32 SCHWERPUNKT Der Kern digitaler Kundenerfahrung Flexible Kernsysteme sind die Basis. Die besten Angebote, völlig neue Services: das wird gerade im Netz immer selbstverständlicher. Die Assekuranz sieht sich wie kaum eine andere Branche mit neuen Herausforderungen konfrontiert, sind doch durch das Internet ganz andere Möglichkeiten und ein wesentlich schärferer Wettbewerb entstanden. Hinzu kommt, dass neben Kunden auch Makler und Vermittler höhere Ansprüche haben als noch vor wenigen Jahren. Autorin: Glynda Gill , Product Strategy Director, Digital Guidewire Im ersten Schritt brauchen Schaden- und Unfallversicherer auf dem Weg zu einer optimierten Kundenerfahrung im Netz neue Tools. Diese sollten für Kunden wie für Vermittler insbesondere die folgenden Services direkt auf der Plattform zugänglich machen: • Anträge, Vertragsabschlüsse und Policierung • Vertragsänderungen und andere Servicefunktionen • Abruf der aktuellen Rechnung, Übersicht über vergangene Rechnungen und Zahlfunktionen • Schadenservices wie etwa Erstmeldung und Status-Updates Der Kunde steht auf allen Kanälen im Vordergrund Um solche Dienste einfach und schnell anbieten zu können, brauchen Versicherungen mehr als nur eine Adaption der digitalen Plattformen. Vielmehr müssen sie auf flexible Kernsysteme zurückgreifen können, die eine Grundlage für alle aufsetzenden Prozesse bilden. Hier sind vollautomatisierte Systeme gefragt, die selbsttätiges Underwriting, Risikobewertungen, Tarifierung und die Erstellung von Dokumenten ermögli- chen. Darüber hinaus müssen sowohl digitale Plattformen als auch Kernsysteme miteinander verzahnt sein – nur so sind freier Datenfluss und eine nahtlose Kundenerfahrung gewährleistet. Diese sind im Rahmen der Kundenbindung immer bedeutender. Kunden verlieren schnell die Geduld, wenn sie bestimmte Vorgänge wie den Abschluss einer neuen Police oder Vertragsänderungen auf der Plattform nicht abschließen können vb Versicherungsbetriebe 4 | 2015 oder wichtige Informationen vorenthalten bleiben. Sie verlassen dann eine Website schnell wieder – und suchen sich in vielen Fällen einen anderen Anbieter. Omni-Channel-Kundenservice unabdingbar Die überwiegende Mehrheit der Kunden und Makler ist längst mobil im Internet un- SCHWERPUNKT terwegs. Neben gut funktionierenden Prozessen wird daher heute Zugang zu Informationen auf allen Geräten erwartet – ob Desktop, Tablet oder Smartphone. Viele sind es inzwischen gewohnt, zwischen Devices und Kanälen flexibel hin und herwechseln zu können, ohne dass dabei Daten verloren gehen, oder noch einmal neu eingegeben werden müssen. Schon heute genügt dabei ein Multichannel-Ansatz nicht mehr, bei dem einem User mehrere Kanäle nebeneinander zur Verfügung stehen. Gefragt ist vielmehr eine Omni-ChannelStrategie, bei der alle Geräte und Plattformen ineinander greifen. Auch dabei spielen Kernsysteme eine tragende Rolle. Sie bilden die Grundlage, um Anwendern eine konsolidierte Sicht und eine einzige referenzielle Datenquelle (Single Source of Truth) über verschiedene Kanäle und Systeme hinweg bieten zu können. Jeder Vorgang sollte dabei vollkommen unabhängig vom jeweiligen Kanal und Gerät in Echtzeit erfolgen – eine einheitliche Datenbasis sowie das Vorhandensein aller relevanten Daten vonseiten des Kunden oder Vermittlers sind somit unabdingbar. Kernsysteme älterer Generation funktionieren häufig noch batch-orientiert und somit auf Grundlage policenzentrierter statt kundenorientierter Daten. Sie unterstützen damit keine Omni-ChannelStrategie. Um das zu ändern und damit auch Flexibilität sowie mit wesentlich genaueren Informationen verbundene Echtzeit-Kapazität zu gewährleisten, ist ein Upgrade der Systeme notwendig. Individuelle Angebote Sind Self-Service-Funktionen über Kanäle und Geräte hinweg erst einmal implementiert, folgt der nächste Schritt: Versicherer sollten die Kundenerfahrung personalisieren und auf den individuellen Nutzer zuschneiden. Dazu gehört ein entsprechendes Branding sowie