ARNOLD SCHÖLZEL besuchte den Bremer Norden.

Deserteur und marxistischer Philosoph
4rnold Angelus Schölzel ist aus der BRD in die DDR geflohen/ Sohn des verstorbenen Ritterhuder Altbürgermeisters auf Stippvisite in Vegesack
VON KLAUS GRUNEWALD
/egesack. Kalter Wind und Regenschauer
ind keine gute Witterung für die 698. Frielenskundgebimg der Initiative „Nordbrener Bürger gegen den Krieg“. Gleich will
\mold Angelus Schölzel unter der kahlen
liehe in der Fußgängerzone GerhardtohUs-Straße über die Befreiung des Verlichtungslagers Auschwitz durch die Rote
Vrmee referieren. Doch noch bleibt Zeit für
lin Gespräch über seine Desertion aus der
lundeswehr und seine akademische Lauflahn zum marxistischen Philosophen in
1er einstigen DDR, in der er unter dem
lecknamen Andrö Holzer „InoffmeUer
Mitarbeiter" (IM) des Mmisteriums für
itaatssicheriieit (MfS) wurde.
Arnold Angelus Schölzel (69) ist der
lohn des küi^ch verstorbenen Ritterbu1er Altbürgermeisters Arnold Schölzel. Er
3t ihm wie aus dem Gesicht geschnitten,
tuch Gestik und Mimik erinnem an den
Monn, der als Bürgermeister von 1970 bis
995 die Geschicke der Hammegemeinde
lestimmte. Dass sein Sohn als 20-Jähhger
lach achtmonatiger Bundeswehrzug^Öigkeit am 13. August 1967 desertierte und
ich in die DDR absetzte, war zunächst ein
ichock. Auf den Tag genau sechs Jahre vorler hatte Walter Ulbricht die Berliner
Mauer bauen lassen. Im Alter von 16 Jähen war Schölzel junior in die SPD eingebeen, nach dem Abitur ging er zur Bundesvehr. Freiwillig. Wie etUche Klassenkameaden eben auch, sagt der heutige Chefedakteur der marxistischen Tageszeitung
Junge Welt“, Doch die Ausbildung in
lendsburg habe ihm gezeigt, dass er für
las Kriegshandwerk lücht geschaffen sei.
Die Proteste gegen neonazistische Strölungen und die Ermordung des Westberli,er Studenten Benno Ohnesorg bei einer
lemonstraüon gegen den Besuch des
ichahs von Persien hätten das Fass dann
um Überlaufen gebracht: Arnold Angelus Der Diplom-Philosopl'i Arnold Angelus Schölzel desertierte 1967 aus der Bundeswehr In die damalige DOR.
FOTO: CHRISTIAN KOSAK
.chölzel packte seine Sachen, fuhr mit der
lahn nach Westberlin und stellte sich am
Wir sitzen in einem Cafö in der Breiten Abitur nachgeholt, denn die DDR erkannte ner Promotion arbeitete Schölzel als wissen)DR-Grenzübergang Schönefeld als Sbaße, Schölzel hat seine Frau mitge- das Reifezeugnis der Bundesrepublik nicht schaftlicher Assistent an der Humboldtlüchthng aus der Bundesrepublik vor. bracht. Sie verfolgt das Gespräch aufmerk- an. 1982 promovierte Schölzel zum Thema Universität, verfasste Beiträge in FachzeitDie fragten mich, ob ich mir das genau sam, mischt sich niu selten ein. Ihr Mann, „Karl Korschs undogmatischer Marxis- schriften, für den Rimdfunk und Tageszeiberlegt habe, sagten mir, ich könne jetzt der 1974 ein Studium an der Humboldt-Uni- mus“. Korsch (1886-1961) gilt als einer der tungen. Zudem veröffenüichte er mehrere
och wieder zurück “, erzählt der gebürtige versität als piplom-PhUosoph • abschloss, bedeutendsten Erneuerer der marxisti- Bücher darunter „Das Schweigekartell“, in
itterhuder und nimmt einen Schluck aus hatte zunächst als Hilfsarbeiter in Leipzig schen Philosophie und Theorie in der ers- dem Fragen und Widersprüche zum Terrorer Flasche mit Orangesaft.
seinen Lebensunterhalt .verdient und das ten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Nach sei- anschlag vom 11. September 2001 in den
USA untersucht werden.
Arnold Schölzel ist auch ein Vierteljahrhundert nach der Vereinigung der beiden
deutschen Staaten, überzeugter Marxist
Er spricht vom DDR-Anschlüss, eriimert
daran, dass der verstorbene SPD-Politiker
Egon Bahr das Ende der DDR einmal als
„größte Enteignung eines Volkes" bezeichnet habe, imd macht keinen Hehl aus seiner einstigen Tätigkeit für die SED. Die
hatte sich nach der Wiedervereinigung in
„Partei des Demokratischen Sozialismus“
(PDS) mnbenannt, aus der durch Verschmelzung mit der westdeutschen Wahlaltemative Arbeit und Gerechtigkeit die Partei Die Linke entstand.
Dass die DDR eines Tages nicht mehr
existieren würde, habe sidi schon lange
vor ihrem Ende abgezeichnet, erzählt
Schölzel und verweist auf die realen.poUtischen imd ökonomischen Entwicklungen
in Europa. Die marxistisch-leninistische
Philosophie von einer friedlichen und gerecht^ Gesellschaft sei deshalb aber nicht
falsch. In dem Dokumentarfilm „Verraten sechs Freunde und ein Spitzel“ wird Schölzel der Vorwurf gemacht, als „IM Holzer"
seine Freunde aüsspioniert zu haben. Eine
Gruppe junger Studenten, die sich einen
Sozialismus mit menschlichem Gesicht in
der DDR wünschten und sich von Schölzel
bespitzelt fühlten. Der 69-Jährige heute:
„AUe wussten, wer ich bin und was ich tat.“
Als am 9. September 1989 die Berliner
Mauer geöffnet wurde, wusste er, dass damit das Kapitel DDR endgültig beendet
war. 1997 wurde er Feuilletontedakteur
der Berliner Tageszeitung „Junge Welt"
und im Februar 2000 deren Chefredakteur.
Und Deutschland spielt weiterhin eine
wichtige Rolle in seiner phUosophiegeschichthehen Arbeit. Die Flüchthngsw^e
aus. Syrien, dem Irak, Afghanistan imd
Nordafrika sei auf die ökonomischen Interessen des Westens unter Führung der USA
zurückzuführen, sagt Schölzel. Darüber
hat er nach eigenen Worten auch immer
wieder mit seinem Vater diskutiert, den er
als „Sozialdemokraten aus altem Schrot
und Korn“ bezeichnet. „Meistens haben
wir sonntags telefoniert, nach dem Tatort “,
schmunzelt der „Deserteur", Dann muss er
los, wird von Gerd-Rolf Rosenberger abgeholt, dem Initiator der Initiative „Nordbremer Bürger gegenden Krieg“.