalen Ambitionen der deutschen herrschenden Klasse wider. Ebenso wie die Beschaffung des Militärtransporters A400M, der Truppen, Panzer und Kampfhubschrauber weltweit in Einsätze bringen kann. All das ist sehr teuer. Erhebliche Zusatzkosten entstehen, weil die Bundesregierung um des Erhalts einer eigenständigen deutschen Rüstungsindustrie europäische Entwicklungen vorzieht, anstatt sich kostensparend auf dem Waffenmarkt auszustatten. Allein die Beschaffung des A400M schlägt nach jetzigem Stand mit insgesamt 9,5 Milliarden zu Buche. Vergleichbare Summen wird die Ersetzung des amerikanischen Luftverteidigungssystems Patriot durch das ungleich teurere europäische System MEADS verschlingen, ebenso wie die Ersetzung israelischer Kampfdrohnen vom Typ Heron TP durch die Entwicklung einer europäischen Drohne unter deutscher Führung. Gefahr eines Krieges zwischen NATO und Russland Die zahlreichen Auslandseinsätze und die Aufrüstung der Bundeswehr machen Deutschland nicht sicherer. Sie sind vielmehr Teil eines internationalen Wettlaufs um militärische Stärke und internationalen Einfluss zwischen den rivalisierenden kapitalistischen Mächten. Die russisch-türkischen Spannungen in Syrien machen deutlich, wie rasch diese Rivalität außer Kontrolle geraten und in einen internationalen Krieg zwischen den Nato-Staaten auf der einen Seite, sowie Russland und dessen Verbündete auf der anderen Seite münden kann. In diesem wahnwitzigen Wettlauf muss sich die Linke in Deutschland gegen die Bundeswehreinsätze und die Aufrüstungspläne der Bundesregierung stellen. Unsere Bündnispartner sind dabei nicht die Herrschenden anderer Länder, sondern jene, die dort gegen Militarismus, Aufrüstung und Unterdrückung kämpfen. Christine Buchholz ist verteidigungspolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE und Mitglied des verteidigungspolitischen Ausschusses im Bundestag. Frank Renken arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bundestag. 3
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