lokal produzieren, lokal konsumieren

WIEDERAUFBAU IN TOHOKU
Lokal produzieren,
lokal konsumieren
Aizu Electric Power Company
Ein Sake-Braumeister gründet mit
Gleichgesinnten ein Energieunternehmen. Er will seine Heimat
energieautark machen und sie
durch die Schaffung von Arbeitsplätzen revitalisieren. Er hofft,
dass das Beispiel auch in anderen
Regionen Japans Schule macht.
Von Sonja Blaschke
A
n einem Hang am Waldrand steht ein neues, einstöckiges
Gebäude mit einer langen Terrasse. Im Winter hält ein
Vordach den Schnee ab, im Sommer die Sonne. Die Hände auf
das Geländer gestützt, steht Yauemon Sato auf der Terrasse und
blickt über das steil abfallende Feld. Darauf reihen sich Hunderte von Sonnenkollektoren aneinander, alle schräg geneigt. So
bleibt im Winter der Schnee nicht so leicht darauf liegen und im
Sommer nehmen sie die Sonnenstrahlen besser auf.
Die Oguni-Solaranlage generiert 1 Megawatt Strom, genug
für 300 Haushalte. Sie ist eines der Vorzeigeprojekte von Aizu
Electric Power, kurz Ai Power. Vor zwei Jahren gründete Sato
den kleinen Energieversorger mit Gleichgesinnten, darunter Jun
5 Sakebrauer Yauemon Sato (64) versucht seine Region zu revitalisieren und
Sonja Blaschke
energieautark zu machen.
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Juni 2015
Yamada, Berater des US-Chipkonzerns Qualcomm und Hideyo
Isobe, Reisbauer und mit Satos Schwester verheiratet. Inzwischen betreibt Ai Power nicht nur das Kraftwerk Oguni, sondern noch über 20 weitere kleine Anlagen in und um Kitakata.
Die Stadt mit 50.000 Einwohnern liegt im Westen von Fukushima, im nördlichen Teil der Region Aizu. Derzeit wird der Strom
vom Energieversorger Tohoku Electric Power angekauft, wie es
das im Juli 2012 verabschiedete FIT-Gesetz über Einspeisetarife
vorsieht. In der Zukunft hoffen Sato & Co., den Strom direkt an
die Städte und Gemeinden in der Region zu verkaufen.
„Zurückholen, was uns gestohlen wurde“
Bis vor wenigen Jahren war Sato alles andere als ein Energie­
experte. Vielmehr ist er in der neunten Generation Sakebrauer. Seine Sakebrauerei Yamatogawa Shuzoten gibt es seit 225
Jahren. Dann passierte die Atomkatastrophe im Kraftwerk
Fukushima Daiichi. Sato befürchtete, dass seine wichtigsten
Ressourcen – Wasser und Reis – kontaminiert würden, was dem
Familienbetrieb ein Ende gesetzt hätte. Dazu kam es zum Glück
nicht, der Westen von Fukushima blieb von radioaktivem Niederschlag weitgehend verschont.
Die Katastrophe rüttelte den 64-Jährigen auf. Er habe
damals zum ersten Mal begonnen, sich über die Energiegewinnung Gedanken zu machen, erinnert sich Sato. Bald stellte
er fest, dass durch Fukushima zwar viele Starkstromleitungen
liefen, sie jedoch den Strom nicht in Fukushima verteilten,
sondern ihn gen Süden, nach Tokyo transportierten. Die große
Distanz zwischen Energiegewinnung und Verbrauch brachte
den heimatverbundenen Braumeister zum Nachdenken.
Alles fließt nach Tokyo
Dabei gehe es ihm gar nicht in der Hauptsache um die Energieproduktion, betont Sato. Noch wichtiger sei es ihm, Arbeitsplätze in der Region zu schaffen und sie so zu revitalisieren. Aizu
kämpft, wie viele ländliche Gebiete Japans, mit der Abwanderung junger Leute in die Städte. „Alles strömt auf Tokyo zu“,
sagen auch zwei Vertreter vom Rathaus Aizu-Wakamatsu,
während auf dem Land die Bevölkerung und Wirtschaftskraft
sinke. Große Arbeitgeber in Aizu, wie der Technologiekonzern
Fujitsu, reduzierten ihre Arbeitsplätze in der Region nach dem
Lehman-Schock und mehreren Jahren, in denen der starke Yen
die Exporte schwächte, dramatisch. Teils verlagerten sie ihre
Produktion gleich ins Ausland.
Da Solaranlagen zwar schnell aufgebaut werden können,
aber nur wenige Arbeitsplätze schaffen, arbeitet man bei Ai
Power derzeit am nächsten Schritt, nämlich dem Betrieb einer
Biomasse-Anlage. Darin sollen Holz-Pellets verbrannt werden,
die aus Wäldern in der Region Aizu generiert werden. Das
kommt auch den lokalen Gemeinden entgegen: Wenn die Wälder nicht zurückgeschnitten würden, drohten Erdrutsche, sagt
ein leitender Rathausvertreter von Aizu-Bange.
