Pfarrer Dietmar Röttger, Arnsberg-Hüsten Kirche in WDR 3-5 28.12.2015 bis 02.01.2016 Montag, 28.12.2015: Weihnachten ist vorbei – und jetzt? Guten Morgen! Es waren diesmal echt lange Weihnachtsfeiertage von Donnerstagabend, dem Heilig Abend, bis gestern, Sonntag: drei volle Feiertage. Und heute – wieder Alltag. Ich persönlich empfinde diesen Tag nach den Weihnachtstagen wie so einen abgeräumten Weihnachtsteller. Am Heilig Abend sah er noch toll aus. Die Plätzchen, Marzipankartoffeln und Lebkuchen waren richtig lecker und sind bis auf ein paar Krümel weggeputzt. Dafür spannt jetzt der Gürtel etwas und ein gewisses Völlegefühl ist im Bauch immer noch zu spüren. Durchatmen ist angesagt nach diesen sehr dichten Tagen. Für mich als Priester vor allem auch nach den vielen festlichen Gottesdiensten mit bedeutend mehr Menschen als sonst in der Kirche. Die Freude darüber, das intensive Singen, Beten und Zusammensein klingt jedenfalls bei mir noch nach. Manch andere werden heute vielleicht ihren Weihnachtsbaum schon wieder abschmücken. Weihnachten ist für sie vielleicht schon vorbei und es gilt sich auf Silvester vorzubereiten. Aber ich frage mich: War es das jetzt schon? Die Weihnachtszeit hat aber doch streng genommen jetzt gerade erst begonnen. Aber was kann und was möchte ich von Weihnachten noch weiter mitnehmen? Was soll bleiben außer einem unangenehmen Gefühl von Völle in der Magengegend? Ich suche nach dem Gefühl von tiefem und bleibendem Erfüllt-Sein. Und davon habe ich an diesem Weihnachtsfest etwas gespürt. Es waren Momente, die ich mir bewahren möchte: Sternen-Momente, Friedens-Momente, Geburts-Momente. Ein Sternen-Moment war ein Anruf, unerwartet, von einem Freund, von dem ich lange nichts gehört hatte. Er hat von sich erzählt und das war für mich wie ein persönliches Geschenk, in dem viel Liebe war, ein Lichtblick, hell wie der Stern von Bethlehem. Friedens-Momente nenne ich all die Erfahrungen, wo Versöhnung nach einem Streit möglich ist. Gerade an Weihnachten, wo Engel den Frieden auf Erden verkünden, passieren statistisch gesehen die meisten Streitereien in den Familien. Wo nach innerem Aufgewühlt-Sein und Streit Ruhe für die Seele einkehrt, sind FriedensMomente erfahrbar, die hoffentlich noch lange weitertragen. Schließlich die Geburts-Momente, wie ich sie nenne: Neuanfang, Hoffnung, Erwartung an das Leben spiegelt sich darin wieder. Wenn Eltern mit ihren neugeborenen Kindern zur Taufe kommen, dann stehen sie fast immer unter dem Eindruck von diesem Wunder der Geburt. Aber auch, wenn eine neue Liebe geboren wurde, eine neue Idee Sie erfüllt, ein neuer Anfang in der Beziehung zu Gott aufbricht, sind dies GeburtsMomente, Geburtsmomente des Neu-Werdens, die viel mit Weihnachten zu tun haben. Sternen-, Friedens- oder Geburtsmomente müssen nicht auf die Weihnachtstage beschränkt bleiben. Die Botschaft von Weihnachten, dass Jesus geboren ist, Gott in dieser Welt ist, gilt an allen Tagen des Jahres. Wie aber diese Momente festhalten? Ich versuche das folgendermaßen: Wenn ich anfange, den Christbaum abzutakeln und den Weihnachtsschmuck wieder einzupacken, dann lasse ich immer einen Stern oder einen Engel draußen, hänge ihn in meiner Wohnung an eine Stelle, wo er mir immer wieder ins Auge fällt. Er macht mich dann zwischendurch aufmerksam für die weihnachtlichen Momente im Leben, die dann nicht nur eine Stimmung wachrufen, sondern Hoffnung, Freude und Vertrauen in Gott und das Leben erneuern. Ich bin Pfarrer Dietmar Röttger aus Hüsten und wünsche Ihnen weiterhin weihnachtliche