Gottesdienst Nattheim - Fleinheim Vorlage

Gottesdienst in St. Michael, Schwäbisch Hall, am So., 18. Oktober 2015, 10:00h;
Thema: 20. n. Trinitatis, Was bleibt? (zur Diakonie-Ausstellung „Was bleibt?“
Dekan Dr. Winfried Dalferth
Liebe Gemeinde,
was bleibt von uns, wenn wir von der Lebensbühne abtreten? Das ist der zurückschauende Blick.
Man könnte auch sagen: Was bleibt von uns, wenn wir die Wandlungsfähigkeit des Lebens, die neuen
Horizonte für die Lebewesen ernst nehmen?
Ein Beispiel für den Rückblick: Nach Jesu Ableben würfeln Soldaten um seine Kleider - Sie erinnern sich. Das
letzte Hab und Gut wird verscherbelt.
Mt 27, 35:
Als sie ihn aber gekreuzigt hatten, verteilten sie seine Kleider und warfen das Los darum.
(In der späteren Überlieferung finden sich zusätzlich die Worte: »damit erfüllt werde, was gesagt ist
durch den Propheten (Psalm 22,19): Sie haben meine Kleider unter sich geteilt und haben über mein
Gewand das Los geworfen« (vgl. Joh 19,24)). Übrigens: Die ersten Christen verstanden alle
Geschehnisse im NT als Erfüllung des AT. Daher der Respekt der Christenheit vor den Schriften des AT,
der „Bibel der Juden“!)
Kaum ist beim Menschen der Tod da, geht es nur noch um die Hinterlassenschaft. „Wollen Sie das Erbe
annehmen?“ fragt der Notar. Was bleibt von mir an Werten, an Wertvollem, an Erinnerungen? Ist das alles,
was bleibt? Diese Frage stellen sich viele.
Lied: EG 85,9 Wenn ich einmal muss scheiden (O Haupt voll Blut und Wunden)
9. Wenn ich einmal soll scheiden,
so scheide nicht von mir,
wenn ich den Tod soll leiden,
so tritt du dann herfür;
wenn mir am allerbängsten
wird um das Herze sein,
so reiß mich aus den Ängsten
kraft deiner Angst und Pein.
(Text: Paul Gerhardt 1656 nach »Salve caput cruentatum« des Arnulf von Löwen vor 1250
Melodie: Hans Leo Hassler 1601; geistlich Brieg nach 1601)
Ein Beispiel für den Vorausblick, die Vorausschau: Seit Ostern haben die Menschen einen neuen Horizont. Die
Auferstehung ist nicht wissenschaftlich belegbar. Aber es gibt gute Gründe für die Auferstehung. Dass ein
Lebewesen heute so und morgen ganz anders ist, das gibt es auch in der Natur.
 Da wird aus der Kaulquappe ein Frosch.
 Die Raupe verwandelt sich zum Schmetterling.
 Das unscheinbare Weizenkorn wird zur hoch aufwachsenden Weizenpflanze.
Lebewesen können sich völlig verändern. Es sind dieselben Lebewesen – und sie sind doch ganz anders
geworden. Warum sollte das beim Menschen nicht ebenso möglich sein? Es gibt gute Gründe für die
Auferstehung. Wir sollten sie ernstnehmen und einkalkulieren in unsere Lebensplanung. Der Bauplan der
Zukunft ist erkennbar, auch wenn das Gebäude der neuen Welt noch nicht steht. In biblischen Worten klingt
das so:
Das neue Jerusalem (Ofbg 21,1-7):
1 Und ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde; denn der erste Himmel und die erste Erde sind
vergangen, und das Meer ist nicht mehr.
2 Und ich sah die heilige Stadt, das neue Jerusalem, von Gott aus dem Himmel herabkommen, bereitet
wie eine geschmückte Braut für ihren Mann.
