Abi Deutsch 3

Originalklausur
mit Musterlösung
Abitur Deutsch
Aufgabe I:
Aufgabe II:
Aufgabe III:
Aufgabe IV:
Aufgabe V:
Aufgabe V:
August von Platen: Tristan und Isolde / Heinrich Heine: Reisebilder
Johann Wolfgang von Goethe: Torquato Tasso
Günter Grass: Die Blechtrommel / Patrick Süskind: Das Parfum
Zitat August Stramm
Zitat Johann Wolfgang von Goethe
Uwe Timm: Der Gedankenstrich
In den Aufgabenstellungen werden unterschiedliche Operatoren (Arbeitsanweisungen) verwendet; sie weisen auf unterschiedliche Anforderungsbereiche
(Schwierigkeitsgrade) hin und bedeuten, dass unterschiedlich viele Punkte
erzielt werden können. Die Lösungen zeigen beispielhaft, welche Antworten
die verschiedenen Operatoren erfordern.
Alles Wissenswerte rund um die Abiprüfung finden Sie im Buch im Kapitel
„Prüfungsratgeber und Prüfungsaufgaben“.
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Biologie, Chemie, Physik sowie Politik und Wirtschaft
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DEUTSCH
Arbeitszeit:
Der Prüfling
hat ein
Als Hilfsmittel
Wörterbücherzur
sind-
300 Minuten
e Aufgabe seiner Wahl zu bearbeiten.
auch im Hinblick
aufWorterklärungen
deutschen Rechtschreibung
digitale Datenträger) zugelassen.
(ausgenommen
-
2
AUFGABEl
(Erschließung
eines poetischen
Textes)
Erschließen und interpretieren Sie das folgende Gedicht! Fassen Sie
anschließend die Argumentation von Text B kurz zusammen und kllJ.ren Sie,
inwiefern die Einbeziehung von Text B zu einer veränderten Lesart des Gedichts
führen kann! Diskutieren Sie abschließend die Frage, ob der Lebenswandel oder
die Veranlagung eines Schriftstellers für die Beurteilung seines Werkes von
Belang ist!
Text A
AuJtust von Platen
796-1835)
<Aus Tristan lUld Iso1de>1 (erste FasslUlg, 1825)
5
Wer die Schönheit angeschaut mit Augen,
Ist dem Tode schon anheimgegeben,
Wird für keinen Dienst auf Erden taugen,
Und doch wird er vor dem Tode beben,
Wer die Schönheit angeschaut mit Augen!
10
Ewig währt für ihn der Schmerz der Liebe!
Denn ein Tor nur kann auf Erden hoffen,
Zu genügen einem solchen Triebe:
Wen der Pfeil des Schönen je getroffen,
Ewig währt für ihn der Schmerz der Liebe!
15
Was er wünscht, das ist ihm nie geworden,
Und die Stunden, die das Leben spinnen,
Sind nur Mörder, die gemach ihn morden:
Was er wiJl, das wird er nie gewinnen,
Was er wünscht, das ist ihm nie geworden!
20
Ach, er möchte wie ein Quell versiechen,
jedem Hauch der Luft ein Gift entsaugen,
Und den Tod ausjeder Blume riechen:
Wer die Schönheit angeschautmit Augen,
Ach, er möchte wie ein Quell versiechen!
Platen beabsichtigte, ein Drama mit dem Titel Tristan und Isolde zu verfassen. Das
vorliegende Gedicht sollte dem Drama voranstehen. Der seit dem Mittelalter überlieferte
Stoff handelt von -aus
gesellschaftlichen
Gründen -unerfiillbarer
Sehnsucht und
tragischern Liebestod.
In der zweiten Fassung des Gedichts (1834) hat Platen diese Strophe entfernt.
(Fortsetzung
nächste Seite)
3
Text
B
Heinrich
Heine (1797-1856)
Reisebüder. Die Bäder von Lukka. Kapitel XI. (1829)
(Orthographie entsprechendder kritischen Ausgabe)
10
20
1(\
[. ..] Ueberall in den Platenschen Gedichten sehen wir den Vogel Strauß, der nur
den Kopf verbirgt, den eiteln ohnmächtigen Vogel, der das schönste Gefieder
hat und doch nicht fliegen kann, und zänkisch humpelt über die polemische
Sandwüste der Literatur. Mit seinen schönen Federn ohne Schwungkraft, mit
seinen schönen Versen ohne poetischen Flug, bildet er den Gegensatz zu jenem
Adler des Gesanges,der minder glänzende Flügelhat, aber sich damit zur Sonne
erhebt -ich muß wieder auf den Refrain zurückkommen: der Graf Platen ist
kein Dichter.
Von einem Dichter verlangt man zwey Dinge; in seinen lyrischen Gedichten
müssen Naturlaute, in seinen epischen oder dramatischen Gedichten müssen
Gestalten seyn. Kann er sich in dieser Hinsicht nicht legitimiren, so wird ihm
der Dichtertitel abgesprochen, selbst wenn seine übrigen Familienpapiere und
Adelsdiplome in der größten Ordnung sind. Daß letzteres bey dem Grafen Platen
der Fall seyn mag, daran zweifle ich nicht, und ich bin überzeugt, er würde
mitleidig heiter lächeln, wenn man seinen Grafentitel verdächtig machen wollte;
aber wagt es nur, über seinen Dichtertitel, mit einer einzigen Xenie! den
geringsten Zweifel zu verrathen -gleich wird er sich ingrimmig niedersetzen
und fi.infaktige Satyren4 gegen Euch drucken. Denn die Menschen halten um so
eifriger au;f einen Titel, je zweydeutiger und ungewisser der Titulus ist, der sie
dazu berechtigt. Vielleicht aber würde der Graf Platen ein Dichter seyn, wenn er
in einer anderen Zeit lebte, und wenn er außerdem auch ein anderer wäre, als er
jetzt ist. Der Mangel an Naturlauten in den Gedichten des Grafen rührt vielleicht
daher, daß er in einer Zeit lebt, wo er seine wahren Gefiihles nicht nennen darf,
wo dieselbe Sitte, die seiner Liebe immer feindlich entgegensteht, ihm sogar
verbietet, seine Klage darüber unverhüllt auszusprechen,wo er jede Empfindung
ängstlich verkappen muß, um so wenig das Ohr des Publikums, als das eines
»spröden Schönen« durch eine einzige Silbe zu erschrecken. Diese Angst läßt
bey ihm keine eignen Naturlaute aufkommen, sie verdammt ihn, die Gefühle
anderer Dichter, gleichsam als untadelhaften, vorgefundenen Stoff, metrisch zu
bearbeiten, und nöthigenfalls zur Vermummung seiner eigenen Gefühle zu
gebrauchen. [. 00]
3 mit einer einzigen Xenie: Karl Immermann hatte sich in seinen von Heine in den II. Band
der Reisebi/der aufgenommenen Xenien (Spottepigrammen)
geäußert.
4 fünfaktige Satyren: Anspielung
kritisch über Platens Gedichte
auf Platens Schauspiel Der romantische ädipus, in dem er
Heines jüdische Herkunft lächerlich macht.
sseine wahren Gefüh/e: August von Platen galt als homosexuell.
4
AUFGABE
II
(Erschließung eines poetischen Textes)
a) Erschließen Sie den folgenden Szenenausschnitt, indem Sie Inhalt und
Aufbau sowie die dramaturgischen und sprachlich-stilistischen Gestaltungsmittel untersuchen!
b) Die Figur des Tasso ist als "Paradigma der Modeme" bezeichnet worden.
Diskutieren Sie diese These! Beziehen Sie dabei das klassische
Menschenbild und Ihre Kenntnisse der Literatur des 20. Jahrhunderts mit ein!
Vorbemerkung
Der Dichter Tasso ist Gast am Hof des Herzogs von Ferrara. Zu Beginn der
Handlung überreicht er seinem Gönner ein neues Werk, wofiir er von Prinzessin
Leonore mit einem Lorbeerkranz beschenkt wird. Tasso missversteht diese Geste
als Zeichen der Aufnahme in die höfische Gesellschaft. Deshalb wird er von
Staatssekretär Antonio in seine Schranken gewiesen. Tasso reagiert mit einer
Duellherausforderung,
die eine zeitweilige Verbannung auf sein Zimmer zur
Folge hat. Dort steigert er sich in selbstzerstörerische
Wahnvorstellungen. Es
kommt zu einem weiteren Missverständnis, als Tasso in der vorletzten Szene des
Dramas Leonore seine Liebe gesteht. Sie weist ihn zurück. Mit der übrigen Hof
gesellschaft verlässt die Prinzessin den Schauplatz; nur Antonio bleibt am Ort
der Handlung. Der vorliegende Ausschnitt ist die letzteSzene des Dramas.
