Landtag von Baden-Württemberg Kleine Anfrage Antwort

Landtag von Baden-Württemberg
Drucksache 15 / 7245
15. Wahlperiode
31. 07. 2015
Kleine Anfrage
des Abg. Josef Frey GRÜNE
und
Antwort
des Ministeriums für Arbeit und Sozialordnung,
Familie, Frauen und Senioren
Psychiatrische Versorgung im Landkreis Lörrach
Kleine Anfrage
Ich frage die Landesregierung:
1. Hat sie Kenntnis über den Bedarf der Bürgerinnen und Bürger des Landkreises
Lörrach für ambulante, teilstationäre und stationäre psychiatrische Versorgung
bzw. wie hoch schätzt sie diesen Bedarf ein?
2. Wie hat sich das Angebot in diesen Bereichen im Landkreis Lörrach in den
letzten fünf Jahren entwickelt?
3. Wie bewertet sie den sich hieraus ergebenden Versorgungsgrad im Landkreis
Lörrach?
4. Wie hoch fallen die Wartezeiten für Patientinnen und Patienten mit einer psychiatrischen Diagnose im Landkreis Lörrach beim derzeitigen Versorgungsgrad aus und wie beurteilt sie diese?
5. Welche Distanz müssen Bedarfspersonen in Krisen- und Notfällen nachts und
an Wochenenden im Landkreis Lörrach überwinden, um situationsgerecht behandelt werden zu können und wie schätzt sie diese aus fachmedizinischer Perspektive ein?
6. Welche Möglichkeiten sieht sie nach Inkrafttreten des Psychisch-KrankenHilfe-Gesetzes, um eine wohnortnahe psychiatrische Vollversorgung im Landkreis Lörrach sicherzustellen?
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Eingegangen: 31. 07. 2015 / Ausgegeben: 01. 09. 2015
Drucksachen und Plenarprotokolle sind im Internet
abrufbar unter: www.landtag-bw.de/Dokumente
Der Landtag druckt auf Recyclingpapier, ausgezeichnet mit dem Umweltzeichen „Der Blaue Engel“.
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Drucksache 15 / 7245
7. Welche Kapazitäten – insbesondere bei der Bettenzahl – müssten in den nächsten fünf Jahren durch die jeweiligen Einrichtungen im Sinne einer wohnortnahen Versorgung im Landkreis Lörrach bereitgestellt werden?
8. Welche Schritte würden sich hierfür als notwendig erweisen?
30. 07. 2015
Frey GRÜNE
Begründung
Mit dem Errichtungsgesetz wurden die baden-württembergischen Zentren für
Psychiatrie im Jahr 2009 nicht nur mit einer gemeinsamen Namensführung bedacht, sondern erhielten auch den Auftrag zur zentrumsübergreifenden Koordinierung im medizinischen und ökonomischen Bereich. Ein wichtiges Anliegen der
Zentren stellt hierbei die Weiterentwicklung der psychiatrischen Versorgung in
Baden-Württemberg dar. Damit die umfassende stationäre, teilstationäre und ambulante Behandlung psychisch kranken Menschen wohnortnah zugutekommt, betreiben die Zentren ausgelagerte Tageskliniken und Satelliteneinheiten.
Der Landkreis Lörrach befindet sich aufgrund seiner geografischen Randstellung
in Baden-Württemberg und wegen seiner topografischen Einbettung in den
Schwarzwald sowie seiner Ausläufer in einer infrastrukturell besonderen Lage.
Hierdurch entstehen oftmals erschwerte Zugänge zu bestimmten Versorgungsstrukturen, weshalb der lokalen Vorhaltung ein besonderes Gewicht zukommt.
Vor dem Hintergrund des am 1. Januar 2015 in Kraft getretenen Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetzes, mit dem die Landesregierung nun verbesserte Rahmenbedingungen gesetzt hat, um eine bedarfsgerechte psychiatrische Versorgung sicherzustellen und die Rechtsstellung psychisch kranker oder behinderter Personen zu
stärken, stellt sich die Frage, wie die Versorgungssituation für Patientinnen und
Patienten mit psychiatrischer Diagnose im Landkreis Lörrach verbessert werden
kann.
Antwort
Mit Schreiben vom 19. August 2015 Nr. 55-0141.5/15/7245 beantwortet das
Ministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie, Frauen und Senioren die
Kleine Anfrage wie folgt:
1. Hat sie Kenntnis über den Bedarf der Bürgerinnen und Bürger des Landkreises
Lörrach für ambulante, teilstationäre und stationäre psychiatrische Versorgung bzw. wie hoch schätzt sie diesen Bedarf ein?
