AG9_2015-16

Arbeitsgemeinschaft (AG) BGB Allgemeiner Teil
AG BGB-AT IX
Daniela Pfau
Wissenschaftliche Mitarbeiterin
Raum: 2013
[email protected]
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Wiederholung
Scheingeschäft §117 BGB
•
Bei einem Scheingeschäft nach§117 I BGB ist grdsl. das zum Schein abgeschlossene
Geschäft nichtig.
•
Das verdeckte Geschäft ist zwar nach§117 II BGB gültig
aber Formerfordernis beachten!!!
– Das Formerfordernis kann bei Grundstücksverträgen auch nicht abbedungen werden.
– Das Formerfordernis kann auch durch die Regel der falsa demonstratio nicht
eingehalten werden:
• BGH: Regel anwendbar, aber bei der scheingeschäftlichen absichtlichen Falschangabe fehlt
die Schutzbedürftigkeit der Parteien.
• A.A.: Die Kombination aus Scheingeschäft und verdecktem Geschäft sind zwei RG. Die falsa
demonstratio ist nur bei einem RG anwendbar.
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Anfechtung – Prüfungsschema
Prüfungsschema zur Anfechtung
Das RG könnte jedoch gem.§142 I BGB nichtig sein. Dazu müsste das RG wirksam
angefochten sein.
Dies ist der Fall, wenn:
• eine Anfechtungserklärung durch den Anfechtungsberechtigten gegenüber dem
richtigen Anfechtungsgegner erfolgt ist,
• ein Anfechtungsgrund vorliegt, der für die Abgabe der WE kausal war,
• die Anfechtung innerhalb der Anfechtungsfrist erfolgt ist,
• keine Bestätigung des RG durch den Anfechtungsberechtigten erfolgt ist.
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Anfechtung – Prüfungsschema
I. Anfechtungserklärung,§143 BGB
Unzweideutige Aussage  erkennbar welches Geschäft gemeint ist
 Abgabe der WE
 Zugang der WE beim Anfechtungsgegner
richtiger Anfechtungsgegner,§143 II, III, IV BGB
II. Anfechtungsgrund
Inhaltsirrtum,§119 I Alt.1 BGB
Erklärungsirrtum,§119 I Alt.2 BGB
Eigenschaftsirrtum,§119 II BGB
falsche Übermittlung,§120 BGB
Arglistige Täuschung,§123 I Alt.1 BGB
Widerrechtliche Drohung,§123 I Alt.2 BGB
Kausalität für die Abgabe der WE  subjektive Kausalität
 objektive Kausalität
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Anfechtung – Prüfungsschema
III. Anfechtungsfrist
Irrtumsanfechtung  unverzüglich nach Kenntnissnahme,§121 I 1 BGB
 bis 10 Jahre nach Abgabe der WE,§121 II BGB
Anfechtung nach§123 BGB  binnen Jahresfrist,§124 I BGB
 nach Täuschungsentdeckung/Ende der Drohung,§124 II BGB
 bis 10 Jahre nach Abgabe der WE,§124 III BGB
IV. Kein Ausschluss der Anfechtung durch Bestätigung
Keine Bestätigung des anfechtbaren RG durch Anfechtungsberechtigten,§144 I BGB
 nicht empfangsbedürftige WE
 formfreie WE
 Erklärung oder Verhalten, das den Willen offenbart an RG festzuhalten
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Eigenschaftsirrtum
I.
Verkehrswesentliche Eigenschaft einer Sache
Def.: Eigenschaft, die einer Sache selbst, unmittelbar und dauerhaft anhaftet und
nach der Verkehrsanschauung für das konkrete Rechtsgeschäft wesentlich ist.
1. Natürliche Eigenschaften
Alle äußeren physikalischen oder chemischen Eigenschaften
z.B. Eignung als Klebstoff
2. Tatsächliche Verhältnisse der Sache,
die aufgrund der Beschaffenheit und der Dauer nach der Verkehrsanschauung
einen Einfluss auf die Wertschätzung der Sache haben.
z.B. Urheberschaft eines Kunstobjekts; Alter einer Sache, Unfallfreiheit eines PKW
3. Rechtliche Verhältnisse der Sache,
die aufgrund der Beschaffenheit und der Dauer nach der Verkehrsanschauung
einen Einfluss auf die Wertschätzung der Sache haben.
z.B. Bebaubarkeit des Grundstücks.