Johann Wolfgang
Goethe (1749-1832)
Torquato
Tasso (1789 vollendet)
(Orthographie entsprechend der Harnburger Ausgabe)
Fünfter
Aufzug.
Fünfter
Auftritt.
Tasso. Antonio.
10
ANTONIO. O stünde jetzt, so wie du immer glaubst
Daß du von Feinden rings umgeben bist,
Ein Feind bei dir, wie würd er triumphieren?
Unglücklicher, noch kaum erhol ich mich!
Wenn ganz was Unerwartetes begegnet,
Wenn unser Blick was Ungeheures sieht,
Steht unser Geist auf eine Weile still,
Wir haben nichts womit wir das vergleichen.
TASSO nach einer langen Pause.
Vollende nur dein Amt, ich seh du bist's!
Ja du verdienst das fürstliche Vertraun,
(Fortsetzung
nächste Seite)
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Vollende nur dein Amt, und martre mich,
Da mir der Stab gebrochen ist, noch langsam
Zu Tode! Ziehe! Zieh am Pfeile nur,
Daß ich den Widerhaken grimmig fuhle
Der mich zerfleischt!
Du bist ein teures Werkzeug des Tyrannen,
Sei Kerkermeister, sei der Marterknecht,
Wie wohl! wie eigen steht dir beides an!
Gegen die Szene.
Ja, gehe nur Tyrann! Du konntest dich
Nicht bis zuletzt verstellen, triumphiere!
Du hast den Sklaven wohl gekettet, hast
Ihn wohl gespart zu ausgedachtenQualen:
~
h~
~
~
:~
Geh nur, ich hasse dich, ich fuhle ganz
Den Abscheu, den die Übermacht erregt,
Die frevelhaft und ungerecht ergreift.
Nach einer Pause.
So seh ich mich am Ende denn verbannt,
Verstoßen und verbannt als Bettler hier?
So hat man mich bekränzt, um mich geschmückt
Als Opfertier vor den Altar zu fuhren.
So lockte man mir noch am letzten Tage
Mein einzig Eigentum, mir mein Gedicht
i
Mit glatten Worten ab und hielt es fest!
c~
Mein einzig Gut ist nun in euren Händen,
.
Das mich an jedem Ort empfohlen hätte,
Das mir noch blieb vom Hunger mich zu retten!
Jetzt seh ich wohl warum ich feiern soll.
Es ist Verschwörung, und du bist das Haupt.
Damit mein Lied nur nicht vollkommner werde,
Daß nur mein Name sich nicht mehr verbreite,
Daß meine Neider tausend Schwächen finden,
Daß man am Ende meiner gar vergesse;
Drum soll ich mich zum Müßiggang gewÖhnenDrum soll ich mich und meine Sinne schonen.
O werte Freundschaft, teure Sorglichkeit!
Abscheulich dacht ich die Verschwörung mir,
Die unsichtbar und rastlos mich umspann,
Allein abscheulicher ist es geworden.
Und du, Sirene! die du mich so zart,
So himmlisch angelockt, ich sehenun
Dich auf einmal! O Gott warum so spät!
Allein wir selbst betrügen uns so gern,
(Fortsetzung
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Und ehren die Verworfnen die uns ehren.
Die Menschen kennen sich einander nicht;
Nur die Galeerensklaven kennen sich,
Die eng an ein e Bank geschmiedet keuchen;
Wokeiner was zu fordern hat und keiner
Was zu verlieren hat, diekennen sich!
Wo jeder sich fiir einen Schelmenl gibt,
Und seinesgleichen auch fiir Schelmen nimmtDoch wir verkennen nur die andern höflichDamit sie wieder uns verkennen sollen.
Wie lang verdeckte mir dein heilig Bild
Die Buhlerin, die kleine Künste treibt.
Die Maske fallt, Anniden2 seh ich nun
Entblößt von allen Reizen -ja, du bist's!
Von dir hat ahndungsvoll mein Lied gesungen!
Und die verschmitzte kleine Mittlerin!
Wie tief erniedrigt seh ich sie vor mir!
Ich h öre nun die leisen Tritte rauschen,
Ich kenne nun den Kreis um den sie schlich.
Euch alle kenn ich.! Sei mir das genug!
Und wenn das Elend alles mir geraubt,
So preis ich's doch, die Wahrheit lehrt es mich.
ANTONIO.Ich h öre, Tasso, dich mit Staunen an,
So sehr ich weiß wie leicht dein rascher Geist
Von einer Grenze zu der andern schwankt.
Besinne dich! Gebiete dieser Wut!
Du lästerst, du erlaubst dir Wort auf Wort,
Das deinen Schmerzen zu verzeihen ist,
Doch das du selbst dir nie verzeihen kannst.
T ASSO.O sprich mir nicht mit sanfter Lippe zu,
Laß mich kein kluges Wort von dir vernehmen!
LaB mir das dumpfe Glück, damit ich nicht
Mich erst besinne, dann von Sinnen komme.
Ich fiihle mir das innerste Gebein
Zerschmettert, und ich leb um es zu fuhlen.
Verzweiflung faßt mit aller Wut mich an,
Und in der Höllenqual die mich vernichtet
Wird Lästrung nur ein leiser Schmerzenslaut.
Ich will hinweg! Und wenn du redlich bist,
So zeig es mir, und laB mich gleich von hinnen.
ANToNIo. Ich werde dich in dieser Not nicht lassen;
I Schelm: hier kriiftiges Schimpfwort flir "Lump", "Betrüger"
2 Armiden: Armida, Figur aus Tassos Werk, charakterisiert als reizvoIleZauberin
(FortsetJ:unll nächste Seite)
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Und wenn es dir an Fassung ganz gebricht,
So soll mir's an Geduld gewiß nicht fehlen.
TASSO.So muß ich mich dir denn gefangen geben?
Ich gebe mich und so ist es getan;
Ich widerstehe nicht, so ist mir wohl Und laß es dann mich schmerzlich wiederholen,
Wie schön es war was ich mir selbst verscherzte.
Sie gehn hinweg -O Gott! dort seh ich schon
Den Staub der von den Wagen sich erhebt -
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Die Reutd sind voraus -dort fahren sie,
Dort gehn sie hin! Kam ich nicht auch daher?
Sie sind hinweg, sie sind erzürnt auf mich.
O küßt ich nur noch einmal seine Hand!
O daß ich nur noch Abschied nehmen könnte!
Nur einmal noch zu sagen: o verzeiht!
Nur noch zu hören: Geh, dir ist verziehnt
Allein ich hör es nicht, ich hör es nie Ich will ja gehn! Laßt mich nur Abschied nehmen,
Nur Abschied nehmen! Gebt, o gebt mir nur
Auf einen Augenblick die Gegenwart
Zurück! Vielleicht genes ich wieder. Nein,
Ich bin verstoßen, bin verbannt, ich habe
Mich selbst verbannt, ich werde diese Stimme
Nicht mehr vernehmen, diesem Blicke nicht,
Nicht mehr begegnenANTONIO.Laß eines Mannes Stimme dich erinnern,
Der neben dir nicht ohne Rührung steht!
Du bist so elend nicht als wie du glaubst.
Ermanne dich! Du gibst zu viel dir nach.
TASSO.Und bin ich denn so elend wie ich scheine?
Bin ich so schwach wie ich vor dir mich zeige?
Ist alles denn verloren? Hat der Schmerz,
Als schütterte der Boden, das Gebäude
In einen grausen Haufen Schutt verwandelt?
Ist kein Talent mehr übrig, tausendfaltig
Mich zu zerstreun, zu unterstützen?
Ist alle Kraft verloschen, die sich sonst
In meinem Busen regte? bin ich ni c ht s ,
Ganz nichts geworden?
Nein, es ist alles da und ich bin nichts;
Ich bin mir selbst entwandt, sie ist es mir!
ANToNIo. Und wenn du ganz dich zu verlieren scheinst,
3 Reuter:
veraltetfilr
"Reiter"
(Fortsetzung
nächste Seite)
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Vergleiche dich! Erkenne was du bist!
TASSO.Ja, du erinnerst mich zur rechten Zeit! 140
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Hilft denn kein Beispiel der Geschichte mehr?
Stellt sich kein edler Mann ~r vor die Augen,
Der mehr gelitten als ich jemals litt,
Damit ich mich mit ihm vergleichend fasse?
Nein, alles istdahin! -Nur eines bleibt:
Die Träne hat uns die Natur verliehen,
Den Schrei des Schmerzens, wenn der Mann zuletzt
Es nicht mehr trägt -Und mir noch über alles Sie ließ im Schmerz mir Melodie und Rede,
Die tiefste Fülle meiner Not zu klagen:
Und wenn der Mensch in seiner Qual verstummt,
Gab mir ein Gott zu sagen, wie ich leide.