3 Und ich hörte eine große Stimme von dem Thron her, die sprach: Siehe da, die Hütte Gottes bei den
Menschen! Und er wird bei ihnen wohnen, und sie werden sein Volk sein und er selbst, Gott mit ihnen,
wird ihr Gott sein;
4 und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid
noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein; denn das Erste ist vergangen.
5 Und der auf dem Thron saß, sprach: Siehe, ich mache alles neu! Und er spricht: Schreibe, denn diese
Worte sind wahrhaftig und gewiss!
6 Und er sprach zu mir: Es ist geschehen. Ich bin das A und das O, der Anfang und das Ende. Ich will
dem Durstigen geben von der Quelle des lebendigen Wassers umsonst.
7 Wer überwindet, der wird es alles ererben, und ich werde sein Gott sein und er wird mein Sohn sein.
Das Erbe, um das es hier geht, ist ein völlig anderes: Es geht hier nicht um Hab und Gut. Es geht um ein neues
Sein, um die Wandlung des Kosmos in eine neue Existenzform, eine neue Lebensform in unmittelbarer Nähe
oder Umgebung Gottes. Schluss mit allem Negativen. Endlich leben ohne Ende so, wie wir es träumen, so wie
es der Seher Johannes in einer Vision auf der Insel Patmos vor Ephesus gesehen hat. Hab und Gut interessiert
niemanden mehr. Es zählt nur noch das neue Sein und die neue Lebensweise. Es ist eine Art Währungsreform
dessen, was uns heute so unglaublich wichtig ist. Das ist morgen wertlos. Da zählt anderes. Jetzt könnten wir
von den Aktionären lernen und überlegen, worauf wir setzen.
EG 656,3 Bettler u. Lahme sahen wir b Tanz (Wir haben Gottes Spuren festgestellt.)
3. Bettler und Lahme sahen wir beim Tanz,
hörten, wie Stumme sprachen,
durch tote Fensterhöhlen kam ein Glanz,
Strahlen, die die Nacht durchbrachen.
Text: Diethard Zils (1978) 1981 nach dem französischen »Nous avons vu les pas de notre Dieu« von
Michel Scouarnec 1973; Melodie: Jo Akepsimas 1973
Bleibt noch eine Frage: Wenn die Wandlung kommt: Ist dann alles anders? Gibt es denn gar nichts, was bleibt,
hüben wie drüben? Gibt es nicht wenigstens etwas, auf das ich hier setzen kann und das seinen Wert
vollumfänglich im Drüben behält? Gibt es. Paulus philosophiert darüber in dem wunderschönen Kapitel in 1.
Korinther 13, dem Hohelied der Liebe. Paulus bedenkt dort die Bedeutung der Liebe. Das Kapitel ist höchst
nachlesenswert. Ich zitiere Ihnen nur die beiden Schlussverse:
1 Kor 13,12f.:
12 Wir sehen jetzt durch einen Spiegel ein dunkles Bild (Die antiken Spiegel waren polierte
Metallscheiben, die nur mäßig exakt spiegeln konnten.); dann aber von Angesicht zu Angesicht. Jetzt
erkenne ich stückweise; dann aber werde ich erkennen, wie ich erkannt bin.
13 Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die größte unter ihnen.
So schließt Paulus das Kapitel 13. Paulus argumentiert so:
1. Der Glaube wird zum Schauen (2.Kor 5,7: 7 denn wir wandeln im Glauben und nicht im Schauen. Röm
8,24; 1.Petr 1,8.)
2. Die Hoffnung wird zu Erfüllung. Auf das, was sich erfüllt hat, brauche ich nicht mehr zu hoffen.
3. Aber die Liebe bleibt, hüben wie drüben. Das ist die gültige Währung in Zeit und Ewigkeit: die Liebe,
die Taten der Nächstenliebe. Unterscheiden wir hier sauber: Die Bibel kannte sehr wohl auch Sexus
für Geschlechtlichkeit oder Eros – Erotik. Paulus verwendet für sein Verständnis von Liebe den damals
kaum benutzten Begriff Agape, der durchgängig mit Nächstenliebe übersetzt wird.
