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DLR Kultur
Nachspiel
02.08.2015
The Bigger The Better - Extremsport Big Wave Surfing
Von Kerstin Ruskowski
01 Haiattacke Video WSL
Atmo
Sonntag, 19. Juli 2015. Am Strand von Jeffreys Bay in
Südafrika läuft das Finale des Surfwettbewerbs J-Bay Open. Der
Weltverband WSL überträgt live auf seiner Webseite. Im Wasser:
Mick Fanning und Julian Wilson. Die Kamera ist auf Fanning
gerichtet, der auf seinem Surfbrett liegt und auf die Wellen
wartet, als rechts neben ihm eine Rückenflosse auftaucht: ein
Hai.
As we look at Fanning in the rankings, we can see a little
splash. Oh! Holy shit! Excuse me.
Fanning dreht sich um, wird unter Wasser gezogen. Einige
Momente später taucht er wieder auf und fängt an, in Richtung
Strand zu schwimmen.
Fanning needing some assistance... He's swimming into the
beach.
Hupen
They stop the final.
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Der Wettbewerb wird unterbrochen. Innerhalb weniger Sekunden
sind mehrere Motorboote zur Stelle, um Fanning aus dem Wasser
zu ziehen.
He'll hop on the sled. Fanning with the thumbs up. He is ok.
Er ist unversehrt, hockt auf dem Rettungsschlitten, dreht sich
immer wieder nach dem Hai um und schüttelt den Kopf - der
Schock ist ihm anzusehen. Doch der Hai hat nur die Leine
abgebissen, mit der Fanning sein Brett am Fußknöchel befestigt
hatte. Es ist das erste Mal, dass ein Surfer während eines
Wettbewerbs der World Surfing League von einem Hai angegriffen
wird. Doch ganz generell sind Haie natürlich eine Gefahr für
Surfer - insbesondere in Hawaii, Australien und eben auch
Südafrika. Und nicht immer geht ein Zusammentreffen so
glimpflich aus wie bei Fanning: Der Profisurferin Bethany
Hamilton zum Beispiel hat mit 13 Jahren ein Hai in Hawaii den
linken Arm abgebissen.
Doch wie reagiert man am besten in so einer Situation? Mick
Fanning hat nach dem Angriff erzählt, dass er dem Hai seine
Faust in den Rücken geschlagen hat. Gut reagiert. Spontan kann
diese Reaktion aber nicht gewesen sein, sagt Professor Jens
Kleinert, Sportpsychologe an der Deutschen Sporthochschule in
Köln.
02 Prof. Jens Kleinert
Dann zu überlegen: Wo schlag ich jetzt hin? Das kann nicht in der
Situation stattfinden, weil dann würde ich versuchen, eher den
Zähnen auszuweichen. Das ist etwas, was der sicherlich vorher öfter
mal durchdacht hat und dann einfach in der Situation nur noch abruft
- gar nicht mal bewusst abruft, sondern nur noch reagiert.
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Surfen ist kein ungefährlicher Sport - nicht nur wegen der
Haie. Denn auch das Meer selbst birgt Gefahren - und je größer
die Wellen, desto größer die Gefahr. Surfer wissen das und
bereiten sich entsprechend vor. Auf die Spitze treiben es Big
Wave Surfer. Von Big Waves spricht man ab einer Höhe von sechs
Metern - doch für Sportler wie Ken Bradshaw und Sebastian
Steudtner wird es eigentlich erst so ab 20 Metern richtig
interessant.
03 Ken Bradshaw + OV
Als ich jung war, habe ich Surfen so verstanden, dass es vor allem
darum geht, dass man größere Wellen surfen kann als jeder andere.
Und ich glaube wirklich, dass es das ist, worum es beim Surfen geht.
Musik: Nelly Furtado - Big Hoops (Bigger The Better)
Komponist: Nelly Furtado, Rodney Jerkins
Label Code: 02604
04 Sebastian Steudtner
Ich will die größte Welle surfen mit der besten Leistung. Punkt.