ANTONIOtritt zu ihm und nimmt ihn bei der Hand.
TASSO.O edler Mann! Du stehestfest und still,
Ich scheine nur die sturmbewegte Welle.
Allein bedenk, unduberhebe nicht
Dich deiner Kraft! Die mächtige Natur,
Die diesen Felsen gründete, hat auch
Der Welle die Beweglichkeit gegeben.
Sie sendet ihren Sturm, die Welle flieht
Und schwankt und schwillt und beugt sich schäumendüber.
In dieser Woge spiegelte so schön
Die Sonne sich, es ruhten die Gestime
An dieser Brust, die zärtlich sich bewegte.
Verschwunden ist der Glanz, entflohn die Ruhe.
Ich kenne mich in der Gefahr nicht mehr,
Und schäme mich nicht mehr es zu bekennen.
Zerbrochen ist das Steuer und es kracht
Das Schiff an allen Seiten. Berstend reißt
Der Boden unter meinenfüßen auf!
Ich fasse dich mit beiden Armen an!
So klammert sich der Schiffer endlich noch
Am Fel~en fe~t.-an dem er ~cheitem sollte.
Q
AUFGABE
(Erschließung
III
eines poetischen
Textes)
a) Erschließen und vergleichen Sie anhand geeigneter Analysekriterien die
folgenden zwei Romanausschnitte, die beide die Lebensgeschichte des
Helden mit seiner Geburt beginnen lassen! Arbeiten Sie dabei heraus, welche
Eigenschaften der Figuren hier bereits angelegt werden!
b) Zeigen Sie, ausgehendvon Ihren Ergebnissen, anhand geeigneter Erzähltexte
auf, wie die Hauptfigur in anderen Werken eingefiihrt wird und welche
Rückschlüsse auf die Anlage der jeweiligen Figur daraus abzuleiten sind!
Vorbemerkung
zu Text A
Der folgende Textausschnitt .\,tammt aus dem Einleitungsteil
des Romans über
Oskar Matzerath, der mit drei Jahren beschließt, nicht mehr zu wachsen. und
der fortan mit seiner Blechtrommel sowie markdurchdringendem
Schreien die
Ordnung der Erwachsenenwelt stört.
Text A
Günter
Grass
Die Blechtrommel
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(geb.
1927)
( 1959)
[...] Mama kam zu Hause nieder. Als die Wehen einsetzten, stand sie nochim
Geschäft und füllte Zucker in blaue Pfund- und Halbpfundtüten ab. Schließlich
war es für den Transport in die Frauenklinik Z'.l spät; eine ältere Hebamme, die
nur noch dann und wann zu ihrem Köfferchen griff, musste aus der nahen
Hertastraße gerufen werden. Im Schlafzimmer
half sie mir und Mama,
voneinander loszukommen.
Ich erblickte das Licht dieser Welt in Gestalt zweier Sechzig-Watt-Glühbirnen.
Noch heute kommt mir deshalb der Bibeltext: "Es werde Licht und es ward
Licht" -wie
der gelungenste Werbeslogan der Finna Osram vor. Bis auf den
obligaten Dammriß1 verlief meine Geburt glatt. Mühelos befreite ich mich aus
der von Müttern, Embryonen und Hebammen gleichviel geschätzten Kopflage.
Damit es sogleich gesagt sei: Ich gehörte zu den hellhörigen Säuglingen, deren
geistige Entwicklung schon bei der Geburtabgeschlossen ist und sich fortan nur
noch bestätigen muß. So unbeeinflußbar ich als Embryo nur auf mich gehört und
mich im Fruchtwasser spiegelnd geachtet hatte, so kritisch lauschte ich den
ersten spontanen Äußerungen der Eltern unter den Glühbirnen. Mein Ohr war
hellwach. Wenn es auch klein, geknickt, verklebt und allenfalls niedlich zu
benennen war, bewahrte es dennoch jede jener für mich fortan so wichtigen,
weil als erste Eindrücke gebotenen Parolen. Noch mehr: was ich mit dem Ohr
einfing, bewertete ich sogleich mit winzigstem Hirn und beschloß, nachdem ich
I Dammtiß: häufige VerletZung der Gebärendenbei der Geburt
(Fortsetzung
nächste Seite)
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alles Gehörte genug bedacht hatte, dieses und jenes zu tun, anderes gewiß zu
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lassen.
"Ein Junge", sagte jener Herr Matzerath, der in sich meinen Vater vermutete.
"Er wird später einmal das Ge~chäft übernehmen. Jetzt wissen wir endlich,
wofiir wir uns so abarbeiten."
Mama dachte wenigerans Geschäft, mehr an die Ausstattung ihres Sohnes: "Na,
wußt' ich doch, dass es ein Jungchen ist, auch wenn ich manchmal jesagt hab',
es wird ne Marjell."
So machte ich verfrühte Bekanntschaft mit weiblicher Logik und hörte mir
hinterher an: "Wenn der kleine Oskar drei Jahre alt ist, soll er eine
Blechtrommel bekommen."
Längere
Zeit
mütterliches
und väterliches
Versprechen
gegeneinander
abwägend, beobachtete und belauschteich, Oskar, einen Nachtfalter, der sich ins
Zimmer verflogen hatte. Mittelgroß und haarig umwarb er die beiden SechzigWatt-Glühbirnen,
warf
Schatten,
die in übertriebenem
Verhältnis
zur
Spannweite seiner Flügel den Raum samt Inventar mit zuckender Bewegung
deckten, fiillten,
erweiterten.
Mir blieb jedoch weniger das Lichtund
Schattenspiel, als vielmehr jenes Geräusch, welches zwischen Falter und
Glühbirne laut wurde: Der Falter schnatterte, als hätte er es eilig, sein Wissen
loszuwerden, als käme ihm nicht mehr Zeit zu fiir spätere Plauderstunden mit
Lichtquellen,
als wäre das Zwiegespräch zwischen Falter und Glühbirne in
jedem Fall des Falters letzte Beichte und nach jener Art von Absolution, die
Glühbirnen austeilen, keine Gelegenheit mehr fiir Sünde und Schwärmerei.
Heute sagt Oskar schlicht: Der Falter trommelte. [ ...]
Vorbemerkung
zu Text B
Der folgende Textausschnitt stammt aus dem Einleitungsteil
des Romans über
den Einzelgänger Grenouille, der über einen außerordentlichen
Geruchssinn
verfügt und aufgrund der Idee, den Geruch junger Mädchen destillieren zu
wollen, zum Massenmörder wird.
Text
Patrick
Das Parfum.
Die
Süskind
Geschichte
B
(geh.
1949)
eines Mörders
(1985)
[...] Hier nun, am allerstinkendsten Ort des gesamten Königreichs, wurde am
17. Juli 1738 Jean-Baptiste Grenouille geboren. Es war einer der heißesten Tage
des Jahres. Die Hitze lag wie Blei über dem Friedhof und quetschte den nach
einer Mischung aus fauligen Melonen und verbranntem Horn riechenden
Verwesungsbrodem in die benachbarten Gassen. Grenouilles Mutter stand, als
die Wehen einsetzten, an einer Fischbude in der Rue aux Fers und schuppte
Weißlinge, die sie zuvor ausgenommen hatte. Die Fische, angeblich erst am
Morgen aus der Seine gezogen, stanken bereits so sehr, daß ihr Geruch den
(Fortsetzung nächste Seite)
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Leichengeruch überdeckte. Grenouilles Mutter nahm weder den Fisch- noch den
Leichengeruch wahr, denn ihre Nase war gegen Gerüche im höchsten Maße
abgestumpft, und außerdem schmerzte ihr Leib, und der Schmerz tötete alle
Empfanglichkeit
ftir äußere Sinneseindrücke.
Sie wollte nur noch, daß der
Schmerz aufhöre, sie wollte die eklige Geburt so rasch als möglich hinter sich
bringen. Es war ihre fünfte. Alle vorhergehenden hatte sie hier an der Fischbude
absolviert, und alle waren Totgeburten oder Halbtotgeburten gewesen, denn das
blutige Fleisch, das da herauskam, unterschied sich nicht viel von dem
Fischgekröse, das da schori lag, und lebte auch nicht viel mehr, und abends
wurde alles mitsammen weggeschaufelt und hinübergekarrt zum Friedhof oder
hinunter zum Fluß. So sollte es auch heute sein, und Grenouilles Mutter; die
noch eine junge Frau war, gerade Mitte zwanzig, die noch ganz hübsch aussah
und noch fast alle Zähne im Munde hatte und auf dem Kopf noch etwas Haar
und außer der Gicht und der Syphilis und einer leichten Schwindsucht keine
ernsthafte Krankheit; die noch hoffte, lange zu leben, vielleicht fünf oder zehn
Jahre lang, und vielleicht sogar einmal zu heiraten und wirkliche Kinder zu
bekommen als ehrenwerte Frau eines verwitweten
Handwerkers oder so ...
