Eveline G. Bouwers, Public Pantheons in

Francia­Recensio 2015/4
Frühe Neuzeit – Revolution – Empire (1500–1815)
Eveline G. Bouwers, Public Pantheons in Revolutionary Europe. Comparing Cultures of Remembrance, c. 1790–1840, Basingstoke, Hampshire (Palgrave Macmillan) 2012, XV–325 p., 20 ill. (War, Culture and Society 1750–1850), ISBN 978­0­230­29471­4, GBP 60,00.
rezensiert von/compte rendu rédigé par
Ute Planert, Wuppertal
Eveline Bouwers, derzeit als Emmy Noether­Nachwuchsgruppenleiterin am Institut für Europäische Geschichte in Mainz mit der Erforschung von Glaubens(verteidigungs)kämpfen im katholischen Europa zwischen der Revolution von 1848 und dem Ersten Weltkrieg betraut, ist sicherlich eine der interessantesten jungen Forscherinnen, die derzeit das 19. Jahrhundert aus vergleichend­
transnationaler Perspektive in den Blick nehmen. Die sprachversierte Niederländerin hat Geschichte, Politikwissenschaft und Kunstgeschichte studiert und ihre Kompetenzen in einem Dissertationsprojekt am Europäischen Hochschulinstitut in Florenz zusammenfließen lassen, das einen neuen Blick auf die Geschichte von Macht und politischer Repräsentation im Europa des frühen 19. Jahrhunderts erlaubt. Ausgangspunkt ihrer Untersuchung sind die »public pantheons«, jene öffentlichen Repräsentationsbauten des politischen Totenkultes, mit denen man in der europäischen Staatenwelt nach den Erschütterungen der Französischen Revolution den Leit­ und Ausnahmefiguren der jeweiligen »imagined community« ein Denkmal setzte. Die 1842 fertiggestellte Walhalla oberhalb der Donau bei Regensburg, für die der Bayernkönig und Napoleonfeind Ludwig I. seit 1807 Büsten von »großen Deutschen« herstellen ließ, um zur »Vermehrung deutschen Sinnes« beizutragen, ist sicherlich das in Deutschland bekannteste Beispiel. Doch das königlich­bayerische Pantheon in nationalerzieherischer Absicht hatte etliche Vorläufer: Das parlamentarische Pantheon, wie es sich in Westminster Abbey und St. Paul Cathedral entwickelte, Napoleons imperiales Pantheon in Paris und die Sammlung der Büsten berühmter Italiener, die der Bildhauer Canova im römischen Pantheon mit päpstlicher Erlaubnis aufstellen ließ. Jeder der vier Ruhmeshallen hat Eveline Bouwers ein eigenes, mit zeitgenössischen Illustrationen versehenes Kapitel gewidmet. Hier werden die Entstehungs­ und Rezeptionsgeschichte der verschiedenen Bauwerke beleuchtet und das kunsthistorische Bildprogramm dieser erinnerungskulturellen Zeugnisse analysiert. Das ist gut geschrieben und spannend zu lesen, aber spannender noch ist, wie die Autorin ihr reichhaltiges Materials in der Zusammenschau interpretiert und dabei gängige Deutungsangebote in Frage stellt. Bei den Pantheonsprojekten handelte es sich nach Bouwers Auffassung nämlich keineswegs um steingeworbene Formen frühnationaler Absichten und Vorstellungen. Ihr Zweck war es danach eben nicht, als nationales Monument die Werte und Tugenden der im Werden begriffenen Nationen zu verkörpern. Vielmehr, so die These der von Heinz­
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Gerhard Haupt und Jay Winter betreuten Dissertation, machen Entstehungsgeschichte und Verwendungszweck deutlich, dass die public pantheons der Sattelzeitperiode die Anstrengungen der alten sozialen und politischen Eliten widerspiegelten, denen es darum ging, in einem Zeitalter revolutionärer Veränderungen Status und Einfluss zu wahren. Die Nation im eigentlichen Sinn blieb dabei außen vor. In London waren nur adelige Militärs aus den Napoleonischen Kriegen denkmalswürdig, in Paris war alles auf den französischen Kaiser zugeschnitten. Die Eröffnung der Walhalla fand nur vor geladenen Gästen aus Adel und Verwaltung statt. Vielfach hielten hohe Eintrittspreise das Publikum fern, und die große Masse dürfte zudem kaum in der Lage gewesen sein, das komplexe Bildprogramm der Bauwerke zu entziffern.
Zu Recht identifiziert Bouwers daher – um beim bayerischen Beispiel zu bleiben – die Walhalla mit ihrer schon von den Zeitgenossen kritisierten eigenwilligen Auswahl an »nationalen« Helden als Versuch Ludwig I., Bayern als Mittelstaat Geltung im Kreis der deutschen und europäischen Mächte zu verschaffen, die noch kaum zurückliegende Allianz mit dem napoleonischen Frankreich vergessen zu machen und die schwierige Integration alter und neuer Landesteile durch die Fokussierung auf die Figur des Monarchen voranzutreiben. Diese bayrisch­monarchischen Absichten hatten schon liberale Publizisten durchschaut und sich wie der große Spötter Heinrich Heine trefflich darüber lustig gemacht. Der Einfluss nationaler Vorstellungen gerade auf Ludwig I., dessen weithin bekannte Gegnerschaft zu Napoleon in schroffem Gegensatz zur Frankophilie seines Vaters stand, sollte dennoch nicht unterschätzt werden. Dass die Eliten – wie instrumentell auch immer – nach den Umwälzungen der Französischen Revolution ihre Macht unter Verweis auf den Nationalgedanken zu erhalten suchten, ist ein sprechender Beleg für die Deutungsmacht des Nationalen in einer Phase, die zu Unrecht als Restaurationsepoche beschrieben wird. Insofern ist die im Wortsinn transnationale Dissertation von Eveline Bouwers ein hervorragender Beitrag zu den aktuellen Bestrebungen der Geschichtswissenschaft, das frühe 19. Jahrhundert neu zu vermessen.
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