Tage. Dienstag, 29.12.2105: Die Zwischen-Zeit Guten Morgen! Zwischen den Jahren, so werden landläufig diese Tage nach Weihnachten und vor Silvester genannt. Dabei gibt es eigentlich kein Zwischen-den-Jahren – entweder altes oder neues Jahr, entweder 2015 oder 2016. Die Zeitrechnung kennt kein „Zwischen“. Und doch empfinden viele Menschen ein „Dazwischen“: Das alte Jahr ist mit dem Weihnachtsfest praktisch abgeschlossen und das neue hat noch nicht begonnen. Es entsteht ein gefühlter Zwischenraum, der für mich wie ein Bonus-Track auf einer CD ist, also ein Plus an Zeit. Und ich freue mich einfach, dass ich dieses gefühlte Mehr an Zeit habe. Ich empfinde sie als geschenkte Zeit, die mich einlädt, inne zu halten. So, wie viele Firmen in diesen Tagen Inventur machen, also eine Bestandsaufnahme dessen, was da ist, so mache auch ich eine Art Lebens-Inventur: Das Erreichte wird errechnet, Fehlbeträge festgestellt, der aktuelle Stand des Unternehmens, also meines Lebens wahrgenommen. Zwischen den Jahren schaue ich zurück auf die letzten zwölf Monate. Was hat sich da entwickelt und verändert? Wie bin ich in das Jahr 2015 hinein gegangen, wie gehe ich hinaus? Welche Menschen sind neu in mein Leben getreten und von welchen musste ich mich verabschieden. In meiner Pfarrei zum Beispiel wird auch eine Statistik gemacht: Wie viele Taufen, Kommunionkinder, Hochzeiten, Beerdigungen, Kirchenaus- und -wiedereintritte gab es da? Hinter jeder Zahl stehen allerdings konkrete Menschen mit ihren besonderen Lebenssituationen. Die Begegnungen mit ihnen wirken immer noch nach. Es geht um Wahrnehmung von Entwicklungen, Festhalten von außerordentlichen Ereignissen und einem Resümee: Wer und was ist mir da alles begegnet. Die Zeit zwischen den Jahren ist für mich so gesehen sehr wichtig. Und solche Zwischenzeiten, die sollte es öfter geben, denn sie geben die Möglichkeit, Vergangenes gut abzuschließen und Neues bewusst zu beginnen. Manche Menschen nehmen sich sehr bewusst solche Zwischenzeiten auch unabhängig vom Kalenderjahr: Dann zählen Anlässe, bedeutsame Einschnitte im Leben. Bei beruflichen Veränderungen tut es zum Beispiel gut, einen zeitlichen Puffer zwischen alter und neuer Stelle zu haben. Oder wenn eine Krankheit das Leben verändert, wird oft eine Reha verschrieben. Was ist das anderes als eine Zwischenzeit zur Neubesinnung. Welche Botschaft liegt in der Krankheit für mich? Wie lerne ich mit der Krankheit zu leben? Zwischenzeiten sind wichtig. Zeit, um sich zu Sammeln, zur Inventur, zum Umdenken und – das stelle ich immer wieder fest – auch um Gottes Spuren im gelebten Leben aufzuspüren. Gott zeigt sich manchmal genau in diesem Zwischen. Echte Gottsucher lernen zwischen den Zeilen des Lebens zu lesen und entdecken nicht selten Spuren des Heils. Ich selbst versuche, über die Zeit zwischen den Jahren hinaus mir immer wieder mal Zeit zu reservieren, in der ich aus dem ständigen Fluss heraus trete, um zu mir zu finden und um den Menschen, die mich umgeben, nachzudenken. Es hilft, das eigene Leben zu vertiefen – und das nicht nur in der Zeit zwischen den Jahren. Pfarrer Dietmar Röttger aus Hüsten. Mittwoch, 30.12.2015: Mut und Vertrauen Guten Morgen! Im Sommerurlaub war ich im Allgäu und dabei auf dem Mittagsberg bei Immenstadt. Bei strahlendem Himmel war starker Betrieb auf dem Gipfel. Ein großer Teil der Menschen waren Sportler, die mit ihren Gleitschirmen das gute Wetter zum Fliegen nutzten. Ich fand es sehr spannend zuzuschauen, wie sie kurz vor der Absprungkante ihren Schirm auf dem