Newsletter Arbeitsrecht Juni 2015

Juni 2015
ARBEITSRECHT
Newsletter
Rechtsprechung
Editorial
Liebe Leserin, lieber Leser,
Arbeitsrecht ist manchmal fast so spannend wie ein guter Krimi.
Das Bundesarbeitsgericht hatte zum Beispiel kürzlich darüber zu
entscheiden, ob ein Arbeitgeber eine Mitarbeiterin durch einen
Detektiv überwachen lassen konnte, die ihn später auf Schmerzens­
geld verklagte, weil sie unter psychischen Beeinträchtigungen litt
(vgl. Beitrag rechts). Nun gut, es ging bei dem Fall nur um Zweifel an
der tatsächlichen Arbeitsunfähigkeit und es fehlte (Gott sei Dank)
bis zum Schluss die Leiche. Aber dass arbeitsrecht­liche Fälle durch­
aus für das Fernsehabendprogramm taugen, zeigt auch der Fall
eines Fußballbundesligatorhüters, der sich gegen die Befristung
seines Arbeitsverhältnisses wehrte – und überraschend vor dem
Arbeitsgericht Mainz Recht bekam.
Kein Karnevalsscherz, die närrische Zeit war zum Zeitpunkt des
Urteils bereits vier Wochen her. Allerdings stellt sich die Frage,
was die Folge für den deutschen Fußball wäre, wenn ab sofort
alle Spielerverträge unbefristet gelten würden, also zum Beispiel
alle Bundesligaspieler bis zum Renteneintrittsalter oder sogar
da­rüber hinaus zu denselben Konditionen beschäftigt werden
müssten (vgl. Beitrag Seite 5). Mario Götze noch mit 70 Jahren
beim FC Bayern?
Auch die Frauenquote und neueste Entscheidungen zu möglichen
Scheinwerkverträgen sind durchaus Themen, die bereits Gegen­
stand diverser Talksendungen im Fernsehprogramm waren (vgl.
Beiträge in der Rubrik „Im Blickpunkt“ ab Seite 6). Wenn man also
mit dem Arbeitsrecht zu tun hat, kann das spannend und unter­
haltsam sein.
Wenn es Ihnen einmal wieder zu spektakulär wird, stehen wir für
Rück­fragen gerne zur Verfügung.
Mit besten Grüßen
Dr. Christopher Melms
Leiter der Praxisgruppe Arbeitsrecht
Inhalt
Rechtsprechung
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Im Blickpunkt
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Überwachung durch einen Detektiv mit heimlichen
Videoaufnahmen
Bundesarbeitsgericht vom 19. Februar 2015 – 8 AZR 1007/13
Sachverhalt: Die Arbeitnehmerin war seit Mai 2011 als Sekretärin
der Geschäftsleitung tätig. Ab dem 27. Dezember 2011 bis zum
28. Februar 2012 war sie arbeitsunfähig. Ursache war zunächst
eine Bronchialerkrankung. Sie legte insgesamt sechs Arbeitsunfä­
higkeitsbescheinigungen vor, wobei die ersten Bescheinigungen
von einem Facharzt für Allgemeinmedizin, die weiteren von einer
Fachärztin für Orthopädie erstellt wurden. Telefonisch teilte die
Klägerin ihrem Arbeitgeber mit, sie leide an einem Bandscheiben­
vorfall. Der Arbeitgeber bezweifelte die Arbeitsunfähigkeit und
beauftragte einen Detektiv mit der Observation der Klägerin. Diese
erfolgte an insgesamt vier Tagen innerhalb eines Zeitraums von ca.
zwei Wochen. Beobachtet wurden u. a. das Haus der Klägerin, sie
und ihr Mann mit Hund vor dem Haus und der Besuch in einem
Waschsalon. Dabei wurden auch Videoaufnahmen erstellt. Der
dem Arbeitgeber übergebene Observationsbericht enthielt elf Bil­
der. Die Mitarbeiterin forderte von ihrem Arbeitgeber ein Schmer­
zensgeld, da sie durch die heimlichen Beobachtungen erhebliche
psychische Beeinträchtigungen erlitten habe, die einer ärztlichen
Behandlung bedurften.
Die Entscheidung: Das BAG bestätigte die Entscheidung des Lan­
desarbeitsgerichts, das der Klägerin ein Schmerzensgeld in Höhe
von 1.000 Euro zugesprochen hatte. Die Observation sowie die
heimlichen Aufnahmen waren rechtswidrig, da der Arbeitgeber
keinen berechtigten Anlass zur Überwachung hatte. Der Beweis­
wert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen war weder dadurch
erschüttert, dass sie von unterschiedlichen Ärzten stammten,
noch durch eine Änderung im Krankheitsbild oder weil ein Band­
scheibenvorfall zunächst hausärztlich behandelt worden war.
Konsequenzen für die Praxis: Arbeitgeber sollten sorgfältig
abwägen, ob eine Observation durch einen Detektiv initiiert werden
soll. Sofern keine konkreten Tatsachen für eine Pflichtverletzung
des Arbeitnehmers vorliegen, drohen neben den Detektiv­kosten
auch Schmerzensgeldforderungen. Die Entscheidung zeigt außer­
dem, dass der Beweiswert von ärztlichen Arbeitsunfähigkeits­
bescheinigungen nicht allein dadurch erschüttert wird, dass sie
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unterschiedliche Fachärzte erstellt haben. Dies ist auch in solchen
Fällen zu beachten, in denen der Arbeitgeber arbeitsrechtliche
Maßnahmen (z. B. Abmahnungen, Kündigungen, Einbehalt des
Entgelts) wegen des Verdachts einer vorgetäuschten Arbeits­
unfähigkeit einleiten möchte.
Inka Adam,
Rechtsanwältin und Fachanwältin
für Arbeitsrecht,
BEITEN BURKHARDT
Rechtsanwaltsgesellschaft mbH,
Frankfurt am Main
Hinweis: Zu dieser Entscheidung ist in der Zeitschrift NZA (Aus­
gabe 6/2015) ein Editorial von Dr. Wolfgang Lipinski mit dem
Titel „Big Brother – Wie es der Arbeitgeber eben nicht wird!“
erschienen.