Mit seiner Leidenschaft für riesige Wellen steht Sebastian
Steudtner in Deutschland ziemlich alleine da, denn Big Wave
Surfing ist ein Extremsport. Videoaufnahmen zeigen den 30Jährigen nicht als braungebrannten Sonnyboy, der entspannt mit
der Welle im Rücken über das Wasser gleitet. Wellen von dem
Kaliber, das Steudtner interessiert, sind dunkel und riesig ihre Wucht ist für den Betrachter vor dem Bildschirm fast
spürbar.
Wer in solchen tonnenschweren Wassermassen die Kontrolle über
sein Brett verliert, für den kann es lebensgefährlich werden.
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Wird es aber meistens nicht, sagt Steudtner. Er sieht das ganz
entspannt.
05 Sebastian Steudtner
Big Wave Surfen ist für mich deshalb nicht lebensmüde, weil es
nichts ist, wo ich reinspring ohne ein bestimmtes Wissen zu haben.
Ich bin absoluter Experte und Spezialist auf all den Gebieten, was
ich brauche.
Angst kennt auch Ken Bradshaw nicht. Der 62-Jährige Amerikaner
surft seit mittlerweile fast 50 Jahren - so lange wie kein
anderer.
06 Ken Bradshaw + OV
Der Faktor Angst ist eine sich selbst erfüllende Prophezeiung. Wenn
Du Angst hast, wirst Du Angst haben. Wenn Du Angst hast, wirst Du
zögern. Wenn Du zögerst, dann wirst Du in einer Situation landen, in
der Du schon hättest aufstehen müssen, um dieser Situation ´zu
entkommen. Für die meisten Leute ist das größte Problem, dass ihre
Erwartung oft viel schlechter ist als ihre Lebensrealität. Es ist
nur das Leben! Geh raus und mach! Es ist komisch, wie Leute sich von
ihrer Angst davon abhalten lassen, Dinge zu tun.
Genau deswegen sprechen Sportler nicht gerne von Angst, sagt
der Sportpsychologe Jens Kleinert. Was sie aber unbedingt
brauchen, ist Respekt. Damit sie in einer Gefahrensituation
reagieren können ohne nachzudenken.
07 Prof. Jens Kleinert
Angst vor Konsequenzen dürfen in solchen Situationen keine Rolle
spielen. Risikosportler, die mit hohen Gefahren agieren, die
beherrschen es, in der Situation nur an die Situation zu denken auch dann, wenn sie unheimlich brenzlig ist - nur daran zu denken:
Wie kann ich diese Situation jetzt am Besten lösen?
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Für viele Big Wave Surfer kommt es aber nicht nur darauf an,
dass sie selbst in einer Gefahrensituation richtig reagieren,
sondern auch ihr Partner. Denn ab einer gewissen Größe und
Masse der Welle kommt man gar nicht mehr so ohne weiteres an
die Welle heran. Die Wucht, mit der sie bricht, ist dann so
gewaltig, dass Surfer praktisch keine Chance haben, mit purer
Muskelkraft hinter die Gischt zu paddeln.
08 Wellenrauschen
Deshalb besteht das Team draußen in den Wellen aus zwei
Leuten: dem Surfer und demjenigen, der den Jetski fährt, eine
Art Motorrad fürs Wasser. An einem Seil zieht er den Surfer an
die richtige Position der Welle - und holt ihn wieder raus,
wenn er stürzt. Tow-Surfing nennt sich das. Dabei wechseln
sich Surfer und Fahrer ab. Beide Partner müssen das Meer gut
kennen, müssen die Wellen lesen und voraussehen können. Für
den Surfer versteht sich das vielleicht von selbst, doch auch
für den Jetski-Fahrer sind diese Kenntnisse und Fähigkeiten
unerlässlich. Bradshaw weiß das aus eigener Erfahrung.
09 Ken Bradshaw + OV
Er muss ein Surfer sein. Er muss ein wirklich guter Surfer sein. Und
das ist das Problem für die meisten Leute: Keiner hat genug
Erfahrung, um ein Fahrer UND ein Surfer zu sein. Nur ganz wenige
Leute haben diese Begabung zu fahren UND zu surfen.
Bradshaw war einer der ersten, die diese Art des Surfens in
den 60er- und 70er-Jahren ausprobiert haben.
10 Ken Bradshaw + OV
Wir haben praktisch ein Wasserski-Boot genommen und ein WasserskiSeil daran gebunden. Und damit haben wir uns dann in die großen
Wellen gezogen. Das erste Mal haben wir das 1976 gemacht.