Grenouilles Mutter wünschte, daß alles schon vorüber wäre. Und als die
Preßwehen einsetzten, hockte sie sich unter ihren Schlachttisch und gebar dort,
wie schon vier Mal zuvor, und nabelte mit dem Fischmesser das neugeborene
Ding ab. Dann aber, wegen der Hitze und des Gestanks, den sie als solchen nicht
wahrnahm, sondern nur als etwas Unerträgliches, Betäubendes -wie
ein Feld
von Lilien oder wie ein enges Zimmer, in dem zuviel Narzissen stehen -,wurde
sie ohnmächtig, kippte zur Seite, fiel unter dem Tisch hervor mitten auf die
Straße und blieb dort liegen, das Messer in der HandGeschrei, Gerenne, im Kreis steht die glotzende Menge, man holt die Polizei.
Immer noch liegt die Frau mit dem Messer in der Hand auf der Straße, langsam
kommt sie zu sich.
Was ihr geschehen sei?
"Nichts."
Was sie mit dem Messer tue?
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50
"Nichts."
Woher das Blut an ihren Röcken komme?
" Von den Fischen."
Sie steht auf, wirft das Messer weg und geht davon, um sich zu waschen.
Da fängt, wider Erwarten, die Geburt unter dem Schlachttisch zu schreien an.
Man schaut nach, entdeckt unter einem Schwarm von Fliegen und zwischen
Gekröse und abgeschlagenen Fischköpfen das Neugeborene, zerrt es heraus.
Von Amts wegen wird es einer Amme gegeben, die Mutter festgenommen. Und
weil sie geständig ist und ohne weiteres zugibt, daß sie das Ding bestimmt
würde haben verrecken lassen, wie sie es im übrigen schon mit vier anderen
getan habe, macht man ihr den Prozeß, verurteilt
sie wegen mehrfachen
Kindermords und schlägt ihr ein paar Wochen später auf der Place de Greve den
Kopfab. r...l
12
AUFGABE
IV
(Erörterung)
"Der Raum ertrinkt in Einsamkeit"
(August Stramm, Dämmerung)
Untersuchen
Sie die Gestaltung
des Schauplatzes bzw .des
Raums in
literarischen Werken unterschiedlicher Epochen und zeigen Sie seine jeweilige
Funktion aufl Berücksichtigen
Sie dabei den literaturgeschichtlichen
Hintergrund!
13
AUFGABE
V
(Erörterung)
"Es ist mit Meinungen, die man wagt, wie mit Steinen, die man voran im Brette
bewegt: sie können geschlagen werden, aber sie haben ein Spiel eingeleitet, das
gewonnen wird."
(Johann Wolfgang von Goethe, Maximen und Reflexionen)
Erörtern Sie, ausgehend von einer Erläuterung dieser These, Chancen und
Risiken von Meinungsäußerungen im öffentlichen Diskurs!
14
AUFGABE
VI
(Erörterung anhand eines Textes)
a) Erarbeiten Sie die Argumentationsstruktur des folgenden Textes und klären
Sie, welche Leistungen der Autor dem Gedankenstrich zuschreibt! Berücksichtigen Sie dabei auch auffallige sprachlich-stilistische Merkmale!
b) Erörtern Sie, auch unter Einbeziehung Ihrer Ergebnisse, inwiefern
Schriftsprache der Regelhaftigkeit bedart1 Berücksichtigen Sie dabei
insbesondere kommunikative Erfordernisse von Sprache und Möglichkeiten
poetischen Sprachgebrauchs!
Uwe
Timm
(geb.
Der Gedankenstrich
10
25
1940)
(2002)
...
Der Gedankenstrich, das ist mein erster Eindruck, wird heute nur moderat
genutzt. Dort wo er gesetzt wird, steht er fast immer nach den vier Regeln, die
im Duden genannt werden: I. Er kündigt etwas Folgendes, Unerwartetes an. 2.
Den Wechsel des Themas und Sprechers. 3. Zusätze und Nachträge k5nnen
deutlich vom übrigen Text abgetrennt werden. 4. Wird seine Stellung vor Frageund Ausrufezeichen beschrieben.
In dieser Bestimmung ist der Gedankenstrich kaum etwas anderes als ein
horizontales geradegebogenes Komma. Formuliert werden hier sYntaktische
Regeln, die nichts von dem Bedeutungsüberschuß dieses Satzzeichens verraten
und wohl den berühmtesten Gedankenstrich in der Deutschen Literatur nicht
-hinlänglich erfassen k5nnen.
"Er stieß noch dem letzten viehischen Mordknecht, der ihren schlanken Leib
umfaßt hielt, mit dem Griff des Degens ins Gesicht, daß er, mit aus dem Mund
vorquellendem Blut, zurücktaumelte; bot dann der Dame, unter einer
verbindlichen, franz5sischen Anrede den Arm, und fiihrte sie, die von allen
solchen Aufbitten sprachlos war, in den anderen, von der Flamme noch nicht
ergriffenen, Flügel des Palastes,wo sie auch v5llig bewußtlos niedersank. Hier traf er, da bald darauf ihre erschrockenen Frau~ erschienen, Anstalten, einen
Arzt zu rufen; versicherte, indem er sich den Hut aufsetzte, daß sie sich bald
erholen würde; und kehrte in den Kampf zurück."
Dieser Gedankenstrich in der Kleistschen Erzählung Die Marquise von 0... steht
zwischen dem "Hier" und "traf er ...Anstalten". Beim lauten Lesen bemerkt
man ihn nicht, er zeigt keinen Wechsel, keinen Zusatz an, und doch steht er für
das ganze unerh5rte Geschehen-wie soll man es nennen, den Mißbrauch? , die
Vergewaltigung? der Marquise. Dieser Gedankenstrich verweist nicht nur auf
etwas, was an dieser Stelle ausgelassen ist, sondern er verbindet auch
(FortsetzunH
nächsteSeite)
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Räumliches mit Zeitlichem, das Hier mit dem Anstalten treffen. Er trennt einen
Handlungsteil ab und verbindet ihn mit künftigem Geschehen.Zugleich, und das
ist das Wesentliche, verweist er auf etwas, was so nicht zur Sprache gebracht
werden kann, etwas Körperliches, die Sexualität. Kleist verschweigt hier nicht
aus Prüderie oder aus Gründen der Dramatik diesen die ganze Erzählung
bestimmenden Tathergang, um dadurch desto stärker die Überraschung, nämlich
die Schwangerschaft der Marquise, hervorzuheben, sondern dieser
Gedankenstrich weist über den Text hinaus, filhrt als typographischer Strich des
Lautsystems das Non-Verbale der Imagination dem Leser zu.
Von seiner Herkunft ist er auf die Leiblichkeit gerichtet. Der Gedankenstrich
kommt in den englischen Dramen um 1600 auf, eine Erfindung, die Ben Jonson
zugeschrieben wird. Ein Zeichen für den Schauspieler, das Pausen und den
Rhythmus des Sprechenden im Text bestimmen soll. Nicht zufällig ist seine
Weiterentwicklung und Differenzierung in England an die Herausbildung des
Romans gebunden, an jene Gattung, in der wunderbarerweise alles erlaubt ist.
Auch der Leser ist ja ein innerer Sprecher. Der Gedankenstrich hat dabei stets
etwas von dem leiblichen Ursprung behalten, also der Pause, dem Rhythmus,
dem Atemschöpfen, aber auch dem Gestischen, Mimischen. Er findet sich bei
Samuel Richardson und dann natürlich bei Laurence Sterne, im Tristram
Shandy, hier geradezu exzessiv und sich sogar selbst reflektierend, in insgesamt
6 syntaktischen und II semantisch pragmatischen Funktionen, wie Martina
Michelsen herausgearbeitet hat, Funktionen, die sich auch noch untereinander
verbinden können, also zu einer ganz erstaunlichen Bedeutungsvielfalt filhren.