Diskriminierung nach dem AGG und Beweiskraft von
Statistiken
Bundesarbeitsgericht vom 18. September 2014 – 8 AZR 753/13
Sachverhalt: Die Arbeitgeberin suchte eine Buchhaltungskraft
mit abgeschlossener kaufmännischer Ausbildung für die Beset­
zung einer Vollzeitstelle. Die Mutter eines schulpflichtigen Kindes
bewarb sich. Im Lebenslauf wies sie auf ihre Ausbildungen als Ver­
waltungs- und Bürokauffrau hin. Außerdem gab sie ihren Fami­lien­
stand mit „Verheiratet, ein Kind“ an. Die Bewerberin erhielt eine
Absage. Auf dem zurückgesandten Lebenslauf war der Angabe
zum Familienstand handschriftlich der Zusatz „7 Jahre alt!“ hin­
zugefügt. Die entstandene Wortfolge „Ein Kind, 7 Jahre alt!“ war
zudem unterstrichen. Die abgelehnte Bewerberin sah sich als ver­
heiratete Mutter eines schulpflichtigen Kindes benachteiligt, da
sie wegen ihres Geschlechtes diskriminiert worden sei. Sie sei
abgelehnt worden, weil die Arbeitgeberin eine Vollzeittätigkeit und
die Betreuung eines siebenjährigen Kindes auch im Falle einer ver­
heirateten Frau für nicht oder nur schlecht vereinbar halte.
Die Entscheidung: Die Vorinstanz hatte die Arbeitgeberin wegen
Diskriminierung der Bewerberin zur Zahlung einer Entschädigung
nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) verur­teilt.
Eine Diskriminierung kann auch wegen eines augenscheinlich neu­
tralen Differenzierungskriteriums erfolgen. Das an sich neutrale
Merkmal der Kinder­betreuung liege bei Frauen häufiger als bei
Männern vor. Mütter würden häufiger nicht oder nur in Teilzeit
arbeiten als Väter. Die Vorinstanz hatte zur Begründung ihrer Ent­
scheidung eine Statistik zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf
(Mikrozensus 2010 des Statistischen Bundesamts) herangezogen.
Das BAG sah die herangezogene Statistik zur Vereinbarkeit von
Familie und Beruf für den Rechtsstreit nicht als aussagekräftig an,
da ihr keine Zahlenangaben / Geschlechterquoten hinsichtlich des
(Miss-) Erfolgs von Bewerbungen für Vollzeitarbeitsstellen ent­
nommen werden könnten.
Konsequenzen für die Praxis: Abgelehnte Bewerber, die sich
wegen ihres Geschlechts diskriminiert fühlen, müssen im Streit­
fall theoretisch nur Indizien beweisen, die eine Benachteiligung
vermuten lassen. Gelingt dies, muss der Arbeitgeber nachweisen,
dass keine solche vorliegt. In der Praxis gelingt Bewerbern schon
die Darlegung der erforderlichen Indizien nicht immer. Auch der
Verweis auf Statistiken führt nicht in jedem Fall zum Erfolg. Zwar
hat das BAG in einer früheren Entscheidung gezeigt, dass auch die
Erhebungen einer Statistik geeignetes Indiz sein können. Jedoch
hat das Gericht nun ausdrücklich klargestellt, dass eine Statistik für
den jeweils konkreten Fall aussagekräftig sein muss. Eine Statistik,
die beispielsweise Nachteile für Frauen im Berufsleben belegt,
ermöglicht daher nicht automatisch eine erfolgreiche Beweis­
führung für eine Entschädigungsklage nach dem AGG. So indiziert
etwa eine statistisch dargelegte Unterrepräsentanz von Frauen
in den Führungsetagen eines Unternehmens keine mittelbare
Benachteiligung, solange nicht gleichzeitig in der Statistik gezeigt
wird, dass sich immer gleich viele an sich geeignete Frauen und
Männer um entsprechende Führungspositionen bewerben.
Praxistipp: Arbeitgeber sollten vermeiden, in Bewerbungsunter­
lagen Vermerke oder Kennzeichnungen vorzunehmen, sofern sie
an Bewerber zurückgesandt werden. Auch das beliebte Anbringen
von „Klebezetteln“ mit Notizen in Bewerbungsmappen ist zu
vermeiden. Sicherheitshalber sollten Unterlagen abgelehnter
Be­werber sorgfältig vor einer Rücksendung geprüft werden. Arbeit­
geber laufen sonst Gefahr, Indizien zu liefern, auf die abgelehnte
Be­werber eine erfolgreiche Entschädigungsklage stützen können.
Dr. Claus Fischer,
Rechtsanwalt,
BEITEN BURKHARDT
Rechtsanwaltsgesellschaft mbH,
München
Veröffentlichung von Videoaufnahmen eines ehemaligen
Arbeitnehmers auf der Unternehmenswebsite
Bundesarbeitsgericht vom 19. Februar 2015 – 8 AZR 1011/13
Sachverhalt: Ein Unternehmen aus dem Bereich Kälte- und Klima­
technik veröffentlichte auf seiner Website ein mehrminütiges
Firmen­video. Darin waren Mitarbeiter des Unternehmens bei der
Arbeit zu sehen. Sie hatten vorher schriftlich in die Anfertigung
und Veröffentlichung der Aufnahmen eingewilligt. Nachdem einer
der gefilmten Mitarbeiter aus der Firma ausgeschieden war, ver­
langte er die Entfernung des Videos aus dem Internet. Gleichzeitig
widerrief er seine Einwilligung. Das Unternehmen nahm das Video
aus dem Netz, behielt sich aber eine erneute Veröffentlichung vor.
Das wollte der ehemalige Mitarbeiter nicht hinnehmen und ver­
klagte das Unternehmen auf Unterlassung der weiteren Nutzung
des Filmmaterials.
