Industrie 4.0: Wachstumspotenziale und Konsequenzen für

Studie
Industrie 4.0: Wachstumspotenziale
und Konsequenzen für Produktion,
Produkte und Prozesse
Eine Studie der vbw, erstellt von der Prognos AG
Stand: Oktober 2015
www.vbw-bayern.de
Industrie 4.0: Wachstumspotenziale und Konsequenzen für
Produktion, Produkte und Prozesse
vbw – Oktober 2015
Vorwort
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Vorwort
Industrie 4.0: Chancen für Bayern nutzen
Mit der Digitalisierung ist die vierte industrielle Revolution in vollem Gange. Neue digitale Technologien verändern ganze Wertschöpfungsketten, sowohl auf der Produkt- als
auch auf der Prozessebene. Gleichzeitig lösen sich die Grenzen zwischen Branchen
und Technologien zunehmend auf und weichen neuen Vernetzungen. Als einer der
weltweit führenden Industriestandorte muss und wird Bayern diesen Wandel mitgestalten.
Der Freistaat hat in industrienahen Teilbereichen der Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) eine hervorragende Ausgangsposition. Das gilt vor allem für den
spezialisierten Mittelstand in den Bereichen Mess-, Steuer- und Regeltechnologien. Auf
dieser Stärke müssen wir aufbauen und uns gleichzeitig neue Geschäftsfelder erschließen. Wo wir heute noch Nachholbedarf haben, beispielsweise in vielen Bereichen der Softwareentwicklung, müssen wir originäre IKT-Kompetenzen am Standort
entwickeln und profilieren.
Um mit den kurzen Innovationszyklen Schritt zu halten und disruptive Veränderungen
aufgreifen zu können, brauchen wir einerseits neue Ansätze für die Zusammenarbeit
zwischen Unternehmen und andererseits eine Stärkung des unternehmerischen Spirits
im wissenschaftlichen Bereich wie auch in der Gesellschaft insgesamt. Innovationen
müssen wir in Wertschöpfung am Standort umsetzen.
Auch die Innovationspolitik muss dem Wandel Rechnung tragen. Die bayerische Forschungsförderung wird derzeit – nicht zuletzt als Ergebnis der Diskussionen im Zukunftsrat der Bayerischen Wirtschaft – evaluiert und sodann neu ausgerichtet. Für den
Umgang mit Daten, von der Sicherung über deren Sicherheit bis zu ihrer Verarbeitung
und Verwertung, müssen wir auf deutscher und europäischer Ebene eigene Standards
setzen.
Unternehmen, Wirtschaftsverbände, Wissenschaft und Staat sind gemeinschaftlich
gefordert, um die großen Potenziale der Industrie 4.0 für Bayern zu nutzen. So werden
wir auch in Zukunft unsere Spitzenstellung unter den Industrieregionen behaupten
können.
Bertram Brossardt
29. Oktober 2015
Industrie 4.0: Wachstumspotenziale und Konsequenzen für
Produktion, Produkte und Prozesse
vbw – Oktober 2015
Inhalt
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Inhalt
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Industrie 4.0: Definition und Abgrenzung ................................................. 1
2
Bestandsaufnahme ..................................................................................... 3
3
Deutschland und Bayern im internationalen Wettbewerb....................... 7
4
Wie verändert Industrie 4.0 die Industriestruktur? ................................... 9
5
Wachstumswirkungen von Industrie 4.0 ................................................. 13
6
Branchenanalyse ...................................................................................... 17
7
Chancen, Risiken und Handlungsbedarf ................................................. 23
Glossar ....................................................................................................................... 27
Literaturverzeichnis ..................................................................................................... 29
Ansprechpartner ......................................................................................................... 31
Impressum .................................................................................................................. 31
Industrie 4.0: Wachstumspotenziale und Konsequenzen für
Produktion, Produkte und Prozesse
vbw – Oktober 2015
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Industrie 4.0: Definition und Abgrenzung
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Industrie 4.0: Definition und Abgrenzung
Der heimische Produktionsstandort steht vor einem umfassenden Umbruch.
Die Industrie befindet sich in einer weitreichenden Umbruchphase. Maschinen werden
in bisher unbekanntem Umfang „intelligent“: Sie steuern ohne menschliches Zutun
selbst im dichten Straßenverkehr Autos oder komplexe Produktionsabläufe in Fabriken.
Lange galt dies als Zukunftsmusik. Nun sind praxistaugliche Systeme in greifbare Nähe
gerückt oder bereits im Einsatz. Kooperationen mit und Übernahmen von spezialisierten IT-Dienstleistern durch Industrieunternehmen – oder umgekehrt – zeigen, wie groß
der Handlungsdruck der Industrie ist, mit den neuen Möglichkeiten der Informationsund Kommunikationstechnologien im Verarbeitenden Gewerbe Schritt zu halten.
Industrie 4.0 fasst Aktivitäten der Digitalisierung im Bereich der Industrie zusammen.
Auf der rein technischen Ebene beschreibt Digitalisierung die Abbildung und Speicherung analoger Signale oder Informationen im digitalen, maschinenlesbaren Format. Im
weiteren Sinne, als gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Trend, umfasst Digitalisierung den gesamten Prozess der Adaption, Ausbreitung und Vernetzung digitaler Produkte und Dienstleistungen.
Mit dem Begriff Industrie 4.0 wird postuliert, dass eine erneute industrielle Revolution
bevorstehe bzw. bereits begonnen habe. Mit der Ziffer vier wird eine vierte Stufe dieser
Revolution versinnbildlicht: Nach Mechanisierung, Industrialisierung und Automatisierung stehe nun ein erneuter tiefer Umbruch bevor. Die nun technologisch möglich gewordene allgegenwärtige Vernetzung von Personen, Dingen und Maschinen werde zu
einer Revolution der industriellen Produktion und Wertschöpfungsketten führen.
In die öffentliche Diskussion eingeführt wurde der Begriff auf der Hannover Messe
2011 durch die „Initiative Industrie 4.0“, einem Gremium mit Vertretern aus Wirtschaft,
Politik und Forschung. Demnach steht Industrie 4.0 für eine neue Stufe der Organisation und Steuerung der gesamten Wertschöpfungskette über den Lebenszyklus von
Produkten. Der Lebenszyklus erstreckt sich dabei von der Produktidee, der Beauftragung, über die Entwicklung und Fertigung, die Auslieferung an den Endkunden bis hin
zum Recycling und deckt auch die mit dem Produkt verbundenen Dienstleistungen ab.
Der Zyklus orientiert sich dabei an den zunehmend individualisierten Kundenwünschen. Grundlage für die neuen Möglichkeiten bilden die Verfüg-barkeit einer Vielzahl
von relevanten Informationen in Echtzeit durch die Vernetzung aller an der Wertschöpfung beteiligten Akteure sowie die Fähigkeit aus den Daten den zu jedem Zeitpunkt
optimalen Wertschöpfungsfluss abzuleiten. Menschen, Objekte und Systeme werden
auf diese Weise eng miteinander vernetzt. Es entstehen dynamische, echtzeitoptimierte und selbst organisierende, unternehmensübergreifende Wertschöpfungsnetzwerke.
Diese Wertschöpfungsnetzwerke lassen sich nach unterschiedlichen Kriterien wie beispielsweise Kosten, Verfügbarkeit und Ressourcenverbrauch optimieren.
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Industrie 4.0: Definition und Abgrenzung
Industrie 4.0: Wachstumspotenziale und Konsequenzen für
Produktion, Produkte und Prozesse
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Industrie 4.0 weist mit verwandten Begriffen wie Cyber-Physische Systeme (CPS) oder
dem „Internet der Dinge“ große Überschneidungen auf. Allen Begriffen ist gemein,
dass sie die Vernetzung des Physischen mit dem Internet beschreiben – die physische
Welt wächst mit der virtuellen Welt zusammen. Ein wichtiger Unterschied ist, dass Cyber-Physische Systeme und das Internet der Dinge auch außerhalb des Kontexts von
Industrieproduktion auftreten, zum Beispiel in einer Vielzahl von „smarten“ Produkte für
den privaten Konsum, in den sogenannten Smart Homes und Smart Cities. Um Missverständnisse zu vermeiden, kann daher der Begriff industrielles Internet der Dinge im
Zusammenhang mit Industrie 4.0 verwendet werden.
Die vorliegende Studie gibt einen Überblick über die Dimension der Auswirkungen von
Industrie 4.0 auf Produktion, Produkte und Prozesse. Auf Grundlage einer Auswertung
der mittlerweile umfangreichen Literatur zum Thema Industrie 4.0 wird dargestellt, wie
weit der industrielle Umbruch bereits fortgeschritten ist und wie sich der Produktionsstandort Bayern im globalen Wettbewerb positioniert. Im Ergebnis werden die Wachstumspotenziale und die Risiken für das Verarbeitende Gewerbe durch Industrie 4.0
deutlich.
Industrie 4.0: Wachstumspotenziale und Konsequenzen für
Produktion, Produkte und Prozesse
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Bestandsaufnahme
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Bestandsaufnahme
Die Umstellung der industriellen Produktionsprozesse hat bereits begonnen.
Industrie 4.0 – das ist die Vision einer durch und durch vernetzen Produktion, also von
Maschinen, Menschen und Produkten zu einem industriellen Internet der Dinge. Die
dadurch entstehende Produktionsumgebung organisiert sich selbst, optimiert sich
selbst und erlaubt eine vollkommen transparente, individualisierte und flexible Produktion. Im Ergebnis soll die Umstellung der Produktion auf die Herstellung im Sinne der
Industrie 4.0 Produktionskosten senken, die Wettbewerbsfähigkeit steigern sowie eine
bessere und schnellere Berücksichtigung von Kundenwünschen ermöglichen.
Die vollumfänglich vernetzte Industrieproduktion ist in Bayern und Deutschland nach
wie vor Zukunftsmusik. Gleichwohl hat die Umstellung des industriellen Produktionsprozesses bereits begonnen. Umfang und Geschwindigkeit der Transformation hin zu
Industrie 4.0 laufen dabei unterschiedlich schnell ab: In einigen Branchen vollzieht sich
die Umstellung dynamischer als in anderen Wirtschaftszweigen. Auch hinsichtlich der
Unternehmensgröße gibt es Unterschiede, Vorreiter sind oft die größeren Unternehmen.
