Man muss vorgehen wie Odysseus

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„Man muss vorgehen wie Odysseus“
Philipp Vorndran »
Der Kapitalmarktstratege
der Vermögensverwaltung
Flossbach von Storch über
Börsenschwankungen,
­Geldpolitik – und die
­Probleme von Mischfonds
VITA
Analysieren, Thesen aufstellen
und sie dann in der Öffentlich­
keit vertreten: Das ist seit 2009
Philipp Vorndrans Job bei
Flossbach von Storch. Zuvor
­arbeitete er unter anderem bei
der Privatbank Julius Bär in
Frankfurt sowie Zürich und war
Chefstratege im Bereich Asset
Management bei Credit Suisse.
Flossbach von Storch war in
den vergangenen Jahren einer
der dynamischsten Vermö­
gensverwalter in Deutschland.
Die Kölner verwalten über 20
Milliarden Euro an Kunden­
geldern. Der bekannteste
Fonds des Hauses ist der Multi­
ple Opportunities (siehe S. 10).
Bild: Michael Trippel für €uro am Sonntag
Der Ideengeber
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VON ANDREAS HÖSS
S
einen prägnanten schwar­
zen Schnauzer hat er mitt­
lerweile abrasiert. Trotzdem
dürfte Philipp Vorndran für
deutsche Anleger Wiedererken­
nungswert haben: Der Franke ist
beim Vermögensverwalter Floss­
bach von Storch nicht nur einer der
Ideengeber, sondern auch das Ge­
sicht für die Medien. Dort unterlegt
er seine Thesen gern mit Zahlen
oder griffigen Beispielen — die auch
mal aus dem Urlaub stammen.
€URO AM SONNTAG: Herr Vorn­dran,
Chinas Schwäche ist das große
Thema an den Börsen. Sie waren
dieses Jahr in China im Urlaub. Was
ist Ihnen dort aufgefallen?
PHILIPP VORNDRAN: Ich bin gut
5000 Kilometer mit der Bahn durch
das Land gefahren. Dabei habe ich
riesige Parkplätze gesehen, auf de­
nen ungenutzte Bagger, Raupen und
Baumaschinen herumstanden. Das
war schon sehr beeindruckend.
Und auch besorgniserregend?
China ist in vielen Regionen inzwi­
schen fertiggebaut. Die Wirtschafts­
struktur des Landes wandelt sich,
weg von Investitionen und Infra­
struktur hin zu Dienstleistung und
Technologie, ähnlich wie das in
England Ende des 19. Jahrhunderts
der Fall war. So ein Prozess läuft
nicht ohne Friktionen ab.
Friktionen klingt relativ harmlos.
Kann man auch von einer Blase
sprechen, die da platzt?
Nicht in China. Dort gehen die
Wachstumsraten zwar zurück, was
bei uns und in China auf die Gewinn­
erwartungen der Unternehmen
drückt. Aber das verläuft ohne
Knall. In vielen anderen Schwellen­
ländern wie Brasilien oder der Tür­
kei gibt es dagegen eine Kreditblase,
die platzt. Die Stimmung ist ähnlich
wie bei uns während der Finanz­
krise. Die Nullzinspolitik der Noten­
banken in Industrienationen hat
auch die Zinsen in vielen Schwellen­
ländern mit nach unten gezogen,
deshalb ist die Verschuldung dort
sehr schnell und stark gewachsen.
Das ist Irland und Spanien reloaded!
Ist das der Grund für die große
­Nervosität an den Börsen?
Der Abschwung der Schwellenlän­
der ist einer der Gründe dafür. Da­
vor hat schon der Beinahe-Raus­
wurf Griechenlands aus der Euro­
zone zu einem Stimmungsum­
schwung geführt. Hinzu kommt die
permanente Angst vor der Zins­
wende in den USA. Die Risikowahr­
nehmung hat sich massiv geändert.
Welche Lehren haben Sie aus den
vergangenen Monaten gezogen?
Es gab zwei große Lehren. Die erste:
Langfristig orientierte Anleger soll­
ten die Finger von Bundesanleihen
lassen, können für ihre Altersvor­
sorge aber nicht auf einen hohen An­
teil an Aktien verzichten.
Den Geldpolitikern
werden die Waffen nicht
ausgehen. Wir sind wieder
einen Schritt näher am
Helikoptergeld.“
Obwohl die sehr stark schwanken?