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Die Entscheidung: Die Klage blieb erfolglos. Das BAG befand,
dass eine erneute Veröffentlichung den Arbeitnehmer nicht in
seinem Persönlichkeitsrecht verletzen würde. Nach § 22 Kunstur­
hebergesetz dürfen Bildnisse nur mit Einwilligung des Abgebil­
deten veröffentlicht werden. Eine solche habe der ehemalige
Mitarbeiter mit der von ihm unterzeichneten Erklärung abgege­
ben. Damit sei zudem das Erfordernis einer schriftlichen Einwil­
ligung erfüllt, das sich aus dem Recht des Arbeitnehmers auf
informationelle Selbstbestimmung ergebe. Die Einwilligung sei
auch nicht mit dem Ende des Arbeitsverhältnisses entfallen, da
der ausgeschiedene Mitarbeiter die Einwilligung ohne erkennbare
Beschränkung erklärt habe. Der Widerruf der Einwilligung sei nur
unter Angabe eines plausiblen Grundes möglich. Einen solchen
habe der Arbeitnehmer jedoch nicht vorgetragen.
Konsequenzen für die Praxis: Mit dem Urteil werden zwei neue
Akzente gesetzt. Erstens sind Arbeitgeber bei erteilter Einwilligung
nicht dazu gezwungen, Firmenvideos mit Szenen von Mitarbeitern
bei jedem Belegschaftswechsel neu anzufertigen. Mit Blick auf
die bisherige Rechtsprechung dürfte dies jedenfalls gelten, soweit
die Darstellung der Mitarbeiter reinen Illustrationszwecken dient
und keinen individuellen Bezug auf deren Persönlichkeiten enthält.
Zweitens stellt das BAG erstmals darauf ab, dass die Einwilligung
schriftlich zu erfolgen hat.
Praxistipp: Arbeitgeber, die Firmenvideos veröffentlichen, sollten
demnach darauf achten, dass die gefilmten Mitarbeiter vorher
schriftlich in die Veröffentlichung einwilligen. Eine schriftliche Ein­
willigung stellt allerdings keinen Freifahrtschein zur unbegrenzten
Nutzung des Filmmaterials dar. Soweit der Arbeitgeber mit der
individuellen Persönlichkeit eines Mitarbeiters wirbt (z. B. persön­
liches Portrait zur Funktionsbeschreibung, Namensnennung),
können mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses und / oder Wider­
ruf der Einwilligung Unterlassungsansprüche entstehen.
David Bamberg,
Rechtsanwalt,
BEITEN BURKHARDT
Rechtsanwaltsgesellschaft mbH,
München
Erleichterte Voraussetzungen für die befristete Weiterbeschäftigung von Rentnern?
Bundesarbeitsgericht vom 11. Februar 2015 – 7 AZR 17/13
Sachverhalt: Nach Erreichen des Renteneintrittsalters vereinbarte
das Unternehmen mit dem Arbeitnehmer die befristete Fortset­
zung des Arbeitsverhältnisses. Zunächst sollte es mit Ablauf des
31. Dezember 2010 enden. Dieses Enddatum wurde jedoch zwei­
mal hinausgeschoben. Die letzte Verlängerungsabrede enthielt als
Beendigungstermin den 31. Dezember 2011 sowie den Zusatz,
dass der Arbeitnehmer eine noch einzustellende Ersatzkraft
einarbeiten solle. Er klagte im Rahmen einer sogenannten Entfris­
tungsklage gegen die Wirksamkeit der Befristung.
Die Entscheidung: Das BAG machte deutlich, dass der Bezug
der gesetzlichen Altersrente allein die Befristung nicht rechtfertigt
und keinen in der Person des Arbeitnehmers liegenden Grund im
Sinne des § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 des Teilzeit und Befristungs­ge­
setzes (TzBfG) darstellt. Erforderlich sei im konkreten Fall, dass
die Befristung zusätzlich einer konkreten Nachwuchsplanung der
Arbeit­
geberin diene. Hierzu bedürfe es weiterer tatsächlicher
Feststel­lungen, sodass das BAG den Rechtsstreit an das Landes­
arbeitsgericht zurückverwies.
Konsequenzen für die Praxis: In Zeiten des Fachkräftemangels
steht die Praxis häufig vor der Frage, wie Know-how von Arbeit­
nehmern, die in Rente gehen, noch für eine Übergangszeit ge­sichert werden kann. Verlockend ist hierbei der Abschluss eines
befristeten Arbeitsvertrags, um der Sorge zu begegnen, der rüstige
Rentner könne womöglich noch länger an der Fortsetzung der
Beschäftigung ein Interesse haben, als dies seitens des Arbeit­
gebers der Fall ist.
Das BAG zeigt erneut auf, dass auch Rentner dem umfassenden
Schutz des Befristungsrechts unterfallen, sofern sie unmittelbar
vor Abschluss des befristeten Arbeitsvertrags bereits beim Arbeit­
geber beschäftigt waren. Vor diesem Hintergrund ist genau zu prü­
fen, ob – eine rein kalendermäßige Befristung ist aufgrund der
Vorbeschäftigung ausgeschlossen – ein sachlicher Grund gemäß
§ 14 Abs. 1 Satz 2 TzBfG die Befristung rechtfertigt. Dieser kann
sich nach dem BAG auch aus der Einarbeitung einer Nachwuchs­
kraft im Rahmen einer konkreten Nachwuchsplanung ergeben.
