Mildenberg, Regionalgottesdienst zum Reformationstag

Mt. 5, 2-10
12Seid fröhlich und getrost; es wird euch im Himmel reichlich belohnt
Die Bergpredigt (Kapitel 5,1–7,29)
werden. Denn ebenso haben sie verfolgt die Propheten, die vor euch
gewesen sind.
Die Seligpreisungen
Ihr Lieben,
51Als er aber das Volk sah, ging er auf einen Berg und setzte sich; und
der Predigttext zum Reformationstag sind die Seligpreisungen der
Bergpredigt. Wohl kaum ein Text des neuen Testaments ist populärer. Wohl
kaum ein Text des neuen Testaments ist radikaler, wohl kaum ein Text
bringt die Botschaft des Jesus von Nazareth klarer und pointierter zum
Ausdruck, als eben die Bergpredigt und in dieser noch einmal die
Seligpreisungen.
seine Jünger traten zu ihm.
2Und er tat seinen Mund auf, lehrte sie und sprach:
3Selig sind, die da geistlich arm sind; denn ihrer ist das Himmelreich.
Matthäus setzt die Bergpredigt relativ an den Anfang seines Evangeliums.
Sie markieren den Beginn der Wirksamkeit Jesu. Eine programmatische
Rede, das Volk versammelt sich und hört ihm zu. Es gibt keine
Lautsprecheranlagen und keine Videoleinwände, also bietet ein Hügel die
beste Gelegenheit eine Rede zu einer großen Menschenzahl zu halten,
ihnen zu sagen, worum es eigentlich geht. Es geht nicht darum, das Gesetz
abzuschaffen, sondern es geht darum, ihm seinen eigentlichen Sinn
wiederzugeben. Nicht blinde Erfüllung von Regeln ist das Anliegen des
Gesetzes, sondern das Leben miteinander erträglich zu machen. Dazu wird
das Gesetz auch überboten und verschärft. Nicht mehr nur das Töten eines
Menschen verdammt Jesu, sondern bereits die verbalen Vorstufen auf dem
Weg zu dieser Tat. Nicht allein das Ehebrechen verdammt Jesus, sondern
schon die Schritte auf dem Weg dahin. Lieber soll man sich doch das Auge
herausreißen, das man auf eine begehrte Person geworfen hat, als sich von
diesem Begehren hinreißen zu lassen. Und trotz dieser programmatischen
Verschärfung des Gesetzes sehen wir Jesus vor uns, als seine Gegner eine
des Ehebruchs überführte Frau zu ihm führen und von ihm wissen wollen,
wie nun mit ihr zu verfahren ist. Allen ist klar, dass das Urteil nur Tod durch
4Selig sind, die da Leid tragen; denn sie sollen getröstet werden.
5Selig sind die Sanftmütigen; denn sie werden das Erdreich besitzen.
6Selig sind, die da hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit; denn sie sollen
satt werden.
7Selig sind die Barmherzigen; denn sie werden Barmherzigkeit erlangen.
8Selig sind, die reinen Herzens sind; denn sie werden Gott schauen.
9Selig sind die Friedfertigen; denn sie werden Gottes Kinder heißen.
10Selig sind, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden; denn ihrer ist
das Himmelreich.
11Selig seid ihr, wenn euch die Menschen um meinetwillen schmähen und
verfolgen und reden allerlei Übles gegen euch, wenn sie damit lügen.
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Steinigung lauten kann. Um wie viel mehr, wenn Jesus es ernst meint mit
seinem Programm der Strafverschärfung. Und was macht dieser Jesus, er
malt im Sand. Und weil das Urteil ohnehin feststeht, sagt, er, wer von Euch
ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein. Er malt weiter im Sand und
einer nach dem Anderen von den Umstehenden geht. Sie nehmen die
Aufforderung Jesu anscheinend Ernst. Sie sind nicht scheinheilig, so sehr
sie ihn auch provozieren wollten. Und Jesus, auch er verurteilt die
Ehebrecherin nicht. Die Verschärfung der Gesetze dient bei ihm nicht dem
Zweck, mit unmenschlicher Härte die Strafverfolgung zum letzten Exzess zu
führen, sondern die Verschärfung der Regeln steht im Licht der
Menschlichkeit. Der gute Sinn des alten Gesetzes soll verstärkt werden.
Diese menschenfreundliche Programmatik der Bergpredigt machen die
Seligpreisungen deutlich, die der programmatischen Rede vorangestellt
sind. Sie stimmen ein auf den Geist der Rede Jesu, sie stimmen ein auf den
Geist Gottes.
10Selig sind, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden; denn ihrer ist
das Himmelreich.