Im Horribilicribrifax
von Andreas Gryphius taucht er dann 1663 zum ersten
Mal in der deutschen Literatur auf. Wird aber noch nicht in Zedlers
Universallexikon von 1735 erwähnt, dann aber 1775 in Adelungs Grammatischkritisches Wörterbuch der hochdeutschen Mundart: "eine verächtliche oder
wenigstens scherzhafte Benennung desjenigen von den neuen witzigen
Schriftstellern nach dem Beispiel der Engländer eingefilhrten orthographischen
Zeichens, welches in einem oder mehreren Querstrichen besteht ...Häufung
dieser Striche sind dem Leser nur zu oft unangenehm oder ekelhaft ..."
1808 in Campes Bearbeitung des Adelungschen Wörterbuchs sind alle
Vorbehalte gestrichen und es wird nur noch die Funktion referiert.
In den dazwischenliegenden 33 Jahren hatte die Lust der Empfindsamkeit den
Ekel an diesem Satzzeichen verdrängt. In Die Leiden desjungen Werthers findet
sich in einer hochemotionalen Stelle zugleich eine Reflexion auf den
Gedankenstrich: "Sieh, und was mich verdrüst, ist, daß Albert nicht so beglükt
zu seyn scheinet, als er- hoffte -als ich -zu seyn glaubte -wenn -Ich mache
nicht gern Gedankenstriche, aber hier kann ich mich nicht anders ausdrukken und mich dünkt deutlich genug."
Er steht filr d~, was nicht verbalisiert werden kann, das gestische Sprechen, das
Stammeln, das Unverständnis, wohin Sprache nicht reicht, wo also Sprache
dieses Delirium ist, das aus der fundamentalen Nicht-Adäquatheit von Rede und
Wirklichem besteht, wie Roland Barthes es nennt. Der Gedankenstrich ist also
(Fortsetzung
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auch das Zeichen, das diesen Mangel andeutet, ein Mangel, der wiederum durch
spielerische Konstruktionen aufgehoben werden kann. Beispiele finden sich in
der neueren deutschen Literatur insbesondere bei Arno Schmidt, der ihn, an
Sterne geschult, einsetzt, wie in dem Roman Aus dem Leben eines Fauns: "So
steckte ich die Aktentasche hinter einen Busch zum Stock, und untersuchte das
Terrain:
" Die Gedankenstriche verbildlichen die. Schritte wie Fußstapfen
und fuhren buchstäblich ins Non-Verbale.
Wen wundert es, daß der Gedankenstrich nicht von der Rechtschreibreform
erfaßt wurde. Im Gegensatz zu dem anderen Strich in der Satzzeichenlehre, dem
Bindestrich, der auch immer ein Trennungsstrich ist und neuerdings Plackerei zu
Pla-ckerei zerlegt.
Der Gedankenstrich hingegen ist in dem funktionalen Zeichensystem wie ein
Partisan, der Leben in das Ordnungssystem bringt, und Leben, dort wo es
wächst, zeichnet sich durch Chaos aus. Er erinnert von seiner Herkunft an den
Leib, an die Stimme, an den Atem, also an den Ursprung des Lautsystems, in
dessengedruckter Form er sich nun als Vagantherumtreibt. Und er findet sich in
einer Sprache, die noch das Kolloquiale im Ohr hat, nicht zufällig also bei Arno
Schmidt.
Daß er heute sich mehr auf die syntaktisch-grammatikalischen Normen
zurückgezogen hat, ist möglicherweise mit der Stimmenfeme in der Literatur zu
erklären; auch daß alles auserzählt werden kann, Sexualität kaum noch ein
Geheimnis ist, Emotionen geradezu gemieden werden -verklemmt -was sich
dann als hoher Stil selbst feiert. Vielleicht bedürfen auch die Ellipsen,
Anakoluthe, die Brüche und Cuts heute für den geübten Leser keiner Hervorhebung mehr. Und so hat der Gedankenstrich, als habe er sich scheu
zurückgezogen, auch an Länge verloren, ist heute typographisch auf 3/4seines
früheren Gevierts geschrumpft.
Andererseits wachsen ihm immer wieder neue Möglichkeiten zu, wie beispielsweise in den von Spitzeln mitgelesenen Briefen in der Nazizeit, in denen, wie
ein Physiker erzählte, der Gedankenstrich am Ende eines Satzes die Umkehrung
der Aussage bedeutete. Eine partisanenhafte Inversion. Und wer weiß, vielleicht
taucht er wieder verstärkt auf, überraschend, in einer Literatur, die sich den
Emotionen zuwendet, die sich der gesprochenen Sprache zuneigt, vielleicht
erlangt er dann auch wieder seine ihm zugehörige ursprüngliche Länge.
[. ..]
Musterlösungen für die
Prüfungsaufgaben Abitur
Prüfungsfach:
Autorin:
I.
Deutsch (Bayern 2008)
Annette Schomber
Aufgabe
a) Gedichtinterpretation
In dem Gedicht geht es um die Bedeutung von Schönheit und dessen Auswirkungen auf das
irdische Leben; derjenige, der Schönheit erfährt und diese sieht, wird von ihr so sehr in den
Bann gezogen, so dass er für das alltägliche Leben nur noch wenig taugt (Z. 3). Darüber
hinaus ist die Erfahrung des Schönen ein Art „Todesurteil“, d. h. die Schönheit – und damit
ist die Schönheit und Reinheit der Liebe gemeint – ist mit Schmerz und Leid verbunden (Z.
6), denn diese Schöne kann nicht erreicht werden und verspricht keine Erlösung. Vielmehr
wünscht sich derjenige, der die Schönheit sieht und spürt, Erlösung in Form des Todes; er
verspürt Todessehnsucht (Vergl. 4. Strophe) – er sieht in all den schönen Dingen den Tod,
den er „aus jeder Blume“ (Z. 18) riecht. Somit wird das Leben zur Qual – es bleibt die
Resignation bis hin zu einem radikalen Pessimismus.
Mittels der Schönheit soll die entfremdete und zerstörte Realität überwunden werden, doch
dies bleibt ein unerfüllbarer Wunsch; dieser Wunsch wird soweit übersteigert, dass der Tod
als letzter möglicher Wunsch noch bleibt.
Formale und sprachliche Besonderheiten
ˆ liedhaft wirkende Strophe, bestehend aus 4 Strophen; die Strophen bestehen
wiederum aus 4 Verszeilen; die vierte Zeile ist jeweils ein Kehrreim;
ˆ Kreuzreim mit meist weiblichen Kadenzen;
ˆ fallender Fünftakter
ˆ Die „Schönheit“ und die Erfahrung derselben wird leitmotivisch wiederholt und zeigt
somit die Bedeutung dieser Thematik;
ˆ Personifikationen und Vergleiche dominieren das Gedicht (Z. 12f; Z. 16)
ˆ Wortfeld „Tod“; Todbringendes wird thematisiert und mit Schönheit kontrastiert, die mit
den Verben „hoffen“ und „wünschen“ in Verbindung gebracht werden; Verben der
Wahrnehmung („angeschaut“ oder „riechen“) weisen auf eine sinnlich Erfahrung hin,
die keineswegs vom Verstand gesteuert wird.
b) Die Argumentation von Text B
Heine behauptet klar und unverblümt, dass Platen kein Dichter ist (Z. 7f.), weil er
ˆ nur Oberflächliches präsentiert;
ˆ er lediglich auf das schöne Äußere achtet, ohne inhaltliche Aussagen zu machen
(Z. 1 – 10);
ˆ seine „lyrischen Gedichte“ nicht den „Lauten“ der Natur folgen (Z. 10), d. h. er bringt
seine wahren Gefühle nicht zu Papier, da Platen selbst seine Gefühle zeitlebens
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unterdrückt hat, d. h. seine Homosexualität nicht auslebte (Z. 20 ff.) – seine Gedichte
verbalisieren keineswegs seine wahren Gefühle; falsches Pathos
ˆ seine lyrischen und epischen Gedichte keine „Gestalten“ beinhalten (Z. 11); sie sind
daher bedeutungslos und wenig aussagekräftig;
ˆ seine Lyrik nicht zeitgemäß ist– Platen selbst fühlte sich in formalen Fragen sehr vom
klassischen Vorbild abhängig und er wurde auch häufig mit dem Vorwurf des
Eklektizismus konfrontiert (Heine weist in den Zeilen 1 ff. indirekt darauf hin).
c) Konsequenzen für das Gedicht von Platen:
Der Text Heines kann zu einer veränderten Lesart führen, wobei auch ohne die Lektüre
dieses Textes klar wird, dass Platen kein herausragender Dichter war.
Man sollte sich darüber im Klaren sein, dass Heine sich aus Wut so despektierlich über
Platen und seine Fähigkeiten als Lyriker geäußert hat. Platen hat Heine als Jude denunziert,
weswegen Heine fliehen musste.