Dem vom BAG zu bewertenden Sachverhalt lag noch die Rechtslage
vor dem mit Wirkung ab dem 1. Juli 2014 eingeführten § 41 Satz 3
des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI) zugrunde, der
viele Arbeitgeber zunächst hoffen ließ. Nach dem Wortlaut können
die Arbeitsvertragsparteien für den Fall des Vorliegens einer Ver­
einbarung über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit dem
Erreichen der Regelaltersgrenze durch Verein­barung während des
Arbeitsverhältnisses den Beendigungszeitpunkt ggf. auch mehr­
fach hinauszuschieben. Allerdings ist darauf hinzu­weisen, dass die
Sorgen trotz dieser Regelung nicht beseitigt sind. Nach einhelliger
Auffassung in der juristischen Fachliteratur ist die Konformität des
§ 41 Satz 3 SGB VI mit dem Europarecht – konkret dem Verbot der
Altersdiskriminierung sowie der Befristungsrichtlinie – aufgrund
der unbegrenzten Möglichkeit zur befristeten Verlängerung sehr
zweifelhaft.
Praxistipp: Trotz § 41 Satz 3 SGB VI und der vom BAG grundsätz­
lich anerkannten Möglichkeit einer Befristung eines Arbeitnehmers
nach Renteneintritt gilt es, sorgfältig zu prüfen, ob ein Sachgrund
dafür besteht. § 41 Satz 3 SGB VI unterliegt erheblichen Wirksam­
keitszweifeln. An das Vorliegen eines Sachgrunds für die Befristung
sind vorbehaltlich anderslautender Ausführungen in der vollständig
abgefassten Entscheidung des BAG vermutlich hohe Anforderun­
gen zu stellen, um Missbrauch vorzubeugen. Der schlichte Verweis
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auf eine Nachwuchsplanung, so wie es die bislang vorliegende
Pressemitteilung andeutet, reicht jedenfalls nicht.
Dr. Thomas Barthel,
Rechtsanwalt und Fachanwalt
für Arbeitsrecht,
BEITEN BURKHARDT
Rechtsanwaltsgesellschaft mbH,
Berlin
Roman Parafianowicz,
Rechtsanwalt,
BEITEN BURKHARDT
Rechtsanwaltsgesellschaft mbH,
Berlin
Erstes Urteil zum Mindestlohn – Änderungskündigung
unzulässig zur Erreichung der Anrechenbarkeit von
finanziellen Leistungen auf den Mindestlohn
Arbeitsgericht Berlin vom 4. März 2015 – 54 Ca 14420/14
Sachverhalt: Die Arbeitnehmerin erhielt neben einer Grundver­
gütung von 6,13 Euro je Stunde eine Leistungszulage und Schicht­
zuschläge sowie zusätzliches Urlaubsgeld und eine nach Dauer
der Betriebszugehörigkeit gestaffelte jährliche Sonderzahlung. Im
Hinblick auf die Einführung des gesetzlichen Mindestlohns zum
1. Januar 2015 sprach die Arbeitgeberin eine „Änderungskündi­
gung“ aus, um das Arbeitsverhältnis künftig mit einem Stunden­lohn
von 8,50 Euro bei Wegfall der Leistungszulage, des Urlaubsgelds
und der Jahressonderzahlung fortzusetzen. Hiergegen klagte die
Arbeitnehmerin.
Die Entscheidung: Nach Ansicht der Berliner Arbeitsrichter war
die Änderungskündigung unwirksam. Diese sollte lediglich be­wirken, dass das Urlaubsgeld und die jährliche Sonderzahlung für
die Berechnung des Mindestlohns berücksichtigt werden. Eine
solche Anrechnung sei jedoch nicht möglich, da diese Leistungen
nicht dem Zweck des Mindestlohns dienen.
Konsequenzen für die Praxis: Das Mindestlohngesetz (MiLoG)
legt nicht fest, welche Leistungen auf den Mindestlohn angerech­
net werden können. Gemäß der Gesetzesbegründung zum MiLoG
soll sich die Anrechenbarkeit nach dem „Prinzip der funktionalen
Gleichwertigkeit“ richten. Danach sind nur solche Zahlungen des
Arbeitgebers anrechenbar, die ihrem Zweck nach die „normale“
Arbeitsleistung des Arbeitnehmers und nicht etwa überobligato­
rische Leistungen entgelten sollen. Eine Zahlung, die an weitere
Bedingungen, z. B. die Betriebstreue, geknüpft ist, dürfte grund­
sätzlich mangels funktionaler Gleichwertigkeit ebenfalls nicht
anzurechnen sein. Nach Ansicht der Berliner Arbeitsrichter ist das
Urlaubsgeld ebenfalls nicht funktional gleichwertig, da dieses die
Zusatzkosten während des Urlaubs kompensieren und nicht die
Normalleistung vergüten soll. Dieser Gedanke dürfte nach Ansicht
des Arbeitsgerichts Berlin wohl auch für das Weihnachtsgeld gelten.
Funktional gleichwertige (Jahres-)Zahlungen wie z. B. Bonuszahlun­
gen müssen, wenn sie monatlich auf den Mindestlohn angerechnet
werden sollen, auch monatlich (unwiderruflich) – gegebenenfalls
anteilig – ausgezahlt werden. Mit dem Urteil hat das Arbeits­gericht
Berlin als erstes Gericht über die Frage der Anrechenbarkeit von
jährlichen Einmal- und Sonderzahlungen auf den Mindestlohn bei
Anwendung des Prinzips der funktionalen Gleichwertigkeit ent­
schieden. Da Berufung zum Landesarbeitsgericht Berlin-Branden­
burg (Az.: 8 Sa 677/15) eingelegt wurde, bleibt abzuwarten, ob
sich diese Rechtsansicht auch in der nächsten Instanz bestätigt.