Der DAX ist von April bis September
ja um 24 Prozent abgestürzt.
Seit Jahresbeginn gerechnet ist er
trotzdem fast zehn Prozent im Plus.
Der REXP, der Index der Bundesan­
leihen, ist dagegen unverändert. Se­
hen Sie: Lang laufende Bundesanlei­
hen warfen in den vergangenen 25
Jahren im Schnitt sechs Prozent
Rendite pro Jahr ab, in den vergan­
genen zehn Jahren waren es noch
vier Prozent. Das Blöde ist nur, dass
diese Zeit vorbei ist. Heute sind die
Renditen bis in mittlere Laufzeiten
negativ, mit fünfjährigen Bundes­
anleihen hat man null Prozent Ren­
dite. Fallen die Anleihekurse, kön­
nen die niedrigen Kupons den
Kursrückgang nicht mehr kompen­
sieren. Das heißt: Man investiert
zwar in eine vermeintlich sichere
Anlageklasse, macht damit aber fast
sicher Verluste. Deshalb sind Aktien
im Vergleich so attraktiv wie nie.
Und die zweite Lehre?
Diversifikation ist schwieriger ge­
worden, weil in diesem Jahr alle An­
lageklassen gleichzeitig gestiegen
und gefallen sind — egal ob Aktien,
Anleihen, Gold oder Dollarinvest­
ments. Bisherige Korrelationen wie
„Anleihen steigen, wenn Aktien fal­
len“ gelten nicht mehr — weil bei den
Anleihen bei null Schluss ist.
Ist damit auch die Portfoliotheorie
überholt, für die Harry Markowitz
den Nobelpreis bekommen hat?
Die Portfoliotheorie ist der Versuch,
Kapitalmärkte in eine Formel zu
pressen. Das hat uns nie überzeugt.
Auf der Portfoliotheorie basiert
auch das Modell der Mischfonds,
die Vermögen auf Aktien und
­Anleihen verteilen, um Risiken zu
begrenzen. Ist die große Zeit dieser
Fonds vorbei?
Das ist eine berechtigte Frage, die
wir uns auch stellen. Viele Portfolio­
modelle und Algorithmen basieren
noch auf Annahmen aus der guten
alten Zinswelt. Über Jahrzehnte ha­
ben sie von fallenden Zinsen und da­
mit steigenden Anleihekursen pro­
fitiert. Wir gehen davon aus, dass
das typische Diversifizierungsmo­
dell — 50 Prozent globale Aktien und
50 Prozent Bundesanleihen — zur
Absicherung nicht mehr funktio­
niert. Rechnerisch lag die Rendite
eines solchen Portfolios in den ver­
gangenen zehn Jahren bei sechs Pro­
zent pro Jahr, die Volatilität, also die
Kursschwankungen bei acht Pro­
zent. Heute ist die Rendite unter vier
Prozent gefallen, die Volatilität auf
zehn Prozent gestiegen. Mischfonds
schwanken also stärker und werfen
zugleich weniger Gewinn ab.
Bei Flossbach von Storch haben Sie
selbst einen großen Mischfonds
(Seite 10). Wie gehen Sie dort mit
diesem Problem um?
Zum Absichern halten wir Cash statt
Bundesanleihen und investieren
nur einen kleinen Teil unseres Port­
folios opportunistisch in Anleihen,
die kurzfristig aussichtsreich sind.
Auch unseren Goldanteil von zehn
Prozent bauen wir seit Längerem
nicht mehr aus. Der größte Teil des
Portfolios ist in Aktien investiert, ak­
tuell sind das rund 70 Prozent.
So gehen Sie aber das Risiko ein,
bei einem Crash am Aktienmarkt
heftige Verluste zu erleiden.
Ja, das kann passieren. Man darf
aber nicht den Fehler machen und
kurzfristige Volatilität mit Risiko
gleichsetzen. Nur wer sich nicht
vom täglichen Auf und Ab irritieren
lässt und Schwankungen in Kauf
nimmt, kann im Tiefzinsumfeld
noch nennenswerte Erträge erzie­
len. Timing klappt sowieso nur sel­
ten. Man muss vorgehen wie Odys­
seus: Der hat sich an den Mast sei­
nes Schiffes binden lassen, den Steu­
ermännern Wachs in die Ohren
getropft und ist so trotz des Sirenen­
gesangs auf Kurs geblieben.