Heines Text kann helfen, das Gedicht mit dem Etikett „Kitsch“ zu versehen; hinzu kommen
Heines massive Anschuldigungen, Platen habe seine Gefühle nicht gelebt – diese
hinsichtlich des Gedichts wohl wichtigste Aussage lässt die Frage nach der Echtheit des im
Gedicht dargestellten Schmerzes aufkommen. Sie stellt somit das gesamte Gedicht in Frage,
denn Platen musste zeitlebens seine Gefühle „ängstlich verkappen“. Somit stellt sich die
Frage nach der Authentizität und Glaubhaftigkeit des Gedichts.
d) Lebenswandel/ Veranlagung des Schriftstellers im Verhältnis zu seinem literarischen
Schaffen.
Diese sehr grundsätzliche Frage hängt sehr stark von der eigenen Wahrnehmung und
Wertvorstellungen ab, d. h. ob die Glaubwürdigkeit eines literarischen Werks von dem
Lebenswandel eines Autors grundsätzlich abhängt.
Einerseits ist kein Mensch/ kein Autor perfekt, andererseits ist dann aber zu klären, ab wann
die Glaubwürdigkeit eines literarischen Werkes in Mitleidenschaft gezogen wird. Dies wird
besonders dann äußerst problematisch, wenn ein Autor in seinem literarischen Werk hohe
ethische Werte und Moralvorstellungen vertritt. Ein Werk ist selbstverständlich per se nicht
weniger wert, nur weil der Verfasser selbst auf die „schiefe Bahn“ geraten ist. Wenn
Rousseau über die Erziehung von Kindern schreibt, so sind seine Ideen und Thesen nicht
weniger wert, nur weil er selbst nicht fähig war, seine Kinder zu erziehen. Dadurch wird dem
Leser nur einmal wieder mehr vor Augen geführt, dass der Mensch fehlbar ist und dass
Autoren keine besseren Menschen sind.
Natürlich wünscht sich der Leser – besonders junge Leser – ein Vorbild, das nicht nur in der
Theorie, sondern auch in der Praxis an seinen Ideen festhält.
Im Fall Platen scheint dies nicht allzu sehr dramatisch zu sein, denn die Tatsache, dass er
sich nicht zu seinen wahren Gefühlen bekannt hat, macht in a priori nicht zu einem
schlechten Lyriker (oder weniger glaubhaften) – gerade diese Situation könnte auch der
Anlass für ein immens kreatives Potential sein; das Leiden eines Dichters (oder
Schriftstellers) allgemein kann die Kreativität beflügeln; dies sagt allerdings noch nichts über
die Qualität eines Textes aus.
Problematisch wird ein Lebenswandel, der zutiefst verabscheuenswürdig ist – hier wird die
Trennung zwischen Werk und Autor extrem heikel und schwierig.
Generell sollte man ein Kunstwerk ohne den Lebenswandel eines Autors genießen können,
denn es muss für sich stehen können. Die Glaubwürdigkeit eines Textes liegt auch in diesem
selbst begründet und auch in der Lesart. Textqualität spiegelt nicht die Qualität des
jeweiligen Autors wider. Oder ist die Arbeit eines hervorragenden Chirurgen deshalb
schlecht, nur weil er seine Frau schlägt? Er hat vielleicht schon vielen Menschen das Leben
gerettet, aber selbst ist er rettungslos in Schuld verstrickt. Diese persönliche Dimension im
Lebenswerk eines Autors ist mit Sicherheit wichtig bei der Analyse, aber sie sagt nichts über
die Qualität eines Textes aus. Es ist äußerst bedauerlich, dass Mensch und Werk nicht
immer vereinbar sind und es bleibt mir als Leser immer noch die Möglichkeit, mich bei der
Wahl meiner Lektüre von dem Lebenswandel des Autors leiden zu lassen.
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II. Aufgabe
1. Erschließen der Szene aus Goethes Torquato Tasso
a) Inhalt und Aufbau
Tasso stürzt sich nach einer Reihe von Missverständnissen in die Selbstzerstörung,
Selbstzerfleischung bis hin zum Selbstverlust. Er stellt sich als Künstler massiv in Frage (Z.
30ff.) und fühlt sich als Künstler missverstanden. Daher wünscht er sich, das Lustschloss
seines Gönners verlassen zu können, Antonio versucht ihn jedoch zu ermutigen und seine
wahren Talente zu erkennen. Doch Tasso gibt sich auf und fühlt sich dem Untergang nahe
und klammert sich in seinem Schmerz wie ein Schiffer an den Felsen(Z. 160 ff.). Es bleibt
offen, ob Tasso wirklich Halt findet oder ob seine Tragik fortdauert.
Der Dialog zwischen Antonio und Tasso wird von Tassos Ausführungen dominiert
Antonio schaltet sich immer nur dazwischen, um Tasso von dem Kurs der nagenden
Selbstzweifel abzubringen. Es liegt daher eine eher komplementäre Kommunikation vor, in
dem sich die Figuren mittels ungleichen Redeanteilen auseinandersetzen.
b) dramaturgische und sprachliche Gestaltungsmittel:
ˆ Blankvers (Shakespeare als Vorbild)
Tassos Sensibilität und Selbstzweifel werden durch eine Reihe von sprachlichen Mitteln
hervorgehoben:
ˆ rhetorische Fragen (Z. 125ff.);
ˆ Wortwiederholungen (Abschied, Schmerz, Elend, Verzweiflung);
ˆ elliptischer Satzbau; kurze Ausrufe;
ˆ Apostrophe (Z. 108f./ Z. 151)
ˆ Antiklimax (Z. 217);
ˆ Metapher aus dem Bereich „Meer“ und „Seefahrt“ (Z. 160ff.)
2. Tasso als „Paradigma der Moderne“
ˆ die durch Tasso thematisierte Kluft zwischen dem realen Leben und dem ästhetischen
Bereich;
ˆ der sensible und wenig geschätzte Künstler;
ˆ die Lebensferne des Künstlers;
ˆ die Dominanz einer ästhetischen Existenz;
ˆ Selbstverlust und Selbstzweifel der Künstlerexistenz;
ˆ ästhetische Bewältigung des erlebten Leids;
ˆ ein poetisches Genie, ohne politischen Anspruch;
ˆ Ästhetik (Tasso) und Politik (Antonio), Emotionalität und gesellschaftliche Normen
lassen sich nicht vereinbaren;
ˆ Die Problematik eines schöpferischen Menschen;
ˆ Verhältnis Umwelt – Künstler;
ˆ die Verantwortung des Künstlers und die Frage, wem er letztendlich verantwortlich ist;
ˆ Literatur des 20. Jahrhunderts: Thomas Mann: Tonio Kröger; Der Tod in Venedig;
Hermann Hesse, Steppenwolf; die Werke Kafkas (z. B. Auf der Galerie)
III. Aufgabe
1. Romanausschnitte – ein Vergleich
a) Günter Grass: Die Blechtrommel
ˆ Ich-Erzähler (erlebendes Ich); die Art und Weise, wie der Leser die Figuren, die
Handlung, den Ort und die Zeit sieht, hängt sehr stark von der Perspektive von Oskar
Matzerath ab; dennoch kommentiert und kommuniziert er mit dem Leser, und es wird
somit eher auktorial erzählt, das erzählende Ich steht deutlich in einem zeitlichen und
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geistigen Abstand zu dem erlebenden Ich und er erzählt, wie sich einst seine Geburt
zugetragen hat;
raffender Bericht als dominante Form der Erzählerrede; die fast nüchterne und
medizinisch recht fundierte Berichterstattung klingt in Anbetracht der Situation
eigenartig und befremdlich; dies wird dadurch erreicht, dass die Figurenrede der
gehobenen Stilebene zu zuordnen ist (10 f. Z. 14 f.);
die äußere Handlung herrscht vor; der Leser wird mit den sichtbaren Vorgängen der
Geburt etc. konfrontiert; die Glühbirne wird leitmotivisch wiederholt; auch die
zunehmend wichtig werdende Bedeutung der Blechtrommel wird angedeutet (Z. 31 ff.)