Praxistipp: Unabhängig hiervon besteht für Unternehmen, die
zusätzlich zum regulären monatlichen Fixgehalt weitere Zahlungen
leisten, gegebenenfalls Handlungsbedarf. Zunächst ist zu analysie­
ren, welche finanziellen Leistungen der Arbeitnehmer aufgrund
welcher Anspruchsgrundlage (z. B. Arbeitsvertrag, Betriebsverein­
barung oder Tarifvertrag) erhält. Anschließend sind die Leistungen
dahingehend zu überprüfen, inwieweit sie nach dem Prinzip der
funktionalen Gleichwertigkeit auf den Mindestlohn angerechnet
werden können. Wenn mit diesen anrechenbaren Leistungen eine
Vergütung in Höhe von 8,50 Euro pro Zeitstunde nicht erreicht
werden kann, müssen die zugrunde liegenden Vereinbarungen
überarbeitet werden. Bestehende Betriebsvereinbarungen sollten
nach Möglichkeit mit dem Betriebsrat neu verhandelt und mög­
lichst so gestaltet werden, dass künftig eine Anrechnung der Leis­
tungen auf den Mindestlohn gewährleistet ist. Eine Anpassung der
bestehenden Arbeitsverträge in dem Sinne, die funktional gleich­
wertigen Einmalzahlungen monatlich – gegebenenfalls an­teilig –
auszuzahlen oder zu streichen und im Gegenzug die Grundver­
gütung anzuheben, ist regelmäßig nur mit Einverständnis des
Arbeitnehmers durch Vertragsänderung zu erreichen. Im Hinblick
auf neu abzuschließende Arbeitsverträge ist eine Umstellung der
Vergütungszahlung im Sinne der „Anrechnungsvorgaben“ der
Rechtsprechung unproblematisch, solange und soweit diesbezüg­
liche Regelungen nicht vorrangig in Tarifverträgen oder Betriebs­
vereinbarungen gelten.
Dr. Wolfgang Lipinski,
Rechtsanwalt und Fachanwalt
für Arbeitsrecht,
BEITEN BURKHARDT
Rechtsanwaltsgesellschaft mbH,
München
Katharina Domni,
Rechtsanwältin,
BEITEN BURKHARDT
Rechtsanwaltsgesellschaft mbH,
München
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Sind befristete Verträge von Profisportlern unzulässig?
Arbeitsgericht Mainz, Urteil vom 19. März 2015 – 3 Ca 1197/14
Sachverhalt: Der Kläger ist der ehemalige Torwart des FußballBundesliga-Vereins FSV Mainz 05, der ursprünglich einen auf
drei Jahre befristeten Arbeitsvertrag als Lizenzfußballspieler mit
dem Verein abgeschlossen hatte. Nach Ablauf dieses befristeten
Arbeitsvertrags vereinbarten Spieler und Verein die Verlängerung
des Vertrags um weitere zwei Jahre. Eine darüber hinausgehende
Verlängerung lehnte der Verein ab, woraufhin der Spieler vor dem
Arbeitsgericht Mainz „Entfristungsklage“ erhob, sich also gegen
die Befristung zur Wehr setzte und auf Feststellung des Bestehens
eines unbefristeten Arbeitsverhältnisses klagte.
Die Entscheidung: Das Arbeitsgericht Mainz entschied, dass die
Befristung unwirksam sei und der Spieler trotz der abgelaufenen
Befristungsabrede einen Anspruch auf Beschäftigung gegenüber
dem Verein habe. Darüber hinaus wurde der Verein zur Zahlung der
rückständigen Vergütung verurteilt. Entgegen der bisher sowohl in
der Rechtsprechung als auch in der Kommentarliteratur geäußer­
ten Auffassung greife für Profisportler weder der Tatbestand der
„Eigenart der Beschäftigung“ (§ 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 TzBfG) noch
eine ungeschriebene Sonderregel, nach der Arbeitsverträge auch
ohne einen der im Gesetz genannten Sachgründe über die Dauer
von zwei Jahren hinaus befristet werden können. Das Arbeitsgericht
Mainz ist insoweit der Auffassung, dass es sich bei Profifußballern
um gewöhnliche Arbeitnehmer handelt, für die auch hinsichtlich
der Befristung des Arbeitsvertrags keine Besonderheiten gelten.
Dementsprechend seien Befristungen nur dann zulässig, wenn
sie sich entweder innerhalb des 2-Jahres-Zeitraums bewegen oder
einer der übrigen gesetzlich vorgesehenen Befristungstatbestände
(z. B. Elternzeitvertretung, Erprobung o.ä.) gegeben ist.
Konsequenzen für die Praxis: Die Entscheidung hat bereits
deutschlandweit Beachtung gefunden. Ihr wird vielfach das
Potenzial beigemessen, den Profisport – ähnlich wie die frü­
here Bosmann-Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs –
grundlegend zu verändern. Sollten nämlich die vom FSV Mainz
05 angekündigten Rechtsmittel ebenfalls erfolglos bleiben,
wird die Befristung von Arbeitsverträgen für Profisportler fak­
tisch unmöglich und damit das Konzept des Profi­sports insge­
samt in Frage gestellt. Vor diesem Hintergrund wird der noch
weitergehende Rechtsstreit zwischen dem FSV Mainz 05 und
seinem ehemaligen Torwart wahrscheinlich erst durch das Bun­
desarbeitsgericht entschieden werden. Die Diskussion über
die Behandlung von befristeten Sportlerverträgen wird daher
weiter spannend bleiben.
Dr. Christian Bitsch,
Rechtsanwalt,
BEITEN BURKHARDT
Rechtsanwaltsgesellschaft mbH,
Frankfurt am Main
Im Ausland beschäftigte Arbeitnehmer führen zum
mitbestimmten Aufsichtsrat
Landgericht Frankfurt am Main vom 16. Februar 2015 – 3-16 O 1/14
Sachverhalt: Die Deutsche Börse AG beschäftigte Ende 2013 ins­
gesamt 3.811 Arbeitnehmer, davon in Deutschland 1.624, im euro­
päischen Ausland 1.747 und im außereuropäischen Ausland 440.
Es wurde das Drittelbeteiligungsgesetz (DrittelbG) ange­wendet,
da Rechtsform die AG ist, die Deutsche Börse AG im Inland
sitzt und regelmäßig zwischen 500 und 2.000 Arbeitnehmer im
Inland beschäftigt werden. Der nach der Satzung aus 18 Mitglie­
dern zusammenzusetzende mitbestimmte Aufsichtsrat besteht
gemäß den anwendbaren Regelungen des DrittelbG aus zwölf Vertretern der Anteilseigner und sechs Vertretern der Arbeit­nehmer.