Ein schönes Bild. Ich könnte mir
trotzdem vorstellen, dass einige
­Ihrer Kunden weniger Durchhaltevermögen haben, wenn Ihr Fonds
ein richtig schlechtes Jahr hat.
Glauben Sie, dass es an den Aktienmärkten zu einem Absturz von 40
oder 50 Prozent kommen kann?
Als am 24. August die Aktienkurse
eingebrochen sind, haben tatsäch­
lich einige Anleger nachgefragt, was
wir gemacht haben. Wir haben dann
erklärt, dass wir Aktien nachge­
kauft haben. Die meisten waren er­
leichtert, dass wir an unserer Lang­
friststrategie festgehalten haben.
Um den zweiten Teil der Frage
­haben Sie sich jetzt gedrückt.
Solche Abstürze an den Aktien­
märkten kann man leider nie aus­
schließen. Wer langfristig denkt,
kann damit aber leben. Wenn Sie
eine Bundesanleihe mit 30 Jahren
Laufzeit bis zum Ende halten, haben
Sie Ihr Vermögen um 50 Prozent er­
höht. Davon muss man dann noch
die Inflation abziehen. Am Aktien­
markt finden Sie weit mehr Ertrag,
nur gibt es darauf keine Garantie. Es
ergibt keinen Sinn, langfristige Er­
tragspotenziale auf dem Altar der
Volatilitätsminimierung zu opfern.
Es gibt Anlagen, bei denen die Vola­
tilität die ökonomischen Risiken
weit überzeichnet, und solche, die
viel riskanter sind als es die Preis­
schwankungen anzeigen.
Anders als bei Anleihen kann man
die Erträge von Aktien aber nicht
fest vorhersagen, oder?
Genau, nicht zuletzt deshalb ist das
Investieren ja auch so faszinierend!
Man kann aber davon ausgehen,
dass die Gewinnrenditen der Unter­
nehmen langfristig eine sehr gute
Richtschnur für die zu erwartenden
Aktienrenditen sein werden. In der
Regel wachsen die Gewinne ähnlich
wie die Weltwirtschaft — fünf bis
sechs Prozent pro Jahr, das ist die
Größenordnung, die wir aus Divi­
dende und Kursgewinn als Rendi­
tepotenzial erwarten. Ganz wichtig
ist aber, dass ich ausreichend Zeit
habe. Beträgt mein Anlagehorizont
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weniger als fünf Jahre, habe ich am
Aktienmarkt wenig zu suchen.
was würde dann mit dem US-Dollar
passieren?
Auch langfristig orientierte Anleger
fürchten aber, dass China eine globale Rezession auslöst. Zu Recht?
Das halte ich für übertrieben. Das
Wachstum in China liegt nun viel­
leicht nur noch bei fünf und nicht
mehr bei zehn Prozent wie vor zehn
Jahren. Der Anteil Chinas an der
Weltwirtschaft ist aber von fünf Pro­
zent im Jahr 2005 auf heute 15 Pro­
zent gestiegen. Die positiven Im­
pulse, die von einem wichtigen
Land mit kleinerem Wachstum aus­
gehen, sind größer als jene von ei­
nem weniger wichtigen Land mit
sehr großem Wachstum.
Er würde zum Euro aufwerten?
Und zwar massiv. Das würde der
US-Wirtschaft jede Wettbewerbsfä­
higkeit rauben und die US-Inflation
unter null treiben. Auch die Schwel­
lenländer hätten Probleme, da sie
zu großen Teilen in US-Dollar ver­
schuldet sind. Ich denke, die Noten­
banker der Schwellenländer haben
der Fed-Chefin Janet Yellen bereits
ins Gewissen geredet.
das nicht mehr so einfach. Es kann
zwar sein, dass die Fed den Zins an­
hebt, es wird aber bei einem symbo­
lischen Akt bleiben. Meiner Mei­
nung nach wird es in den nächsten
Monaten höchstens zwei Zinserhö­
hungen geben. Und selbst das würde
mich schon überraschen. Der ehe­
malige Fed-Chef Ben Bernanke
hatte einmal versprochen, notfalls
Geld aus dem Helikopter abzuwer­
fen, um die Wirtschaft und die Fi­
nanzmärkte zu stabilisieren. Wir
sind wieder nah am Helikoptergeld.