Besonders dynamisch verläuft die Transformation etwa bei den Unternehmen im
Kraftwagenbau. Gemäß einer repräsentativen Umfrage des Digitalverbands BITKOM
nutzen bereits mehr als die Hälfte der Unternehmen in dieser Branche Anwendungen
aus dem Bereich Industrie 4.0. Befragt wurden Unternehmen mit jeweils mindestens
100 Mitarbeitern aus vier industriellen Kernbranchen 1. Auf den weiteren Plätzen folgen
die Elektrotechnik (48 Prozent), die Chemische Industrie (42 Prozent) und der Maschinen- und Anlagenbau (41 Prozent).
Ein Grund für die überdurchschnittlich hohe Dynamik im Kraftwagenbau dürfte unter
anderem in der Branchenstruktur zu finden sein. Der Kraftwagenbau wird stärker als
andere von großen Unternehmen geprägt – und große Unternehmen nehmen häufig
eine Vorreiterrolle bei der Implementierung von Industrie 4.0 ein. Zwar ist die Smart
Factory in der gesamten deutschen Industrie noch eine Ausnahme, sie wird aber von
einigen Großunternehmen schon implementiert (vgl. Fallbeispiele unten). Aus den Reihen des Mittelstands dagegen gibt es erst wenige digitale Innovatoren, die schon heute
großen Nutzen aus digitalen Technologien ziehen. Oft werden die kleinen und mittleren
Unternehmen erst in Reaktion auf enge Märkte und neue Wettbewerber aktiv2.
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BITKOM 2015
PwC 2013
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Bestandsaufnahme
Industrie 4.0: Wachstumspotenziale und Konsequenzen für
Produktion, Produkte und Prozesse
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Doch auch der Mittelstand beschäftigt sich zunehmend mit Industrie 4.0. In einer Befragung mittelständischer Unternehmen für eine Studie der Commerzbank äußerte
jedes fünfte Unternehmen im Verarbeitenden Gewerbe die Befürchtung, dass die digitale Entwicklung ihr bisheriges Geschäftsmodell bedrohe. Während einige Technologien des digitalen Wandels (wie Online-Marketing oder Social Media) bereits oft Verwendung finden, verbindet derzeit nur rund ein Viertel der befragten Unternehmen im
Verarbeitenden Gewerbe Chancen mit Industrie 4.0. Die Studie vermutet als zentrale
Ursache für die Zurückhaltung gegenüber Industrie 4.0 ein hohes Maß an Verunsicherung und Unwissenheit. Im Bereich Industrie 4.0 sei die Unsicherheit besonders stark
ausgeprägt – die meisten Unternehmen können also nicht einschätzen, ob die Digitalisierung der Produktionsprozesse eher eine Chance oder eine Bedrohung darstellt.
Besonders die Hidden Champions des deutschen Mittelstands, also jene Unternehmen, die in Nischen-Marktsegmenten Europa- oder Weltmarktführer sind, schöpfen
das Potenzial von Industrie 4.0-Anwendungen noch nicht aus. Gleichwohl wird mittlerweile auch vom Mittelstand dem Thema Industrie 4.0 und dessen Auswirkungen auf
das eigene Geschäftsmodell eine zunehmend höhere Dringlichkeit bescheinigt und es
steigt die Bereitschaft, auf diesem Gebiet zu investieren3.
Bei der Implementierung von Industrie 4.0-Anwendungen in die Produktionsprozesse
bestehen nicht nur zwischen den Branchen und Unternehmen, sondern auch zwischen
den einzelnen Anwendungen und Produktionsschritten zum Teil beträchtliche Unterschiede. Die am weitesten verbreiteten Anwendungen des industriellen Internets der
Dinge sind Predictive Maintenance – also die „vorausschauende“ Wartung der Fabrikausstattung auf Grundlage der Echtzeit-Analyse von Daten – und Social Machines.
Damit werden neuartige Mechanismen für den Informationsaustausch zwischen Menschen, Maschinen und Ressourcen umschrieben, deren Funktionsweise vergleichbar
ist mit den Mechanismen von sozialen Netzwerken. Rund 40 Prozent der von BITKOM
befragten Unternehmen nutzen bereits solche Anwendungen oder planen konkret deren Nutzung. Auch Smart Products (Produkte mit integrierten Datenchips zur Kommunikation mit Produktionsanlagen) und Augmented Operators (IT-basierte Assistenzsysteme wie etwa Datenbrillen, „Smart Glasses“) sind als Anwendungen verbreitet, wobei
besonders letztere in der nächsten Zeit zunehmend in Einsatz kommen dürften4.
Fallbeispiele von Industrie 4.0 in Deutschland
Als eines der bekanntesten Beispiele für eine erfolgreiche Umsetzung der vernetzten
Fabrik im Sinne von Industrie 4.0 gilt das Siemens Elektronikwerk in Amberg. Mit dem
Ziel, die Produktion etwa durch eine effektive Fehlervermeidung effizienter und sicherer
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Commerzbank 2015
BITKOM 2015
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Produktion, Produkte und Prozesse
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Bestandsaufnahme
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zu gestalten wurde in Amberg die Fertigung zu großen Teilen (über 75 Prozent) automatisiert und die Kommunikation zwischen Maschinen breit eingeführt: Alle Objekte,
von Bauelementen zu den Produkten selber, werden durchgehend digital identifiziert,
und alle Prozesswerte, wie etwa Löttemperaturen und Bearbeitungszeitpunkte, werden
digital erfasst. Weiterhin verläuft die Prozessanalyse eigenständig, in Echtzeit und über
Hierarchiestufen hinweg. Mitarbeiter werden vor allem zur Überwachung des maschinell gesteuerten Prozesses eingesetzt.
Die Chancen von Industrie 4.0 für die Verbesserung der Kommunikation zwischen
Mensch (in dem Fall der Beschäftigte in der Fabrik) und Maschine auch über größere
räumliche Distanzen zeigt das Technologieunternehmen Trumpf. Das Unternehmen
hat die „Global Facility“ – also die Vernetzung von Produktionssystemen über Unternehmensgrenzen hinweg – etwa durch eine cloudbasierte Telepräsenzplattform umgesetzt, mit der mehrere tausend Maschinen in den Fabriken des Unternehmens weltweit
mit einem Experten an einem anderen Ort vernetzt werden können. Der Experte kann
so aus der Ferne den Status der Maschine einsehen und sogar in den Produktionsprozess eingreifen. Auch der Kunde kann in den Produktionsprozess eingebunden werden, um etwa die aktuellen Betriebs- und Produktzustände einzusehen. Bei Trumpf
ermöglicht die Kombination intelligenter Fertigsteuerungssysteme und mobiler Endgeräte, verschiedene Produktionsressourcen in ihren Fertigungsaufträgen zu überwachen. Dies ist zum Teil von überall auf der Welt möglich. Aber auch innerhalb der Fabrik erleichtern mobile Endgeräte die Produktion. Durch die Übertragung der Bedienungsoberfläche der Maschine auf Tablets können Mitarbeiter diese einfacher überwachen und steuern.
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Produktion, Produkte und Prozesse
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Deutschland und Bayern im internationalen
Wettbewerb
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Deutschland und Bayern im internationalen
Wettbewerb
Die Umstellung auf vernetzte Produktion birgt große Chancen – aber auch Risiken.
Industrie 4.0-Anwendungen haben bereits an unterschiedlichen Stellen Einzug in die
Produktionsprozesse gefunden. Wie sind die bayerischen bzw. deutschen Unternehmen im internationalen Wettbewerb hinsichtlich Digitalisierung und Industrie 4.0 aufgestellt? Gehören die heimischen Unternehmen zu den Pionieren von Industrie 4.0 oder
haben sie den Anschluss an die aktuellen Entwicklungen noch nicht gefunden?
Durch Industrie 4.0 wachsen die Informations- und Kommunikationstechnologien mit
der Produktion zusammen – und damit das Verarbeitende Gewerbe mit der IKTBranche. Aus dieser Grundkonstellation ergeben sich die besonderen Chancen und
Herausforderungen der digitalen Transformation für den heimischen Produktionsstandort.
Bayern und Deutschland haben einen im internationalen Vergleich sehr leistungsfähigen industriellen Kern – und befinden sich damit in einer guten Ausgangsposition, die
mit Industrie 4.0 verbundenen Chancen zu nutzen. Besonders die starke Position im
Maschinenbau oder auch in der Elektrotechnik birgt das große Potenzial für Bayern
und Deutschland, eine Vorreiterrolle im digitalen industriellen Wettbewerb zu übernehmen. Deutschland ist aufgrund seiner Spezialisierung auf die Erforschung, Entwicklung
und Fertigung innovativer Produktionstechnologien sowie der Fähigkeit, komplexe industrielle Prozesse zu steuern, einer der konkurrenzfähigsten Industriestandorte und
zugleich ein führender Anbieter von Ausrüstungsgütern weltweit. Mit seinem starken
Maschinen- und Anlagenbau, seiner ausgewiesenen Kompetenz bei eingebetteten
Systemen und in der Automatisierungstechnik verfügt das Land über sehr gute Voraussetzungen, um auch in der Ära von Industrie 4.0 eine Führungsposition in der Produktionstechnik zu verteidigen und damit zum globalen „Ausrüster von Industrie 4.0“ zu
werden. Unternehmen aus sämtlichen Branchen werden aufgrund des sukzessiven
Zusammenwachsens von Produktion und IT ihre Produktionskapazitäten modernisieren – ein gewaltiger Wachstumsmarkt für Unternehmen mit den passenden Produkten
und Lösungen.
Die Achillesferse des heimischen Produktionsstandorts beim Wandel hin zu Industrie
4.0 bildet die eher schwache Wettbewerbsposition des Landes im Bereich Informations- und Kommunikationstechnologien – den originären Branchen der Digitalisierung.
Nicht nur die großen Internetunternehmen wie Google, Amazon, Facebook, Microsoft
oder Apple kommen aus den Vereinigten Staaten. Auch die Start-up-Szene im Bereich
IT ist in Deutschland im internationalen Vergleich unterdurchschnittlich stark ausgeprägt. Im Ergebnis werden maßgebliche neue Technologien – und damit wichtige
Branchenstandards – in diesem Bereich oft nicht in Deutschland und Europa, sondern
in den Vereinigten Staaten oder auch Asien entwickelt und festgelegt.