Nach Angaben der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg ist die
ambulante vertragsärztliche Versorgung im Landkreis Lörrach derzeit sichergestellt. Insbesondere stehen den Bürgerinnen und Bürgern des Landkreises Lörrach
12 Nervenärzte, davon 10 mit der Schwerpunktqualifikation Psychiatrie, verteilt
auf sieben Praxen in Schopfheim, Weil am Rhein und Lörrach gut erreichbar zur
Verfügung. Der Bedarf im Sinne des Sozialgesetzbuches wäre im Landkreis Lörrach schon mit 7,5 Nervenärzten gedeckt. Drei am Sankt Elisabethen-Krankenhaus tätige Fachärzte für Kinder- und Jugendpsychiatrie sind für die ambulante
Versorgung ermächtigt und ergänzen das gute Angebot im Kreis. Zur Erläuterung
wird darauf hingewiesen, dass die bedarfsplanerische Arztgruppe „Nervenärzte“
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die Fachärzte für Nervenheilkunde, Fachärzte für Neurologie und Psychiatrie,
Fachärzte für Neurologie, Fachärzte für Psychiatrie sowie Fachärzte für Psychiatrie und Psychotherapie umfasst.
Der Bedarf in der teilstationären und stationären psychiatrischen Versorgung wird
in den drei Fachgebieten in Baden-Württemberg wie folgt festgestellt:
Krankenhausplanerisch wird der stationäre und teilstationäre Bedarf für das Fachgebiet Psychiatrie und Psychotherapie aus der tatsächlichen Nachfrage unter Anwendung der Burton-Hill-Formel unter Einbeziehung der planerischen Richtwerte
der Bettennutzung ermittelt. Das bedeutet, dass die Planbettenzahl angepasst wird,
wenn die Auslastung des Krankenhauses nicht mehr der Nachfrage entspricht.
Für das Fachgebiet Psychosomatische Medizin wird der Bedarf anhand der Fachplanung nach folgenden Bedarfsdeterminanten ermittelt: Inzidenz für den Verdichtungsraum 3,7 Prozent, Inzidenz für den ländlichen Raum 2,4 Prozent, davon
stationär behandlungsbedürftig 14,1 Prozent, davon motivierbar 31,5 Prozent,
Zuschlag für chronisch Kranke 12,5 Prozent, durchschnittliche Verweildauer
45 Tage, Bettennutzungsgrad 90 Prozent. Entsprechend dieser Bedarfsdeterminanten wurde ein landesweiter Bedarf von 1.695 Betten/Plätze ermittelt. Diese
Kapazitäten sind krankenhausplanerisch ausgewiesen. Die Bedarfsdeterminanten
wurden im Jahr 2014 evaluiert und werden aktuell überarbeitet. Danach ergibt
sich insgesamt eine Erhöhung der landesweiten Kapazitäten. Der Landeskrankenhausausschuss hat der Überarbeitung bereits zugestimmt. Nach der Sommerpause
wird dem Ministerrat die neu überarbeitete Fachplanung zur Beratung vorgelegt.
Die Fachplanung für das Fachgebiet Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie sieht vor, dass der Bedarf mit einer Krankenhaushäufigkeit von 277 Personen je 100.000 Einwohner der entsprechenden Altersgruppe, einer Verweildauer
von 40 Tagen und einem durchschnittlichen Bettennutzungsgrad von 90 Prozent
berechnet wird. Für teilstationäre Angebote ist ein Aufschlag von 56 Prozent vorgesehen. Bei der letzten Evaluation der Versorgungslage im Fachgebiet Kinderund Jugendpsychiatrie und -psychotherapie wurde ein zusätzlicher Bedarf von
10 Betten für die Notfallversorgung festgestellt. Derzeit sind 621 stationäre Betten und 350 Plätze landesweit krankenhausplanerisch ausgewiesen. Die stationären Betten wurden zwischenzeitlich alle in Betrieb genommen. Von den ausgewiesenen teilstationären Plätzen sind derzeit 285 in Betrieb.
2. Wie hat sich das Angebot in diesen Bereichen im Landkreis Lörrach in den
letzten fünf Jahren entwickelt?
Die Entwicklung im niedergelassenen Bereich gestaltet sich so, dass trotz vergleichsweise gleichbleibender Einwohnerzahlen in den letzten fünf Jahren ein
niedergelassener Nervenarzt dazugekommen ist; es ist also ein Anstieg um 9 Prozent zu verzeichnen.