maßgeschneiderte Angebote und bei Bedarf auch ein zugeschnittenes Pricing. So ist es zum Beispiel denkbar, dem Kunden oder Partner ein unterschiedliches Markenerlebnis zu bieten – in Abhängigkeit davon, wie er auf die Website gelangt ist. So kann es einen Unterschied machen, ob ein User über einen gesponserten Facebook-Link, über die Händlerseite eines Automobilherstellers oder über eine Google-Suche kam. Auch Cross- und UpSelling-Botschaften lassen sich auf Grundlage der über den Kunden vorliegenden Informationen hervorragend individualisieren. Allerdings braucht es für eine maßgeschneiderte Kundenerfahrung noch mehr – diese sollte über unterschiedliche Hintergrundbilder und Banner hinausgehen. So ist heute eine Differenzierung etwa bei Produktangeboten, bei Service Levels und bei der Preisgestaltung selbstverständlich. Der Differenzierungsgrad muss dabei von Kernsystemen unterstützt werden, damit keine unnötigen Kosten entstehen für die Vervielfältigung operationaler Kapazitäten. Internet der Dinge als Chance Der digitale Wandel wirkt sich am stärksten mit dem Internet der Dinge aus, für das häufig der englische Begriff Internet of Everything (IoE) verwendet wird. Aktuellen Prognosen zufolge werden im Jahr 2020 bis zu 50 Milliarden Geräte in das Internet eingebunden sein. Dies hat massive Folgen für die gesamte Industrie – und ganz besonders für Versicherungen. So ist mit Big Data Analytics aus Sensoren eine wesentlich genauere Analyse von Risiken möglich, die für Versicherer und Kunden bessere Prognostizierbarkeit von Schäden ermöglicht. Auch in der Schadenbearbeitung helfen Analytics-Lösungen. So lassen sich Schadenereignisse grundsätzlich schon heute automatisiert erfassen und erste Schritte auf dem Weg zur Regulierung einleiten. Früher als andere Branchen haben Versicherungen begonnen, die Möglichkeiten des IoE zu nutzen – zum Beispiel mit TelematikLösungen für Fahrzeuge, deren Tarife auf Basis der tatsächlichen Fahrleistung berechnet wurden. Diese Vorerfahrungen sind wertvoll und können auf andere Bereiche übertragen werden, um Prozesse wesentlich zu optimieren und Kosten zu sparen. Auch hier geht es nicht ohne hoch flexible Kernsysteme, die neue Datenquellen und damit verbundene Big Data in operative Arbeitsabläufe integrieren – sei es im Bereich Underwriting, Risikobewertung oder auch bei der Segmentierung. Robuste Integrationsschicht Wenn sich IT-Entscheidungsträger der Assekuranz diese Herausforderungen vor Augen führen, werden sie vermutlich schnell zum Schluss kommen, dass eine Schnellschuss-Lösung an dieser Stelle nicht weiterhilft. Um Analytics- und OptimierungsTools einzugliedern und damit die Kundenerfahrung sowie Produktangebote und -tarife nachhaltig zu optimieren, braucht es regelmäßige Messungen und Analysen. Dazu gehört auch die Optimierung der Angebote auf der eigenen Website, etwa auf Grundlage von A/B-Tests oder Mehrfachtests sowie weitere Web-Analytics. Außerdem ist der Einsatz operationaler Business Intelligence(BI) und Analytics-Tools zu empfehlen. Um die Funktionalität eines Kernsystems auf allen Kanälen zu gewährleisten und verschiedene Systeme in unterschiedlichen Bereichen zu vermeiden, und um die nötige Flexibilität sicherzustellen, braucht es eine robuste Integrationsschicht. Diese ermöglicht es Versicherern, ihre Kernanwendungen mit beliebigen Systemen innerhalb oder außerhalb Ihres Unternehmens zu integrieren. Um eine nahtlose Kundenerfahrung im Netz anbieten zu können, die Kunden und Maklern maximale Vorteile bietet, sind Versicherungen auf die Optimierung und den Neuaufbau digitaler Systeme angewiesen. Als Grundlage dafür ist es unabdingbar notwendig, dass diese digitalen Systeme nahtlos mit den Kernsystemen integriert sind und von operationalen Kerndaten und Analysen unterstützt werden, um auf erweiterte Kernfunktionalitäten zu setzen, die im Mittelpunkt aller digitalen Maßnahmen stehen. ■ 4 | 2015 vb Versicherungsbetriebe 33
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