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Deutschland und Bayern im internationalen
Wettbewerb
Industrie 4.0: Wachstumspotenziale und Konsequenzen für
Produktion, Produkte und Prozesse
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Insgesamt verfügen Bayern und Deutschland über eine prinzipiell gute Ausgangsposition im Wettlauf um Industrie 4.0. Eine gute Ausgangsposition ist jedoch kein Garant
für eine erfolgreiche Zukunft – insbesondere in einer umfassenden Umbruchphase, wie
sie die Digitalisierung darstellt. So waren insbesondere die Unternehmen aus den
deutschen Kernbranchen in der jüngeren Vergangenheit sehr erfolgreich darin, mit
hohen Forschungs- und Entwicklungsanstrengungen ihre Produkte und Lösungen allmählich, Stück für Stück zu perfektionieren. Eine ungleich größere Herausforderung ist
es hingegen, mit disruptiven Innovationen Schritt zu halten – oder diese im Idealfall
selbst zu initiieren. Neuen Mitbewerbern bietet ein solches Umfeld hingegen große
Chancen neu einzusteigen und zu etablierten Anbietern in den Wettbewerb zu treten.
Zahlreiche, auch kleine und mittlere Unternehmen aus dem Verarbeitenden Gewerbe
spüren den Umbruch bereits. So gab im Rahmen der Industrie 4.0-Mittelstandsstudie
der Commerzbank ein Drittel der befragten mittelständischen Industrieunternehmen an,
dass sich in ihrer Branche Schlüsseltechnologien im Umbruch befänden. Bei jedem
fünften Industrieunternehmen bedrohe die Digitalisierung bereits jetzt bewährte Geschäftsmodelle. Zudem berichteten 17 Prozent der Befragten, dass starke branchenfremde Wettbewerber in den Markt drängten. Deutschland als reife Volkswirtschaft mit
zahlreichen etablierten Unternehmen und bis dato erfolgreichen Geschäftsmodellen ist
an dieser Stelle besonders gefordert, wachsam den technologischen Wandel zu antizipieren und seine Wettbewerbsposition mit einer hohen Innovationsdynamik zu verteidigen.
Nur wenn Bayern und Deutschland auch künftig technologisch (mit) an der Spitze bleiben, kann die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts erhalten werden. Derzeit sind Bayern und Deutschland – obwohl Hochlohnstandorte – aufgrund eines hohen Produktivitätsniveaus international sehr wettbewerbsfähig. Gleichwohl ist davon auszugehen,
dass der globale Wettbewerbsdruck künftig noch an Intensität gewinnen dürfte. Der
digitale Wandel bedeutet auch, dass Wissen schneller diffundiert – auch unabhängig
von der größer gewordenen Gefahr von Industriespionage. Im Ergebnis dürfte sich
damit die Dauer eines Technologie- oder eines Produktivitätsvorsprungs, über den
Bayern und Deutschland derzeit noch in vielen Bereichen verfügen, spürbar verkürzen.
Industrie 4.0: Wachstumspotenziale und Konsequenzen für
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Wie verändert Industrie 4.0 die Industriestruktur?
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Wie verändert Industrie 4.0 die Industriestruktur?
Industrie 4.0 verändert Wertschöpfungsverflechtungen und löst Branchengrenzen auf.
Meist stehen die Möglichkeiten zur Erhöhung der Leistungsfähigkeit und Effizienz der
industriellen Produktionsstrukturen im Zentrum der Diskussion um die Auswirkungen
von Industrie 4.0. Gleichwohl hat der digitale Wandel Auswirkungen, die über die Steigerung der Wertschöpfung und die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit im nationalen und internationalen Bereich hinausgehen. Deutliche Veränderungen ergeben
sich auch in Art und Weise der Produktion und in der Struktur der Industrie als Ganzes.
Die Digitalisierung verändert ganz allgemein die Kommunikation zwischen Menschen,
zwischen Mensch und Maschine, aber auch von Maschinen untereinander. Grundlage
dafür sind Technologien, die es ermöglichen, sämtliche Akteure (Mensch wie Maschine) eindeutig zu identifizieren und zu vernetzen. Im Produktionsprozess ermöglicht das
industrielle Internet der Dinge, auf Kundenwünsche besser einzugehen sowie die Automatisierung und flexible Steuerung der Produktion in Echtzeit. Dies ist Industrie 4.0
im engeren Sinne.
Aber die digitale Transformation der Industrie hat weiterreichenden Auswirkungen:
Zum einen werden vormals starre Wertschöpfungsketten von flexiblen Wertschöpfungsnetzwerken abgelöst, in denen unabhängige Akteure zentrale Funktionen der
Wertschöpfung abdecken und über eine gemeinsame Plattform unabhängig und in
Echtzeit miteinander kommunizieren. Zum anderen erlaubt der Einsatz des Internets
der Dinge in der Industrie die Entstehung neuartiger Geschäftsideen und innovativer
Produkte.
Durch welche Entwicklungen werden diese flexiblen plattformbasierten Wertschöpfungsnetzwerke ermöglicht? Zum einen wird die Produktion zunehmend modularisiert.
Die Modularisierung der Produktion beschreibt die verstärkte Aufteilung des Produktionsprozesses in einzelne voneinander unabhängige Wertschöpfungsprozesse. Diese
einzelnen Prozesse können theoretisch von einer unabhängigen Einheit übernommen
werden.
Zum anderen können alle an der Produktion beteiligten Akteure miteinander kommunizieren, vormals intransparente und zeitversetzte Prozessabläufe werden aufgebrochen. In der horizontalen Wertschöpfungskette kann der Informations- und Warenfluss
zwischen den Beteiligten optimiert werden, also zum Beispiel vom Kunden über das
eigene Unternehmen zum Lieferanten und zurück. Es wird möglich, alle Akteure miteinander zu verbinden und den Produktionsprozess strategisch zu steuern. Beispielsweise lässt sich so der der Bedarf an Zubehör oder Reparaturen auch über die Unternehmensgrenzen hinaus ohne Zeitverlust ermitteln und damit die Effizienz des Produktionsprozesses steigern. Gleichzeitig optimiert die Digitalisierung der vertikalen Wertschöpfungskette den Informations- und Datenfluss innerhalb des Unternehmens, also
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Wie verändert Industrie 4.0 die Industriestruktur?
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zwischen Vertrieb, Forschung und Entwicklung, Produktion und Logistik. Informationen
aus der Logistik, etwa zur Nachfrage nach verschiedenen Produktvarianten, können
sich damit schneller in veränderten Produktionsmengen oder Produktvarianten niederschlagen. Hier sind besonders eine verbesserte Vernetzung der einzelnen Einheiten
sowie die Vereinheitlichung der Produktionssysteme und bessere Analysefähigkeiten
der entstandenen Datenmengen ausschlaggebend. So entstehen in der Vision der voll
vernetzten Produktion flexible Wertschöpfungsnetzwerke, in denen alle beteiligten Akteure bei Bedarf über Unternehmensgrenzen hinaus und in Echtzeit miteinander kommunizieren und so Kompetenzen bündeln und die Effizienz der Produktion insgesamt
steigern können.
Des Weiteren erlaubt der skizzierte Wandel der Produktions- und Wertschöpfungsstrukturen im Zuge von Industrie 4.0 die Entstehung neuartiger Geschäftsideen und
innovativer Produkte: Das Aufbrechen der bisher meist intransparenten Abläufe im
Produktionsprozess legt vormals unsichtbare Punkte offen, an denen neue Ertragsquellen erschlossen werden können. Hier ermöglicht die Nutzung und Analyse von Big
Data durch Informations- und Kommunikationstechnologien gänzlich neue Geschäftsmodelle. Im Zentrum stehen die Erhöhung des Kundennutzens und die bessere Annahme von Kundenwünschen. So werden Mehrwertlösungen anstelle von einfachen
Produkten angeboten, etwa indem digitale Serviceelemente ausgebaut oder Produkte
und Produktionsmittel mit Kunden und Partnern vernetzt werden. Die Existenz einer
zugrundeliegenden Plattform, etwa in Form einer gemeinsamen IT-Infrastruktur, auf
deren Basis möglichst viele Akteure innerhalb des Wertschöpfungsprozesses miteinander vernetzt sind, trägt dazu bei, dass es neue Geschäftsmodelle einfacher haben,
sich an aufbrechenden Strukturen anzudocken und an der Wertschöpfung zu beteiligen.
Durch sinkende Fixkosten und Markteintrittsbarrieren können innovative Firmen mit
neuen Geschäftsmodellen so in existierende Märkte eindringen und zu den dort etablierten Firmen in Konkurrenz treten. Gleichzeitig wachsen bestehende Unternehmen
angesichts enger Märkte oft selbst über ihre angestammten Branchentätigkeiten hinaus und suchen neue Wachstumsfelder. Dabei kombinieren sie ihr Geschäftsmodell
etwa mit Leistungen aus anderen Branchen und bieten so effizientere und kundenorientiertere Produkte an. Im Ergebnis verschwimmen zunehmend die herkömmlichen
Branchengrenzen und es entstehen Produkte, welche sich nicht eindeutig einer Branche zuordnen lassen. So haben einige Fahrzeughersteller mit Carsharing-Angeboten
begonnen, umfassendere Mobilitätsdienstleistungen jenseits der bloßen Fertigung bzw.
Bereitstellung des Fahrzeugs anzubieten.
Neue Wettbewerber sind oft innovative Jungunternehmen oder die sogenannten digitalen Ökosysteme wie Amazon und Google. Sie haben bislang vor allem die Informations- und Technologiebranche von Grund auf verändert. Eine solche Entwicklung
zeichnet sich auch in den traditionellen Industriezweigen ab: So bieten Maschinen- und
Anlagebauer nicht mehr nur reine physische Produkte an, sondern lösungsorientierte
Nutzungsmodelle. Es entstehen vermehrt sogenannte hybride Geschäftsmodelle, Industriewaren und Dienstleistungen werden zunehmend gebündelt von einem oder
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Produktion, Produkte und Prozesse
vbw – Oktober 2015
Wie verändert Industrie 4.0 die Industriestruktur?