Zur Entwicklung im teilstationären und stationären Bereich ist Folgendes auszuführen: Im Fachgebiet Psychiatrie und Psychotherapie betreibt der Klinikverbund
Lörrach/Rheinfelden/Schopfheim in Zusammenarbeit mit dem Zentrum für Psychiatrie Emmendingen seit dem Jahr 2003 20 tagesklinische Plätze in Lörrach und
seit dem Jahr 2011 30 stationäre Betten in Schopfheim. Mit dem Aufbau der psychiatrischen Tagesklinik in Lörrach wurde vom Zentrum für Psychiatrie Emmendingen dort auch eine Psychiatrische Institutsambulanz etabliert, die zwischenzeitlich jährlich rd. 840 Fälle behandelt. Das Zentrum für Psychiatrie Reichenau wird künftig auch für die Bewohner des Landkreises Lörrach eine suchtmedizinische Tagesklinik in Bad Säckingen einrichten.
Im Fachgebiet Psychosomatische Medizin und Psychotherapie betreibt der Klinikverbund Lörrach/Rheinfelden/Schopfheim in Zusammenarbeit mit dem Universitätsklinikum Freiburg seit dem Jahr 2011 18 stationäre Betten in Lörrach. Im
Fachgebiet Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie betreibt das St.
Elisabethen-Krankenhaus Lörrach seit dem Jahr 2006 20 stationäre Betten und
12 teilstationäre Plätze.
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3. Wie bewertet sie den sich hieraus ergebenden Versorgungsgrad im Landkreis
Lörrach?
Im ambulanten Bereich sind gemäß den Regelungsvorschriften für die Bedarfsplanung nach Beschlusslage des Landesausschusses der Ärzte und Krankenkassen
vom 10. Juni 2015 für fast alle Arztgruppen Zulassungsbeschränkungen wegen
rechnerischer Überversorgung angeordnet, sodass keine zusätzlichen Ärzte zugelassen werden dürfen. Dies gilt insbesondere für die Nervenärzte, für die ein Versorgungsgrad von 144,7 Prozent ausgewiesen ist. Bezüglich der stationären und
teilstationären Versorgung wird auf die Antwort zur Frage 7 verwiesen.
4. Wie hoch fallen die Wartezeiten für Patientinnen und Patienten mit einer psychiatrischen Diagnose im Landkreis Lörrach beim derzeitigen Versorgungsgrad aus und wie beurteilt sie diese?
Zu Wartezeiten sind der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg keine
besonderen Hinweise oder Beschwerden aus dem Landkreis Lörrach bekannt. In
allen Praxen bekommen nach Angaben der Kassenärztlichen Vereinigung BadenWürttemberg akute Fälle einen Akuttermin.
Die stationäre oder teilstationäre Aufnahme richtet sich nach der Dringlichkeit
des zugrunde liegenden Krankheitsbildes. Jedes Krankenhaus ist gem. § 28 Landeskrankenhausgesetz im Rahmen seiner Aufgabenstellung und Leistungsfähigkeit zur Aufnahme und Versorgung verpflichtet. Wartezeiten für elektive Behandlungen werden krankenhausplanerisch nicht erfasst.
5. Welche Distanz müssen Bedarfspersonen in Krisen- und Notfällen nachts und
an Wochenenden im Landkreis Lörrach überwinden, um situationsgerecht behandelt werden zu können und wie schätzt sie diese aus fachmedizinischer Perspektive ein?
Für ambulant behandelbare Notfälle außerhalb der üblichen Sprechzeiten hat die
Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg einen kreisweiten Notfalldienst
organisiert. Die Erreichbarkeit der Notfallpraxen am Kreiskrankenhaus Lörrach
und in Schopfheim ist für alle Bürgerinnen und Bürger im Landkreis Lörrach
gleich gut. Der allgemeine ärztliche Notfalldienst kann auch im Falle eines psychiatrischen Notfalls die situationsgerechte Versorgung sicherstellen, ggf. können
z. B. die diensthabenden Ärzte der umliegenden Zentren für Psychiatrie konsiliarisch eingebunden werden oder es erfolgt eine stationäre Einweisung.
Stationär zu behandelnde psychiatrische Notfälle werden in der Regel an Krankenhäusern mit einem vollstationären psychiatrischen Versorgungsangebot behandelt. Im Landkreis Lörrach besteht in Schopfheim ein psychiatrisches vollstationäres Angebot. Die nächstgelegenen psychiatrischen vollstationären Angebote
werden in Freiburg und Emmendingen vorgehalten.