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Besonders überzeugt von ihrer Idee waren die Tow-in-Pioniere
damals aber nicht. Bis Anfang der 90er dauert es, bis sich
Tow-Surfing allmählich durchsetzt. Aus dem Wasserskiboot wird
ein Jetski, der kleiner und wendiger ist und mehr PS hat.
Daran wird eine Art Anhänger gehängt, der flach auf dem Wasser
liegt, sodass sich der Surfer ohne große Anstrengung selbst
aus dem Wasser ziehen kann.
11 Ken Bradshaw + OV
Und dadurch hat sich natürlich die Skala der Wellen, auf denen man
ein Surfbrett reiten kann, geöffnet. Und wo sie endet, das ist auch
heute noch nicht klar.
Steudtner, der Deutsche, arbeitet wie besessen daran, diese
Skala weiter auszuloten. Und er hat Glück: Seit vier Wintern
surft er zusammen mit Tom Butler. Butler ist Mitte 20 und,
anders als Steudtner, mit Meer und Wellen aufgewachsen: in
Newquay, Cornwall, Großbritannien. Butler surft seit er zehn
ist - und zwar jeden Tag. Doch zum Big Wave Surfen ist er
eigentlich erst durch Steudtner gekommen. Was auch für Butler
ein Glücksfall war.
12 Tom Butler + OV
Von allen Surfern, die ich getroffen hab, ist er der
professionellste - was das richtige Equipment angeht, was das
härteste körperliche Training angeht und einfach fokussiert zu sein.
Er ist eine absolute Maschine. Wenn ich ihn nicht getroffen hätte,
dann wäre ich jetzt nicht an diesem Punkt meiner Karriere. Ich
glaube, er ist einfach ein besonderer Typ. Ja, aber manchmal
übertreibt er es schon. Dann denke ich: Oh, lass mich in Ruhe. Aber
eigentlich ist es gut. So ein Tritt in den Hintern ist immer gut.
Eben weil Steudtner so verbissen und professionell ist, kann
er sich heute voll auf seinen Sport konzentrieren. Doch der
Weg dahin war weit. Denn im Gegensatz zu Butler hatte
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Steudtner nicht das Glück, direkt an der Küste aufzuwachsen,
sondern in Nürnberg. Mit neun Jahren steht er im FrankreichUrlaub zum ersten Mal auf einem Surfbrett - und ist sofort
begeistert.
13 Sebastian Steudtner
Damals gab's auch so ne Serie, die hieß "Gegen den Wind" mit Ralf
Bauer...
Musik: Smokie - Surfin'
Komponist: Dave Dunhill, Mick Dash, Alan Barton
Label Code: 08744
Darin geht es zwar nicht ums Wellenreiten, sondern ums
Windsurfen in St. Peter-Ording - aber Windsurfen ist auch der
einzige Surfsport, der Steudtner zuhause in Deutschland übrig
bleibt. Denn Wellenreiten: Wie soll das gehen, in Nürnberg,
ohne Meer und ohne Wellen? Windsurfen kann er wenigstens auch
auf einem See. Doch das reicht ihm nicht. Als er 13 ist, steht
für ihn fest:
14 Sebastian Steudtner
Ok, ich will nach Hawaii gehen - da kann ich die Sportart ausüben.
Hier komm ich nicht weiter.
Mit 13 ans andere Ende der Welt? Von der Idee sind Steudtners
Eltern verständlicherweise nicht gerade begeistert. Drei Jahre
dauert es, bis er seine Mutter so weit hat, dass sie ihn
ziehen lässt.
15 Sebastian Steudtner
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Mit 16 hat mir meine Mutter dann geglaubt, hat gesagt: Ok, der hört
nicht auf zu randalieren und ja, dann konnte ich ein paar Monate hin
und hab dann in der sehr kurzen Zeit es geschafft auf ein fast
professionelles Level zu kommen, hab dann Sponsoren gehabt...
Steudtners Plan scheint aufzugehen: Innerhalb kürzester Zeit
läuft die Sache mit der Surfkarriere. Er bleibt auf Hawaii,
wohnt erst einmal in einer Windsurfschule. Die Schule?