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Eigenschaftsirrtum
II. Gegenbeispiele
1. Äußere Umstände
Wohnen der Sache nicht inne
Gehen nicht von der Sache aus
z.B. Zahlungsfähigkeit der Mieter beim Hauskauf (Hintergrund § 566 BGB)
2. Fehlende Dauerhaftigkeit
z.B. Bierumsatz des letzten Jahres beim Gaststättenkauf
3. Künftige Umstände
Haften der Sache in der Gegenwart nicht an
z.B. künftige Bebaubarkeit eines Grundstücks
III. Verkehrswesentliche Eigenschaft einer Person
Def.: Eigenschaft, die der Person für eine gewisse Dauer anhaftet oder sie
charakterisiert und nach der Verkehrsanschauung für das konkrete Rechtsgeschäft
wesentlich ist.
z.B. Beruf, Vorstrafen
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Arbeitsgemeinschaft (AG) BGB Allgemeiner Teil
AG 9
Fälle: Das Missverständnis /
Die Mietwohnungen
Das Missverständnis
Der Bäcker B ruft den Müller M an und erklärt, er benötige am nächsten Tag
200 kg Weizenmehl zu dem von M inserierten Preis von 0,50 € pro Kilo. M
versteht jedoch aus Unaufmerksamkeit 100 Kilo. Er erwidert, die Angelegenheit
gehe in Ordnung. Als am nächsten Tag M nur 100 Kilo Weizenmehl liefert,
reklamiert B, es seien 100 Kilo zu wenig geliefert worden. Daraufhin entgegnet
M, dass er weitere 100 Kilo nur zu einem Preis von 0,60 € liefern werde.
Hat B einen Anspruch auf Lieferung von weiteren 100 Kilo zum ursprünglichen
Preis?
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Das Missverständnis
Anspruch B gegen M auf Übergabe und Übereignung von weiteren 100kg Mehl zu 0,50
€ pro kg gem.§ 433 I 1 BGB
I. Anspruch entstanden
1. Wirksamer Kaufvertrag  Korrespondierende WE
a) Angebot des B
Abgabe (+)
Zugang unter Anwesenden
aa) Strenge Vernehmungstheorie
Zugang, wenn der Empfänger die WE richtig wahrnimmt
pro: im Gegensatz zur schriftlichen Erklärung sind mündliche Äußerungen nur
schwer zu beweisen  Schutz des Empfängers
contra: sämtliche Risiken beim Erklärenden
bb) Eingeschränkte Vernehmungstheorie
Zugang, wenn für Erklärenden vernünftigerweise keine Zweifel an richtiger und
vollständiger Vernehmung bestehen konnten.
 Risiko wird so geteilt
 Angebot (+)
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Das Missverständnis
b) Annahme des M
subjektiv nur bzgl. 100 kg
 Auslegung nach objektivem Empfängerhorizont,§§133, 157 BGB
Wie darf Empfänger B nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte
die Erklärung des M verstehen?
 Sichtweise des objektiven Beobachters in Position des B
„die Angelegenheit gehe in Ordnung“
kein Hinweis für B, dass M fälschlicherweise 100 kg verstanden hat
 Annahme über 200 kg
2. Zwischenergebnis
Angebot und Annahme über 200 kg  KV gem.§433 BGB
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Das Missverständnis
II. Anspruch erloschen
Nichtigkeit infolge Anfechtung gem.§142 I BGB
Anfechtungserklärung gegenüber richtigem Anfechtungsgegner (§143 BGB);
Fristgerecht (§121 I 1 BGB);
Anfechtungsgrund (§§119 ff. BGB);
Keine Bestätigung (§144 I BGB)
1. Anfechtungserklärung,§143 I, II BGB
• Auslegung der WE: unzweideutiger Wille, dass RG nicht gelten soll
Hier bestreitet M, dass eine Verpflichtung über weitere 100 kg zu 0,50 € nicht besteht
•
Angabe des Anfechtungsgrundes erforderlich?