direkte Charakterisierung der Figur selbst, die über sich spricht und nachdenkt; äußere
und soziale Merkmale, Verhalten und Denken werden in der direkten Darstellung
präsentiert;
Figurenkonzeption zielt in der Selbstdarstellung von Oskar auf eine statische ab, weil
von sich selbst sagt, dass seine „geistige Entwicklung schon bei der Geburt
abgeschlossen“ ist und „sich fortan nur noch bestätigen muß“ (Z. 13 ff.); doch der
Hinweis darauf, dass er „hellwach“ (Z. 17) ist, zeigt Oskar Fähigkeit, sich zu eine
komplexen, dynamischen und offenen Figur zu verwandeln;
die Bedeutung des Raums, in der die Geburt stattfindet: der Leser erfährt etwas über
die Lichtverhältnis und über die Bedeutung der Lichtquelle – dieser Hinweis lässt
Rückschlüsse auf die Raumverhältnisse zu – der Eindruck eines kargen Zimmers wird
vermittelt, wobei eine Stimmung vermittelt wird, wodurch der Leser sich zunehmend
auf die Figur des Oskar konzentriert und mit Spannung erwartet, was mit diesem Kind,
das schon – abgesehen von einer äußerlich eher unspektakulären Geburt – einige
interessante Eigenschaften sein Eigen nenne darf;
die Umstände der Geburt werden in einer Rückblende erzählt, wobei die Zeitraffung die
Zeitgestaltung beherrscht.
b) Patrick Süskind: Das Parfum. Die Geschichte eines Mörders
ˆ auktorialer Er-Erzähler, der mit genauen Beschreibungen des Handlungsortes in das
Geschehen einführt; kann die Gefühle und Gedanken der Mutter wiedergeben;
ˆ detaillierter Beschreibung des Handlungsortes, während die Geburt raffend in wenigen
Sätzen wiedergegeben wird (Z. 26ff.);
ˆ Textausschnitt beschränkt sich größtenteils auf die äußere Handlung (Beschreibung
des Handlungsortes, Geburt und Hinrichtung der Mutter); es gibt eine kurze Passage
der Reflektion (Z. 19 ff.) und innere Handlung, in der Vermutungen über die
Gedankenwelt der Mutter angestellt werden;
ˆ Indirekte und direkte Charakterisierung: der Text gibt die wesentlichen Informationen
zur Mutter, während Grenouille - im Vergleich zu Oskar – nicht zu Wort kommt; hier
zeigt sich die Möglichkeit, die der Ich-Erzähler im Vergleich zum Er-Erzähler hat; des
Weiteren erzählt Oskar rückblickend, während in der vorliegenden Textpassage
chronologisch vorgegangen wird; die Mutter wird mit all ihren Merkmalen (äußere und
sozialen), Verhalten und Fühlen erfasst und es wird klar, dass sie einerseits keine
Bindung an das Kind hat und auch keine Interesse an dem Baby, andererseits ihr Kind
niemals kennenlernen wird, da sie wegen Kindsmord hingerichtet wird; Grenouille hat
so andere Startbedingungen als Oskar, der zumindest eine gewisse Akzeptanz durch
die Eltern erfährt; die Mutter wird als Figur statisch und geschlossen typisiert
wiedergegeben, woraus zu schließen ist, dass es sich bei ihr keineswegs um den
Protagonisten handelt;
ˆ der Leser bekommt einen Einblick in das historische Paris, welches olfaktorisch in allen
Nuancen beschrieben wird; der Handlungsort wird ausführlich beschrieben, wodurch
ein Bild er damaligen Zeit geliefert wird; der Geruch dominiert das Geschehen und
zeichnet gleichzeitig ein historisches Bild von Frankreich im 18. Jahrhundert; während
zeitraffend von der Geburt berichtet wird, verweilt sich der Erzähler, sobald er die
Geruchskulisse der Stadt „zeichnet“; es werden viele Details zu Geruchsentstehung
gegeben, so dass hier neben der Zeitraffung auch die Zeitdehnung angewandt wird;
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das den Geruchsinn Betreffende rückt somit in den Vordergrund und kann als
symbolischer Hinweis auf das spätere Leben Grenouilles gesehen werden.
Sowohl Grenouille als auch Oskar werden durch die Umstände ihrer Geburt geprägt und
werden gemäß dieser Umstände sozialisiert.
Bei diesen Figuren wird ein Hang zum Extremen bis hin zum Pathologischen deutlich, denn
sie verfügen aufgrund der in den Texten geschilderten Umständen über gewisse Fähigkeiten
und Sensibilitäten, die durchaus destruktiven Charakter haben können.
Die Umstände ihrer Geburt weisen auf das Außergewöhnliche hin, dass jedoch am Rande
oder gar außerhalb der Gesellschaft nur existieren kann. Oskar und Grenouille verfügen über
Fähigkeiten, doch sie werden keineswegs innerhalb einer Gesellschaft funktionieren können.
Sie sind Außenseiter, Ausgestoßene und Unverstandene, die in ihrer Begabung und
Ausübung dieser ihre Bestimmung finden. Diese Bestimmung endet im Untergang.
2) Weitere Beispiele aus der Literatur:
ˆ Novalis, Heinrich von Ofterdingen (beginnt jedoch nicht mit der Geburt des
Protagonisten, sondern mit dessen Kindheit) – das Kind, das zum Künstler heranreift
(Minnesänger);
ˆ Thomas Mann, Bekenntnisse des Hochstablers Felix Krull – Bindungslosigkeit und
Narzissmus als zentrale Themen;
ˆ Englische Literatur: Charles Dickens, Oliver Twist/ David Copperfield – elende
Kindheit, die, dank Mitmenschlichkeit, überwunden werden kann.
IV. Aufgabe
Untersuchungsgegenstand für die Erörterung könnte das Verhältnis Raum – bedrohte
Menschlichkeit sein:
1. Der Raum in dem Roman/ in den Erzählungen der Romantik
ˆ Joseph von Eichendorff: Aus dem Leben eines Taugenichts
ˆ die Werke von E. T. A. Hoffmann
ˆ die Werke von Ludwig Tieck
der Raum als Ort der Sehnsucht (Symbol: die Blaue Blume); der Raum, der die Endlichkeit
überbrückt und den Blick in die Unendlichkeit ermöglicht; Raum als Ort, an dem Phantasie
und Traum ihren Platz finden; der Raum als Ort des Übernatürlichen
2. Der Raum im Roman des bürgerlichen Realismus:
ˆ Theodor Fontane: Effi Briest
ˆ Theodor Storm: Immensee
ˆ Adalbert Stifter: Der Nachsommer
Der Raum wird gemäß der Epoche detailgetreu dargestellt; der Raum, der
wirklichkeitsgetreu nachgezeichnet wird, ist gleichzeitig ein Ort, in der die bürgerliche Enge
zum Tragen kommt; er lässt keinen Raum zum Träumen und ein Entkommen ist unmöglich,
dabei wird die Einordnung des Einzelnen in die Lebensnotwendigkeiten oder die
zwischenmenschlichen Beziehungen eher mit einer gewissen Einsicht in die Notwendigkeit
und Zuversicht behandelt; der Raum ließe im bürgerlichen Realismus genügend Platz, aber
die gesellschaftlichen Konventionen sind letztendlich Ursache für die räumliche Enge, d. h.
der Unmöglichkeit heil zu entkommen.
3. Expressionismus und Weimarer Republik
ˆ Kafka und seine Erzählungen eignen sich hervorragend, das Verhältnis von Raum und
Mensch darzustellen; wie kein anderer Autor ist es ihm in seinen Erzählungen und
Romanen gelungen, die Entfremdung und die Ängste des Menschen mittels des
Raumes zu transportieren; Kafkas Räume bedrohen das Individuum, sie sind
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menschenleer und angsteinflößend, sie bieten keinerlei „metaphysische
Geborgenheit“, sondern konfrontieren den Einzelnen mit für ihn unerklärlichen
Situationen und Verurteilungen;
ˆ Thomas Mann und seine Romane bieten ähnlich interessante Räume, in denen der
Mensch zunehmend orientierungslos herumirrt.
4. Die Literatur nach 1995
ˆ Ilse Aichinger: Das Fenster-Theater
Der Raum ist die Voraussetzung für die Entwicklung der Handlung; der Raum hilft, dass sich
die Figuren selbst erkennen; im Raum ist kein Kontakt möglich – es ist kein Ort, in dem ein
Kontakt möglich sein könnte;
ˆ Patrick Süskind: Das Parfüm
Ein historischer Ort, in dem sich ein krankhaftes Genie entwickelt und sein Unwesen treibt;
genaue Ortsangaben und exakte Skizzierung einer Art „Menschwerdung“ – für die Moderne
eher untypisch;
ˆ Bettina Blumenberg: Lau
Der Raum, in dem sich monotone Alltäglichkeiten abspielen; charakterisiert die Figuren;
Statik des Raumes bedeutet Statik der Figuren;
ˆ Die Romane von Marlen Haushofer (z. B. Die Wand) räumliche Enge ermöglicht den
Figuren keine Handlungsmöglichkeiten.