Abgehakt. Tschüss Deutschland!
Musik: Hawaiian Breezes
Komponisten: Dan Petty [BMI], Doug Petty [ASCAP]
Label Code: NM296
Doch obwohl er mit dem Geld der Sponsoren gut über die Runden
kommt und offensichtlich ein echtes Talent im Windsurfen ist es ist einfach nicht das, wofür er brennt. Vielleicht, weil es
ihm zu leicht fällt.
Steudtner ist ein Typ, der Herausforderungen braucht, das ist
schon als Teenager so. Und im Prinzip ist Windsurfen für ihn
nur ein Mittel zum Zweck. Denn was Steudtner eigentlich will,
ist in großen Wellen surfen. Als er zum ersten Mal eine 20
Meter hohe Welle in Jaws auf der hawaiianischen Insel Maui
surft, ist ihm das klarer als je zuvor. So klar, dass er alles
auf eine Karte setzt.
16 Sebastian Steudtner
Und dann wusste ich: Ich kann es. Und ich hab das Zeug, dass ich die
größten Wellen surf. Hab das gesagt, öffentlich in nem Interview mit
einem deutschen Surfmagazin kundgetan - und dann haben alle
Windsurfsponsoren, ALLE, innerhalb von ein paar Tagen gesagt: Ok,
wenn Du das machst, dann bist Du raus. Also, wenn Du nicht weiter
windsurfst, wenn Du Dich aufs Big Wave Surfen konzentrieren willst,
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raus. Und dann hab ich alle Sponsoren verloren und dann war ich
Bauarbeiter erstmal.
Sechs Jahre lang baut Steudtner auf Hawaii Schwimmbäder. Weil
es ihm wichtiger ist, seinen Weg zu gehen, als es irgendwem
recht zu machen. Keine Kompromisse.
Musik: Nelly Furtado - Big Hoops (Bigger The Better)
Komponist: Nelly Furtado, Rodney Jerkins
Label Code: 02604
Auch Ken Bradshaw ist nie Kompromisse eingegangen.
17 Ken Bradshaw + OV
Mein Erfolg beruht auf der Tiefe meiner Hingabe. Meine Hingabe
beruhte auf Besessenheit. Ich war buchstäblich besessen. Da gibt es
keinen Zweifel. Nichts anderes durfte mir im Weg stehen: keine
Familie, keine Eltern, keine geliebten Menschen, keine Frauen, keine
Schule, keine Jobs. Surfen stand an erster Stelle und in jeder neuen
Beziehung machte ich klar, dass das auch immer so sein würde. Meine
Besessenheit trieb mich an, meine Besessenheit war Ziegel und Mörtel
meines Erfolgs.
Genau wie Steudtner ist Bradshaw nicht gerade an einem Hotspot
für Surfer aufgewachsen, sondern in Houston, Texas. Auch er
ist 16 Jahre alt, als er von Zuhause ausreißt und nach
Kalifornien geht, um jeden Tag surfen zu können. Doch anders
als Steudtner macht Bradshaw in Kalifornien seine High School
fertig. Drei Jahre später zieht es auch ihn nach Hawaii, an
die Nordküste der Insel Oahu.
Musik: The Ventures - Ten Over
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Komponist: Don Wilson, Leon Taylor, Nokie Edwards, Bob
Bogle
Label Code: Sundazed Music – SC 6289
Innerhalb weniger Jahre beherrscht Bradshaw die großen Wellen
so gut, dass die Sponsoren von ganz alleine auf ihn zukommen.
1982 gewinnt er den Duke, damals einer der
prestigeträchtigsten Surfwettbewerbe an Oahus Nordküste.
Der Erfolg hat seinen Preis: Von Bradshaw heißt es, dass er
nicht trinkt, nicht raucht, keinerlei Drogen nimmt und sich
streng vegetarisch ernährt - bis heute. Aber die wohl
wichtigste Voraussetzung für den Erfolg ist seine
Besessenheit.
18 Ken Bradshaw + OV
Wobei ich glaube, dass die besten Athleten immer besessen sind. Das
ist die einzige Möglichkeit, richtig gut in etwas zu werden. Das ist
natürlich keine gesunde Art und Weise, sein Leben zu leben, aber wer
glaubt, auch ohne diese Eigenschaft Erfolg haben zu können, macht
sich etwas vor.