Können wir anders, als diese Zeilen so zu hören als seien sie direkt zu uns
gesprochen? Können wir anders als sie eine Aussage über unser Leben zu
verstehen? Können wir anders als sie in unsere Zeit der zu uns fliehenden
Menschen zu verstehen, als eine Aufforderung, Genau hier in der Situation
in der wir stehen diese Nächstenliebe zu üben?
Als Theologen haben wir gelernt, Texte in ihrem historischen Kontext zu
interpretieren. Zu überlegen, in welche Situation wurden sie hinein
gesprochen? Was waren das für Menschen damals vor 2000 Jahren, was
war es für eine politische Situation, was bedeutete so ein Wort damals und
wie könnte man es möglicherweise für das Heute übersetzen. Das ist oft
hilfreich, weil wir nicht naiv biblizistisch jede Aussage der Bibel für
unmittelbares Wort Gottes nehmen müssen und dann nicht verstehen, wie
es sein kann, dass in der selben Bibel Aussagen stehen, die sich diametral
entgegenstehen. Manchmal kann die Hermeneutik, die Lehre vom
Verstehen, aber auch dazu dienen, den unmittelbaren
Aufforderungscharakter eines Textes zu entschärfen.
3Selig sind, die da geistlich arm sind; denn ihrer ist das Himmelreich.
4Selig sind, die da Leid tragen; denn sie sollen getröstet werden.
5Selig sind die Sanftmütigen; denn sie werden das Erdreich besitzen.
Bsp. 11. Feuerbachthese im Fourier der Humboldt-Universität
6Selig sind, die da hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit; denn sie
sollen satt werden.
Wie kann uns die Hermeneutik aber helfen, herauszufinden, was für uns als
Christen verbindlich ist und was vielleicht nützlich zu wissen, was wir aber
vor allem vor dem zeitgenössischen Hintergrund verstehen müssen, wie z.B.
die Aussage bei Paulus, dass Frauen doch in der Gemeinde besser
schweigen sollten? Dann würde es in vielen unserer Gemeinden sehr
schweigsam zugehen. Oder weshalb das Gottesurteil auf dem Karmel für
uns kein Hinweis für ein probates Mittel für den Umgang mit anderen
Religionen oder Konfessionen ist. Martin Luther, dessen Thesenanschlag
7Selig sind die Barmherzigen; denn sie werden Barmherzigkeit erlangen.
8Selig sind, die reinen Herzens sind; denn sie werden Gott schauen.
9Selig sind die Friedfertigen; denn sie werden Gottes Kinder heißen.
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wir heute gedenken, hat ein sehr probates Unterscheidungsmittel
empfohlen. Er hat gesagt, verbindlich an der Bibel ist das, „was Christum
treibet“. Er hat das mit Blick auf das Alte Testament gesagt, auf die Bibel der
Juden. Und wenn man sich an dieses Kriterium heute noch erinnern würde,
würde mancher Streit um die Rolle des Alten Testaments, der dieser Tage
an der Berliner Humboldt-Universität wieder ausgefochten wird, sich selbst
erledigen. Dieser Streit ob das AT noch zum Kanon der Bibel gehören soll
ist so überflüssig wie ein Kropf. Das Kriterium Luthers können wir aber ohne
weiteres über das Alte Testament hinaus erweitern und es auch auf das
Neue Testament beziehen. Denn wer wollte bestreiten, dass auch dort
vieles steht, was vielleicht vor dem Hintergrund der historischen Situation
verständlich ist, mit der christlichen Botschaft der Nächsten-Selbst und
Gottesliebe aber nicht das Geringste zu tun hat. Insbesondere in der
Offenbarung des Johannes finden wir ja solche Stellen, die uns in ihrer
blanken Brutalität erschrecken, in ihren Gewaltphantasien erschüttern und
die nur verständlich sind aus der Rachephantasie der unterdrückten
Minderheit der Christen. Was daran Christum treibet, das doch vermutlich
sehr wenig. Die Seligpreisungen dagegen, die bringen das was Christus
ausmacht so klar zum Leuchten, wie sonst nur wenige Texte in der Bibel.
Hier haben wir einen Text vor uns, der ganz ohne Zweifel Christum treibet.
Wenn wir wissen wollen, worauf es ankommt beim Christsein, dann ist ein
Blick an den Anfang des 5. Kapitels des Matthäusevangeliums immer eine
gute Adresse:
Nein, das griechische Wort makarios, das da steht meint keine weltfremde
Seligkeit, die sich im Jenseits zeigt, sondern es zeigt an, wie Leben gelingen
kann. Makarios, selig, das ist Leben in Fülle. Das ist geglücktes Leben.