Im Rahmen eines Statusverfahrens gemäß § 98 Aktiengesetz
machte ein Aktionär geltend, dass der Aufsichtsrat der Deutsche
Börse AG falsch zusammengesetzt sei.
Die Entscheidung: Das Landgericht Frankfurt am Main entschied,
dass der Aufsichtsrat falsch zusammengesetzt sei. Es seien nicht nur
die 1.624 Arbeitnehmer in Deutschland, sondern – zumindest – auch
die 1.747 beschäftigten Arbeitnehmer in Betrieben oder Konzern­
gesellschaften im europäischen Ausland zu berücksichtigen. Im
Sinne der Mitbestimmungsgesetze beschäftige die Deutsche
Börse AG im In- und europäischen Ausland damit zumindest 3.371
Arbeitnehmer. Bei einer regelmäßigen Beschäftigung der Deutsche
Börse AG von über 2.000 Arbeitnehmern sei nicht das DrittelbG,
sondern das Mitbestimmungsgesetz (MitbestG) anwendbar. Das
Landgericht Frankfurt am Main hat folgerichtig entschieden, dass
dann der mitbestimmte Aufsichtsrat der Deutsche Börse AG auf­
grund der Unternehmensgröße mit in der Regel nicht mehr als
10.000 Arbeitnehmern (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 MitbestG) aus zwölf
Mitgliedern, je sechs Aufsichtsratsmitglieder der Anteilseigner und
der Arbeitnehmer zu besetzen sei.
Konsequenzen für die Praxis: Diese Entscheidung hätte – soweit
sie rechtskräftig wird – erhebliche Auswirkungen auf Unter­nehmen,
in denen die Verhältnisse ähnlich liegen. Arbeitnehmer der aus­
ländischen Tochtergesellschaften und der im Ausland gelegenen
Betriebe müssten mit sofortiger Wirkung bei den Schwellen­
werten berücksichtigt werden. Bisher mitbestimmungsfreie
Unternehmen mit in der Regel unter 500 beschäftigten Arbeit­
nehmern in Deutschland können vom einen Tag auf den anderen
vom Geltungs­bereich des DrittelbG oder des MitbestG erfasst
sein. Unternehmen, die derzeit zwischen 500 und 2.000 Arbeit­
nehmer beschäftigen, könnten ab sofort der paritätischen Mitbe­
stimmung nach dem MitbestG unterliegen. Bisherige Strategien,
die einen vom Territorialitätsprinzip abhängigen Auslandsbezug
aufweisen, könnten nicht mehr greifen. Auch in diesen Fällen
könnten schlagartig die Voraussetzungen der in der Praxis oft
unbeliebten unternehme­rischen Mitbestimmung vorliegen. Über
Unternehmen mit einem solchen Auslandsbezug könnte eine
Flut von Statusverfahren zur Klärung von Streitigkeiten über die
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ARBEITSRECHT
anwend­baren gesetzlichen Vorschriften hinsichtlich der Bildung
und Zusammensetzung des (mitbestimmten) Aufsichtsrats
hereinbrechen.
Praxistipp: Die Entscheidung zwingt alle in Deutschland und
zugleich im Ausland tätigen Unternehmen und Konzerne zum
Handeln. Eine Vielzahl der Strategien zur Umgehung der unter­
nehmerischen Mitbestimmung in Unternehmen und Konzernen,
insbesondere Strategien mit Auslandsbezug, müssten überprüft
und gegebenenfalls geändert werden. Es gibt jedoch zahlreiche
Ge­staltungsmöglichkeiten mit einem auf das jeweilige Unternehmen
bzw. auf den jeweiligen Konzern maßgeschneiderten Konzept – auch
unter Berücksichtigung der Arbeitnehmer ausländischer Tochter­
gesellschaften – , um die unternehmerische Mitbestimmung zu ver­
meiden bzw. einzuschränken.
Dr. Erik Schmid,
Rechtsanwalt und Fachanwalt
für Arbeitsrecht,
BEITEN BURKHARDT
Rechtsanwaltsgesellschaft mbH,
München
Im Blickpunkt
Börsennotierte und mit­
bestimmte Unternehmen
Börsennotierte oder mit­
bestimmte Unternehmen
Erfasst sind:
Erfasst sind:
- börsennotierte Aktiengesell­­schaften, Kommanditgesell­
schaf­ten auf Aktien, Euro­
pä­­ische Gesellschaften (SE)
sowie sonstige börsenno­
tierte Unternehmen, die aus
einer grenzüberschreitenden
Verschmel­zung hervor­gehen
und in der Regel mehr als
2.000 Arbeit­
nehmer be­
schäftigen
- börsennotierte Aktiengesell­­schaften, Kommanditgesell­
schaf­ten auf Aktien, Euro­
pä­­ische Gesellschaften (SE)
sowie sonstige börsenno­
tierte Unternehmen, die aus
einer grenzüberschreitenden
Verschmel­zung hervor­gehen
- börsennotierte Aktien­gesellschaften, die in der Regel mehr
als 1.000 Arbeit­nehmer be­
schäftigen und deren über­
wiegender Betriebs­zweck im
Bergbau und der Eisen und
Stahl erzeugenden Industrie
liegt
- börsennotierte Aktiengesell­
schaften, die dem MontanMitbestimmungsergänzungs­
gesetz unterfallen
- Aktiengesellschaften, Komman­­ditgesell­schaften auf Aktien,
Gesellschaften mit beschränk­­ter Haftung, Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit oder
Genossenschaften, die in der
Regel mehr als 500 Arbeit­
nehmer beschäftigen
- Aktiengesellschaften oder Gesellschaften mit beschränkter
Haftung, die dem MontanMitbestimmungsergänzungs­
gesetz unterfallen
Die Frauenquote kommt
Der Bundestag hat am 6. März 2015 das „Gesetz für die gleichbe­
rechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen
in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst“ beschlossen
(zum Referentenentwurf vgl. bereits BEITEN BURKKHRADT
Newsletter Arbeitsrecht, Ausgabe September 2014). Sollte der
Bundespräsident trotz der teilweise geäußerten verfassungsrecht­
lichen Bedenken keine Einwände haben und das Gesetz unter­
zeichnen, wird es schrittweise bis zum 1. Januar 2016 in Kraft
treten.