Wohl auch deshalb steht Surfen für Bradshaw immer an erster
Stelle - so wie für Steudtner. Auch der interessiert sich
nicht sonderlich dafür, was andere denken.
19 Sebastian Steudtner
Ich bin ein Exot in allen Bereichen: Ich bin in Amerika ein Exot
weil ich Deutscher bin und ich bin in Deutschland ein Exot, auch
weil ich Deutscher bin. Und weil das keine deutsche Sportart ist und
was ganz, ganz Ungewöhnliches ist.
Ein deutscher Big Wave Surfer ist ungefähr so verrückt wie ein
Hawaiianer, der versuchen wollte, die Streif runterzufahren,
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eine der schwierigsten und gefährlichsten Skirennpisten der
Welt. Denn in Deutschland gibt es gar keine Szene fürs Big
Wave
Surfen
-
wie
auch?
Selbst
das
reguläre
Wellenreiten
findet in deutschen Medien ja nur dann statt, wenn entweder
gerade
Bundesligapause
ist
Kamera
von
angegriffen
einem
Hai
oder
Mick
Fanning
wird.
Zum
vor
laufender
Zuschauen
sind
Surfwettbewerbe nämlich ziemlich langweilig, sagt Andi Spies,
Chefredakteur der Surfzeitschrift Blue Magazine.
20 Andi Spies
Weil einfach die Heats bei nem normalen Surfcontest dann immer so 30
Minuten dauern, das heißt da sind zwei Surfer 30 Minuten, oder
manchmal zu dritt im Wasser und versuchen halt die besten Wellen in
der Zeit zu erwischen und viel Leerlauf ist dazwischen, wo sie hinund herpaddeln, wo sie auf Wellen warten, wo die Sets einfach nicht
kommen. Und deswegen ist es, glaube ich, einfach keine LiveSportart. Also schwer, live zu vermitteln. Ein Fußballspiel ist nach
90 Minuten aus in der Regel. Aber ein Surfwettkampf, der dauert dann
wirklich fast den ganzen Tag.
Oder auch mal mehrere Tage - ganz einfach, weil die Natur
nicht mitspielt und die Wellen nicht „wettkampftauglich“ sind.
Von daher hat es Surfen als Publikumssport schwer. Und wo kein
Publikum, da keine Reichweite - und wo keine Reichweite, da
keine Sponsoren. Auch wenn viele, auch branchenfremde Firmen,
gerne
den
Coolness-Faktor
des
Surfens
für
ihre
Werbung
ausnutzen, sagt Spies. Surfer ganz offiziell zu sponsern, dazu
sind sie aber meistens nicht bereit.
21 Andi Spies
Wenn man einen Sportler unterstützt, finanziell, dann will man, dass
der entsprechend als Botschafter seiner Marke da rausgeht und
entsprechend wahrgenommen wird. Und da ist es natürlich unheimlich
schwer - auch gerade für Deutsche - sich da so zu platzieren, dass
sie entsprechend attraktiv in den Medien stattfinden.
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Ein deutscher Surfer hat es trotzdem mal geschafft, von einem
branchenfremden
Unternehmen
gesponsert
zu
werden,
erinnert
sich Spies: 2008/2009 gehörte Marlon Lipke zu den 36 besten
Surfern der Welt und wurde unter anderem von der Deutschen
Bank unterstützt. Doch die Saison lief nicht so gut für Lipke
und auch die Medien interessierten sich kaum für ihn, sodass
die Bank bald das Interesse verlor, ihn weiter zu sponsern.
Auch Steudtner weiß, dass es in Deutschland nur ganz wenige
gibt, die seinen Sport überhaupt verstehen. Weil es keiner
macht, Big Wave Surfing ist keine Sportart für die Massen die extreme Variante Tow-Surfing noch viel weniger.
22 Sebastian Steudtner
Das schaut ja erstmal aus wie ein Haufen Verrückter, die sich da
versuchen, umzubringen. Und wer will einen Verrückten unterstützen,
der sich versucht umzubringen? Keiner!