Auch die griechischen Philosophen trieb diese Frage wie keine zweite um,
wann können wir unser Leben geglückt, selig, makarios nennen. Manche
hatten die Idee, sie könnten das, wenn sie sich von den irdischen
Leidenschaften nicht beindrucken ließen. Andere waren der Meinung, man
sei dann glückselig, wenn man den Leidenschaften möglichst weit
nachgebe. Je mehr, je glücklicher. Jesus stellt uns einen Gegenentwurf zu
beiden Konzepten vor. Weder möglichst unbeteiligt von allem was passiert
das eigene Leben abzuarbeiten, noch zu einem Erfüllungsgehilfen der
eigenen Lust zu werden ist für ihn ein Rezept für ein glückendes Leben,
sondern Leben gelingt dort,
wo wir nicht besserwisserisch auftrumpfen und die Wahrheit in
Glaubensdingen gepachtet zu haben glauben. Leben gelingt, da, wo Leid
tragende getröstet werden,
Leben gelingt da, wo wir nicht auf das Recht des Stärkeren vertrauen,
sondern uns sanft und einfühlsam einander zuwenden.
Leben gelingt da, wo wir uns nicht mit dem eigenen Vorteil zufrieden geben,
uns nicht ausruhen auf dem unverdienten Glück der Geburt in der ersten
Welt, sondern drängen auf Gerechtigkeit, auch wenn das bedeutet
abzugeben vom eigenen Wohlstand, dafür zu sorgen, dass die
Kaffeearbeiter fair entlohnt werden und nicht wegzuschauen, wenn der
Fußball für die Enkel vermutlich von Kindern in Indien genäht wurde.
Freilich kann uns die Hermeneutik noch helfen zu verstehen, worum es
geht. Was z.B. bedeutet die Rede davon, selig zu sein? Geht es um eine Art
Jenseitsvertröstung. Hier auf Erden ist es anders, aber im Jenseits, da
werdet Ihr dann selig sein, wenn ihr Euch so verhalten habt? Hier auf Erden
sieht es dagegen leider anders aus? Da gilt der Matthäus-Effekt „wer da hat,
dem wird gegeben werden“?
Leben gelingt da, wo wir barmherzig sind. Wo wir unverdient geben. Wo wir
Gnade vor Recht ergehen lassen. Wo wir auf einen Anspruch verzichten,
auf eine Strafverfolgung oder auf eine Entschuldigung, die uns zusteht. Wo
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wir den Menschen die zu uns kommen, als Menschen begegnen, auch wenn
sie keinen Anspruch auf Asyl haben und nicht aus einem Land kommen, das
vom Krieg verwüstet ist. Barmherzigkeit heißt nicht wegzuschauen, wenn
die leidenden erschöpften Menschen bei uns ankommen, ihnen
beizustehen, ihnen zu helfen. Ihnen menschlich zu begegnen. Das sind die
christlichen Werte und wenn wir die verteidigen wollen, dann können wir das
machen, in dem wir Barmherzigkeit an denen Üben die zu uns kommen.
auf syrischem Boden in Gange. Dass unsere massiven deutschen
Waffenexporte zum Frieden in der Welt beitragen würden, ist wohl eine
unserer liebsten Lebenslügen. Leben in seiner Fülle sagt Jesus weder den
Waffenexporteuren noch den Kriegern zu. Leben in seiner Fülle, das haben
die Friedfertigen. Und auch wenn sie als die idealen Opfer erscheinen, ein
seliges Leben haben diejenigen nicht, die das Leben anderer auf dem
Gewissen haben. Gottes Kinder heißen bei Jesus die Friedfertigen, nicht
die, die mit dem Frieden fertig sind.
Leben glückt da, wo wir reinen Herzens sind. Was für ein Anspruch, wer von
uns kann das schon von sich sagen, reinen Herzens zu sein? Neiden wir
nicht diesem und Jenen manchmal dieses oder jenes? Manche neiden
sogar den Flüchtlingen die Unterstützung, die sie von unseren
Steuergeldern bekommen. Reinen Herzens sind wir da nicht und wir wissen
doch, dass Neid kein Quell des Lebens ist, sondern dass er Leben zersetzt,
vergiftet. Reinen Herzens dagegen, das ist das Leben in dem wir Gott
schauen.