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mehreren Unternehmen in Kooperation angeboten5. Besonders die digitalen Ökosysteme haben das Potenzial, etablierte Firmen aus Branchen oder Bereichen, die zuvor
von branchenfremden Markteintritten verschont blieben, neue Konkurrenz zu bereiten.
So wird etwa befürchtet, dass sich die digitalen Ökosysteme im Zuge der neuen technologischen Entwicklungen im Bereich selbstfahrender Fahrzeuge zu umfassenden
Mobilitätsanbietern entwickeln und damit das Geschäftsmodell der etablierten Automobilhersteller bedrohen.
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IW / vbw 2015
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Wachstumswirkungen von Industrie 4.0
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Wachstumswirkungen von Industrie 4.0
Industrie 4.0 kann gerade für reife Volkswirtschaften zentraler Wachstumstreiber sein.
Industrie 4.0 verspricht – zumindest in der Theorie – gewaltige Produktivitätsfortschritte
und stellt damit gerade für eine reife Volkswirtschaft wie Deutschland eine zentrale
potenzielle Wachstumsquelle dar.
In einer hoch entwickelten Volkswirtschaft wie Deutschland mit einem hohen Kapitalstock und einem sich abzeichnenden massiven Fachkräftemangel werden in Zukunft
weder von zusätzlichem Kapitalaufbau noch von zusätzlicher Beschäftigung starke
Wachstumsimpulse ausgehen können. Als einziger langfristiger Wachstumstreiber verbleibt der technische Fortschritt. Nur bei steigender Produktivität lässt sich mit einer
gegebenen Faktorausstattung ein Zuwachs an Bruttowertschöpfung und damit Wirtschaftswachstum generieren.
Die enormen Fortschritte im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnik
wirkten bereits in der Vergangenheit stark wachstumsfördernd. Die fortschreitende Digitalisierung im Verarbeitenden Gewerbe zeigte sich innerhalb des Zeitraums von 1998
bis 2012 im Durchschnitt für 0,4 Prozentpunkte Wachstum p.a. verantwortlich – und
damit für knapp ein Drittel des gesamten Wachstums. Im Durchschnitt über alle Branchen liegt der Wachstumsbeitrag der Digitalisierung mit durchschnittlich 0,6 Prozentpunkten sogar noch höher6.
Auch von den im vorangehenden Kapitel skizzierten Umwälzungen im Zuge von Industrie 4.0 dürften positive Wachstumswirkungen ausgehen. Effizientere Produktionsstrukturen und betriebliche Prozesse, neue innovative Produkte sowie damit verbundene Dienstleistungen und Geschäftsmodelle erhöhen das Wachstumspotenzial. Für die
beiden wichtigsten deutschen Industriebranchen Kraftwagenbau und Maschinenbau
wird bis 2025 ein zusätzliches Wertschöpfungspotenzial durch Industrie 4.0 in Höhe
von 2,2 Prozent bzw. 1,5 Prozent p.a. erwartet7. Im Durchschnitt über die insgesamt
sechs analysierten Branchen schätzen die Autoren die Höhe des zusätzlichen Wachstumspotenzials auf 1,7 Prozent p.a. – eine Prognose, die als sehr hoch einzuordnen
ist: Der gesamte Zuwachs an Bruttowertschöpfung im deutschen Verarbeitenden Gewerbe belief sich in den vergangenen zehn Jahren ebenfalls auf durchschnittlich 1,7
Prozent p.a. Einer Unternehmensumfrage von PricewaterhouseCoopers zufolge rechnen die deutschen Industrieunternehmen bereits in den kommenden fünf Jahren mit
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Prognos / vbw 2015a
BITKOM / Fraunhofer IAO
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Wachstumswirkungen von Industrie 4.0
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einem zusätzlichen Umsatzwachstum aufgrund der fortschreitenden Digitalisierung
ihres Produkt- und Leistungsportfolios in Höhe von 2,5 Prozent p.a.
Gleichwohl spiegelt sich der vielfach postulierte Produktivitätssprung durch den vermehrten Einsatz von digitalen Technologien bisher noch nicht in den Produktivitätsstatistiken wider. Vielmehr schwächte sich das Produktivitätswachstum in den entwickelten Volkswirtschaften bereits seit den 1970er Jahren spürbar ab. Der stark zunehmende Einsatz von digitalen Technologien ist scheinbar (bislang) nicht in der Lage, die
Produktivität insgesamt entscheidend zu steigern – dieser Befund wurde unter dem
Begriff „Solow-Paradox“ bekannt. Über die Gründe sind sich Wirtschaftsforscher uneins. Gemäß einem Erklärungsmuster seien die größten produktivitätssteigernden
Auswirkungen der digitalen Revolution schlicht noch nicht spürbar und bräuchten noch
Zeit. Das Ziel der digitalen Vernetzung der gesamten Wertschöpfungskette sei erst in
Ansätzen erreicht. Eine weitere Erklärung lautet, dass zwar die Entwicklung der Technologien schon weit fortgeschritten sei, die Mehrzahl der in den Unternehmen Beschäftigen jedoch noch nicht in der Lage sei, diese auch optimal einzusetzen. Investitionen
allein in neue Technologien seien nicht genug. Diese könnten erst dann ihre volle
Durchschlagskraft entfalten, wenn auch Bildung, Ausbildung und Arbeitsabläufe mit
Investitionen fit für die digitale Zukunft gemacht würden. Darauf – vom digitalen Enabling der Unternehmen bis hin zur Vermittlung digitaler Kompetenzen auf allen Ebenen
des Bildungssystems – zielen auch die Handlungsempfehlungen des Zukunftsrats der
Bayerischen Wirtschaft ab.
In der Theorie versprechen die digitalen Technologien und Industrie 4.0 also gewaltige
Produktivitätspotenziale – ob die digitale Revolution dieses Versprechen tatsächlich
halten kann, muss sich jedoch erst erweisen. Bislang stellen sie sich in weiten Teilen
noch als ein Versprechen für die Zukunft dar.
Dabei ist zu beachten, dass der für das Wachstumspotenzial von entwickelten Volkswirtschaften so wichtige technische Fortschritt auf neue Impulse wie Industrie 4.0 angewiesen ist. Die produktivitätssteigernden Effekte der vorherigen industriellen Revolutionen erschöpfen sich nach und nach. So werden Elektronik und IT – Merkmal der
sogenannten dritten industriellen Revolution – mittlerweile flächendeckend zur Automatisierung der Produktion verwendet. Das weitere Optimierungspotenzial auf diesem
Gebiet dürfte begrenzt sein. Daher ist ein weiterer Technologiesprung wie die postulierte vierte industrielle Revolution notwendig, um überhaupt auf Basis von technischem
Fortschritt künftig nennenswertes Wachstum generieren zu können.
Besondere Aufmerksamkeit bekommen neben den Effekten von Industrie 4.0 auf das
künftige Produktivitäts- und Wachstumspotenzial insbesondere deren Auswirkungen
auf die Arbeitswelt. Einig sind sich Experten darin, dass die Arbeitswelt sich künftig
stark verändern wird. Der technologische Wandel beschleunigt den Strukturwandel in
der deutschen Wirtschaft – und hat entsprechend starke Auswirkungen auf die Nachfrage nach Arbeitskräften und deren Tätigkeits- und Qualifizierungsprofile. Der Einzug
der Digitalisierung in die Lebens- und Arbeitsbereiche ist einer von vier zentralen
Industrie 4.0: Wachstumspotenziale und Konsequenzen für
Produktion, Produkte und Prozesse
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Wachstumswirkungen von Industrie 4.0
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Trends für die künftige Arbeitswelt. Auf gesamtwirtschaftlicher Ebene wird die Verschiebung hin zu wissensintensiven Tätigkeiten weiter fortschreiten8.
Industrie 4.0 wird dafür sorgen, dass sich zahlreiche Tätigkeiten, die heute durch
menschliche Arbeit verrichtet werden, unter Erzielung von Effizienzgewinnen automatisieren lassen. Diese Entwicklung stellt zunächst keine neue Situation dar: Bereits im
Zuge der ersten Industriellen Revolution, eingeleitet durch die Erfindung der Dampfmaschine, ersetzte Technik im großen Umfang die Arbeit von Menschen. Noch weitergehende Automatisierungen erlaubten die zweite und dritte Phase der Industriellen Revolution durch die Erfindung des Fließbands bzw. den flächendeckenden Einsatz von
Mikroelektronik im Produktionsprozess.
Bereits heute werden also zahlreiche Tätigkeiten, die vormals durch menschliche Arbeit verrichtet wurden, automatisiert von Maschinen erledigt. Die bevorstehende Umwälzung durch Industrie 4.0 unterscheidet sich jedoch von der vorhergehenden Entwicklung dahingehend, dass Automatisierung bisher vor allem bedeutete, dass
menschliche Routinearbeiten von Maschinen übernommen wurden: Roboter verdrängten Arbeiter am Fließband, Computer machten viele Routineaufgaben im Büro überflüssig. Nun ist jedoch ein technisches Niveau erreicht oder absehbar, auf dessen Basis auch hochqualifizierte Tätigkeiten substituiert werden könnten.
Einige Studien äußern die Befürchtung, dass – anders als bisher – jene Arbeitskräfte,
die aufgrund der fortschreitenden Automatisierung ihre Jobs verlieren, an anderer Stelle nur noch schwer wieder eine Tätigkeit finden – und in der Summe die Beschäftigung
erheblich abnehmen dürfte. Eine der bekanntesten Studien zu dieser Frage von der
Universität Oxford kam zu dem Schluss, dass bis 2030 rund 47 Prozent aller Arbeitsplätze in den Vereinigten Staaten der von der digitalen Revolution getriebenen Automatisierung zum Opfer fallen könnten9.
