Klietz zwischen Skepsis und Mitgefühl

Klietz zwischen Skepsis und Mitgefühl
16.09.2015
Sie stellten sich den Fragen der Klietzer: Polizeidirektor Tom-Oliver Langhans (von links),
Erster Beigeordneter Sebastian Stoll, Oberstleutnant Michael Vormwald, Bürgermeister
Hermann Paschke, Staatssekretär Ulf Gundlach, Stabsstellenleiter Lutz-Georg Berkling und
Landtagsabgeordnete Helga Paschke. Foto: Anke Schleusner-Reinfeldt
Ende September sollen die ersten Flüchtlinge in die Klietzer Kaserne ziehen. Am
Montagabend gab es eine Informationsveranstaltung.
Von
Thomas Pusch ›
Klietz l Den Einwohnern von Klietz sollte es nicht so gehen wie dem Gemeinderat, sagte
Bürgermeister Hermann Paschke (Die Linke). Der sei nämlich davon überrascht worden, dass
in Teilen der Kaserne Plätze für 700 Flüchtlinge geschaffen werden soll. Mit einer
Informationsveranstaltung am Montagabend sollten offene Fragen der Klietzer beantwortet
werden. Dafür hatten im Podium neben Paschke Innenstaatssekretär Ulf Gundlach, LutzGeorg Berkling, Leiter der Stabsstelle Flüchtlinge im Innenministerium, Polizeidirektor TomOliver Langhans , Abteilungsleiter Polizei in der Polizeidirektion Nord, Oberstleutnant
Michael Vormwald, Sebastian Stoll, Zweiter Beigeordneter des Landrates und die
Landtagsabgeordnete Helga Paschke (Die Linke) Platz genommen.
Durchgangsstation für drei Wochen
„Wir brauchen Zwischenlösungen“, zu dieser Erkenntnis sei man beim Betrachten der Zahlen
gelangt, erklärte Gundlach. Eine solche Zwischenlösung soll nun die Klietzer Kaserne sein. In
Stendal wird der ehemalige Kasernenkomplex der Grenztruppen an der Gardelegener Straße
als Unterkunft vorbereitet, 1000 Menschen sollen dort aufgenommen werden. Bis dahin
werden aber nach Gundlachs Einschätzung noch zwei Winter vergehen.
Dass die neuen Mitbewohner durchaus auch eine Belastung für die Bevölkerung darstellen,
wollte Berkling nicht verhehlen. Allerdings würden die Flüchtlinge auch nur für jeweils drei
Wochen in Klietz wohnen, bevor sie im Land verteilt werden. Große
Integrationsmöglichkeiten gebe es da nicht, ihnen solle aber zumindest eine
Willkommenskultur entgegengebracht werden.
Bilder
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In knapp zwei Wochen sollen die ersten Flüchtlinge in den Klietzer Kasernenkomplex
ziehen. Die Einheimischen sehen den neuen Nachbarn skeptisch entgegen...
„Probleme werden wohl erst dann auftauchen, wenn es so weit ist“, meinte der Bürgermeister
und dachte ganz praktisch. So dürften sich die Flüchtlinge frei bewegen und würden
möglicherweise auch mit dem Bus nach Havelberg fahren wollen. „In den Schülerverkehr
können sie aber nicht rein“, machte er klar. Dafür gab es Applaus von den meisten der rund
300 Klietzer, die bis dahin still zugehört hatten.
Polizeichef beruhigt
Nun bekamen sie die Gelegenheit, ihre Fragen zu stellen und auch Statements loszuwerden.
„Zu DDR-Zeiten hatten wir schonmal eine Diktatur, jetzt wird uns wieder etwas
aufgezwungen, warum“, fragte ein älterer Zuhörer. Schließlich sei man in Klietz nicht
verantwortlich für die Waffenlobby, die Kriege auslöse und so Flüchtlinge produziere. Er
habe nichts gegen die Verfolgten, aber gegen die Sozialschmarotzer. Applaus. Ein jüngerer
Klietzer wollte wissen, welche Sicherheitsmaßnahmen ergriffen würden, um die Menschen im
Dorf vor Kriminalität zu bewahren. Langhans versicherte ihm und den anderen im Saal des
Seeblicks, dass aus seiner Erfahrung die Menschen, die seit Wochen und Monaten auf der
Flucht gewesen sind, nicht nach Deutschland kommen, um kriminell zu werden. „Einen
Anstieg der Straftaten haben wir nicht verzeichnet“, fügte er hinzu.
Doch das beruhigte noch nicht alle Gemüter. So wollte auch eine Jugendliche wissen, wie
sicher die Situation denn noch sei, wenn die Flüchtlinge nach Klietz gekommen sind. „Wir
können ja nicht alle mit Taschenmesser und Pfefferspray zur Schule gehen“, meinte sie. Und
um die heimische Wirtschaft machte sie sich auch Gedanken: „Es wird wohl keiner mehr in
die Geschäfte gehen, weil sich niemand auf die Straße traut.“
Dieses Statement rief Helga Paschke auf den Plan. „Wir reden hier von Menschen, die in ihrer
Heimat durch Krieg bedroht werden und nicht hierherkommen, um mit Messern über die
Straße zu laufen“, sagte sie. 11,6 Millionen Menschen seien in Syrien auf der Flucht vor
Hunger, Elend, Kälte und Tod. „Bitte öffnen Sie sich und lassen die Menschen auf uns
zukommen“, appellierte sie. Und auch sie bekam Beifall, teilweise auch von denen, die kurz
zuvor noch der jungen Klietzerin zugestimmt hatten.
Manche Fragen blieben offen
In gewisser Weise gab dies die Stimmung an jenem Abend wieder. Sie war angespannt aber
nicht aggressiv. Vorurteile wie Wirtschaftflüchtlinge, gefälschte Pässe und Kriminalität
wurden in den Raum gebracht, gleichzeitig aber auch die Notwendigkeit gesehen, Menschen
helfen zu müssen.
„Ich denke, es war eine gelungene Veranstaltung, jetzt warten wir erstmal die Situation ab“,
sagte Bürgermeister Paschke, als er nach rund eineinhalb Stunden die Versammlung schloss.
„Ein bisschen schlauer bin ich jetzt schon, Angst habe ich trotzdem noch“, rief eine Klietzerin
der Volksstimme im Hinausgehen zu. Günther Zielske fragt sich, ob die
Einkaufsmöglichkeiten für alle ausreichen werden und Sebastian Heinike wüsste gerne, woher
das Geld kommt.
Die ersten Flüchtlinge sollen am 27. September kommen.