V. Aufgabe
a) Erläuterung der These von Goethe:
Eine Meinung zu haben und diese zu äußern ist ein Wagnis und erfordert Mut, denn es gibt
immer wieder Kräfte, die die eigene Meinung torpedieren können; ein solches Wagnis
einzugehen ist eine Gefahr, denn die Gegenseite wird diese Meinung nicht wissen und
kennen wollen und deshalb versuchen sie, diese nicht öffentlich werden zu lassen, denn es
könnte etwas entdeckt werden, was unangenehm ist; nichtsdestotrotz regt die „Meinung, die
man wagt“ andere Menschen zum Nachdenken an, bringt andere Menschen dazu, ihre
Meinung zu einem bestimmten Thema ebenfalls offen zu legen, und sie können dadurch
eine Front bilden und die Gegenseite zum Aufgeben zwingen; eine Meinung äußern kann
auch immer bedeuten, einen öffentlichen Diskurs, wenn auch unangenehm, zu einem
bestimmten Thema einzuleiten und kann so informieren; Informationsweitergabe bedeutet
Aufklärung, die wiederum positiv genutzt werden kann.
b) mögliche Chancen von Meinungsäußerung:
ˆ Viele Meinungen unterstützen den demokratischen Grundgedanken von
Meinungsfreiheit; somit ist Meinungsäußerung ein Grundrecht und trägt zur Pluralität
von Meinungen bei – ein wichtiger Pfeiler für die Demokratie;
ˆ Entwicklung von Zivilcourgage (das Wagnis, Meinung zu äußern) und politischem
Bewusstsein;
ˆ Viele Meinungen bedeuten verschiedene Ansätze in einem Diskurs, die es
ermöglichen, eine Problematik auch objektiv beurteilen zu können; somit ist
Meinungsäußerung auch verbreiten von Informationen;
ˆ Üben einer Diskursfähigkeit;
ˆ die Möglichkeit, Meinungen zu äußern heißt, einen Beitrag für die Gemeinschaft leisten
zu können und selbst mittels dieser Möglichkeit zu einem autonomen und
selbstbewussten Träger dieser Gemeinschaft zu werden.
c) mögliche Risiken von Meinungsäußerungen:
ˆ die Möglichkeit der einseitigen Beeinflussung;
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ˆ die Verbreitung unzensierter Meinungen, die im Falle von radikalen Meinungen fatale
Folgen haben kann;
ˆ Missbrauch und Täuschung zu Propagandazwecken und somit die Möglichkeit, die
Gegenseite auszuschalten und Meinungsäußerung zu „schlagen“;
ˆ die Gefahr eines „Zerredens“, was hinsichtlich der Brisanz eines Problems eher
lähmend als förderlich sein kann;
ˆ die Gefahr einer Theoretisierung einer Sachlage, die letztlich nur noch der
Meinungsäußerung dient, aber die Handlungsfähigkeit lähmt.
VI. Aufgabe
1. a) Argumentationsskruktur und Leistungen des Gedankenstrichs:
In seinen Äusführungen zum Gedankenstrich geht Uwe Timm von der syntaktischengrammatikalischen Norm dieses Satzzeichens aus, so wie diese im Duden aufgeführt wird.
Er benennt korrekt die entsprechenden Regeln (Z. 3 ff.), wodurch der Gedankenstrich nur
noch ein „horizontales geradegebogenes Komma“ (Z. 8) ist.
In den nun folgenden Abschnitten zeigt Uwe Timm, dass der Gedankenstrich durchaus eine
dramatische Funktion haben kann. Er zitiert daher eine Passage aus Kleists Die Marquise
von O . . . und beweist somit, dass der Gedankenstrich nicht nur ein „typographischer Strich“
(Z. 34) ist, sondern vielmehr die Vorstellungskraft des Lesers anregt, indem er das
„Räumliche mit Zeitlichem“ (Z. 27) verbindet. Es folgen weitere Beispiele aus der
europäischen Literaturgeschichte bis hin zur neueren deutschen Literatur, die verdeutlichen,
dass der Gedankenstrich den Leser in das „buchstäblich [. . .] Non-Verbale“ (Z. 77) führen.
Timm zeigt abschließend auf, warum der Gedankenstrich an Bedeutung verloren hat und
welche Funktion ihm heute noch zu kommt (Z. 82). Er weist im letzten Abschnitt auch noch
einmal eindringlich darauf hin, wie wichtig ein Gedankenstrich in Zeiten von Unterdrückung
und Diktatur sein können – um so technokratischer wirken die zu Beginn erwähnten Regeln
aus dem Duden.
Timm Argumentationsstruktur speist sich aus dem Beispielhaften; er geht somit deduktiv vor
und schließt aber am Ende den Kreis, indem er wieder ein Beispiel wählt, das aber die
fiktionale Ebene verlässt und den Alltag einer Diktatur schildert. Somit wird der
Gedankenstrich als Satzzeichen gesehen, dass selbst autoritäre Systeme überlisten kann.
b) sprachlich-stilistische Merkmale:
ˆ das Zitat als wichtige Grundlage für seine Argumentation;
ˆ rhetorische Fragen (Z. 23 f.), um den Leser zu provozieren;
ˆ er bedient sich der Hypotaxe und spricht so gezielt eine bestimmte Leserschaft an; die
literarischen Hinweise zeigen ebenfalls, dass der Leser ein literarisch Gebildeter sein
muss, um seine Ausführen zu verstehen; die Hypotaxe verdeutlicht aber die Funktion
des Gedankenstrichs, denn auch diese könnten durchaus mit Gedankenstrichen
versehen werden;
ˆ Wortfelder aus dem Bereich Linguistik, Grammatik und Orthographie, wodurch Timm
sich als kompetenter Ansprechpartner in Sachen Gedankenstrich entlarvt;
ˆ Wortwiederholungen (Z. 71), um der Aussage einen gewissen Nachdruck zu verleihen;
ˆ Personifikation des Gedankenstrichs (Z. 82 ff./ Z. 95), um die Funktion des
Satzzeichens zu verdeutlichen und ihn weg von der Regelhaftigkeit eines Duden zu
bewegen;
ˆ Metapher (Z. 66): Sprache wird mit „Delirium“ verglichen; hebt die
Orientierungslosigkeit hervor, die durch das Nicht-Vorhandensein des Gedankenstrichs
zunimmt;
ˆ Akkumulation (Z. 67 ff.) zur Verdeutlichung und Hervorhebung seiner Aussage.
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2. Argumente für die Erörterung
Die folgenden Argumente können in der Erörterung nach zwei Gesichtspunkten argumentativ
erfasst werden – einmal unter dem Aspekt des Spracherwerbs und des Weiteren im Hinblick
auf den kreativen Umgang mit Sprache, d. h. das Schaffen von Literatur.
ˆ Regelhaftigkeit von Sprache bedeutet Vereinheitlichung und somit eine leichtere
Kommunikation über Dialektgrenzen hinaus; bessere Verständlichkeit; die Möglichkeit,
sich so besser aufeinander beziehen zu können, d. h. miteinander zu kommunizieren;
ˆ Erlernbarkeit der Sprache in Schulen, vor allem in den Grundschuljahren, in denen das
Kind lernt, Gedanken zu verschriften;
ˆ leichtere Erlernbarkeit von Sprache als Fremdsprache;
ˆ die Möglichkeit, mit der Regelhaftigkeit zu spielen in Form von lyrischen Texten; die
Regelhaftigkeit setzt kreative Prozesse in Gang, denn der Autor/ Autorin versucht, sich
gegen diese zu wehren, indem er/ sie Regelhaftigkeiten aufweicht und diese sprachlich
umsetzt;
ˆ Regeln helfen, Sprache in sinngebende Einheiten zu strukturieren, um so - besonders
im Bereich der Hypotaxe – für ein besseres Verständnis zu sorgen;
ˆ Regelhaftigkeit bringt „Leben in das Ordungssystem“ (Z. 83), denn sie ermöglicht der
Sprache „Wachstum“, denn die Regelhaftigkeit kann genutzt werden, um Sprache zu
reflektieren und so mit ihr zu arbeiten;
ˆ Regelhaftigkeit macht Sprache verständlich und transparent; es bedeutet auch
Demokratie, denn so kann sich jeder der Sprache bedienen und diese erlernen, weil es
für jeden allgemeingültige Regeln gibt.
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Die hier abgedruckten Lösungsvorschläge sind nicht die amtlichen Lösungen des
zuständigen Kultusministeriums.
Impressum:
Alle Rechte vorbehalten.
Nachdruck, auch auszugsweise, vorbehaltlich der Rechte die sich aus den Schranken des
UrhG ergeben, nicht gestattet.
© Dudenverlag, Bibliographisches Institut & F. A. Brockhaus AG, Mannheim 2008
Redaktionelle Leitung: Simone Senk
Redaktion: Christa Becker
Autorin: Annette Schomber
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