Ist also abzusehen, dass Industrie 4.0 sukzessive den Produktionsfaktor Arbeit entwertet und damit niedrige Löhne und hohe Arbeitslosigkeit nach sich zieht? Unstrittig ist,
dass auch künftig bisher manuell verrichtete Tätigkeiten automatisiert werden. Gleichwohl gibt es derzeit keine belastbaren Daten, die die Befürchtung massiver Beschäftigungsrückgänge bestätigen: Trotz eines stetig ansteigenden Digitalisierungsgrads liegt
etwa in Deutschland die Beschäftigung auf einem Rekordniveau. Auch das Zentrum für
Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) wirft ein, dass die Erfahrungen aus vergangenen industriellen Revolutionen gezeigt hätten, dass die Angst vor menschenleeren
Fabriken und Massenarbeitslosigkeit unbegründet sei. So würden sich Tätigkeitsstrukturen und Berufsbilder über die Zeit anpassen, auch völlig neue Berufe könnten entstehen10. Dieses Ergebnis wird durch die Studie Arbeitslandschaft 2040 gestützt: In
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Prognos / vbw (2015c)
Frey / Osborne 2013
Bertschek 2015
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Wachstumswirkungen von Industrie 4.0
Industrie 4.0: Wachstumspotenziale und Konsequenzen für
Produktion, Produkte und Prozesse
vbw – Oktober 2015
den kommenden Jahren wird der Fachkräftemangel in Deutschland sogar zunehmen.
Vor allem Arbeitskräfte mit Berufsabschluss oder Hochschulabsolventen werden zunehmend knapp. Lediglich bei Personen ohne berufliche Bildung ist mit einem zunehmenden Überangebot auf dem Arbeitsmarkt – und damit Arbeitslosigkeit – zu rechnen.
Die größten Engpässe sind dabei im Dienstleistungssektor (insbesondere im Bereich
Gesundheit und Pflege), jedoch auch in der Fertigung sowie der Forschung und Entwicklung im Verarbeitenden Gewerbe zu erwarten11.
An dieser Stelle ist eine stärkere Ausrichtung von Bildung und Ausbildung auf die künftig gefragten Kompetenzen gefordert. Schon heute lässt sich aufzeigen, dass digitalen
Kompetenzen auf dem Arbeitsmarkt eine besondere Rolle zukommen wird. Eine empirische Analyse belegt etwa, dass bessere Informations- und Kommunikationsfähigkeiten mit höheren Löhnen einhergehen12. Dabei ist zu beachten, dass eine verbesserte
Vermittlung von digitalen Fähigkeiten nicht auf den akademischen Bereich beschränkt
sein darf. Auch die berufliche Aus- und Weiterbildung muss stärker auf diese Aspekte
ausgerichtet werden, und die richtigen Grundlagen müssen schon in der Schule geschaffen werden.
Zudem ist in einer stark alternden Gesellschaft wie Deutschland zu beachten, dass
zunehmende Automatisierungsmöglichkeiten in der Arbeitswelt auch große Chancen
eröffnen. Durch den demografischen Wandel nimmt das Arbeitskräftepotenzial ab und
die Beschäftigten werden zunehmend älter. Produktivitätsfortschritte durch Industrie
4.0, die eine höhere Wertschöpfung unter Einsatz von weniger Arbeitskräften ermöglichen, könnten in der Lage sein, die Belastungen des demografischen Wandels abzumildern. Zudem dürften stärker automatisierte Jobs, etwa in der Produktion, körperlich
weniger fordernd und damit auch für ältere Arbeitnehmer künftig besser und länger zu
bewältigen sein.
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Prognos / vbw (2015c)
Falck et al. 2015
Industrie 4.0: Wachstumspotenziale und Konsequenzen für
Produktion, Produkte und Prozesse
vbw – Oktober 2015
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Branchenanalyse
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Branchenanalyse
Industrie 4.0 betrifft alle, jedoch in unterschiedlichem Ausmaß und Geschwindigkeit.
Industrie 4.0 und die Umbrüche, die mit der Digitalisierung der Wertschöpfungskette
einhergehen, betreffen das gesamte Verarbeitende Gewerbe. Gleichwohl sind die einzelnen Branchen unterschiedlich stark von Industrie 4.0 betroffen und die Auswirkungen des technologischen Wandels auf das jeweilige Geschäftsmodell in den Branchen
mehr oder weniger stark zu spüren. Im Ergebnis sind auch die mit Industrie 4.0 verknüpften Chancen und Herausforderungen branchenspezifisch.
So eröffnet Industrie 4.0 etwa dem Maschinenbau zusätzliches Geschäftspotenzial.
Dafür sorgt allein schon der hohe künftige Bedarf an Ausrüstungsgütern: Im Zuge von
Industrie 4.0 wachsen die Informations- und Kommunikationstechnologien in sämtlichen Branchen sukzessive mit der Produktion zusammen. Um die damit verbundenen
Potenziale nutzen zu können, werden die Unternehmen weltweit ihre Maschinen und
Anlagen erneuern. Davon kann der heimische Maschinenbau enorm profitieren, wenn
er das passende Produktportfolio bereithält. In anderen Branchen, wie etwa dem
Kraftwagenbau, sind größere Veränderungen beim Geschäftsmodell abzusehen. Sollten es die großen Automobilhersteller nicht schaffen, sich zu umfassenden Mobilitätsdienstleistern weiterzuentwickeln, könnte der digital getriebene technologische Wandel
dazu führen, dass sie zu bloßen Zulieferern einer Mobilitätsbranche werden und künftig
der Großteil der Wertschöpfung im Bereich Mobilität in anderen Branchen stattfindet.
Auf der anderen Seite kann der Kraftwagenbau noch mehr als andere Branchen von
den künftig flexibleren Produktionsstrukturen profitieren. Ein Beispiel für eine Branche,
in der der digitale Wandel bereits einen großen Teil des ursprünglichen Geschäftsmodells zerstört hat – gleichzeitig aber auch neue Geschäftsfelder eröffnet hat – ist die
Branche Papier, Holz, Druckerzeugnisse.
Einige Studien haben untersucht, wie weit ausgewählte Branchen bereits von der digitalen Transformation betroffen sind. Eine Studie des Bundesverbands der Deutschen
Industrie und Roland Berger identifizierte den Kraftwagenbau als diejenige von insgesamt sechs großen Industriebranchen, in der die digitale Transformation bereits am
weitesten fortgeschritten sei. Etwas zeitverzögert erfolge der digitale Umbruch in der
Medizintechnik, im Maschinenbau sowie in der Elektroindustrie und Energietechnik. In
der Chemischen Industrie und der Luftfahrttechnik dagegen vollziehe sich der digitale
Wandel etwas langsamer13.
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BDI / Roland Berger 2015
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Branchenanalyse
Industrie 4.0: Wachstumspotenziale und Konsequenzen für
Produktion, Produkte und Prozesse
vbw – Oktober 2015
Industrie 4.0 im Maschinenbau
Der Maschinenbau könnte im Vergleich zu anderen Branchen von einem gewissen
Startvorteil bei der Implementierung von Industrie 4.0 profitieren. Zu dieser Einschätzung gelangt etwa der Werkzeugmaschinenhersteller Trumpf: Bereits die aktuellen
Fertigungssysteme besitzen oft schon viele für Industrie 4.0 relevante Merkmale, etwa
einen hohen Automatisierungsgrad und die Vernetzung von Anlagen14. Gleichwohl ist
fraglich, ob es ausreicht, die bestehenden Systeme lediglich zu verändern und weiterzuentwickeln. Bisher konzentriere sich die Branche noch vor allem auf die „digitale
Veredelung“ ihrer Produkte, so die Ergebnisse einer Branchenumfrage. Die übergreifende Vernetzung und Optimierung der Produktionssysteme finde wenig Beachtung.
Die Autoren der Studie folgern daraus, dass die Unternehmen das disruptive Potenzial
von digitalen Geschäftsmodellen (also die Möglichkeit, dass bestehende Geschäftsfelder durch neue Angebote oder Lösungen obsolet werden könnten) noch vielfach unterschätzten und die Möglichkeiten der Entwicklung neuer Geschäftsmodelle erst sehr
wenig genutzt würden15.
Digitalisierungsstrategien sind aber notwendig, um die international führende Position
der deutschen Maschinen- und Anlagenbauer dauerhaft verteidigen zu können. Bereits
heute verlangt der Markt, besonders im hochwertigen Segment, in dem sich die deutschen Maschinen- und Anlagenbauer bewegen, oft das Angebot von Leistungen, die
über die reine Maschine hinausgehen. Künftig wird es noch wichtiger werden, sich mit
innovativen IKT-basierten Leistungen rund um das eigentliche Produkt vom Wettbewerb abzusetzen. Doch die Entwicklung wird darüber hinausgehen, so etwa das
Fraunhofer Institut für Optronik, Systemtechnik und Bildauswertung (IOSP): Software
werde künftig zum eigenständigen Bestandteil des Produktionsprozesses werden, mit
den Herausforderungen eines professionellen Softwareentwicklungsprozesses, Qualitätssicherung für Software, Modellen für Software-Wartung und -Service bis hin zur
Anpassung der Vertriebsorganisation, die künftig in der Lage sein muss, auch IKTProdukte und deren Nutzen zu verkaufen. Die Unternehmen seien jedoch bisher noch
viel zu zögerlich bei zielgerichteten Investitionen im Bereich Software, warnt das Institut16.
Dabei dürften sich Investitionen in diesem Bereich auszahlen: Industrie 4.0 bietet insbesondere dem deutschen Maschinenbau – hier sind sich die Experten einig – sehr
gute Markt- und Wachstumschancen. Ziel für Deutschland muss sein, der Leitanbieter
für Cyber-Physische Systeme zu werden und Vorreiter bei der Entwicklung von Industrie 4.0-Anwendungen und Produktlösungen zu werden. Ihren Vorsprung in der Produk-
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BITKOM / Fraunhofer IAO 2014
Fraunhofer IPA / Wieselhuber 2015
Sauer 2013
Industrie 4.0: Wachstumspotenziale und Konsequenzen für
Produktion, Produkte und Prozesse
vbw – Oktober 2015
Branchenanalyse
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tionstechnik könnten die deutschen Anbieter nur verteidigen, wenn sie es schaffen,
intelligente Produkte und Dienstleistungen für andere Branchen zu entwickeln und zugleich die neuen Möglichkeiten zur Optimierung der eigenen Produktionsprozesse konsequent nutzen. Dabei kann der heimische Maschinenbau auf bestehenden Stärken
aufbauen. Deutsche Unternehmen gelten insbesondere bei der Erarbeitung von Standards für Automatisierungs- und Prozesstechnologien international als führend, so ein
Ergebnis der Studie Bayerns Zukunftstechnologien17. Als mögliches Risiko für die
Branche wird auch hier das Fehlen von einheimischen Akteuren im Bereich Informations- und Kommunikationstechnologien gesehen, die wirklich an den Standardsetzungen und den umwälzenden globalen Technologieentwicklungen auf den verschiedenen
Stufen (Hardware, Software, Big Data, etc.) gestaltend beteiligt sind.