Boden ausbreiteten, die Schnüre sortierten, die Windverhältnisse beobachteten, um dann im rechten Moment den Schirm hochzureißen und mit zwei, drei Schritten über den Rand liefen und in die Tiefe stürzten. Jedes Mal ein Augenblick, bei den ich die Luft anhielt: Trägt der Schirm? Nimmt der Luftstrom den Flieger auf? Schafft er es, ohne die Baumwipfel zu berühren? Manche machten einen Tandem-Sprung und ich merkte, wie aufgeregt diese Leute waren, die vielleicht das erste Mal einen Flug wagten. Aber auch den erfahrenen Gleitschirmfliegern sah ich an, dass diese letzten Schritte vor dem Absprung besonders aufregend sind. Was es hier braucht? Mut und Vertrauen. Für mich sind diese letzten beiden Tage des alten Jahres auch so etwas wie diese Schritte zum Absprung beim Paragleiten. Was wird das neue Jahr bringen? Welche Aufgaben oder schönen Momente erwarten mich, welcher Mensch tritt neu in mein Leben oder wen werde ich verlieren, durch Tod oder neue Lebensumstände? Es kommt mir wirklich so vor, als stünde ich wie beim Paragleiten kurz vor der Kante. Und dann kommt der Blick in die Tiefe, den Abgrund, der mich schaudern lässt. Auf einmal fällt mir ein, was alles passieren könnte, wenn der Absprung schief geht, wenn das neue Jahr verheerend wird. Bedenken tauchen auf. Was braucht es dann? Mut und Vertrauen, wie bei den Gleitschirmfliegern. Es stimmt doch: Nur mit einer Portion Mut kann Leben sich weiter entwickeln. Ohne Risiko bleibe ich stehen und manche Möglichkeiten in meinem Leben haben keine Chance, Wirklichkeit zu werden. Also: Mut zum Absprung, denn wer nicht abspringt, wird den Flug nie genießen können. Mut ist wichtig, damit Leben sich entfalten kann. Und neben allem Mut braucht es auch Vertrauen. Zunächst vielleicht in die eigenen Fähigkeiten, Selbstvertrauen. So wie die Flieger in ihr Wissen um Luftströme, Ausrüstung und eigenes Verhalten. Aber es braucht noch ein anderes Vertrauen. Ein Grundvertrauen, dass die Luft auch trägt. Für mich ist das in meinem Leben mit dem Absprung ins neue Jahr Gottvertrauen. Mit den Worten des Propheten Jesaja in der Bibel formuliert klingt Gottvertrauen so: Fürchte dich nicht, denn ich habe dich beim Namen gerufen, du gehörst mir. Wenn du durchs Wasser schreitest, bin ich bei dir, wenn durch Ströme, dann reißen sie dich nicht fort. Wenn du durchs Feuer gehst, wirst du nicht versengt, keine Flamme wird dich verbrennen. Denn ich, der Herr, bin dein Gott. Mit einem solchem Vertrauen im Herzen, auf einen Gott, der mit geht, auch wenn es bedrohlich wird, kann ich mutig sein. Und wie die Gleitschirmspringer kann ich erst Erfahrungen machen, wenn ich tatsächlich abspringe, in ein neues Jahr mit seinen vielen unbekannten Herausforderungen. Es bedarf dazu nur des Mutes und des Vertrauens. Aber ich bin zuversichtlich: Auch im neuen Jahr wird Gott mich tragen, wie der Wind die Paragleiter. Pfarrer Dietmar Röttger aus Hüsten. Donnerstag, 31.12.2015: Der Count-Down – jede Sekunde zählt. Guten Morgen! Heute Abend ist es soweit. Der Count-Down des Jahres läuft: 9 – 8 – 7 – 6 – 5 – 4 – 3 – 2 – 1 – Null!! Verrückt nur: Jede Stunde werden in einem anderen Teil der Welt um jeweils Mitternacht die Sekunden gezählt, abhängig von der jeweiligen Zeitzone. Nach unserer Zeitrechnung beginnt das neue Jahr um 11.00 Uhr auf der Insel Samoa im Zentralpazifik, also auf der anderen Seite der Welt. Aber überall geht es ähnlich zu: Dann gehen Raketen in die Luft und wie ein Feuerwerk der Freude wird das neue Jahr begrüßt. Menschen liegen sich in den Armen, Pärchen