20 | VORARLBERG NEUE SAMSTAG, 2. JÄNNER 2016 VORARLBERG | 21 NEUE SAMSTAG, 2. JÄNNER 2016 Freizeit und Spiel am Stundenplan DREI FRAGEN AN ... ...Simone Naphegyi, Direktorin der Volksschule Feldkirch Levis 1. Was ist der Gewinn von Schule, den ganzen Tag? In der Volksschule Feldkirch- Levis wird das keineswegs als notwendiges Übel gesehen. Ob Kinder, Lehrer oder Eltern – die meisten sind vom Angebot der verschränkten Ganztagesklassen begeistert. RAPHAELA LECHLEITNER (TEXT/ FOTOS) W ie viel gibt sieben mal acht?“, fragt das Mädchen mit den blond gelockten Haaren. Gespannt steht es an der obersten Stufe des Treppenhauses. Sie blickt auf ihre zwei Mitschüler hinab, die einige Tritte weiter unten stehen. In den Köpfen der beiden rattert es. „56!“, ruft der Junge und grinst. Zufrieden hüpft er eine Stufe weiter hinauf. In dem Klassenzimmer einige Meter weiter werden Karten gemischt, Spielfiguren weitergerückt und konzentriert Buchseiten geschmökert. Ein etwas anderes Bild von Schulunterricht präsentiert sich beim Betreten der Ganztagsklasse 4a in der Volksschule Feldkirch Levis. Dort verbringen die Kinder ihren Schultag von morgens bis nachmittags um vier. Abwechslungsreicher Tag Acht Stunden Schulbank drücken, bedeutet dies keineswegs. Denn bei den sogenannten verschränkten Ganztagsklassen wechseln sich Unterrichts- und betreute Freizeitphasen ab. So werden über den Tag hinweg zum herkömmlichen Fächerunterricht immer wieder Einheiten an- geboten, in denen die Schüler Zeit zum eigenständigen Lernen und Erholen haben. 79 solche Klassen gibt es derzeit in Vorarlberg. Allein in der Volksschule Feldkirch Levis bieten drei Klassen dieses Angebot. In den vergangenen Jahren stieg die Zahl fortdauernd an. Für die Verfechter dieses Konzepts liegen die Vorteile auf der Hand: bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf, geringere Nachhilfekosten, Förderung der Sprachkompetenz und auch wissenschaftlich ist erwiesen, dass die abwechselnden Einheiten von Lernen, Förderung und Freizeit dem Lernrhythmus von Kin- dern besser entgegenkommen. Von dieser Schulform begeistert ist auch Angelika Fend, die Klassenlehrerin der 4a in Feldkirch Levis: „Ganztagsklassen eröffnen sehr viel Lernpotenzial. Gerade bei uns gibt UMFRAGE Was gefällt Dir besonders gut an der Ganztagsklasse? RAPHAELA LECHLEITNER Angjelina Jakupi (10) André Wehinger-Schmid (9) Rosalia Oberndorfer (9) Basil Hilti (9) Smiljana Peric (9) Dass wir so viele Sachen gemeinsam mit der ganzen Klasse machen. Zum Beispiel waren wir gerade in Bregenz. In der Mittagspause spielen wir und machen Sport. An meiner Schule mag ich, dass ich so gute Freunde und eine liebe Lehrerin habe. Am besten gefallen mir die Freizeitstunden und Spiele. Es macht Spaß hier. Mir gefällt, dass wir jeden Tag Turnen haben und ich so viel Zeit mit meinen Freunden verbringen kann. In der Adventzeit war auch die tägliche Spielezeit super. Mir macht es nichts aus, dass wir den ganzen Tag Schule haben. Dafür haben wir dann keine Hausaufgaben. Wir machen oft schöne Ausflüge und haben jeden Tag Turnen. Am besten gefällt mir, dass ich mehr Zeit mit meinen Freunden habe. Ich lerne viel lieber in der Schule wie daheim. Wenn ich dann nachhause komme, habe ich Freizeit. es eine starke soziale und kognitive Mischung der einzelnen Kinder. Dadurch, dass sie den ganzen Tag in einem pädagogischen Rahmen sind, kann diese Vielfalt positiv genutzt werden. Vor allem aber lernen Kinder von Kindern. Und das kann in dem Konzept verwirklicht werden.