Besonders große Chancen für die eigene Branche durch die digitale Transformation
sehen vor allem Unternehmen aus der Energietechnik, gefolgt von der Chemischen
Industrie. Auch die Unternehmen aus dem Kraftwagenbau sehen größtenteils gute
Chancen durch den digitalen Wandel. Im Maschinen- und Anlagenbau, der Elektroindustrie und der Medizintechnik ist die Erwartungshaltung niedriger. Gleichwohl ist zu
beachten, dass hier die Unternehmer vor allem mögliche Kosteneinsparungen im Blick
hatten und weniger stark weitergehende Aspekte wie die Entwicklung potenzieller neuer Produktlösungen oder Geschäftsfelder18.
Industrie 4.0 im Kraftwagenbau
Aufgrund der fortschreitenden Digitalisierung sind im Kraftwagenbau Entwicklungen zu
erwarten, die das heutige Geschäftsmodell des Fahrzeugbaus in seinem Kern berühren und stark verändern können. Es wird daher zunehmend bedeutsam, den Verkehr
aus systemischer Perspektive heraus als intelligentes System zu begreifen. Damit
werden die vorherrschenden Automotive-Konzepte, die stark auf den Individualverkehr
beruhen, zukünftig einem Anpassungsdruck unterliegen. Insgesamt könnte die Entwicklung dazu führen, dass die heutigen Autobauer ihren Status als Anbieter der
Schlüsseltechnologie im Bereich Mobilität verlieren. Im Extremfall könnte die Rolle der
der Autobauer künftig auf Zulieferer der Mobilitätsbranche beschränkt sein und Großteile der Wertschöpfung sich in andere Branchen verlagern. Dieser Fall mag das Extrem einer möglichen Entwicklung darstellen – unbestritten ist gleichwohl, dass sich
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Prognos / vbw 2015b
BDI / Roland Berger 2015
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Branchenanalyse
Industrie 4.0: Wachstumspotenziale und Konsequenzen für
Produktion, Produkte und Prozesse
vbw – Oktober 2015
auch für den Kraftwagenbau zukünftig mehr und neue Abhängigkeiten von der IKTBranche ergeben19.
Industrie 4.0 wird in den kommenden Jahren auch im Kraftwagenbau die Produktionsformen und die Wertschöpfungsketten verändern. Die große Mehrheit der Branche
erwartet, dass Industrie 4.0 einen wesentlichen Beitrag zur Lösung der zentralen Herausforderungen leistet. Künftig stiegen vor allem die Anforderungen an die Flexibilität
der Produktion, so Befragungsergebnisse einer Studie von MHP: Die Kunden verlangten nach maßgeschneiderten Produkten, die Märkte zeigten sich zunehmend volatiler
und der globale Wettbewerbsdruck nähme zu. Gleichzeitig verkürzten sich die
Produkt-, Markt-, Technologie- und Innovationszyklen. In der Folge müssten die Unternehmen besser als bisher in der Lage sein, passgenau auf den Kundenwunsch oder
auf kurzfristige Nachfrageveränderungen oder Veränderungen in der Wertschöpfungskette zu reagieren20.
Stärker als in anderen Branchen setzt diese Konstellation die Unternehmen unter
Druck: Auf der einen Seite zwingen die sehr hohen Entwicklungskosten – etwa bei der
Entwicklung von sparsameren oder alternativen Antrieben – zu hohen Stückzahlen. Die
Autobauer wachsen oder gehen vermehrt Entwicklungspartnerschaften ein. Auf der
anderen Seite geht der Trend zur Modellvielfalt und maßgeschneiderten Endprodukten
– besonders lukrativ ist oft die Besetzung von Produktnischen.
Die neuen technologischen Lösungen von Industrie 4.0 können helfen, hochflexibel auf
die oben beschriebenen sich ständig verändernden Bedingungen zu reagieren – indem
die im Kraftwagenbau über den gesamten Globus verteilten Produktionseinheiten der
Unternehmen oder ihrer Zulieferer nicht mehr autonom für sich, sondern in Echtzeit
abgestimmt arbeiten. Auf diese Weise lassen sich neue Ansätze zum Management von
global verteilten Produktionssystemen realisieren. Teilsysteme, die verteilt und nicht
aufeinander abgestimmt sind, können nun vernetzt und über direkte Interaktionen miteinander synchronisiert werden. Dadurch wird der direkte Austausch von Produktionsund Prozessdaten in Echtzeit möglich. Fällt etwa ein Standort aus, könnte schnell ein
alternativer Standort hochgefahren werden und Materialen und Vorprodukte schnell zu
diesem Standort umgelenkt werden.
Das höchste zusätzliche Wertschöpfungspotenzial in absoluten Werten wird in den
kommenden zehn Jahren im Maschinen- und Anlagenbau gesehen, gefolgt vom Kraftwagenbau. Bei der Dynamik, das heißt bezogen auf die erwarteten jährlichen Industrie
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Prognos / vbw (2015b)
MHP 2015
Industrie 4.0: Wachstumspotenziale und Konsequenzen für
Produktion, Produkte und Prozesse
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Branchenanalyse
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4.0-induzierten Zuwächse an Bruttowertschöpfung liegt der Maschinenbau ebenfalls an
der Spitze, gleichauf mit der Elektrotechnik und der Chemischen Industrie 21.
Industrie 4.0 in der Beispielbranche Papier, Holz und Druckerzeugnisse
Die Branche Papier, Holz und Druckerzeugnisse eignet sich wie kaum eine andere
Branche, um das disruptive Potenzial der fortschreitenden Digitalisierung für einige
traditionelle Industriebereiche zu veranschaulichen. So klagte etwa im vergangenen
Jahr der finnische Ministerpräsident, dass neue, auf digitalen Technologien beruhende,
Produkte zwei entscheidende Wirtschaftszweige des Landes vernichtet hätten: „Man
könnte sagen, dass das iPhone Nokia gekillt hat und das iPad die finnische Papierindustrie"22.
Gleichwohl bieten sich auch einer massiv vom Umbruch geprägten Branche wie Papier, Holz und Druckerzeugnisse Chancen durch die Digitalisierung – und innovative
Unternehmen profitieren davon: Eine wichtige Voraussetzung für das Funktionieren
von Industrie 4.0 ist die Möglichkeit, Objekte wie etwa weiterzuverarbeitende Zwischenprodukte automatisch und berührungslos identifizieren und lokalisieren zu können. Diese Möglichkeit bietet die radio-frequency identification (RFID), zu Deutsch:
Identifizierung mithilfe elektromagnetischer Wellen. Objekte werden mit einem Transponder versehen und können mithilfe eines geeigneten Lesegeräts identifiziert werden.
Unter anderem können die Transponder durch ein spezielles Druckverfahren produziert werden – aufgrund der geringen Größe dieser Transponder und den niedrigen
Herstellungskosten eine vielversprechende Technologie.
Eine Technologie, deren Potenzial unter anderem auch von deutschen Unternehmern
aus der Branche Papier, Holz und Druckerzeugnisse erkannt wurde. So gründeten
etwa 2007 die Felix Schoeller Gruppe, ein deutscher Hersteller von Spezialpapier, sowie Wilms Supply Chain Technologies, ein deutscher Hersteller von HolzSpezialverpackungen, ein Tochterunternehmen, das RFID-gestützte Lösungen für das
Supply Chain Monitoring entwickelt und implementiert. Damit schafften es die Unternehmen auf Grundlage von vorhandenen Kompetenzen – der Herstellung und dem
Druck technischer Spezialpapiere und Folien sowie von herkömmlichen Logistiklösungen – in ein neues Technologiefeld vorzustoßen und ein neues Geschäftsfeld zu besetzen.
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BITKOM / Fraunhofer IAO 2014
CNBC 2014
Industrie 4.0: Wachstumspotenziale und Konsequenzen für
Produktion, Produkte und Prozesse
vbw – Oktober 2015
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Chancen, Risiken und Handlungsbedarf
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Chancen, Risiken und Handlungsbedarf
Chancen von Industrie 4.0 für den Standort Bayern nutzen.
Der technologische Fortschritt und die fortschreitende Digitalisierung treiben die vierte
industrielle Revolution weiter voran. Inwiefern sind mit Industrie 4.0 besondere Chancen für den Freistaat Bayern verbunden?
Durch Industrie 4.0 wachsen die Informations- und Kommunikationstechnologien mit
der Produktion zusammen. Um die damit verbundenen Potenziale nutzen zu können,
werden die Unternehmen weltweit ihre Maschinen und Anlagen erneuern. Deutschland
ist Marktführer im Maschinenbau, die heimischen Unternehmen beherrschen die komplexen automatisierten Systeme in vielen Bereichen besser und sicherer als Unternehmen aus anderen Ländern. Gelingt es, diesen Vorsprung zu halten, eröffnen sich
den bayerischen und deutschen Unternehmen große Marktchancen als Ausrüster für
Industrie 4.0.
Deutschland hat vergleichsweise hohe durchschnittliche Lohnstückkosten. Insbesondere die Produktion von arbeitsintensiveren Massenprodukten wurde in der Vergangenheit oft in weniger entwickelte Volkswirtschaften mit niedrigeren Arbeitskosten verlagert. Industrie 4.0 ermöglicht zum einen eine Flexibilisierung der Produktion: Produkte
können künftig ohne erheblichen Mehraufwand individualisiert und in geringer Losgröße hergestellt werden. Zum anderen wird die Produktion weiter automatisiert. Spielen
die Größe der Produktionsanlagen sowie die Arbeitskosten künftig eine weniger wichtige Rolle, dürfte der Hochlohnstandort Deutschland relativ an Attraktivität gewinnen.
