Der Kern digitaler Kundenerfahrung

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Der Kern digitaler
Kundenerfahrung
Flexible Kernsysteme sind die Basis. Die besten Angebote, völlig neue Services: das wird gerade
im Netz immer selbstverständlicher. Die Assekuranz sieht sich wie kaum eine andere Branche
mit neuen Herausforderungen konfrontiert, sind doch durch das Internet ganz andere Möglichkeiten und ein wesentlich schärferer Wettbewerb entstanden. Hinzu kommt, dass neben
Kunden auch Makler und Vermittler höhere Ansprüche haben als noch vor wenigen Jahren.
Autorin:
Glynda Gill ,
Product Strategy
Director, Digital
Guidewire
Im ersten Schritt brauchen Schaden- und
Unfallversicherer auf dem Weg zu einer
optimierten Kundenerfahrung im Netz neue
Tools. Diese sollten für Kunden wie für
Vermittler insbesondere die folgenden Services direkt auf der Plattform zugänglich
machen:
• Anträge, Vertragsabschlüsse und Policierung
• Vertragsänderungen und andere Servicefunktionen
• Abruf der aktuellen Rechnung, Übersicht
über vergangene Rechnungen und Zahlfunktionen
• Schadenservices wie etwa Erstmeldung
und Status-Updates
Der Kunde steht auf allen Kanälen im Vordergrund
Um solche Dienste einfach und schnell anbieten zu können, brauchen Versicherungen
mehr als nur eine Adaption der digitalen
Plattformen. Vielmehr müssen sie auf flexible Kernsysteme zurückgreifen können, die
eine Grundlage für alle aufsetzenden Prozesse bilden. Hier sind vollautomatisierte
Systeme gefragt, die selbsttätiges Underwriting, Risikobewertungen, Tarifierung und
die Erstellung von Dokumenten ermögli-
chen. Darüber hinaus müssen sowohl digitale Plattformen als auch Kernsysteme miteinander verzahnt sein – nur so sind freier
Datenfluss und eine nahtlose Kundenerfahrung gewährleistet. Diese sind im Rahmen
der Kundenbindung immer bedeutender.
Kunden verlieren schnell die Geduld, wenn
sie bestimmte Vorgänge wie den Abschluss
einer neuen Police oder Vertragsänderungen
auf der Plattform nicht abschließen können
vb Versicherungsbetriebe 4 | 2015
oder wichtige Informationen vorenthalten
bleiben. Sie verlassen dann eine Website
schnell wieder – und suchen sich in vielen
Fällen einen anderen Anbieter.
Omni-Channel-Kundenservice
unabdingbar
Die überwiegende Mehrheit der Kunden
und Makler ist längst mobil im Internet un-
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terwegs. Neben gut funktionierenden Prozessen wird daher heute Zugang zu Informationen auf allen Geräten erwartet – ob
Desktop, Tablet oder Smartphone. Viele
sind es inzwischen gewohnt, zwischen
Devices und Kanälen flexibel hin und herwechseln zu können, ohne dass dabei Daten
verloren gehen, oder noch einmal neu eingegeben werden müssen. Schon heute genügt dabei ein Multichannel-Ansatz nicht
mehr, bei dem einem User mehrere Kanäle
nebeneinander zur Verfügung stehen. Gefragt ist vielmehr eine Omni-ChannelStrategie, bei der alle Geräte und Plattformen ineinander greifen. Auch dabei spielen
Kernsysteme eine tragende Rolle. Sie bilden die Grundlage, um Anwendern eine
konsolidierte Sicht und eine einzige referenzielle Datenquelle (Single Source of
Truth) über verschiedene Kanäle und Systeme hinweg bieten zu können. Jeder Vorgang sollte dabei vollkommen unabhängig
vom jeweiligen Kanal und Gerät in Echtzeit
erfolgen – eine einheitliche Datenbasis
sowie das Vorhandensein aller relevanten
Daten vonseiten des Kunden oder Vermittlers sind somit unabdingbar.
Kernsysteme älterer Generation funktionieren häufig noch batch-orientiert und
somit auf Grundlage policenzentrierter
statt kundenorientierter Daten. Sie unterstützen damit keine Omni-ChannelStrategie. Um das zu ändern und damit
auch Flexibilität sowie mit wesentlich
genaueren Informationen verbundene
Echtzeit-Kapazität zu gewährleisten, ist
ein Upgrade der Systeme notwendig.