contra: gesetzlich nicht angeordnet
pro: legitimes Interesse des Anfechtungsgegners
(um z.B. mögliche Verspätung beurteilen zu können vgl. §§121, 124 BGB)
 Erkennbarkeit des Anfechtungsgrundes aus der Erklärung genügt jedenfalls
•
B als Vertragspartner richtiger Anfechtungsgegner,§143 II BGB
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Das Missverständnis
2. Anfechtungsfrist,§121 I 1 BGB
Unverzüglich nach Kenntniserlangung
Anfechtungserklärung des M gleich nach Entdecken
3. Anfechtungsgrund
a) Inhaltsirrtum,§119 I Alt.1 BGB
Inhalt und Wille stimmen überein, aber Tragweite nicht erkannt
M irrt sich über objektiven Inhalt des Angebots (100 kg anstatt 200 kg)
M irrt sich über objektiven Inhalt seiner Annahme
b) Kausalität zwischen Irrtum und Erklärung (§119 I letzter HS BGB)
subjektive Kausalität und objektive Kausalität
Hätte er die zweiten 100 kg nicht für 0,50 € verkauft?
Hier: M will nachträglich Vorteil herausschlagen
Keine objektive Kausalität
III. Ergebnis
Anspruch B gegen M aus§433 I 1 BGB
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Die Mietwohnungen
Stefan und Martha suchen schon seit langem eine gemeinsame Wohnung. Am
4. September haben sie plötzlich zwei: Arbeitgeber Ansgar hat Martha vor die
Alternative gestellt, im Mietshaus seiner Freundin Freya für fünf Jahre eine
Wohnung zu beziehen oder ihren Arbeitsplatz zu verlieren. Wegen der hohen
Miete und dem schlechten Zustand der Räume ziehen der Freya normalerweise
die Mieter immer spätestens nach sechs Monaten wieder aus. Martha hat aus
Furcht vor Arbeitslosigkeit zum 1.12. einen entsprechenden Mietvertrag mit F
unterzeichnet. … Martha erklärt daraufhin der Freya, dass sie wegen des
Verhaltens des A sich an den Mietvertrag nicht gebunden fühle. Am 1.12.
verlangt Freya von Martha die Zahlung der Miete.
… Zu Recht?
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Die Mietwohnungen
Anspruch der F gegen M auf Zahlung des Mietzinses gem. §535 II BGB
 Wirksamer Mietvertrag gem.§§535, 549 I, 550 BGB (Antrag/Annahme,§§145 ff. BGB)
I. Anspruch entstanden
Mietvertrag, §§ 535, 549 I, 550 BGB
 Laut SV Abschluss eines schriftlichen Mietvertrags.
II. Anspruch erloschen
Nichtigkeit nach§142 I BGB infolge Anfechtung
a) Anfechtungserklärung,§143 I, II BGB
Gebot der Unzweideutigkeit
 Erklärung des M, sich wegen des Verhaltens des A nicht gebunden zu fühlen genügt
 Anfechtungserklärung (+)
Richtiger Anfechtungsgegner ist der Vertragspartner,§143 II BGB
 F als richtiger Anfechtungsgegner
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Die Mietwohnungen
b) Anfechtungsgrund,§§119 ff BGB
hier: Widerrechtliche Drohung,§123 I Alt.2 BGB?
aa) Drohung
= vorsätzliches Inaussichtstellen eines künftigen Übels, auf das der Drohende Einfluss
zu haben vorgibt
 Arbeitsplatzverlust
 AG hat Einfluss auf Arbeitsplatzverlust
bb) Widerrechtlichkeit
Widerrechtlichkeit der Zweck – Mittel – Relation?