küssen sich vor den Kameras und Sektgläser klirren. Silvester. Jahreswechsel. Selten nehmen die Menschen weltweit Zeit so bewusst war wie beim Jahreswechsel. Das Zählen der Sekunden macht mir dabei deutlich: Jede Sekunde zählt. Normalerweise merke ich gar nicht, wie die Sekunden dahinfließen. Die Zeit läuft immer weiter, unentwegt, unaufhaltsam. Der jetzige Moment, in dem Sie diese Gedanken hören, ist gleich schon wieder Vergangenheit, die Zukunft kippt um in die Vergangenheit im ständigen Moment der Gegenwart. Manchmal habe ich dabei dieses Gefühl, die Zeit, und ich meine damit meine Lebenszeit, verrinnt zwischen den Fingern. „Schon wieder ein Jahr vorbei, wo ist es nur geblieben?“ Aber heute geht es darum, die Sekunden zu zählen. Das heißt nicht die Zeit anhalten, aber jeden Moment in seinem eigenen Wert wahrzunehmen. In meiner Küche hängt ein Kalenderspruch an der Pinnwand: „Man erinnert sich nicht der Tage, sondern der Augenblicke“. Will heißen: Sei aufmerksam für das, was du täglich erlebst. Hab‘ Dankbarkeit für die kleinen und großen Dinge, die sich tagtäglich ereignen: ein fröhliches Kinderlachen, eine innige Umarmung, eine umwerfende Landschaft, eine Musik, die mir im Ohr bleibt, eine Anstrengung, die sich gelohnt hat, ein Schmerz, der mich zur Besinnung bringt, ein Gespräch mit Freunden, bei dem ich mich verstanden weiß. Manchmal nur Sekunden und doch prägen sie sich mir tief ein. Wenn ich heute Abend in meiner Kirche Gottesdienst feiere, lade ich die Menschen ein, in einem Moment der Stille sich an ein paar Momentaufnahmen aus dem zu Ende gehenden Jahr zu erinnern. Durch Erinnerung wird Erfahrung wieder lebendig. Glückliche Momente – Dankbarkeit kann daraus erwachsen. Bittere und schmerzhafte Momente – ich kann sie Gott hinhalten und abgeben. Vielleicht entdecke ich, dass mich Gott in bestimmten Momenten besonders berührt hat. Oft erkenne ich seine Spuren erst im Rückblick. Ein modernes Kirchenlied bringt das sehr deutlich zum Ausdruck, das ich heute Abend auch in meiner Gemeinde singen werde: Lied-Kehrvers: „Meine Zeit steht in deinen Händen“ „Meine Zeit steht in deinen Händen“. Mit anderen Worten: Alle Momente, derer ich mich erinnere, die wunderbaren wie die schrecklichen, sie sind von Gott umfangen. Mir schenkt das eine innere Ruhe und ein Stück Gelassenheit, wenn Zeit verrinnt. Gerade heute Abend, wenn ich den Count-Down des Jahres ganz laut mitzähle, zusammen mit denjenigen, die mit mir den Jahreswechsel feiern. Für mich bedeutet das: Ja, jetzt lebe ich! Gott sei Dank! Pfarrer Dietmar Röttger, Hüsten. Freitag, 01.01.2016: Ein frohes und gesegnetes Neues Jahr Guten Morgen! Zunächst: Ein frohes und gesegnetes Neues Jahr! Wie oft wohl in dieser Nacht der gleiche Wunsch ausgetauscht wurde, direkt oder per SMS? Und auch in den nächsten Tagen wird dieser Wunsch noch immer wieder geäußert: Ein frohes und gesegnetes Neues Jahr. Freude und Segen, zwei Wünsche, die von Herzen kommen. Zwei Wünsche im Hinblick auf diesmal sogar 366 Tage im neuen Jahr, also auf Zukunft, von der keiner weiß, was sie bringen wird. Was liegt vor mir in diesem neuen Jahr? Welche Überraschungen, fröhliche wie schreckliche, birgt dieses neue Jahr für mich? Wem werde ich begegnen? Wo werde ich sein am Ende dieses Jahres? Wer geht mit mir durch dieses neue Jahr? Das sind Fragen, die mir heute in den Sinn kommen, wenn ich einen Moment inne halte. Mir kommt an diesem Neujahrstag ein Bild in den Sinn, für die vor mir liegende Zeit. Es ist ein winterliches Bild: eine Landschaft im Schnee, im