“ Besonders gefällt es der 44-jährigen Satteinserin, dass sie durch die Freizeitstunden mehr Zeit für Beziehungsarbeit hat. Einen Mehraufwand sieht sie darin keineswegs, sondern eine Möglichkeit, um besser auf die jeweiligen Stärken und Schwächen der Mädchen und Buben einzugehen und diese individuell zu fördern: „Das Unterrichten ist viel entspannter und ich muss mich nicht peinlich genau am Lehrplan orientieren. Das ist mir wichtig, weil in erster Linie unterrichte ich Kinder und erst dann Fächer.“ Gegenseitiges Vertrauen Umsetzbar ist dieses Konzept nur durch Unterstützung. So wird jede Ganztagesklasse von zwei Lehrern unterrichtet. In der 4a in Lern- und Freizeitphasen bestimmen den Tag und bieten den Schülerinnen und Schülern Abwechslung. Feldkirch Levis übernimmt Claudia Amann einen Teil der Stunden. Aber auch Freizeitpädagogen sind integriert. Sie betreuen die Schüler während der Mittagszeit und sorgen insbesonders für die nötige Bewegung. Den Nachmittag verbringt die Klasse dann wieder gemeinsam mit Unterricht, Lernen, Sport und Freizeit. Diese Konstanz sieht Fend als einen wesentlichen Vorteil: „Die Kinder sind immer in derselben Gruppe und haben dieselben Begleitpersonen, die sich um sie kümmern.“ Dafür brauche es aber vor allem Vertrauen – sowohl gegenseitiges Vertrauen innerhalb einer Klasse, als auch Vertrauen der Eltern in die Pädagogen. „Nur so können sie entspannt und beruhigt arbeiten gehen, ohne dabei ständig auf einen Stundenplan angewiesen zu sein“, meint die engagierte Lehrerin. „Es ist wichtig, dass die Eltern ihr Kind gut versorgt wissen. Das ist auch mein Ziel.“ Noch nicht ausgereift Dennoch, für die Klassenlehrerin ist das Konzept noch nicht vollständig ausgereift. Gerade eine Kooperation mit Vereinen erwies sich bislang vor allem aus organisatorischen Gründen als schwierig. Auch der Aufforderung, vermehrt Exkursionen zu unternehmen, kann sie aufgrund von Personalmangel nur bedingt nachkommen: „Meiner Meinung nach sollten einige Punkte vom Land überdacht werden.“ Ihr Engagement wird dadurch keineswegs geschmälert. Denn schließlich soll es um die Bedürfnisse und die Förderung der Kinder gehen. Und die stehen bei Angelika Fend an erster Stelle. Ganztagsklassen? SIMONE NAPHEGYI: Meiner Meinung nach ist es eine wichtige Möglichkeit, um einen Schritt näher in Richtung Chancenund Bildungsgerechtigkeit zu gehen. Weil dann vor allem die Herkunftsfamilie fürs Weiterkommen der Kinder in der Schule nicht mehr so ausschlaggebend ist. Natürlich hat diese noch Bedeutung und Einfluss. Aber es ist eine Möglichkeit, dass Kinder auf ihrem Lernweg Unterstützung durch pädagogische Fachkräfte erhalten, auch außerhalb des Unterrichts. Gerade in diesen Freizeit- und Lernzeiten, kann individuell auf die Kinder eingegangen werden.. 2. Ist dieses Konzept optimal für die heutige Zeit? NAPHEGYI: In städtischen Gebieten sind Ganztagsklassen sowieso unabdingbar. Die reinen Unterrichtsklassen mit regulären Unterrichtszeiten haben sehr wohl nach wie vor ihre Berechtigung. Aber das Angebot, frei auswählen zu können, sollte meiner Meinung nach überall gegeben sein. 3. Was sind die Schwierigkeiten und Hürden? NAPHEGYI: Die große Herausforderung sehe ich darin, dass die Ressourcen, die derzeit zur Verfügung gestellt werden, auch beibehalten werden. Damit eine gute Qualität der Ganztagsklassen bestehen bleiben kann, brauchen wir sehr gut ausgebildete pädagogische Fachkräfte und zusätzliches SupportPersonal. Ich denke, um diese Qualität aufrechtzuerhalten und auszubauen, darf vor allem bei der finanziellen Unterstützung keinesfalls gekürzt werden. Ich habe Bedenken, dass Sparmaßnahmen angedacht werden, die dann aber die Qualität mindern.
© Copyright 2024 ExpyDoc