Von der Chiemsee-Plätte zum Hightech-Boot

F IRMEN
Von der Chiemsee-Plätte zum Hightech-Boot
D i e B o o t s w e r f t H e i s t r a c h e r i n Fr a u e n c h i e m s e e b a u t s e i t 1 2 5 J a h r e n e r f o l g r e i c h B o o t e .
Am Anfang stand die bis heute gebaute ChiemseePlätte (oben). Mit formschönen Motorbooten wurde
die Werft weit über die Grenzen Deutschlands bekannt. Heute schätzt man besonders die schnellen
Boote mit Elektroantrieb (unten).
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mit nur zehn Millimeter Plankenstärke immer noch
zur höchsten Bootsbaukunst zählen. Sportliche Erfolge waren die beste Werbung für Folgeaufträge.
Weil die Werftchefs neuen Werkstoffen und Bauweisen gegenüber immer schon aufgeschlossen
waren, entwickelten die Brüder für die ab Mitte der
1950er Jahre lieferbaren amerikanischen Außenbordmotoren mit vielen PS leichte und elegante
Sportboote und geräumige Kajütboote. Das Baumaterial: das damals neue, wasserfeste Bootsbausperrholz. Damit unterschieden sie sich von
Fotos: Bootswerft Heistracher
A
ls Franz Stöffl 1890 einen Betrieb auf der Fraueninsel im Chiemsee gründete, gab es neben
Zimmermannsaufträgen und dem Bau von
Möbeln auch erste Anfragen zur Fertigung sogenannter Plätten, flachen Arbeitskähnen für den Materialtransport über den Chiemsee und für Fischer
am See. Stöffl baute die Boote und auch die ersten Vergnügungssegler erhielten Jollen und Kielboote. So ist es in diesem Jahr 125 Jahre her, dass
auf dem Gelände der Bootswerft Heistracher in
Frauenchiemsee Boote gebaut werden. Damit gehört der Familienbetrieb von Peter Heistracher in
jetzt vierter Generation mit zu den ältesten Bootsbaubetrieben im Deutschen Boots- und Schiffbauer-Verband.
Schon nach dem Eintritt von Stöffls Schwiegersohn
Sepp Heistracher in den Betrieb im Jahr 1912
wurde der Bootsbau forciert. Der Betrieb entwikkelte sich zur Werft und baute auf Kundenwunsch
Jollen, Jollenkreuzer und auch Kielyachten.
Aufsehen erregte im Jahr 1927 ein 14 Meter langer
Seefahrtkreuzer, damals die größte Yacht am
Chiemsee. In Frauenchiemsee hatte man darüber
hinaus auch damals schon ein Händchen für Motorboote, die die modernsten Entwicklungen der
Technik widerspiegelten. So baute die Werft ein
Motorboot mit einem Flugzeugmotor, das mit bis
zu 75 Stundenkilometern über den Chiemsee
rasen konnte. Heute sind es unter anderem Hightech-Elektromotorboote, mit denen die Bootswerft
Heistracher, durch die Einschränkung der Motorbooterlaubnisse auf bayerischen Seen, den aktuellen Stand modernster Technik anbietet.
Nach dem Tod des Werftgründers im Jahr 1943
führte Sepp Heistracher den Betrieb weiter. Nach
seinem frühen Tod 1948 übernahmen seine Söhne
Sepp und Richard die Werft. Sie lieferten in den
Nachkriegsjahren zunächst wieder Chiemsee-Plätten aus. Bald folgten jedoch Sportboote wie 20-qmRennjollen, deren über acht Meter langen Rümpfe
Hightech-Regattayachten, besonders
robuste Boote für die Wasserwacht
oder sehenswerte Sportboote zum
Repräsentieren: bei Heistracher kann
man auch besondere Wünsche von
Eignern realisieren.
vielen anderen Bootswerften, die weiterhin nur
schwere Massivholzboote bauten.
In der damals fast revolutionären formverleimten
Bauweise entstanden bei Heistracher kleine Motorboote für das Autodach in großer Zahl. Robuste
Wasserwachtboote verließen die Werft. Ausgefallene Aufträge waren die Lieferung von 20 „Proprider-Rennbooten“ nach Rhodesien und zwölf Meter
lange Vorsteven für hölzerne Minensuchboote der
Bundesmarine für eine Bremer Werft. Einige Sperrholzjollen wurden sogar nach Amerika exportiert,
und bis Ende der 1960er Jahre liefen elegante Mahagonimotorboote und Motoryachten bei Heistracher vom Stapel.
Als die Motorbootgenehmigungen im Jahr 1957
auf den bayerischen Seen drastisch reduziert wurden, reagierten Sepp und Richard Heistracher
schnell durch die Entwicklung von Alternativen:
spezielle Boote mit Elektroantrieb mit widerstandsarmen Verdrängerrümpfen. Anfangs baute
man sie nach der bewährten Sperrholzbauweise,
ab 1962 auch aus dem neuen, stabilen und kostengünstigen Glasfaser-Kunststoff (GFK). Viele
dieser GFK-Boote, die auch mit elegantem Mahagonideck im Stil klassischer Motorboote angeboten wurden, sind als Leihboote nach über 50
Jahren immer noch im täglichen Einsatz.
Die Bootswerft Heistracher war oftmals ihrer Zeit
voraus. Bereits ab 1965 betrieb der Elektrokonzern Siemens ein Heistracher-Elektroboot zu Forschungszwecken mit der heute wieder aktuellen
Brennstoffzellentechnik.
Nach dem Eintritt von Peter Heistracher im Jahr
1986 in vierter Generation in die Werft werden
neben eleganten Elektrobooten wieder verstärkt
Rennjollen und -yachten gebaut. In der leichten
und festen Kohlefaser-Sandwich-Vakuum-Bauweise entstanden und entstehen mehrere international erfolgreiche Binnenrennyachten. Daneben verlassen Arbeitsboote für Segelschulen
und Regattabegleitung und auf Maß gefertigte
Wasserwachtboote in Einzelanfertigung die Werft.
Eine Besonderheit sind die „Insulanerboote“
zur täglichen Überfahrt für die Inselbewohner
auf dem Chiemsee. Es sind winterfeste, eisgängige und selbstlenzende Motorboote mit
Aluminiumrümpfen und GfK-Decks mit Scheibenheizung, Standheizung und Radar.
Aus der langjährigen Erfahrung und mit Hilfe
der effektiven Lithiumbatterien entwickelt und
fertigt die Werft auch eigene Elektrobootsantriebe, die sich durch einen hohen Wirkungsgrad und einfache Bedienung auszeichnen.
Aus der Verbindung der leichten KohlefaserSandwichbauweise, hochwertiger Technik,
speziellen Rumpfformen und aufwendiger
Holzarbeit entstehen besondere Elektromotorboote mit außergewöhnlichen Fahrleistungen,
die die Motorboottradition der HeistracherWerft weiterführen.
Mehr Informationen: Bootswerft Heistracher
Frauenchiemsee 7, 83256 Frauenchiemsee
Tel.: 08054 / 665, www.heistracher.de
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