Neuschnee. Die Wege und Felder sind unter einer weißen Decke verborgen. Alles sieht so frisch und unberührt aus. Mein Blick schweift in die Weite. Alles weiß und glatt. Dann setzte ich den ersten Schritt in den Schnee, sinke sanft ein und setze den nächsten. Schritt für Schritt entsteht eine Spur, meine Spur. Vorsichtig setze ich die Füße auf, denn ich kann nicht erahnen, was sich unter der Schneedecke verbirgt. Bleibt der Schritt fest, rutsche ich aus, breche ich ein? Ich blicke zurück und sehe meine Fußstapfen. Ich habe meine Spur schon auf den ersten Metern hinterlassen. Genau so frisch und unberührt liegen auch die Kalendertage vor mir. Mit jedem Termin werde ich hier meine Spuren hinterlassen. Und ich erahne, wie weitere Spuren gelegt werden in meinem Kalender. Mit dem, was bereits für 2016 geplant ist, habe ich schon eine Idee. Ob die Spur dann wirklich so aussieht, welche Spuren die eigene kreuzen oder ob Spurwechsel sich ereignen, werde ich am Ende des Jahres dann erkennen können. Heute am Neujahrstag gilt mein Wunsch nach Freude und Segen: Freude, weil sich doch jeder natürlich wünscht, dass die guten Dinge dieses Jahr überwiegen mögen, dass Leben sich in Lebensfreude besonders schön entfalten möge. Und mit dem Segen verbinde ich, dass in allem Gottes Lebenskraft erfahrbar wird. Segen sagt das Gute zu, so wie das lateinische Wort „benedicere“ wörtlich übersetzt heißt: „gut-sagen“. Dabei reicht das Gute tiefer als bloß glückliche Stunden zu haben. Das Gute des Segens reicht bis in die schlimmen Erfahrungen, in Schmerz und sogar bis in den Tod. Segen erfahren heißt, Gottes Liebe und Nähe in der Bandbreite des Lebens zu erfahren. Ein Lied mit dem Text von Dietrich Bonhoeffer bringt das für mich sehr deutlich zum Ausdruck: „Von guten Mächten treu und still umgeben, behütet und getröstet wunderbar. So will ich diese Tage mit euch leben und mit euch gehen in ein neues Jahr.“ Die Aussichten für Bonhoeffer waren damals dunkel, als er den Text verfasste. Er hat die Zeilen 1944 im Konzentrationslager geschrieben. Die Erinnerung daran, von guten Mächten, von Gott treu umgeben zu sein, ließ ihn trotz allem mit hoffnungsvollem und sicherem Schritt in die Zukunft gehen. Ein frohes und gesegnetes neues Jahr meint nichts anderes als Freude am Leben und Segen für das Leben, Segen, der bis in die dunklen Tiefen des Lebens reicht, auf dass das Leben gut werde. Vielleicht kann ich am Ende dieses noch neuen Jahres dann auch im Rückblick Gottes Spuren erkennen? Darauf vertraut Ihr Pfarrer Dietmar Röttger aus Hüsten. Samstag, 02.01.2016: Menschen auf der Suche nach Heil Guten Morgen! Sie kommen aus aller Herren Länder. Sie sind aufgebrochen und haben ihre Heimat hinter sich gelassen. Sie nehmen verschiedene Routen. Sie sind getragen von einer Hoffnung auf Heil. Sie suchen nach dem richtigen Weg. Sie erreichen das verheißene Ziel. Ich rede nicht von den Menschen auf der Flucht, die in nach Deutschland kommen. Ich rede von den drei Sterndeutern aus der Bibel, von denen das Matthäusevangelium berichtet. Reisende mit einer Verheißung, den neugeborenen König der Juden zu finden. Sie leben offenbar auf dieses Ziel hin, weil sie sich davon mehr versprechen, als zu Hause zu bleiben. Sie kommen beim Jesuskind an und beten es an: der zweite Akt des Weihnachtsfestes, den die Kirche am 6. Januar besonders feiert. Die Ähnlichkeit der Bewegungen zwischen der Reise der Sterndeuter und den Wegen der fliehenden Menschen ist doch verblüffend. Mehr noch, es gibt sogar eine Ähnlichkeit zu jedem menschlichen