Mit den nachfolgenden Übersichten wollen wir Sie über die recht­lichen Konsequenzen informieren und insbesondere zeigen, welche
Unternehmen von den neuen Regelungen betroffen sind sowie
welche Maßnahmen nach Inkrafttreten des Gesetzes umgesetzt
werden müssen.
Die neuen Vorschriften unterscheiden zwischen Unternehmen, die
a)börsennotiert und paritätisch mitbestimmt sind
b)solchen Unternehmen, die entweder börsennotiert oder pari­
tätisch bzw. nach dem Drittelbeteiligungsgesetz mitbestimmt
sind.
Die neuen Vorschriften:
Die neuen Vorschriften:
Es gilt eine zwingende Quote
von 30 % für das unter­reprä­
sen­tierte Geschlecht und zwar
auch für Nachbestellung und
Ersatzmitglieder.
Es besteht die Verpflichtung,
Zielgrößen zur Erhöhung des
Frauen­anteils in Aufsichts­räten,
Vorständen und obersten Ma­na­gementebenen festzulegen.
Über die Quotenerfüllung ist
in der Erklärung zur Unter­neh­
mens­­führung zu berichten.
Die Mindestzielsetzung kann
selbst festgelegt werden (und
darf auch bei „0“ liegen).
Liegt der derzeitige Frauen­
anteil in einer Führungs­ebene
unter 30 %, dürfen die zukünf­
tigen Zielgrößen den bereits
erreichten Anteil nicht mehr
unterschreiten.
Über die Zielfestlegungen und
deren Umsetzung ist in der
Erklärung zur Unternehmens­
führung zu berichten.
Newsletter
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ARBEITSRECHT
Fristen zur Umsetzung:
Fristen zur Umsetzung:
Die Quote gilt für Neu­wahlen
oder Entsendungen ab dem
1. Januar 2016.
Zukünftige Zielgrößen müssen
erstmals zum 30. September
2015 fest­gelegt werden, wobei
der Zeitraum für die Ziel­
er­reichung nicht länger als bis
zum 30. Juni 2017 angesetzt
werden darf.
Bestehende Mandate laufen
bis zu ihrem regulären Ablauf
weiter.
Die daran nachfolgenden Fris­
ten dürfen nicht länger als fünf
Jahre betragen.
Sanktionen bei Missachtung:
Sanktionen bei Missachtung:
Die quotenwidrige Wahl oder
Entsendung ist nichtig.
Für die Verfehlung der selbst­
gesetzten Quote sind keine
Sanktionen vorgesehen.
Bei der Einzelwahl ist nur der
Wahlbeschluss nichtig, der
nach chronologischer Abfolge
als erster die Mindestquote
verletzt.
Bei der Blockwahl werden alle
Personen des überrepräsen­
tierten Geschlechts erfasst,
sofern die Wahl insgesamt ge­
gen die Quote verstößt.
Bei Verletzung der Pflicht zur
Festlegung von Zielgrößen
kommt eine Schadensersatz­
pflicht des Aufsichtsrats in Betracht.
Bei Verstoß gegen die Be­
richtspflichten können sich
der Aufsichtsrat sowie der
Vor­stand strafbar machen.
Die für das unterrepräsen­
tierte Geschlecht vorge­
sehenen Plätze bleiben unbe­
setzt („leerer Stuhl”).
Um eine Besetzungslücke zu
vermeiden, besteht die Mög­
lichkeit einer gericht­lichen Er­
satzbestellung, die der Quote
gerecht werden muss.
Bei Verstoß gegen die ord­
nungsgemäße
Besetzung
kommt eine Schadensersatz­
pflicht des Aufsichtsrats oder
des Vorstands in Betracht.
Bei Verstoß gegen die Be­
richtspflichten können sich
der Aufsichtsrat sowie der
Vorstand strafbar machen.
Praxistipp: Die Einführung der Frauenquote wird die betroffe­
nen Unter­nehmen vor erhebliche Herausforderungen stellen und
bereits in wenigen Monaten erste Umsetzungsschritte erfordern.
Den vom Gesetz erfassten Unternehmen empfehlen wir deshalb,
möglichst zeitnah Vorbereitungen für die Bestimmung von Zielvor­
gaben und deren Umsetzung zu treffen, um die ordnungsgemäße
Besetzung der Gremien und damit die Handlungsfähigkeit des
Unternehmens langfristig sicherzustellen.
Dr. Christian Bitsch,
Rechtsanwalt,
BEITEN BURKHARDT
Rechtsanwaltsgesellschaft mbH,
Frankfurt am Main
Werkverträge / Leiharbeit – Absage an die Intransparenz
Die längerfristige Zusammenarbeit von Unternehmen auf Werkoder Dienstvertragsbasis steht seit Monaten in der öffentlichen
Kritik. Der Vorwurf lautet, dass diese Vertragstypen nur gewählt
würden, um Arbeitnehmerschutzvorschriften zu umgehen und
die Lohnkosten gering zu halten. Mehr und mehr Arbeitnehmer,
die auf Werk- oder Dienstvertragsbasis über lange Zeit in einem
anderen Unternehmen eingesetzt sind, lassen ihren arbeitsrecht­
lichen Status gerichtlich überprüfen. Sie behaupten, nicht mehr in
einem Arbeitsverhältnis zu ihrem Vertragsarbeitgeber zu stehen,
sondern zu dem Unternehmen, in dem sie eingesetzt sind. Streit­
entscheidend ist in diesen Fällen, ob die beiden Unternehmen tat­
sächlich auf Werk- oder Dienstvertragsbasis zusammenarbeiten
oder ob nicht eine sogenannte verdeckte Arbeitnehmerüber­
lassung vorliegt. In letzterem Fall wird ein Arbeitsverhältnis des
Arbeitnehmers mit dem Einsatzunternehmen begründet, wenn der
ursprüngliche Vertragsarbeitgeber nicht über die nach dem Arbeit­
nehmerüberlassungsgesetz (AÜG) notwendige Arbeitnehmer­
überlassungserlaubnis verfügt.