Kein Wunder also, dass deutsche Sponsoren Steudtner ihr Geld
nicht gerade hinterherwerfen. Für ihn interessiert haben sich
große Firmen in den letzten Jahren zwar schon. Dabei ging es
ihnen aber mehr darum, sein Wissen abzuschöpfen. Jahrelang hat
er
Mitarbeitern
Vorträge
Risikomanagement,
Extremsituationen
gehalten
Teamführung
umgeht.
Dabei
über
und
hat
er
Motivation,
wie
nur
man
leider
oft
Mut,
mit
die
besten Wellen verpasst. Steudtner hat es trotzdem gemacht weil ihm nicht viel anderes übrig blieb. Denn Big Wave Surfing
ist ein kostspieliger Sport: Steudtners Equipment, verteilt
über Garagen in Portugal, Irland und Deutschland, hat einen
sechsstelligen Wert. Öffentlich als seine Sponsoren sind diese
Firmen aber nicht aufgetreten. Namen will er nicht nennen.
23 Sebastian Steudtner
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Milliardenschwere Unternehmen, die dann nicht den kleinen Betrag
haben, um mich zu sponsern, weil sie sagen: Uh, wenn dem irgendwas
passiert, dann stehen wir imagemäßig schlecht da.
Inzwischen
ist
Steudtner
nicht
mehr
auf
solche
Vorträge
angewiesen: Dank Crowdfunding und eines festen Sponsors, ein
internationaler
ganz
aufs
Big
Weltrekord
zu
Sportwettenanbieter,
Wave
Surfing
knacken:
Denn
kann
er
konzentrieren.
dann
würde
sich
Und
voll
und
darauf,
den
endlich
auch
das
Publikum in Deutschland verstehen, was für ein Talent er hat und wahrscheinlich auch noch ein paar Sponsoren.
24 Sebastian Steudtner
In Deutschland brauchst Du nen Titel. Wenn einer sagt: Das ist der
beste Big Wave Surfer, dann sagen alle: Ist er Weltmeister? Nee,
nee, ist nicht Weltmeister - da gibt es keinen Weltmeister-Titel.
Hat er nen Weltrekord? Nee, nee, hat keinen Weltrekord. Wie ist er
dann der Beste?
Der Beste, das war lange Zeit Ken Bradshaw. Am 28. Januar 1998
bezwingt der damals 46-Jährige eine etwa 25 Meter hohe Welle:
an einem Spot namens Log Cabins, einem Riff, das ein Stück vor
der Nordküste Oahus liegt.
25 Atmo Wellen
Ein Beweisfoto gibt es allerdings nicht. Nur eine qualitativ
ziemlich schlechte Videoaufnahme, von der Küste aus gefilmt.
Deswegen ist dieser Weltrekord auch nicht offiziell. Denn der
Weltverband, die World Surfing League, erkennt nur Wellen an,
die dokumentiert und offiziell eingereicht werden. Eine Jury
beurteilt dann anhand des Foto- und Videomaterials, wie hoch
die Welle tatsächlich war. Und das ist auch der einzige
Weltrekord, den das Guinness Buch der Rekorde aufnimmt.
Aktuell liegt dieser Rekord bei 23 Metern 80 - aufgestellt von
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dem Amerikaner Garrett McNamara, 2011 in Nazaré an der
portugiesischen Atlantikküste.
Musik: Nelly Furtado - Big Hoops (Bigger The Better)
Komponist: Nelly Furtado, Rodney Jerkins
Label Code: 02604
Nazaré ist inzwischen auch Steudtners Stamm-Surfspot. Denn es
ist der Ort in Europa, an dem es die mit Abstand größten
Wellen gibt - und an dem er eine Chance hat, den Weltrekord zu
knacken und sich einen Titel zu verschaffen. Darauf hat er in
den letzten Jahren kontinuierlich hingearbeitet. Nicht nur,
indem er sich selbst einiges abverlangt hat, sondern auch
seinem Team. Und dazu gehört allen voran der Partner auf dem
Jetski. Doch als Steudtner und Butler sich vor ein paar Jahren
getroffen haben, kannte sich Butler mit großen Wellen gar
nicht aus.