Leben, also auch zu meinem eigenen: Aufbruch, Sehnsucht nach Heil, Suche mit Irr- und Umwegen, Finden eines Zieles. All das sind innerliche Bewegungen, die wahrscheinlich jeder kennt. Deswegen sind diese „Heiligen Drei Könige“, zu denen die biblischen Sterndeuter im Laufe der Jahrhunderte geworden sind, wohl auch bis heute so populär. Mich hat immer besonders die Herkunft der drei Männer fasziniert. In der Überlieferung repräsentieren sie die drei damals bekannten Erdteile: Europa, Asien, Afrika. Das heißt also: Die ganze Welt war aufgebrochen, um Jesus zu suchen und ihn zu finden. Damit war verbunden die Entdeckung von Gottes Liebe, die Heil schenkt. Anders formuliert: Christentum versteht sich von Anfang an global. Wie wichtig es ist, sich diese Dimension immer wieder in Erinnerung zu rufen, zeigt sich doch gerade in den letzten Monaten, wo Globalität vor der eigenen Haustür als Wirklichkeit erfahren wird. Hinter jedem Flüchtling, der an die Tür klopft, steht ein persönliches Schicksal mit eigener Sehnsucht und eigener Suche. Wie die Sterndeuter sind sie aufgebrochen, um ihr Heil zu finden. Die Sterndeuter aus der Bibel erweitern gerade heute den Horizont und erinnern daran, dass Gottes Heil für alle Menschen erfahrbar werden soll – mehr noch: dass das Heil gefunden werden kann. Es kommt aber darauf an, dass dieses Heil durch andere Menschen vermittelt wird, letztlich durch mich und dich. Deswegen ist im Bild der Drei Könige die größte weltumspannende Hilfsaktion von Kindern für Kinder entstanden: die Sternsingeraktion. Seit ich selbst als Jugendlicher in der eigenen Gemeinde als König verkleidet Geld gesammelt habe, empfinde ich dieses Projekt als zutiefst sinnvoll. Deshalb unterstütze ich bis heute gerade auch als Pfarrer diese Aktion. Mich hat sehr berührt, als ich vor zwei Jahren bei einem Besuch in Afrika im Senegal war. Dort habe ich zufällig an der Wand eines Pfarrsaales ein Wandgemälde entdeckt mit einem Sternsinger-Jungen und der deutschen Aufschrift „Dreikönigssingen“. Der Pfarrsaal dort war eine Art Gemeinde-Lebens-Raum, ermöglicht, weil Menschen in deutschen Gemeinden, Kinder und Erwachsene, bereit waren, ihren Horizont zu weiten und den Bau finanziert haben. Jede dieser Hilfeleistungen trägt dazu bei, dass Menschen Heil finden können, gerade auch in ihrer Heimat. Auch in den kommenden Tagen ziehen wieder viele Jungen und Mädchen verkleidet als drei Könige durch die Straßen. Übrigens: Immer seltener muss einer der drei Könige schwarz angemalt werden, um das afrikanische Herkunftsland deutlich zu machen. Denn verschiedene Hautfarben sind bei den Kindern längst in echt vertreten. Ich finde das wunderbar! Sie alle sammeln für konkrete Projekte, die mehr Leben ermöglichen wollen und zwar auch in den Ländern, aus denen heute die Flüchtlinge kommen. Die Sternsinger ziehen von Haus zu Haus. Dabei sprechen sie für die besuchten Menschen einen Segen aus, der in einem Kürzel über die Haustür geschrieben wird: „C + M + B“, „Christus mansionem benedicat“, „Christus segne dieses Haus“. Segen von Gott empfangen, Segen sein durch eigenes Handeln und auch Segen erfahren durch fremde Menschen, die bei uns ankommen. Um das zu entdecken, muss man manchmal danach suchen und wie die Sterndeuter vielleicht sogar weite Wege gehen. Aber ich bin davon überzeugt: Manchmal kann ich ein Stück Heil auch direkt vor meiner eigenen Haustür finden. Ich muss einfach nur mal genauer hinschauen. Aus Hüsten grüßt Sie Pfarrer Dietmar Röttger.
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