Und Frau Yellen wird darauf hören?
Das Motto „unser Dollar, euer Prob­
lem“ galt vielleicht früher. Heute ist
Auch in Europa?
Sicher. In der EZB überlegt man
schon, ob man das Ankaufpro­
Die Sorgen sind also unbegründet?
Die Weltwirtschaft wächst zwar
nicht besonders schnell, das globale
Wirtschaftswachstum liegt aber im­
mer noch bei knapp drei Prozent.
Das wird auch so bleiben — außer die
US-Notenbank Fed macht einen gro­
ßen Fehler und setzt die Zinsen so
schnell hoch, dass sie 2017 zwischen
zwei und drei Prozent stehen.
Genau dieses Zinsniveau sagen die
Fed-Mitglieder aber selbst voraus.
Ich weiß nicht, wie sich die Mitglie­
der des Offenmarktausschusses das
vorstellen. Die EZB hat sich bis
Herbst 2016 auf Wertpapierkäufe
und Nullzinsen festgelegt. Ange­
nommen, die Fed hebt parallel die
Zinsen auf zwei oder drei Prozent,
FVS MULTIPLE OPPORTUNITIES
Der Fonds
Das Timing war suboptimal: Ihren
Mischfonds Multiple Opportunities
(ISIN: LU 032 357 865 7) legte die
Vermögensverwaltung Flossbach
von Storch (FvS) im Herbst 2007
und damit direkt vor der Finanz­
krise auf, weshalb er zunächst Ver­
luste machte. Heute, acht Jahre
später, gehört der Multiple Oppor­
tunities, zu den beliebtesten Misch­
fonds in Deutschland. Das liegt
zum einem an der klaren Strategie
von Fondsmanager Bert Floss­
bach: Er setzt mit dem größten Teil
des Portfolios auf Aktien und kauft
vor allem langfristig stabile und di­
videndenstarke Unternehmen wie
Nestlé, Coca-Cola oder Berkshire
Hathaway. Neben zehn Prozent
Gold finden sich noch Cash und ein
paar Anleihen im Portfolio. Aktienund Währungsabsicherung gibt es
nur in Ausnahmefällen, Branchenoder Länderwetten meidet Floss­
bach. Auch die Bilanz kann sich se­
hen lassen: Starke 120 Prozent Plus
seit Auflage, mittlerweile über sie­
ben Milliarden Euro Fondsvermö­
gen und im Jahr 2012 der Titel
„Fondsmanager des Jahres“ von
€uro am Sonntag. Langfristanle­
ger, die keine Scheu vor Schwan­
kungen haben, finden hier einen
aktienlastigen und erfolgreichen
Fonds mit klarer Ausrichtung.
gramm ausweitet und neue Maß­
nahmen ergreift, falls die Fed die
Zinsen weiter tief lässt. Im Moment
sieht alles danach aus.
Sehen Sie die Gefahr, dass die
­Notenbanken an Glaubwürdigkeit
verlieren, wenn sie ihre Geldpolitik
nicht langsam normalisieren?
In absehbarer Zeit werden den Geld­
politikern die Waffen nicht ausge­
hen. Wie gesagt, wir sind wieder ei­
nen Schritt näher am Helikopter­
geld. Langfristig wird der Vertrau­
ensverlust in die Notenbanken aber
zum Problem werden. Außerdem ist
die Geldpolitik schon jetzt nah am
Rande dessen angekommen, was
die Bürger bereit sind zu akzeptie­
ren. Logischerweise ist der Vertrau­
ensverlust in das ungedeckte Pa­
piergeld für uns ein Dauerthema.
Wie gehen Sie als Investor mit
­diesem Thema um?
Zum einen schleppen wir unseren
Goldanteil im Portfolio nicht um­
sonst mit uns herum. Zum anderen
verfolgen wir die Diskussionen über
ein mögliches Bargeldverbot oder
neue Währungen wie Bitcoins sehr
aufmerksam. Da sehen Sie schon,
mit was für absurden Dingen man
sich beschäftigen muss. Aber vor ei­
nigen Jahren hat man auch nicht ge­
glaubt, dass wir einmal Minuszin­
sen haben werden. Der beste Schutz
gegen solche Tendenzen bleiben die
eigenen vier Wände und erstklas­
sige Aktien.