Der Kreistag des Landkreises Lörrach wird in den nächsten Wochen die psychiatrische Versorgung im Landkreis beraten und Möglichkeiten der Verbesserungen
der allgemeinen wie auch der Krisen- und Notfallversorgung erörtern.
Im Übrigen erscheint die derzeitige Notfallversorgung aus fachmedizinischer
Sicht ausreichend, wenn eine enge Verzahnung des Angebotes der Notfallpraxen
mit den stationären Angeboten gewährleistet ist.
6. Welche Möglichkeiten sieht sie nach Inkrafttreten des Psychisch-KrankenHilfe-Gesetzes, um eine wohnortnahe psychiatrische Vollversorgung im Landkreis Lörrach sicherzustellen?
Das am 1. Januar 2015 in Kraft getretene Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz (PsychKHG) kann durch die Schaffung eines gesetzlichen Rahmens zu einer weiteren
Verbesserung schon bestehender und noch zu implementierender ambulanter Hilfestrukturen beitragen. Es führt dazu, dass die stationäre Versorgung transparenter
und dadurch auch attraktiver wird.
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Das PsychKHG stärkt die Rechte psychisch kranker oder behinderter Menschen.
Hilfen für psychisch kranke oder aufgrund einer solchen Erkrankung behinderte
Menschen erhalten erstmals in Baden-Württemberg eine gesetzliche Grundlage.
Bezug nehmend auf die Frage sind wichtigste Neuerungen zur Stärkung der Patientenrechte zum einen die neu einzurichtenden Informations-, Beratungs- und Beschwerdestellen auf Stadt- und Landkreisebene (IBB-Stellen). Sie sind Anlaufstellen für Betroffene und Angehörige, die zwischen psychiatrischen Einrichtungen und Betroffenen vermitteln und darüber hinaus allgemeine Informationen
über wohnortnahe Hilfs- und Unterstützungsangebote erteilen.
Nach § 9 Abs. 1 S. 1 i. V. m. Abs. 2 S. 1 PsychKHG sind auf Ebene der Stadt- und
Landkreise zukünftig verbindlich Patientenfürsprecherinnen und -fürsprecher zu
bestellen, die ihrerseits Mitglied des unabhängigen, mindestens dreiköpfigen Gremiums der IBB-Stellen sind. Die IBB-Stellen sollen sich aus mindestens einer
Vertretung der Psychiatrie-Erfahrenen, der Angehörigen sowie einer Person mit
professionellem Hintergrund im psychiatrischen Versorgungssystem zusammensetzen (§ 9 Abs. 2 S. 2 PsychKHG). Somit sind die IBB-Stellen paritätisch mit
Vertretern aller Interessengruppen besetzt. Dies soll gewährleisten, dass Betroffenen oder Angehörigen, welche Hemmungen haben, sich mit ihren Belangen direkt
an ärztliche oder psychologische Vertreter des psychiatrischen Versorgungssystems zu wenden, orts- und zeitnah ein niederschwelliges Hilfeangebot zur Verfügung steht. Die Qualifizierung von ehrenamtlichen Mitarbeitern in diesen Beratungsstellen soll im Herbst 2015 beginnen.
Des Weiteren wurde die Förderung der Sozialpsychiatrischen Dienste erstmals
gesetzlich geregelt und ein zentrales, anonymisiertes Melderegister zur Erfassung
von Zwangsmaßnahmen eingerichtet.
7. Welche Kapazitäten – insbesondere bei der Bettenzahl – müssten in den nächsten fünf Jahren durch die jeweiligen Einrichtungen im Sinne einer wohnortnahen Versorgung im Landkreis Lörrach bereitgestellt werden?
Im Fachgebiet Psychiatrie und Psychotherapie entsprechen die im Krankenhausplan ausgewiesenen stationären Planbetten bzw. teilstationären Planplätze der
tatsächlichen Nachfrage.
Im Fachgebiet Psychosomatische Medizin und Psychotherapie entspricht die Auslastung den vorhandenen Betten. Ein tagesklinisches Angebot besteht im Landkreis Lörrach derzeit jedoch nicht. Hier wird zu prüfen sein, ob aufgrund der Ergebnisse der o. g. Evaluation und nach Billigung der Fortschreibung der Krankenhausfachplanung durch den Ministerrat ein tagesklinisches Angebot im Landkreis
Lörrach bedarfsgerecht ist.
Die Kapazitäten für die Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie entsprechen der Nachfrage.
8. Welche Schritt würden sich hierfür als notwendig erweisen?
Notwendige Kapazitätserweiterungen werden von den Krankenhausträgern bei
der Krankenhausplanungsbehörde beantragt.
In Vertretung
Lämmle
Ministerialdirektor
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