Eine der größten Herausforderungen für Bayern und Deutschland ist der demografische Wandel. In den kommenden Jahren wird unsere Gesellschaft massiv altern und
das Arbeitskräftepotenzial wird erheblich schrumpfen. Industrie 4.0 ist unter zwei Aspekten geeignet, die Folgen des demografischen Wandels abzumildern: Zum einen
besteht die Möglichkeit, mithilfe einer weiteren Automatisierung die Arbeitsproduktivität
zu erhöhen – und damit trotz einer schrumpfenden Arbeitskräftezahl Wertschöpfung
und Einkommen zu steigern. Zum anderen können intelligente Maschinen und Roboter
den Arbeitnehmer besser als bisher bei der Produktion unterstützen und entlasten.
Damit steigen die Erfolgsaussichten, auch in (bisher) körperlich fordernden Berufsfeldern die Lebensarbeitszeit zu verlängern.
Neben den Chancen von Industrie 4.0 bestehen auch erhebliche Herausforderungen
auf dem Weg in die digitale Zukunft. Im Zuge von Industrie 4.0 wachsen Produktion
und Informations- und Kommunikationstechnologien zusammen. Alle für die kommenden Jahre wichtigen Technologieentwicklungen beeinflussen sich gegenseitig und haben zum Teil tiefgreifende Auswirkungen auf die Industriestruktur, die Produktionsprozesse und Wertschöpfungsketten. Dabei treibt insbesondere die Digitalisierung die
Entwicklung voran. In der Folge müssen Unternehmen stärker als bisher „benachbarte“
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Chancen, Risiken und Handlungsbedarf
Industrie 4.0: Wachstumspotenziale und Konsequenzen für
Produktion, Produkte und Prozesse
vbw – Oktober 2015
Technologien im Blick haben. Eine Herausforderung für Bayern ist, dass ein wesentlicher Teil des wichtigen Technologiefeldes Digitalisierung und Informations- und Telekommunikationstechnik im Inland nicht abgedeckt ist – der Aufbau und die Sicherung
von Systemkompetenz werden dadurch erschwert. Es fehlen insbesondere große Internetunternehmen – und damit Firmen, die im großen Umfang den wichtiger werden
„Rohstoff Daten“ generieren. Daher könnten den bayerischen und deutschen Unternehmen mögliche Partner auf dem heimischen Markt fehlen. Dies könnte etwa für den
Fahrzeugbau eine potenzielle Gefahr bedeuten: Gelingt es etwa großen Internetunternehmen auf Grundlage ihrer großen Datenbasis und Nähe zu potentiellen Endkonsumenten diesen integrierte Mobilitätskonzepte anzubieten, könnten die tradierten Fahrzeughersteller ihre zentrale Stellung verlieren – und im Extremfall nur noch als Zulieferer der Mobilitätsbranche fungieren23.
Um mit den neuen technologischen Entwicklungen mithalten zu können, sind die Unternehmen gefordert, noch stärker als bisher in den Aufbau von Know-how und Kompetenz im Bereich Industrie 4.0 zu investieren. Insbesondere der für Bayern wichtige
Mittelstand hat hier noch Nachholbedarf. In einem Umfeld, in dem sich Schlüsseltechnologien im Umbruch befinden und viele bisherige Geschäftsmodelle durch technologischen Wandel infrage gestellt werden, besteht eine erhöhte Gefahr, dass die etablierten Unternehmen von neuen Wettbewerbern vom Markt gedrängt werden. Die heimischen Unternehmen und insbesondere der Mittelstand müssen ihre Investitionen in
Industrie 4.0-Technologien und deren Forschung und Entwicklung erhöhen – trotz der
oft noch unsicheren Wirtschaftlichkeitsrechnung in diesem Bereich. Dass diese Herausforderung zu meistern ist, zeigt die Gruppe der „digitalen Innovatoren“ – dazu zählen gemäß der Commerzbank-Mittelstandsstudie 15 Prozent der deutschen Mittelständler. Diese Vorreiter setzen besonders häufig neue, digitale Technologien ein, vernetzen ihre Wertschöpfungsketten, digitalisieren ihre Produktion und entwickeln neue
Geschäftsmodelle. Bayern liegt mit einem Anteilswert an digitalen Innovatoren von
18 Prozent in dieser Kategorie bundesweit an der Spitze.
Auf der einen Seite sind also die bayerischen Unternehmen gefordert, die mit Industrie
4.0 verbundenen Chancen mutig zu ergreifen und die Herausforderungen entschlossen
anzugehen. Auf der anderen Seite können die öffentlichen Hand und die Industrieverbände wertvolle Unterstützung leisten.
Politik und Industrieverbände können insbesondere bei der Erarbeitung von verbindlichen Industriestandards, die die Kommunikation zwischen verschiedenen IKTAnwendungen ermöglichen, sowie durch die Etablierung von zeitgemäßen Richtlinien
zu Datenschutz und Datensicherheit eine wichtige Rolle spielen. Die Bedeutung von
sicherer Hardware, Software, Netzen und Daten wird im Zuge der flächendeckenden
Einführung von vernetzten System enorm zunehmen: In einer vernetzten Umgebung
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Prognos / vbw (2015b)
Industrie 4.0: Wachstumspotenziale und Konsequenzen für
Produktion, Produkte und Prozesse
vbw – Oktober 2015
Chancen, Risiken und Handlungsbedarf
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kann bei Sicherheitspannen gegebenenfalls die gesamte Produktion zum Stillstand
gebracht werden.
Die flächendeckende Anwendung von Industrie 4.0-Technologien ist auf eine adäquate
Infrastruktur, insbesondere auf schnelle und leistungsfähige Netze angewiesen. Besonders der Ausbau des Breitbandnetzes spielt in diesem Bereich eine zentrale Rolle.
Eine herausgehobene Bedeutung nehmen in einem hoch innovativen Bereich wie Industrie 4.0 die Forschung und Entwicklung von neuen Produkten und Lösungen ein.
Bayern und Deutschland verfügen über eine gute Forschungsinfrastruktur. Dazu gehören neben den Universitäten und institutionellen Forschungseinrichtungen auch außeruniversitäre Forschungs-, Erprobungs- und Prüfeinrichtungen. Besonders erfolgversprechend ist eine weitere Stärkung der Netzwerkbildung zwischen Unternehmen,
Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen, so eine der zentralen
Empfehlungen des Zukunftsrates der Bayerischen Wirtschaft. Gestärkt werden sollte
zudem die Verfügbarkeit von Investitions- und Wagniskapital gerade für innovative junge und kleine Unternehmen. Forschung und Entwicklung auf Unternehmensebene ließe sich zudem durch ein verbessertes steuerliches Anreizsystem stärken.
Neben dem Augenmerk auf die technologischen Aspekte wird vor allem auch der Bereich Bildung als wichtiger Handlungsbedarf identifiziert. Die Arbeitnehmer sind zur
Betreuung von vollständig vernetzten und digitalen Produktionsprozessen auf einen
sicheren und selbstverständlichen Umgang mit Informations- und Kommunikationstechnologien angewiesen. Dementsprechend sollte sowohl im Bereich schulischer Bildung als auch der Erwachsenenbildung den digitalen Fähigkeiten eine weit größere
Bedeutung zugestanden werden. Nicht nur die öffentliche Hand ist an dieser Stelle
gefordert. Auch die Unternehmen sind gefragt, die Qualifizierung ihrer Mitarbeiter an
die Anforderungen der digitalen Welt durch geeignete Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen sicherzustellen.
Nicht zuletzt sind die öffentliche Meinung bzw. ein innovationsfreundliches gesellschaftliches Klima ein wichtiger Aspekt für die Diffusion von technologischen Entwicklungen, die erlauben, das volle Potenzial von Industrie 4.0 auszuschöpfen. Der Erfolg
eines Innovationsprozesses, so der Zukunftsrat der Bayerischen Wirtschaft, hänge
nicht nur von der technischen Innovation und den Diskussionen um eine Verbesserung
der ökonomisch institutionellen Rahmenbedingungen ab, sondern auch von der öffentlichen Akzeptanz – es gilt daher, die Anwender von Anfang an mitzunehmen24.
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Zukunftsrat (2015)
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Chancen, Risiken und Handlungsbedarf
Industrie 4.0: Wachstumspotenziale und Konsequenzen für
Produktion, Produkte und Prozesse
vbw – Oktober 2015
Industrie 4.0 – eine Revolution mit evolutionärem Charakter
Ist „Industrie 4.0“, die postulierte vierte industrielle Revolution, in der Dimension ihrer
Auswirkungen mit den vorherigen industriellen Revolutionen – Mechanisierung, Industrialisierung, Automatisierung – vergleichbar?
In einer Vision, in der die Industrieproduktion flächendeckend vom Industrie 4.0-Ansatz
durchdrungen ist, steuern sich Aufträge selbstständig durch ganze Wertschöpfungsketten, buchen ihre Bearbeitungsmaschinen und das Produktionsmaterial eigenständig
und organisieren auch ihre Auslieferung zum Kunden. Auch wenn der Wandel im Produktionsprozess bereits eingesetzt hat, wird es aus heutiger Perspektive noch lange
dauern, bis die Produktion (zumindest zum größten Teil) nach dem beschriebenen
Muster funktioniert. Vor diesem Hintergrund ist der Begriff „Revolution“ sehr umfassend
gewählt (Fraunhofer IAO 2013).
Die Auswirkungen eines flächendeckenden Einsatzes von Industrie 4.0 in der Produktion haben tatsächlich das Potenzial für eine revolutionäre Umwälzung. Die Verbreitung
von Industrie 4.0 wird aber nach Einschätzung der Mehrheit der Studien zum Thema
evolutionär ablaufen. So schätzt eine Studie von McKinsey, dass der Übergang zur
Industrie 4.0 anders als bei vorherigen Technologiesprüngen schrittweise erfolgen
wird. Die Autoren gehen davon aus, dass in den kommenden zehn Jahren in der Industrie rund 40 Prozent bis 50 Prozent des Maschinenparks ausgetauscht würden –
deutlich weniger im Vergleich zu rund 90 Prozent im Zuge der industriellen Automatisierung, der sogenannten dritten industriellen Revolution. Bei einem großen Teil des
Maschinenparks, so die Meinung der im Rahmen der Studie befragten Unternehmensexperten, sei ein „Update“ an die Erfordernisse von Industrie 4.0 möglich (vorwiegend
um die Funktionalität in den Bereichen Sensorik und Konnektivität anzupassen).
