Ein interessantes Dokument aus Napoleons Tagen

— 372 —
• .
'
r
Ein interessantes Dokument aus Napoleons Tagen
' {Liechtenstein
als Mitglied
eines
Militärbündnisses)
Beim Studium von Urkunden i m Geheimen Staatsarchiv i n Mün-'
chen fiel mir die Abschrift des Vertrages der sogenannten «Kleinen
Allianz» i n die Hand, die am 27. April 1815 gegen Napoleon geschlossen wurde. Bisher wurde nicht beachtet,, dass Liechtenstein Mitglied'
dieses Militärbündnisses gewesen ist. Da es sich offenkundig um einen
Akt des Wiener Kongresses handelt, wurde vom Wiener Haus-, Hofund Staatsarchiv eine Photokopie des Originals erbeten, die bereitwillig geliefert wurde und sich nun i m Landesarchiv befindet.
Wir wissen, dass Liechtenstein seine Souveränität dadurch
langte, dass es Mitglied des 1806 gegründeten Rheinbundes wurde.
er-
Seit dem Winterfeldzug 1812 i n Russland war Napoleons Stern i m
Sinken. Im folgenden Jahre verlor er die Völkerschlacht bei Leipzig,
und der Besiegte wurde 1814 nach Elba verbannt, von wo er aber entfloh. A m 1. März 1815 landete er i n Südfrankreich, und,nun überstürzten 'sich die Ereignisse seiner «Herrschaft der hundert Tage»:
Bereits am 20. März ist Paris — und damit praktisch ganz Frankreich —
in seiner Hand, und am 25. März schliessen die Grossmächte Österreich, Russland, Grössbritännien und Preussen die «Grosse Allianz»
auf dem Wiener Kongress, der durch Napoleons Erscheinen und Erfolge jäh aus seiner Ruhe aufgeschreckt worden war.
A m 27. A p r i l schliessen sich einundzwanzig deutsche Staaten und
freie Städte dieser grossen Allianz an. Das Vertragsdokument beginnt
mit den Worten «Im Namen der heiligsten und unteilbaren Dreifaltigkeit» und erklärt, die Königlichen Hoheiten, Durchlauchten und freien
Städte seien «beseelt von dem Wunsche,-ihre Anstrengungen zu vereinigen, um die Ruhe Europas zu garantieren». Es soll alles unternommen werden', um Napoleon ausserstande zu setzen, den allgemeinen
Frieden zu stören.
Der Kaiser von Österreich (mit dem der Vertrag auch f ü r die
anderen Mitglieder der Grossen Allianz geschlossen wird) verpflichtet
sich auch im Namen seiner Bundesgenossen, die aufzustellenden
Armeen nicht ohne besondere Rücksicht auf die Interessen der einundzwanzig Vertragspartner einzusetzen und es nicht ' z u dulden, dass
— 373 —
etwas am Stande ihrer Besitzungen geändert werde, so wie er gegenwärtig besteht oder durch die Beschlüsse des Wiener Kongresses geregelt werden wird, ohne dass eine einverständliche Zustimmung des
Staates vorliegt, den eine solche Änderung betreffen würde.
Diese Bestimmung des Artikels 3 enthält eine ausdrückliche Garantieerklärung sowohl der Souveränität als auch der Integrität der
Mitgliederstaaten des neuen Bündnisses.
Fürst Johann I. von Liechtenstein tritt der Kleinen Allianz bei
und erteilt Herrn Georg von Wiese, Vizekanzler der Regentschaft der
Prinzen Reuss und Gera, Vollmacht, das Dokument zu unterzeichnen.
Es werden drei Armeen gebildet, die Armee am Oberrhein, am
Niederrhein und i m Königreiche der Niederlande. Die Truppenzahl
wird entsprechend der Einwohnerzahl der Mitglieder festgelegt. Die
Hälfte des Kontingentes ist i n Form von Feldtruppen zu stellen, die
andere Hälfte bleibt als Landwehr zur Verteidigung der Heimat zur
Verfügung. Mit hundert Mann ist das liechtensteinische Kontingent
das kleinste, weil der Staat der kleinste unter allen Vertragspartnern
ist. Seine Truppen werden der Armee am Oberrhein zugeteilt.
Das Vertragswerk erhält keine militärische Bedeutung. Es lässt
zur Ratifikation und damit zur Inkraftsetzung eine Frist von sechs
Wochen — und zehn Tage nach dieser Frist, am. 18. Juni 1815, wird
Napoleon bei Waterloo von den Engländern und Preussen endgültig
geschlagen. In der Verbannung von St. Helena beschliesst er sein
Leben. Unsere Truppen und auch die der andern Vertragspartner
nahmen an diesem Entscheidungskampfe nicht mehr teil.
A m Tage aber, an dem der Vertrag i n Kraft zu treten hatte, am
8. Juni 1815,-wurde der Deutsche Bund gegründet, und die deutschen'
Staaten, auch die souveränen des ehemaligen Rheinbundes, wurden
Mitglieder. Auch Liechtenstein trat bekanntlich bei.
Die bisher nicht beachtete Tatsache des Beitrittes Liechtensteins
zum Militärbündnis der Kleinen Allianz hat f ü r uns eine grundsätzliche Bedeutung zweifacher Art:
1.
W i r erkennen, dass Fürst Johann I. von Liechtenstein sich nicht
erst bei der Gründung des Deutschen Bundes f ü r die gemeinsame
Sache gegen Napoleon entscheidet, wie es andere Rheinbundfürsten getan haben, sondern dass er entschlossen ist, zum Kampfe
gegen ihn beizutragen.
'
,
— 374 —
Die -Souveränität der Staaten, also auch die Liechtensteins, und
ihre Unversetzbarkeit werden durch den Vertrag vom 27. A p r i l
1815 von den vier Grossmächten der Grossen Allianz ausdrücklich
garantiert. /Diese Tatsache gibt dem Dokument grundsätzlichen
Wert f ü r die Frage unserer Souveränität i n ihrem Fortbestande
nach Auflösung des Rheinbundes.
Otto Seger