 Abschluss des Mietvertrages steht in keinem Zusammenhang mit dem
Arbeitsverhältnis
 kein sonstiges berechtigtes Interesse bzgl. Verhalten des M
cc) Kausalität
• zwischen Drohung und Erklärung
• subjektiv und objektiv
 Bestimmung zur Abgabe der Willenserklärung durch die Drohung
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Die Mietwohnungen
dd) Drohung durch Dritten
• Wortlaut des§123 I BGB besagt nicht, dass Drohung gerade vom Vertragspartner
ausgehen muss
• Systematik :§123 II BGB beinhaltet Einschränkung der Anfechtung bei Täuschung
durch Dritten
 Umkehrschluss: Keine Einschränkung bei Drohung durch Dritten
• Sinn & Zweck: Schutz der freien Selbstbestimmung auf rechtgeschäftlichem Gebiet.
Drohung im Verhältnis zur Täuschung als schlimmere Störung.
 Erst-Recht-Schluss: Anfechtung zulässig, wenn Erklärender von Drittem bedroht
wurde
c) Anfechtungsfrist,§124 BGB
Dauer: Jahresfrist,§124 I BGB
Beginn: Ende der Zwangslage,§124 II 1 Alt.2 BGB
 eingehalten
III. Ergebnis
Kein Anspruch der F gegen M auf Zahlung der Miete.
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Die Mietwohnungen
… Gleichzeitig hat Stefan bei Knut ebenfalls ab 1.12. eine Wohnung
angemietet, die Martha aber überhaupt nicht gefällt. Eigentlich wollen Stefan
und Martha aber keine der Wohnungen. Stefan ruft am 8. September bei Knut
an und erklärt ihm, er müsse sich wegen Marthas Missbilligung einen anderen
Mieter suchen. Knut protestiert. Nach beiden Mietverträgen ist die Miete im
Voraus zu entrichten. Am 1.12. verlangt Knut von Stefan die Zahlung der Miete.
… Zu Recht?
16.12.2015
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Die Mietwohnungen
II. Anspruch des K gegen S aus § 535 II BGB
 Wirksamer Mietvertrag gem.§§535, 549 I, 550 BGB (Antrag/Annahme,§§145 ff. BGB)
I. Anspruch entstanden
Mietvertrag, §§ 535, 549 I, 550 BGB
 Laut SV Abschluss eines schriftlichen Mietvertrags
II. Anspruch erloschen
1. Nichtigkeit nach§142 I BGB infolge Anfechtung
a) Anfechtungserklärung,§143 I, II BGB
Gebot der Unzweideutigkeit
Erklärung des S, wegen der Missbilligung der M in die Wohnung nicht einziehen zu
wollen
 Anfechtungserklärung (+)
Richtiger Anfechtungsgegner ist der Vertragspartner,§143 II BGB
 K als richtiger Anfechtungsgegner
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Die Mietwohnungen
b) Anfechtungsgrund,§§119 ff. BGB
Hier: Eigenschaftsirrtum, §119 II BGB?
• Eigenschaften der Sache
Alle unmittelbar kennzeichnenden Faktoren, welche dauerhaft mit der Sache
verbunden sind.
• Verkehrswesentlichkeit
Wenn eine Eigenschaft auch nach der Verkehrsanschauung ausschlaggebend für den
Abschluss ist.
 Missbilligung durch M hat mit der Beschaffenheit der Wohnung nichts zu tun
 Unbeachtlicher Motivirrtum des S, dass M mit dem Anmieten einverstanden sei
c) Zwischenergebnis
Lediglich unbeachtlicher Motivirrtum
 Kein Anfechtungsgrund
 Keine wirksame Anfechtung des Mietvertrages
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Die Mietwohnungen
2. Kündigung des Mietvertrages,§§542 I, 549 I BGB
a) Kündigungserklärung des S
Erklärung des S, sich vom Mietvertrag lösen zu wollen
b) Nichtigkeit nach§125 S.1 BGB
Schriftformerfordernis der Kündigung eines Mietvertrages über Wohnraum,
§568 I BGB (§126 BGB)
S erklärte Kündigung gegenüber K nur mündlich
 Keine wirksame Kündigung
III. Ergebnis
Anspruch K gegen S auf Zahlung des Mietzinses (auch) für den Monat Dezember
gem.§535 II BGB.
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