Zugleich versuchen Sato und seine Mitstreiter, die Einrich-
Sonja Blaschke
Mit Ai Power will Firmenchef Sato dafür sorgen, dass die
Energie, die in seiner Heimat produziert wird, auch dort verbraucht wird. „Lokal produzieren, lokal konsumieren“, ist sein
Motto. Er wolle „zurückholen, was uns die großen Energiekonzerne gestohlen haben“, sagt Sato. Damit spielt er auf Tokyo
Electric Power Company (Tepco) an, den Betreiber der stark
zerstörten AKW Fukushima Daiichi und Daini. Das Unternehmen nutzte Fukushima außerdem als Standort für Wärme- und
Wasserkraftwerke.
Der Firmensitz von Ai Power ist in Satos Heimat Kitakata.
Über zwei Millionen Besucher zählt das Städtchen jedes Jahr.
Sie kommen, um Kitakata-Ramen und feinen Sake zu kosten,
und um kura, traditionelle japanische Lagerhäuser mit dicken
Wänden und Türen, anzuschauen. In einem solchen kura sitzt
der weißhaarige Sato auf Tatami-Matten an einem niedrigen
Tisch und spricht über seine Überzeugungen. „Wenn wir uns
nur beklagen und warten, bis der Staat aktiv wird, dauert das
zu lange“, sagt Sato. „Wir müssen selbst aktiv werden und uns
zusammenschließen.“
Der gut vernetzte Geschäftsmann ist an mehreren Projekten
beteiligt, nicht nur in Kitakata, sondern auch in Iitate, einem
der nach der Katastrophe am stärksten kontaminierten Orte.
Die Verbindung zwischen Iitate und Sato besteht aber schon
länger: Sato hatte eine Anfrage des Bürgermeisters akzeptiert,
Reis aus dem Dorf für seinen Sake zu verwenden. Diesen
Banden bleibt er treu und engagiert sich zum Beispiel als
Vize-Präsident des neu gegründeten Energieversorgers Iitate
Electric Power. Sato hat außerdem eine leitende Rolle in einer
gesamtjapanischen Vereinigung der lokalen Energieversorger
übernommen.
1 Im traditionellen kura-Bauernhaus wird in der neunten Generation Sake gebraut.
Nebenan liegt die Oguni-Solaranlage.
tung von Mikro-Wasserkraftwerken voranzutreiben. West-Fukushima ist für seinen Wasserreichtum bekannt. Zwei Dämme
am See Inawashiro-ko und am Fluss Tadami-gawa sorgen seit
Jahrzehnten dafür, dass in Fukushima der höchste Anteil an
Strom aus erneuerbaren Energien aus der Wasserkraft stammt.
Alleine die Wasserkraftwerke in Aizu könnten den Energiebedarf von ganz Fukushima decken, sagt Sato. Nur fließt auch ihr
Strom seit einigen Jahrzehnten nach Tokyo. „Es wird Zeit, dass
wir uns die Rechte zurückholen“, sagt Sato. Dann könnte Fukushima autark werden: mit genug Energie, fruchtbaren Böden für
die Landwirtschaft und Wasser.
Sato liegt mit seinem Vorhaben ganz auf der Linie der
Präfektur Fukushima. Bis 2040 strebt sie an, 100 Prozent ihrer
benötigten Energie aus erneuerbaren Energiequellen zu speisen.
Sie legte außerdem als eines ihrer Kernziele beim Wiederaufbau
fest, „Gemeinden zu schaffen, die nicht abhängig von der Atomkraft sind“.
Einem Markt, auf dem sich viele kleine Energieversorger
tummelten, stehe aus technischer Sicht nichts entgegen, sagte
ein Vertreter von Tohoku Electric Power im Interview. Der
Energieversorger, lange Gebietsmonopolist, investiere selbst
verstärkt in erneuerbare Energien.
Mehrere Gemeinden in der Region Aizu konnte der energische Sato bereits von seinen Plänen überzeugen, sie investieren in Ai Power. Die Zentralregierung sieht zwar auch den
Ausbau erneuerbarer Energien vor, setzt aber zugleich weiter
auf Atomkraft – gegen den Widerstand weiter Teile der Bevölkerung. Sie will möglichst bald wieder ruhende AKWs ans Netz
bringen. Das sei nicht nötig, sagt Sato, angesichts der reichen
Ressourcen der Region Aizu. „Wir sollten nutzen, was uns unsere Ahnen gegeben haben.“ n
Sonja Blaschke
ist freie Journalistin und Producerin in Tokyo.
www.sonjablaschke.de
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