Mit anderen Worten: Egal, was Sie in Ihrem Geldbeutel haben: es zählt nichts mehr, ebenso wenig, wie die
vergangenen Millionen und Billionen Reichsmark. Es zählt nur eines: Die eigene Existenz im Geiste der
Nächstenliebe oder die Taten der Liebe um des Nebenmenschen willen, wie wir in der Diakonie sagen. Das
„Füreinander Da sein“. So macht es Gott sogar in seinem Namen vor: „Ich bin da“ oder „Ich bin für euch da“,
das bedeutet Jahwe. (Ex 3, 14, hier: „Ich werde sein, der ich sein werde, futurisch übersetzt.). Was also bleibt?
Eigentlich wissen wir es genau: DIE LIEBE.
Wo wir in unserem Sein und im Umgang mit unseren Gaben, also unserem Hab und Gut, uns von der Liebe
leiten lassen, könnten wir auf Ideen kommen, die Benachteiligte in der Gesellschaft aufleben lassen,
Wer Schmetterlinge lachen hört, der weiß wie Wolken schmecken.
Der wird im Mondschein, ungestört von Furcht, die Nacht entdecken.
... der wird zur Pflanze, wenn er will. Zum Tier, zum Narr, zum Weisen.
Und kann in einer Stunde durch das ganze Weltall reisen.
... der weiß, dass er nichts weiß, wie alle anderen auch nichts wissen.
nur weiß er, was die anderen, und auch er noch lernen müssen.
... wer in sich fremde Ufer spürt und Mut hat sich zu recken;
der wird allmählich, ungestört von Furcht, sich selbst entdecken.
Abwärts zu den Gipfeln seiner selbst blickt er hinauf.
Den Kampf mit seiner Unterwelt nimmt er gelassen auf.
... wer mit sich selbst in Frieden lebt, der wird genauso sterben:
und ist selbst dann lebendiger als alle seine Erben.
(Novalis, 1772-1802, eigentlich Friedrich Freiherr von Hardenberg)
Wo wir in unserem Sein und im Umgang mit unseren Gaben, also unserem Hab und Gut, uns von der Liebe
leiten lassen, könnten wir auf Ideen kommen, die Benachteiligte in der Gesellschaft aufleben lassen,
Amen
Fürbitte
I
Gütiger Gott, du hast uns ins Sein gerufen. In dieser Welt ziehen wir nun unsere Lebensstraße. Weite
uns den Horizont, dass wir erkennen können, dass Leben mehr ist, als was wir sehen und
wahrnehmen.
Auch der Nächste und sein Lebensrecht ist von dir gewollt.
II
Herr Jesus Christus, du hast dem Willen des Vaters Hand und Fuß gegeben. So hast du uns nahe
gebracht, wie Gott den Menschen haben will. Sei um uns, damit wir nicht auf unsere Interessen fixiert
bleiben. Hilf uns, den Nebenmenschen wahrzunehmen. Weite uns den Horizont, damit wir erkennen
können, wie du uns in deiner Liebe zum leidenden Nächsten führst - zu dem, der Hilfe braucht.
III
Gott, Heiliger Geist, ohne dich können wir nichts tun. Aber wo du da bist und uns stärkst, können wir
Berge versetzen und Lebensräume für Leidende und Schwache verbessern. Weite uns den Horizont,
damit wir erkennen, wie wir mit unseren Gaben dem Nächsten dienen können.
IV
Dreieiniger Gott, du bist uns so menschlich nahegekommen, damit wir einander zu Mitmenschen
werden. Deine Liebe gilt allen, ohne Ansehen der Person, der Nation oder Religion. Erfülle die Großen
und die Kleinen, die Armen und die Reichen, die Wohltäter und die Übeltäter, die Mächtigen und die
Ohnmächtigen mit deiner Liebe, damit sich der Lebensraum aller Menschen weitet, bis du kommst
und unser Stückwerk vollendest in alle Ewigkeit.
Amen