Uckermark Kurier am Wochenende Seite 24 Samstag/Sonntag, 20./21. Juni 2015 Von Sigrid Werner TEMPLIN. Es gibt zwei Tage im Leben von Achim Zierow, die wird er wohl nie vergessen. Der Gedanke an den einen Tag treibt ihm Tränen des Schmerzes in die Augen. Der Gedanke an den anderen Tränen der Rührung. Der eine Tag ist der 4. Oktober 2014. Achim Zierow fährt in einem großen Pulk von Hobbyradsportlern beim Hügelmarathon erstmals seiner Heimatstadt Tem-plin entgegen. In der engen und scharfen Fährkrugkurve passiert das Unglück. Er touchiert das Hinderrad seines Vordermanns, kippt um, fällt auf die Straße und liegt plötzlich unter der Schürze eines entgegenkommenden Kleintransporters. Radsportler stemmen mit vereinten Kräften das Fahrzeug hoch, um den darunter eingeklemmten Sportfreund zu retten. Ein Pasewalker erleidet dabei sogar Muskelrisse an den Oberarmen. Achim Zierow wird ins Unfallkrankenhaus nach Berlin-Marzahn gef logen. Der vierte und fünfte Lendenwirbel sind gebrochen. Die Wirbelsäule verschoben, Meniskus verletzt, Kreuzbänder gerissen... Viermal muss er operiert werden. Eine Welt bricht für den Templiner zusammen. Die Welt eines Hobbyradsportlers, der seit 1965 fast jeden Tag auf dem Rad saß. Er fuhr bei Bezirks- und DDR-Meisterschaften, bei Norddeutschen und Deutschen Meisterschaften. Stand mit den ganz Großen des Radsports gemeinsam am Start: mit Täve, mit Bernd Drogan, Olaf Ludwig. „Ein Zisch – und die waren weg, wir von der zweiten Leistungsklasse fuhren hinterher“, sagt Achim Zierow. Und dennoch: Es waren erhebende Momente. Später trainierte er bei Lok Templin den Radsportnachwuchs und fuhr als Senior noch bei vielen Rundfahrten mit. Am Tag 60 bis 80 Kilometer im Sattel? Für Achim Zierow auch mit über 60 kein Problem. Jeden Sonntag um 9 Uhr starteten er und seine Radsportfreunde zu gemeinsamen Ausfahrten. In den letzten fünf, sechs Jahren kam er so auf bis zu 5000 Kilometer im Jahr. Mit dem 4. Oktober 2014 ist das alles aus und vorbei. Vier Monate bringt Achim Zierow in der Unfallklinik zu. Drei Monate in der Reha in Beelitz. Seine Frau Bärbel bangt um ihren Mann, muss irgendwann einsehen: In ihrem Haus mit Treppen und engen Türen werden die bei- „Es ist schön, in schwerer Zeit gute Freunde zu haben“ Beim Hügelmarathon geschah es. Ein Templiner Radsportler stürzte und verletzte sich schwer. Seither kann er die Füße nicht mehr bewegen. Dennoch rollt er wieder durchs Land. Bärbel Zierow freut sich mit ihrem Achim (63): Endlich gewinnt er wieder neuen Lebensmut und kann auf dem Rad, einem Liegerad mit Handbetrieb, unterwegs sein. FOTO: SIGRID WERNER den nicht mehr klarkommen. Binnen kürzester Zeit muss sie eine neue Bleibe suchen, in der auch ihr querschnittsgelähmter Mann wieder ins Leben zurückfinden kann. Es ist so viel zu regeln, zu entscheiden, zu verhandeln, zu organisieren und vorzubereiten. Fast hätte sie nicht gewusst, wie sie das alles allein bewältigen sollte. Von der vielen Hilfe zu Tränen gerührt Doch sie und ihr Mann sind nicht allein, sollen die beiden schnell spüren. „Fast jeden zweiten Tag hatte ich anderen Besuch im Unfallkrankenhaus“, sagt ein gerührter Achim Zierow mit Tränen in den Augen. Die ganze Familie ist da, die Radsportfreunde wechseln sich ab, Kollegen kommen. Matthias Scheider, Torsten Töpfer, denen er einst das Radfahren beibrachte, machen nun ihm Mut. Er findet Trost, Zuspruch und Ermunterung, nicht aufzugeben. Auch in Beelitz ist er nie allein. „Und meine kleine Bärbel auch nicht, die das alles tapfer durchgehalten hat“, sagt der Templiner dankbar. „In zwei Stunden haben meine Radsportfreunde das alte Heim leergeräumt. Sie haben das Umzugsauto organisiert und die Möbel geschleppt“, erzählt er. „Allein hätte ich das nie geschafft“, sagt die zierliche Bärbel Zierow. Und auch ihr kommen sofort die Tränen. Im Mai darf Achim Zierow dann endlich wieder nach Hause, in sein neues Heim. Die erste Rollstuhlfahrt durch die Stadt verschafft ihm eine ganz neue Erfahrung. „Das verdammte Altstadtpf laster, das geht gar nicht.