Leben in seiner Fülle sagt Jesus denen zu, die um der Gerechtigkeit willen
verfolgt werden. Da ist z.B. Bürgerrechtlerin Leyla und Arif Yunus die im
Sommer in Baku zu langen Freiheitsstrafen verurteilt wurden, weil sie gegen
die Menschenrechtsverletzungen in Aserbaidschan protestierten und die
trotz schwerer Krankheiten nicht einmal medizinisch versorgt werden. Da ist
z.B. Malala Yousafzai, die in ihrem Internetblog auch im von den Taliban
dominierten Teil Pakistans darauf beharrte, das Mädchen das Recht hätten
zu Schule zu gehen und die einem gezielten Mordanschlag nur knapp
lebendig entging. Im letzten Jahr erhielt sie den Friedensnobelpreis. Die
Liste ließe sich leicht durch einen Blick auf die Seiten von AmnestieInternational verlängern. Manche von ihnen, die deshalb verfolgt wurden,
weil sie wollten dass ihre Töchter zur Schule gehen können, oder die sich
für faire Wahlen eingesetzt haben sind nun bei uns. Helfen wir dabei, dass
sie erfahren, was Jesus verheißen hat, dass ihr Leben glücken kann, dass
sie Leben haben, Leben in seiner Fülle und Leben mit all seinen
Möglichkeiten. Sicher nicht mit allem Luxus und allem Komfort, aber doch
mit den Chancen und Möglichkeiten, die das Leben bieten kann.
Leben haben wir da, wo wir friedfertig sind. Wie oft denken wir angesichts
des Bürgerkrieges in Syrien, da müsste man mal richtig mit Gewalt
reinhauen, dann wäre da Ruhe. Mit Bodentruppen den Assad und die IS
einem Atemzug wegputzen, dann könnten die Syrer von vorn anfangen. In
Moskau denkt man so und unterstützt Assad. Die Koalition um die
Amerikaner unterstützt die gemäßigten Aufständischen und liefert ihnen
Waffen gegen den IS und gegen Assad und liegt Luftschläge gegen die IS,
zuweilen auch gegen ein Krankenhaus, in dem man IS-Kämpfer vermutet.
Die Iraner unterstützen Assad, als den gewählten Präsidenten. Wir liefern
Waffen vor allem an die Kurden, die tapfer gegen den IS kämpfen und
zuweilen auch die ein oder andere Stadt zurückerobern, oder erbitterten
Widerstand leisten. Aber auch der IS hat seine Unterstützer, die ihm Waffen
verkaufen. Statt dass der Konflikt mit Waffen beruhigt wird, eskaliert er nur
immer mehr und längst ist ein Stellvertreterkrieg aller möglichen Nationen
Auch unserer Tage fordern manche die dramatische Verschärfung von
Gesetzen. Die Partei im Süden unseres Landes, die das „Christlich“ sogar
im Namen trägt, tut sich dabei besonders hervor. Auf die Verschärfung des
Gesetzes in der Bergpredigt kann sich Horst Seehofer dabei so wenig
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berufen wie Alexander Gauland. Wenn sie wirklich christliche Werte
verteidigen wollen, dann sei ihnen die Lektüre des heutigen Predigttextes
empfohlen. Wenn wir am Reformationstag an die große Umwälzung denken,
die vor nahezu 500 Jahren in Wittenberg ihren Anfang nahm, dann können
wir im Rückblick sehen, dass die Reformation die Welt verändert hat, sie
war danach nicht wie zuvor. Sie war aber noch und, so sind wir
evangelischen überzeugt, sie war in einigem auch besser geworden. Die
Reformation hatte den Blick wieder freigeräumt auf das, was eigentlich
Christum trieb. Auch wenn selbst Luther das nicht immer gesehen hat, wie
z.B. seine Äußerungen gegen Juden oder Behinderte oder Türken oder um
ihre Rechte kämpfenden Bauern zeigen. Sicher stellen uns auch die
Flüchtlinge die zu uns kommen vor Herausforderungen. Sicher wird sich
unsere Welt ändern. Das ist der Welten Lauf. Und nicht wenige von uns
haben vor 25 Jahren sehr bewusst eine Veränderung der Welt
mitbekommen, die wir nicht für möglich gehalten hätten und nun haben sich
die meisten in der neuen Welt ganz gut eingerichtet. Jetzt sind wir vielleicht
wieder in einer Zeit, in der sich etwas in unserer Welt ändert. In der die
düsteren demographischen Prognosen der letzten Jahre vielleicht Lügen
gestraft werden, in der Menschen aus mehr oder weniger anderen Kulturen
zu uns kommen, wie seinerzeit die Juden, die Hugenotten oder die
Niederländer mit ihrem anderen Glauben, ihren anderen Sitten, ihrer
anderen Kleidung, ihrer anderen Sprache und ihrem anderen Essen, nach
Brandenburg kamen. All das weckte damals Ängste, Ängste vor
Veränderung. Es gibt keine Garantie dafür, dass solche Veränderungen
glücken und selbst als die Juden in Deutschland schon endgültig
angekommen zu sein schienen, wurden sie hier bei uns noch millionenweise
ermordet. Nein, eine Garantie für gelingende Integration gibt es in
Deutschland nicht. Aber als Christen haben wir eine klare Leitlinie dafür,
welchen Handlungen Jesus glückendes Leben zuspricht. Die finden wir in
den Seligpreisungen. Amen.
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