Auf in ein selbstbestimmtes Leben

Auf in ein selbstbestimmtes Leben
Jugendhilfe Timeout übernimmt das Wirtshaus Thurner / Junge Menschen sollen hier
ab Sommer die Gäste bewirten.
ST. MÄRGEN. Ob Einheimische oder Kurgast: Das Thurner Wirtshaus war eine beliebte
Einkehrmöglichkeit – gerade auch für Langläufer und Wanderer. War, denn seit dem 1. Dezember
vergangenen Jahres ist das weithin bekannte Gasthaus geschlossen. Nun regt sich wieder Leben.
Handwerker sind fleißig zugange. Ab dem Sommer soll wieder bewirtet werden. Mitverantwortlich
werden dann junge Menschen von der Jugendhilfe Timeout sein.
Der Verein, der schulmüden und schulverweigernden Kindern und Jugendlichen eine Chance bieten
will, hat seinen Stammsitz auf der Nessellache bei Breitnau. Doch der Platz auf dem ehemaligen
Hofgut Rössle ist begrenzt. "Wir haben viel mehr Anfragen als Plätze", meint so auch Christian
Thalmaier, der rechtlich Timeout berät. Er ist einer von fünf Gesellschaftern, die als Thurner
Wirtshaus GmbH am Vorabend von Heiligabend 2014 den Gebäudekomplex inklusive Hotel sowie
neun Hektar Wiesen- und Waldfläche erworben hat. Das Quintett komplettieren der Gründer und
Leiter von Timeout, Daniel Götte, die künftige Betriebsleiterin der GmbH Miriam Tartari, sowie die
neben Thalmaier weiteren ständigen Berater von Timeout, Heiko Lusebrink (Steuerberater) und Otto
Schwizler, der lange Zeit auch international als Gastronomieberater tätig war.
Hotel fürs Erste außen vor
Man sei schon rund zwei Jahren auf der Suche nach einer Erweiterungsmöglichkeit gewesen, erklärt
Götte. Mit dem Thurner Wirtshaus ist man nun fündig geworden. Sinn ist laut Satzung der GmbH,
dass benachteiligte Menschen inklusiv begleitet und gefördert werden können. Weiter heißt es darin:
"Zu diesem Zweck sollen in Zusammenarbeit mit dem Timeout e. V. in Breitnau und anderen
Einrichtungen der freien und öffentlichen Jugendhilfe Jugendliche und junge Erwachsene in den
Bereichen Gastronomie, Hotellerie und, soweit möglich, in Gartenbau und Landwirtschaft beschäftigt
und so auf ihrem Weg in ein möglichst selbstbestimmtes Leben unterstützt werden."
Die Ziele sind also recht weit gefasst. Jedoch werden sie nicht einem Zug umgesetzt. Die Hotellerie
bleibt fürs Erste außen vor. "Das wird noch einige Zeit in Anspruch nehmen, bis diese unseren
Wünschen entspricht", erklärt Götte. Zunächst geht es darum, Küche, Gastraum und Terrasse wieder
flott bekommen, damit gestartet werden kann. Als Ziel der Eröffnung hat man sich den Sommer
gesteckt. Ab da soll dann neben den zwei betreuten Gruppen auf der Nessellache eine Dritte auf dem
Thurner entstehen.
Mithilfe des Gastronomiebetriebs sollen die jungen Menschen grundlegende Kompetenzen wie
Pünktlichkeit oder Zuverlässigkeit vermittelt bekommen. Gerade die Gastronomie ist geeignet, um zu
motivieren, weiß Thalmaier. Dies werde immer wieder bei Festen auf der Nessellache deutlich, wo die
Jugendlichen intensiv mithelfen – ob im Service oder in der Küche: "Sie leben auf und werden zu
wunderbaren Gastgebern."
Eine Beschäftigung im Thurner Wirtshaus könnte der letzte Schritt der Timeout-Bewohner sein, auf
ihrem Weg in die Verselbständigung sein. "Wir wollen nicht aufs Leben vorbereiten, sondern leben",
erklärt Götte den Hintersinn, der auch noch dadurch verstärkt wird, indem einige der von Timeout
betreuten jungen Menschen ihren Berufswunsch als Koch oder auch Hauswirtschaft sehen.
Momentan ist man komplett auf die Wirtschaft fokussiert, in der es eine gutbürgerliche Küche geben
soll. Wobei gutbürgerlich nicht "viel und warm", bedeuten soll, betont Götte. Vielmehr "reichlich und
gut", ergänzt Thalmaier. Schlagworte sind dabei Qualität, regionale Produkte und Frische.
Durchgehend warme Küche
Nach einer Einarbeitungszeit (Götte: "Wir müssen noch einiges lernen"), in der das Angebot noch
etwas reduziert sein wird, soll es täglich durchgehend warme Küche geben. Ein Mittagstisch ist
genauso vorgesehen wie regelmäßiger Sonntagsbrunch, kulinarische Thementage, Reitkurse, Seminare
oder musikalische Einladungen.
Die weitere Sanierung des Gebäudekomplexes soll Schritt für Schritt geschehen. Ausbau und
Renovierung soll nämlich auch ein Element der Betreuung sein. Denn durch ihre eigene Arbeit, das
eigene Anpacken, erhalten die jungen Menschen eine sofortige Bestätigung für das von ihnen
Geleistete. So wie es auch beim Hofgut Rössle war. Vieles wurde dort in den vergangenen zehn Jahren
in Eigenarbeit gearbeitet. Doch hier geht die Arbeit langsam aus: "Wir sind mittlerweile unter dem
Dach angekommen", meint Götte und schmunzelt. Zeit für ein neues Projekt. Dabei kommt nun die
Erfahrung vom Rössle nun zugute. Mittlerweile habe man viele Kontakte zu Handwerkern aufgebaut,
unter deren Anleitung viele Sanierungsarbeiten selbstständig erledigt werden können. Mit dem
Thurner Wirtshaus wage man nach wie vor einen Sprung ins kalte Wasser, so Götte: "Aber das Wasser
ist nicht mehr ganz so kalt wie noch vor zehn Jahren."
Natürlich ist das Projekt, die warme Küche ins Thurner Wirtshaus wieder zurückzubringen eine große
Herausforderung, wie Götte betont. Man sei gespannt, wie es angenommen wird. Obwohl noch
geschlossen ist: Anfragen auf eine Reservierung im Hotel habe es bereits gegeben. Der Zuspruch und
das Interesse aus der Bevölkerung und von St. Märgens Bürgermeister Manfred Kreutz sei groß. "Wir
hoffen, dass wir die Erwartungen nicht enttäuschen."

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