“ Fast hätten Wut und Verzweif lung wieder von ihm Besitz ergriffen. Du musst wieder Radfahren, sagen seine Freunde. Nur anders. Achim Zierow überlegt, in ein teures Handbike zu investieren. Die Krankenkasse zieht nicht mit. Da sagen die Radsportler: „Wart mal, das erledigen wir.“ Auf ihr Wort ist Verlass: Matthias Scheider, Torsten Töpfer und Veiko Winkler starten einen Spendenaufruf. „Zig Leute haben etwas dazu gegeben. Radsportfreunde, meine Kunden, Geschäftspartner“, erzählt Veiko Winkler. Ja, selbst Urlauber zeigen sich von der Idee, Achim Zierow, dem leidenschaftlichen Radfahrer, wieder ein Stück Lebensqualität und Lebensmut zurückzugeben, begeistert. Am 16. Juni ist es so weit. Es ist der Tag der Rührung und Freude. Matthias Scheider und Ralf Leeck können ihrem Radsport-„Vater“ das Handbike, und dazu gleich noch zwei Trikots, übergeben. „Ich bin zurück im Leben“, sagt ein strahlender Achim Zierow – die Augen voller Tränen. „Und ich möchte allen danken, die dazu beigetragen, mich und meine Frau so unterstützt haben“, sagt er und stülpt sich den Sturzhelm über. Die erste Tour nach Gandenitz nach dem Unfall spürt er nun nicht mehr in den Beinen. Dafür umso mehr in den Armen. „Es ist so schön, richtige Freunde zu haben.“ Willkommen im Leben! Kontakt zur Autorin [email protected] Matthias Scheider überreicht Achim Zierow zum Handbike das passende Trikot. FOTO: BÄRBEL ZIEROW „Entweder du heiratest mich, oder...“ Von Monika Strehlow In Drense ist Walli Mundt eine kleine Legende. Und das nicht nur, weil sie in der Liebe klare Worte findet. Wer nach Drense kommt und Walli Mundt nicht kennenlernt, hat das Dorf nicht richtig erlebt. Denn die Frau gab dem Ort sein Gepräge, wie es nur wenige vermochten Dabei stammt die 73-Jährige aus der Gegend um Neustrelitz, kam 1958 nach Drense. Hier verliebte sie sich in Horst, dem sie eines Tages die Pistole auf die Brust legte mit dem Satz: „Entweder du heiratest mich DRENSE. Walli und Horst Mundt mit ihrem Hochzeitsfoto von 1961. Damals hatte sie von ihm eine Entscheidung gefordert. FOTO: MONIKA STREHLOW PZ jetzt, oder es wird nie was mit uns beiden.“ Denn sie trug ihr erstes Kind unterm Herzen und wollte eine Familie. Drei Tage nach der Hochzeit kam am 16. März 1961 Tochter Viola zur Welt. „Heute würde das jede albern finden“, lacht die 73-Jährige. „Aber damals war das so. Und uns hat es gut getan“, setzt sie hinzu. Wohl wahr: Nach Viola kamen Peter, Rüdiger und Torsten zur Welt, die ihnen neun Enkel und einen Urenkel schenkten. „Bald erwarten wir noch drei Urenkel“, sagt ihr Horst freudestrahlend über den Nachwuchs. Bei vier Kindern und der Arbeit in der Landwirtschaft kannte Walli Mundt kaum Müßiggang. Trotzdem reichte ihr das nicht. Ihr Vater und drei seiner Brüder waren Bürgermeister in anderen Orten. „Irgendwann wollte ich auch über die Geschicke im Dorf mitbestimmen“, erinnert sich Walli Mundt. Ihre erste Sitzung als Gemeindevertreterin erlebte sie mit 28 Jahren, 1979 trat sie als Bürgermeisterin an. Doch die Wende bedeutete für Walli Mundt den totalen Bruch. „Mit der neuen Zeit kam ich nicht zurecht.“ Etwa zehn Jahre später wurde wieder ein neuer Ortschef gesucht. „Sie haben mir zugeredet: Mensch Walli, mach das wieder“, erzählt sie. Und weil ihr der Umgang mit den Menschen fehlte, legte die Rentnerin wieder los: Sitzungen und Beratungen, Tag und Nacht für alle erreichbar. Zwar war die Zeit der großen Förderungen vorbei. Trotzdem schafften es Walli Mundt und ihre Mitstreiter, das alte Gutshaus zu sanieren. Im Mai feierten dort Enkel Alexander und seine Jaqueline Hochzeit. Da hatte Claudia Wege den Platz als Ortsvorsteherin eingenommen. „Ich finde toll, wie sie sich engagiert“, findet Walli Mundt. Und ärgert sich, dass die Gemeinde nicht mehr das Geld für die Rasenpf lege hat.
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