Individuelle Angebote
Sind Self-Service-Funktionen über Kanäle
und Geräte hinweg erst einmal implementiert, folgt der nächste Schritt: Versicherer
sollten die Kundenerfahrung personalisieren und auf den individuellen Nutzer zuschneiden. Dazu gehört ein entsprechendes
Branding sowie maßgeschneiderte Angebote und bei Bedarf auch ein zugeschnittenes Pricing. So ist es zum Beispiel denkbar,
dem Kunden oder Partner ein unterschiedliches Markenerlebnis zu bieten – in Abhängigkeit davon, wie er auf die Website
gelangt ist. So kann es einen Unterschied
machen, ob ein User über einen gesponserten Facebook-Link, über die Händlerseite
eines Automobilherstellers oder über eine
Google-Suche kam. Auch Cross- und UpSelling-Botschaften lassen sich auf Grundlage der über den Kunden vorliegenden
Informationen hervorragend individualisieren. Allerdings braucht es für eine maßgeschneiderte Kundenerfahrung noch mehr –
diese sollte über unterschiedliche Hintergrundbilder und Banner hinausgehen. So ist
heute eine Differenzierung etwa bei Produktangeboten, bei Service Levels und bei
der Preisgestaltung selbstverständlich. Der
Differenzierungsgrad muss dabei von
Kernsystemen unterstützt werden, damit
keine unnötigen Kosten entstehen für die
Vervielfältigung operationaler Kapazitäten.
Internet der Dinge als Chance
Der digitale Wandel wirkt sich am stärksten
mit dem Internet der Dinge aus, für das häufig der englische Begriff Internet of Everything (IoE) verwendet wird. Aktuellen
Prognosen zufolge werden im Jahr 2020 bis
zu 50 Milliarden Geräte in das Internet eingebunden sein. Dies hat massive Folgen für
die gesamte Industrie – und ganz besonders
für Versicherungen. So ist mit Big Data
Analytics aus Sensoren eine wesentlich genauere Analyse von Risiken möglich, die
für Versicherer und Kunden bessere Prognostizierbarkeit von Schäden ermöglicht.
Auch in der Schadenbearbeitung helfen
Analytics-Lösungen. So lassen sich Schadenereignisse grundsätzlich schon heute
automatisiert erfassen und erste Schritte auf
dem Weg zur Regulierung einleiten. Früher
als andere Branchen haben Versicherungen
begonnen, die Möglichkeiten des IoE zu
nutzen – zum Beispiel mit TelematikLösungen für Fahrzeuge, deren Tarife auf
Basis der tatsächlichen Fahrleistung berechnet wurden. Diese Vorerfahrungen sind
wertvoll und können auf andere Bereiche
übertragen werden, um Prozesse wesentlich
zu optimieren und Kosten zu sparen. Auch
hier geht es nicht ohne hoch flexible Kernsysteme, die neue Datenquellen und damit
verbundene Big Data in operative Arbeitsabläufe integrieren – sei es im Bereich
Underwriting, Risikobewertung oder auch
bei der Segmentierung.
Robuste Integrationsschicht
Wenn sich IT-Entscheidungsträger der Assekuranz diese Herausforderungen vor Augen führen, werden sie vermutlich schnell
zum Schluss kommen, dass eine Schnellschuss-Lösung an dieser Stelle nicht weiterhilft. Um Analytics- und OptimierungsTools einzugliedern und damit die Kundenerfahrung sowie Produktangebote und -tarife nachhaltig zu optimieren, braucht es regelmäßige Messungen und Analysen. Dazu
gehört auch die Optimierung der Angebote
auf der eigenen Website, etwa auf Grundlage von A/B-Tests oder Mehrfachtests sowie
weitere Web-Analytics. Außerdem ist der
Einsatz operationaler Business Intelligence(BI) und Analytics-Tools zu empfehlen.
Um die Funktionalität eines Kernsystems
auf allen Kanälen zu gewährleisten und verschiedene Systeme in unterschiedlichen
Bereichen zu vermeiden, und um die nötige Flexibilität sicherzustellen, braucht es
eine robuste Integrationsschicht. Diese ermöglicht es Versicherern, ihre Kernanwendungen mit beliebigen Systemen innerhalb
oder außerhalb Ihres Unternehmens zu integrieren. Um eine nahtlose Kundenerfahrung im Netz anbieten zu können, die Kunden und Maklern maximale Vorteile bietet,
sind Versicherungen auf die Optimierung
und den Neuaufbau digitaler Systeme angewiesen. Als Grundlage dafür ist es unabdingbar notwendig, dass diese digitalen
Systeme nahtlos mit den Kernsystemen
integriert sind und von operationalen
Kerndaten und Analysen unterstützt werden, um auf erweiterte Kernfunktionalitäten zu setzen, die im Mittelpunkt aller
digitalen Maßnahmen stehen.
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4 | 2015 vb Versicherungsbetriebe
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