Der evolutionäre Charakter des Einzugs von Industrie 4.0 könnte den Besonderheiten
des deutschen Produktionsstandorts entgegenkommen, so etwa die Industrie 4.0Mittelstandsstudie der Commerzbank: „Deutschland ist nicht das Silicon Valley. Hier
wird eher evolutionär perfektioniert, als das Unternehmen über Nacht ganz neue Geschäftsmodelle an den Start bringen.“ Dementsprechend seien Digitalisierung und Industrie 4.0 hierzulande keine Revolution, sondern eine Evolution 25. Gleichwohl ist zu
bedenken, dass einzelne Teilbereiche und Geschäftsmodelle im Verarbeitenden Gewerbe durchaus von disruptiven Veränderungen betroffen sein werden. In diesem Fall
ist es für die etablierten Anbieter von entscheidender Bedeutung, sich selbst an disruptiven Innovationen zu beteiligen. Dazu ist das treffsichere und frühzeitige Erkennen der
neuen Technologie und ihrer kommenden Bedeutung entscheidend.26
25
26
Commerzbank (2015)
Zukunftsrat (2015)
Industrie 4.0: Wachstumspotenziale und Konsequenzen für
Produktion, Produkte und Prozesse
vbw – Oktober 2015
Glossar
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Glossar
Anwendungen
Anwendungen (Englisch: Applications) umfassen ganz allgemein Softwaresysteme und -programme zur Problemlösung oder Unterstützung der Funktionalität für den Benutzer. Industrie 4.0-Anwendungen sind Programme
und Prozesse, die digitale Schlüsseltechnologien, in der Industrie vor allem
Cyberphysische Systeme bzw. das Internet der Dinge, verwenden. In der
Praxis reichen Industrie 4.0-Anwendungen von Bestandteilen der intelligenten Fabrik (Predictive Maintenance, Augmented Operators etc.) über Social
Machines bis hin zu Softwareprogrammen („Apps“), mit Maschinen gesteuert werden oder Kundenanforderungen besser und schneller erfüllt werden
können.
Augmented Operators
Mitarbeiter, die IT-basierte Assistenzsysteme nutzen. Zum Beispiel helfen
Datenbrillen („Smart Glasses“) die Effizient und Sicherheit in Lager- und
Logistikprozessen zu erhöhen, indem wichtige Informationen in das Sichtfeld des Augmented Operators eingeblendet werden (BITKOM 2015).
Cloud Computing
Das Cloud Computing bildet eine Plattform zur Speicherung von Daten,
zum Angebot von Applikationen (Anwendungen oder Apps) sowie zur Ausführung von Anwendungen im Intra- bzw. Internet. Die intelligenten Objekte, Produkte, Maschinen und internen IKT-Systeme sind über Kommunikationsnetze mit der Cloud verbunden (BITKOM und Fraunhofer IAO 2014).
Cyber-physische
Cyber-Physische Systeme (CPS, engl. Cyber-Physical Systems) sind mit
Systeme
einer eigenen dezentralen Steuerung (engl. embedded systems) versehene intelligente Objekte, welche in einem Internet der Daten und Dienste
miteinander vernetzt sind und sich selbstständig steuern (Fraunhofer IAO
2013).
Global Facilities
Vernetzung von Produktionssystemen über Unternehmensgrenzen hinweg,
etwa mit Kunden und Zulieferern.
Eingebettete Systeme
Eingebettete Systeme (engl. Embedded Systems) sind mit Mikrocontrollern, Kommunikationssystemen, Identifikatoren, Sensoren und Aktoren
ausgerüstete (vormals) passive Objekte. Diese bilden dann die Grundlage
für die intelligente Vernetzung von Objekten in der Industrie 4.0 (BITKOM
und Fraunhofer IAO 2014).
Horizontale Wertschöp-
Informations- und Warenfluss vom Kunden über das eigenen Unternehmen
fungskette
und zurück. Bei der Digitalisierung der horizontalen Wertschöpfungskette
werden sowohl alle unternehmensinternen Bereiche wie Einkauf, Produktion, Planung als auch die externen Wertschöpfungspartner miteinander
verbunden und vorausschauend gesteuert (PwC 2014).
Industrie 4.0
Unter „Industrie 4.0“ wird die beginnende vierte industrielle Revolution nach
Mechanisierung, Industrialisierung und Automatisierung
verstanden. Zentrales Element sind vernetzte Cyber-Physische Systeme
(Fraunhofer IAO 2013).
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Internet der Dinge
Glossar Industrie 4.0: Wachstumspotenziale und Konsequenzen für Produktion,
Produkte und Prozesse
vbw –Oktober 2015
Das Internet der Dinge (Englisch: Internet of Things) bezeichnet das Zeitalter mobiler Endgeräte, die intelligent werden, also selbstständig miteinander Informationen über das Internet austauschen. Ziel ist es dabei, die
virtuelle mit der realen Welt zu vereinen. Grundlage für das Internet der
Dinge ist die Entwicklung der RFID-Technologie, durch die Waren und
Geräte nicht nur eine eigene Identität in Form eines Codes erhalten, sondern auch Zustände erfassen und Aktionen ausführen können.
Predictive Maintenance
Die auf der Echtzeit-Analyse von Big Data basierende vorausschauende
Wartung der Fabrikausstattung. Durch den Abgleich mit historischen Daten
können Muster von Funktionsausfällen erkannt und mögliche Ausfälle besser vorhergesagt und verhindert werden (BITKOM 2015).
RFID
Die Radio-Frequency Identification (deutsch: Identifizierung mit elektromagnetischen Wellen) ist eine Form von Identifikatoren eines eingebetteten
Systems, beruhend auf der Hochfrequenzübertragung von Information.
RFID ist eine sog. Querschnittstechnologie und kann nicht nur Objekten
eine eigene, eindeutige Identifikation zuweisen, sondern auch Zustände
erfassen und Aktionen ausführen. RFID gilt als Basistechnologie des Internets der Dinge (Fraunhofer IAO 2014).
Smart Factory
Ein cyber-physisches Produktionssystem kann auch als ein Netzwerk von
Social Machines aufgefasst werden. Analog zu sozialen Netzwerken im
Internet, tauschen intelligente, soziale Maschinen untereinander und mit
den intelligenten Objekten kontextbezogen und übergreifend, Informationen
über Aufträge und Zustände aus, um gemeinsam Abläufe und Termine zu
koordinieren. Ziel des sozialen Netzwerks aus Maschinen und Objekten ist
das Erreichen eines Gesamtoptimums bezüglich Durchlaufzeit, Qualität
und Auslastung (BITKOM und Fraunhofer IAO 2014).
Smart Products
Intelligente Produkte speichern auf integrierten Datenchips Informationen
zu ihren Eigenschaften oder zu ihrer Nutzung, wodurch Anlagen und Produkte während des Herstellungsprozesses miteinander kommunizieren
können (BITKOM 2015).
Social Machines
Mechanismen für den Informationsaustausch zwischen Menschen, Maschinen und Ressourcen, die vergleichbar sind mit sozialen Netzwerken.
Während die Vernetzung von autarken Maschinen bereits seit 20 Jahre in
Fabriken umgesetzt wird, sieht die Vision vor, dass Maschinen zukünftig
lernen, sich selbstständig immer wieder zu vernetzen und ihre Partner
automatisch zu finden (BITKOM 2015).
Vertikale Wertschöp-
Die vertikale Wertschöpfungskette bezeichnet den Informations- und Da-
fungskette
tenfluss innerhalb des Unternehmens, also zwischen Produktentwicklung,
Produktion, Logistik und Vertrieb.
Industrie 4.0: Wachstumspotenziale und Konsequenzen für
Produktion, Produkte und Prozesse
vbw – Oktober 2015
Literaturverzeichnis
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Literaturverzeichnis
BDI / Roland Berger (2015): Die digitale Transformation der Wirtschaft, Bundesverband der Deutschen
Industrie und Roland Berger Strategy Consultants, 2015.
Bertschek, Irene (2015): Industrie 4.0: Kein Spiel für Einzelkämpfer, ifo Schnelldienst 10/2015.
Buhr, Daniel (2015): Weit mehr als Technik: Industrie 4.0, ifo Schnelldienst 10/2015.
BITKOM (2015): Industrie 4.0, Winfried Holz, BITKOM-Präsidium, Präsentation in Hannover, 13.04.2015.
BITKOM / Fraunhofer IAO (2014): Industrie 4.0 - Volkswirtschaftliches Potenzial für Deutschland, Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien e. V. und Fraunhofer Institut für
Arbeitswirtschaft und Organisation, 2014.
BGC (2015): Industry 4.0. The Future of Productivity and Growth in Manufacturing Industries, The Boston
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Commerzbank (2015): Management im Wandel: Digitaler, effizienter, flexibler! Commerzbank, 2015.
CSC (2015): Industrie 4.0. Ländervergleich Deutschland, Österreich und Schweiz, Computer Sciences
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Economist (2015): Productivity: Technology isn’t working, The Economist, Special Report: The World
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Falck, Oliver et al. (2015): Industrie 4.0: Erwartungen und absehbare Effekte, ifo Schnelldienst 10/2015.
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vbw –Oktober 2015
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Industrie 4.0: Wachstumspotenziale und Konsequenzen für
Produktion, Produkte und Prozesse
vbw – Oktober 2015
Ansprechpartner / Impressum
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Ansprechpartner
Christine Völzow
Büroleiterin des Präsidenten und des Hauptgeschäftsführers
Telefon 089-551 78-104
Telefax 089-551 78-116
[email protected]
Impressum
Alle Angaben dieser Publikation beziehen sich grundsätzlich sowohl
auf die weibliche als auch auf die männliche Form. Zur besseren
Lesbarkeit wurde meist auf die zusätzliche Bezeichnung in weiblicher
Form verzichtet.
Herausgeber:
Weiterer Beteiligter:
vbw
Vereinigung der Bayerischen
Wirtschaft e. V.
Dr. Michael Böhmer
Leiter Bereich Volkswirtschaftliche und Gesellschaftliche
Grundsatzfragen
Chefökonom
Prognos AG
Max-Joseph-Straße 5
80333 München
www.vbw-bayern.de
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