Die Abgrenzung, ob tatsächlich ein Werk- beziehungsweise Dienst­
vertrag oder eine verdeckte Arbeitnehmerüberlassung vorliegt,
richtet sich in erster Linie danach, von welchem Unternehmen
das arbeitsvertragliche Direktionsrecht in Bezug auf die Arbeits­
zeit, den Arbeitsort und den Arbeitsinhalt ausgeübt wird. Da die
Abgrenzung in der Praxis oftmals jedoch schwierig ist und vom
Einzelfall abhängt, sind viele Unternehmen dazu überge­gangen,
zur Sicherheit eine Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis vorzu­
halten, um die Begründung eines Arbeitsverhältnisses mit dem
Besteller beziehungsweise Dienstgeber im Falle der verdeckten
Arbeitnehmerüberlassung nach dem AÜG zu verhindern.
Nicht die erhoffte Sicherheit
Über die Wirksamkeit einer solchen sogenannten Vorrats-Arbeit­
nehmerüberlassungserlaubnis hat das LAG Baden-Württemberg in
seinem Urteil vom 3. Dezember 2014 – 4 Sa 41/14 entschieden und
sie im Ergebnis verneint. Es steht zu befürchten, dass die VorratsArbeitnehmerüberlassungserlaubnis nicht die erhoffte Sicherheit
Newsletter
Juni 2015
Seite 8
ARBEITSRECHT
bringt und das Entstehen eines Arbeitsverhältnisses mit dem Ein­
satzunternehmen verhindert. Dem Urteil lag folgender Sachverhalt
zugrunde:
Der Kläger stand seit dem 20. Mai 2011 bei drei verschiedenen
Unternehmen in einem Arbeitsverhältnis. Eingesetzt war er in
Erfüllung sogenannter Rahmenwerkverträge in dieser Zeit durch­
gehend bei dem beklagten Unternehmen. Dort war der Kläger auch
betrieblich eingegliedert und erhielt unter bewusster Missachtung
der vertraglichen Vereinbarung fachliche Weisungen. Dem Kläger,
der sich auf eine verdeckte Arbeitnehmerüberlassung und ein
Arbeitsverhältnis zum beklagten Unternehmen berief, wurde von
diesem entgegengehalten, dass seine drei Vertragsarbeitgeber
über eine Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung verfügten. Dass
der Einsatz des Klägers bei der Beklagten im Rahmen einer Arbeitnehmerüberlassung hätte erfolgen sollen oder können, wurde
von den Unternehmen zuvor jedoch nicht offen gelegt.
Das LAG Baden-Württemberg beurteilte das Verhalten der Unter­
nehmen – anders als noch die Vorinstanz – als widersprüchlich.
Die Parteien hätten sich während der gesamten Vertragslauf­zeiten
gerade außerhalb des AÜG stellen wollen und somit bewusst den
durch das AÜG vermittelten Sozialschutz des Arbeitnehmers zu
verhindern versucht. Es sei daher trotz der Arbeitnehmerüber­
lassungserlaubnis ein Arbeitsvertrag zwischen dem Kläger und
der Beklagten zustande gekommen.
haben, sollten schon heute die Zeit nutzen und die Vertragslage
und die tatsächliche Durchführung kritisch hinterfragen.
Christina Kamppeter, LL.M.,
Rechtsanwältin und Fachanwältin
für Arbeitsrecht,
BEITEN BURKHARDT
Rechtsanwaltsgesellschaft mbH,
München
Hinweis: Der Beitrag ist fast inhaltsgleich bei Human Resources
Manager (http://www.humanresourcesmanager.de) erschienen.
Hinweise
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Alle Rechte vorbehalten 2015.
Entscheidung des BAG steht noch aus
Impressum
Da noch eine Entscheidung des BAG aussteht, besteht Hoffnung,
dass der Vorrats-Arbeitnehmerüberlassungser­laubnis keine gene­
relle Absage er­teilt wird. Nach dem Urteil war die Intransparenz,
dass die be­teiligten Unternehmen eine Arbeitnehmerüberlas­
sungserlaubnis in der „Hinterhand“ hatten, der entscheidende
Faktor, ihnen die Be­rufung auf die Arbeitnehmerüberlassungser­
laubnis zu versagen.
BEITEN BURKHARDT Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
(Herausgeber)
Ganghoferstraße 33, D-80339 München
AG München HR B 155350 / USt.-Idnr: DE811218811
Im Nachgang zu dem genannten Urteil hat eine andere Kammer
des LAG Baden-Württemberg (Urteil vom 18. Dezember 2014 –
3 Sa 33/14) die Wirksamkeit einer Vorrats-Arbeitnehmerüberlas­
sungserlaubnis in einer anderen Fallkonstellation anerkannt. Auf­
grund des Urteils vom 3. Dezember 2014 sollte das Vorhandensein
der Erlaubnis vorsorglich jedoch erkennbar gemacht werden. Auf
lange Sicht muss nach den angekündigten Gesetzesvorhaben der
Bundesregierung zu den Werkverträgen jedoch insgesamt umge­
dacht werden, da der Praxis der Vorrats-Arbeitnehmerüberlassung
ein Riegel vorgeschoben werden soll. Unternehmen, die auf Werkoder Dienstvertragsbasis externe Mitarbeiter bei sich im Einsatz
Redaktion (verantwortlich)
Weitere Informationen (Impressumsangaben) unter:
http://www.bblaw.com/index.php/de/impressum-de
Markus Bauer, Rechtsanwalt
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