26 Sebastian Steudtner
Ich hab ihn antrainiert, ich hab ihm das beigebracht alles in den
letzten Jahren und hab auch jetzt erst letztes Jahr den Weltrekord
in Angriff genommen, weil er davor noch nicht bereit war. Und weil
ich auch davor gesagt hätte: Ok, wir sind noch nicht zu 100 Prozent
da.
Am 11. Dezember 2014 ist es so weit: Ein heftiger Sturm trifft
die portugiesische Küste bei Nazaré.
27 Wellengeräusche, Sturm
Butler sitzt auf dem Jetski, Steudtner mit seinem Brett auf
dem Anhänger.
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28 Sebastian Steudtner
An dem Tag war's extrem anspruchsvoll, weil's relativ windig war und
extrem groß war, die Wellen, und es extrem schwer war, auf der Welle
zu bleiben überhaupt. Also, war schwer in die Welle reinzufahren.
Doch schon auf der dritten oder vierten Welle - so genau
erinnert er sich nicht mehr - gelingt ihm der perfekte Ritt.
Der Rest des Teams beobachtet ihn von den Klippen aus.
29 Jubelschreie
Es sieht so aus, als hätte er den Weltrekord geknackt. Doch ob
die Welle wirklich höher war als 23 Meter 80? Das erfahren
Steudtner und seine Mitstreiter erst im Frühjahr 2015: Am 1.
Mai lädt der Weltverband WSL die besten Big Wave Surfer der
vergangenen Saison zur Preisverleihung ins kalifornische
Anaheim ein. Der Deutsche bekommt für seine Leistung vom
11.Dezember 2014 in Nazaré den Biggest Wave Award für die
größte gesurfte Welle der Saison. Doch für den Weltrekord
reicht es nicht: Die Jury stuft die Höhe der Welle mit 21
Metern 60 knapp hinter der von McNamara ein.
Steudtner wundert das nicht, schließlich ist die weltweite
Surfszene noch immer fest in der Hand der Amerikaner und
Australier. Aber so wichtig ist ihm der Weltrekord auch gar
nicht, sagt er.
30 Sebastian Steudtner
Wenn ich den Weltrekord mach, dann auch mit der besten Leistung auf
der Welle. Und wenn's dann die größte Welle ist, dann ist es die
größte Welle. Und wenn's nicht die größte Welle ist, dann ist es
nicht die größte Welle.
Immerhin war es schon das zweite Mal, dass Steudtner den Preis
für die größte Welle der Saison bekommen hat. Für Big Wave
Surfer ist der so wertvoll wie der Oscar für Filmschaffende.
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Vor ihm hat das noch kein anderer Deutscher geschafft.
Steudtner ist der Underdog, der Junge aus Deutschland, dem
Land ohne Wellen, der sich den Respekt der anderen erkämpfen
muss - den Respekt von Hawaiianern, Australiern und
Kaliforniern, von denen die meisten auf dem Surfbrett stehen,
seit sie laufen können.
Sein Ziel, die größten Wellen zu surfen, und zwar
hauptberuflich, hat er jedenfalls schon erreicht. Mit einem
Partner, der gut zu ihm passt, ihn ergänzt.
31 Tom Butler + OV
Ich bin ein besserer Surfer in kleineren Wellen als er, also helfe
ich ihm mit seiner Technik in kleineren Wellen und er hilft mir mit
meiner Technik in größeren Wellen. Unser beider Stärken sind
zusammengekommen und haben sich einfach gut getroffen und das hat
unsere Leistung auf den Höhepunkt getrieben. Das ist was ziemlich
Besonderes.
Die Chancen, dass das Duo in einem der nächsten Winter den
Weltrekord knackt, stehen ziemlich gut. Was Steudtner nicht
nur wegen des Titels freuen würde.
32 Sebastian Steudtner
Wenn ich den Weltrekord hab, dann ist das weltweit ein Skandal, ein
Riesenereignis, ein Riesenerfolg, eine Riesenklatsche für die
Amerikaner. Ich mein, überleg Dir mal: Deutschland hat den
Weltrekord fürs Big Wave Surfen. Das ist komplett balla-balla
eigentlich, ne? Wenn man sich das so überlegt.
Musik: Allah-Las - Long Journey
Komponist: Miles Michaud, Pedrum Siadatian, Matthew
Correia, Spencer Dunham
Label Code: LC 14513