Informationsblätter - Bund für Soziale Verteidigung

BUND FÜR SOZIALE VERTEIDIGUNG e.V.
Konflikte gewaltfrei austragen – Militär und Rüstung abschaffen
Informationsblätter
US-Waffenlobby
"Irgendwie ist es zur Routine geworden. Die Berichte darüber sind Routine. Meine Antwort
an diesem Podium wird zur Routine." (US-Präsident Barack Obama nach dem Amoklauf an
einer Schule in Oregon, 1.10.2015)
.
Der Begriff Waffenlobby
Waffenlobbys sind Interessensgruppen/verbände von Rüstungsproduzenten. Ihr Ziel ist,
die Regierung(en) dahingehend zu beeinflussen,
dass sie bestimmte Waffensysteme anschaffen,
den Export von Waffen genehmigen und durch
Fördermittel die Forschung für neue Waffensysteme finanzieren. Die zivile Nutzung, wie etwa
bei Sport- und Jagdwaffen, fällt gewöhnlich bei
der Lobbyarbeit nicht so sehr ins Gewicht, außer es geht darum, Gesetzesvorhaben zu verhindern, die den Zugriff auf und den Besitz
solcher Waffen regulieren wollen.
Der Alltag mit Waffen
In den USA erschüttern immer wieder Berichte
von Amokläufern und Schießereien die Menschen. Laut einer Erhebung des Gullip-Instituts
von 2011 gibt es in 47% der amerikanischen
Haushalte mindestens eine Schusswaffe und
jede/r dritte US-BürgerIn besitzt selber eine,
wobei die Männer den höchsten Anteil an Waffenbesitzern ausmachen (46% aller Männer,
23% aller Frauen). Der Congressional Research
Service Report kam 2012 zu dem Ergebnis, dass
im Schnitt 112,6 Waffen auf 100 EinwohnerInnen kommen. Somit gibt es mehr Waffen als
BürgerInnen1. Nach einer Auswertung von Statista im Auftrag von ZEIT ONLINE gibt es mittlerweile fast genauso viele Tote durch Schusswaffen wie durch Motorfahrzeuge2. Eine Studie
der Organisation Brady Campaign to Prevent
Gun Violence von 2011 kommt zu dem Ergebnis, dass, statistisch gesehen, jeden Tag sieben
Kinder und Jugendliche in den USA erschossen
werden. Als Erschießungsgründe werden Ermordung, versehentliche Tötung und gewollte/ungewollte Eigentötung erwähnt. Unter anderem sei dies möglich, da 1,7 Million Kinder in
einem Haushalt mit geladenen Waffen leben,
die nicht weggesperrt wurden. Deshalb finden
1
https://fas.org/sgp/crs/misc/RL32842.pdf
http://de.statista.com/infografik/3143/anzahl-der-durchschusswaffen-und-durch-motorisierte-fahrzeugeverstorbenen-personen-in-den-usa/
2
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auch 60% dieser Tode im häuslichen Umfeld
statt3.
Angesichts der oben erwähnten Zahlen, wie
viele Waffen und WaffenbesitzerInnen es gibt,
wirkt es umso erstaunlicher, dass sich immerhin
47% der US-BürgerInnen für striktere Waffengesetze aussprechen, wobei auch anzumerken
ist, dass BefürworterInnen strikterer Waffengesetze seit 2004 (60%) bis 2012 (44%) kontinuierlich abgenommen haben. Erst 2013 stieg der
Prozentsatz wieder auf 58% an, sinkt seitdem
aber wieder. Somit haben
auch die Massenschießereien in den USA nur wenig
Auswirkungen auf die öffentliche Meinung4.
In den USA werden nicht nur in Waffenläden
Waffen verkauft, sondern auch in Supermärkten. Der größte US-amerikanische Einzelhandelskonzern Wal-Mart Stores Inc verkauft in fast
allen seinen Filialen Jagdgewehre und Flinten.
6
Waffengesetze in den USA
Auf Grund des starken Föderalismus gibt es in
den USA um die 20.000 Gesetze, die den Waffenbesitz betreffen7. Durch den 2. Zusatzartikel
zur Verfassung der Vereinigten Staaten ist der
Waffenbesitz verfassungsrechtlich legitimiert, wobei dessen Interpretation umstritten
ist: „Da eine gut ausgebildete Miliz für die
Sicherheit eines freien
Die Hersteller
Staates erforderlich ist,
Die Waffenbauer organidarf das Recht des Volsieren sich in Dachverbänkes, Waffen zu besitzen
den- Das Sporting Arms
und zu tragen, nicht
and Ammunition Manubeeinträchtigt werfacturers’ Institute (SAAMI)
den.“8 2010 wurde das
Patronen als Ziersachen in Sarajevo (Foto: Schweitzer)
ist eine Organisation von
Grundrecht auf WafWaffenherstellern im Nord- und Südamerikanifenbesitz vom höchsten
schen Raum, dem die meisten WaffenherstellerGericht der USA ausgeweitet: Es gilt nun ausauch angehören. Der Dachverband betreibt
nahmslos in allen Bundesstaaten und Städten.
auch lobbyistische Tätigkeiten, da er Einfluss auf
Auch Städte und Kommunen, die zuvor den
US-amerikanische Behörden und den Vereinten
privaten Waffenbesitz verboten hatten, mussNationen hat, in dem er beratend die Gesetzesten sich dem beugen. Der zweite Zusatzartikel
5
gebung unterstützt .
ist vor dem Hintergrund des beendeten Ameri2011 wurden in den USA um die 2,6 Millionen
kanischen Unabhängigkeitskrieges 1791 verabPistolen, 2,3 Millionen Gewehre, 0,9 Millionen
schiedet worden. Unter britischer KolonialherrSchrotflinten und 0,6 Millionen Revolver hergeschaft waren die Farmer entwaffnet worden.
stellt.
