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Magische Melancholie
Peter Stamms “In fremden Gärten” beim 12. Göttinger Literaturherbst 2003
Dass dieser freundliche, beim Lesen fast schüchtern wirkende Mann mit dem jungenhaften Charme
so tief gekühlte und traurige Texte schreibt, will man zunächst gar nicht glauben. Aber Peter Stamm
tut es und eröffnet mit drei Geschichten aus seinem Erzählungsband “In fremden Gärten” den 12.
Göttinger Literaturherbst. Der 40-jährige Schweizer Autor und Journalist ist 1998 mit seinem brillanten
Debütroman “Agnes” als ein Meister der kleinen Form und der genauen Beobachtung bekannt
geworden. In seinen Geschichten passiert kaum etwas. In der Titelerzählung versorgt eine Frau den
Garten und das Haus ihrer erkrankten Nachbarin und macht sich Gedanken über sie; ein völlig
unspektakulärer Text, der jedoch eine eigenartig beklemmende, melancholische Stimmung erzeugt.
Die Konstruktion der Texte ist bestechend, aber Stamms Geschichten wirken leider auch manchmal
wie am Reißbrett entworfen: zu abgezirkelt, zu geplant.
“Ich gehe von Bildern aus.”
Im Publikumsgespräch gibt Peter Stamm bereitwillig Einblick in seine Schriftsteller-Werkstatt.
Kurzgeschichten seien seine “liebste Form”, betont Stamm und nennt als Vorbilder Hemingway und
Pavese. In seinen Erzählungen gehe es um Stimmungen: “Ich gehe von Bildern aus.” Er lasse sich
von der Atmosphäre der Orte, an denen seine Geschichten spielten, stark beeinflussen. So habe er
die Polarnacht erlebt, um die Eindrücke davon in seinem in Nordnorwegen spielenden Roman
“Ungefähre Landschaft” (2001) zu verarbeiten.
Ob er sich als Schweizer Autor fühle, will Literaturherbst-Macher Christoph Reisner wissen. Er habe
etwas gegen das “Schweizer Identitätsgerede”, sagt Stamm, und ordne sich lieber der
Bodenseeregion zu, einer “diffusen Gegend” ohne Landesgrenzen.
Dass Peter Stamm auch die literarischen Genregrenzen überschreitet, machen seine weiteren
Arbeiten deutlich: Das Drehbuch zu “Agnes” ist fertig; neben Prosatexten beschäftigt er sich mit einer
Theaterinszenierung in Hamburg und mit Hörspielen. Und eine Schweizer Besonderheit gibt es bei
Stamm dann doch − ein Kinderbuch auf Schweizerdeutsch.
Frauke Klinge
Peter Stamm: In fremden Gärten. Erzählungen, Arche, Zürich − Hamburg 2003, 154 Seiten, 18 Euro