Mit dem Zusatzartikel sollte sich der neue Wille
Der größte Hersteller von Kleinwaffen ist die
der US-BürgerInnen ausdrücken, sich nie mehr
Remington Arms Company, Inc. Sie gehört zur
unterwerfen zu wollen.
Cerberus-Tochtergesellschaft Freedom Group
Auf Bundesebene gibt es drei Gesetze, die das
Inc. Remington und verkaufte im Jahr 2011
Waffenrecht betreffen: The National Firearms
rund 1,1 Millionen Gewehre und rund zwei
Act (1934), the Gun Control Act (1968) und
Milliarden Patronen Munition.
den bereits erwähnten Zusatzartikel der VerfasDie Freedom Group hat 12 Waffenhersteller
sung. Mit der Zeit entstanden weitere Gesetze,
aufgekauft, darunter die erwähnte Remington
die die bestehenden geändert oder weiter beArms Company, Bushmaster Firearms Internatischränkt haben. Der National Firearms Act kononal Inc.,und Marlin Firearms. Im Jahr 2009
trolliert den Handel, Besitz und die Herstellung
erzielten sie 848,7 Mio. Dollar Umsatz.
vollautomatischer Waffen (sog. Maschinenge6
3
http://www.bradycampaign.org/sites/default/files/Childre
n-and-Guns-Report.pdf
4
http://www.gallup.com/poll/179045/less-half-americanssupport-stricter-gun-laws.aspx
5
http://www.saami.org/who_we_are/international/index.cf
m
Eine detaillierte Beschreibung der Gesetze diesbezüglich
in den verschiedenen Bundesstaaten kann online eingesehen werden: https://www.hsdl.org/?view&did=453636
7
Ayoob, Massad (2012): Gun Digest Book of Concealed
nd
Carry. 2 Edition. Iola (Wisconsin): Krause Publications, p.
31
8
http://usa.usembassy.de/etexts/gov/gov-constitutiond.pdf
wehre) und destruktiver Geräte (z.B. Granaten
und Munition für Sprengstoff). Der Gun Control
Act beschränkt das Verschicken von Waffen auf
postalischem Weg und illegalisiert den Waffenbesitz für Schwerverbrecher. Zudem dürfen USBürgerInnen nur in dem Bundesstaat die Waffe
kaufen, in welchem sie auch ihre Wohnung
gemeldet haben. EinwandererInnen müssen
eine ständige Aufenthaltserlaubnis (GreenCard)
besitzen. In der Regel können sie dann Waffen
ohne vorherige Genehmigung oder Prüfung
erwerben, zum Teil ist das sogar ohne Ausweis
möglich.
so zukünftige Mitglieder zu gewinnen. Die NRA
wehrt diese Kritik von sich ab, da den Kindern
nur der sichere Umgang gezeigt werden würde,
damit sie nicht sich und andere verletzen.
Die Waffenlobby verhindert Gesetzesänderungen
Anstatt dass nach Schießereien, die mediales
Aufsehen erregen, die Waffengesetze verschärft werden, plädieren die Lobbyisten für
mehr Waffen und -unterricht. So fordert die
National Riffle Organisation Schießunterricht an
Schulen. In einem Propagandavideo wird der
Zugang zu Waffen mit dem Zugang zu Bildung
Waffenlobby in den USA
gleichgesetzt – als ein elementares GrundbeDie Interessen von privaten
dürfnis, das der
WaffenbesitzerInnen werStaat gewährleisten
den in den USA von vielen
soll. Die Tötung von
Organisationen vertreten.
Menschen durch
Die bekannteste ist die
Schießwaffen würde
National Rifle Association
nur geschehen, weil
(NRA). Sie wurde bereits
nicht alle Menschen
1871 gegründet und
Waffen besitzen und
konnte bisherige Bemüdamit umgehen
hungen zur Waffenrechtskönnen.
verschärfung mit MillioLaut der Waffenlobnensummen an Spenden
Werbebild von der Website der NRA-ILA, der Lobbyorganisaby hätte die Anfang
für Wahlkämpfe und Protion der National Rifle Association.
Oktober 2015
paganda abwenden. Sie
stattgefundene
bezeichnet sich selber als „the nation's oldest
Schießerei in einem US-College Oregon
civil rights organization“ (älteste Bürgerrechts(01.10.2015) verhindert werden können, wenn
organisation). Sie interpretiert den zweiten Zudie SchülerInnen eine Waffe gehabt hätten, um
satzartikel der Verfassung als „garantiertes indiden Schützen zu erschießen – das College ist
viduelles Recht aller US-Bürger (...), damit sie
eine waffenfreie Zone (gewesen)11. „Das einzijederzeit ihre legitimen individuellen Rechte zur
ge, das einen bösen Kerl mit einer Waffe aufSelbsterhaltung und Verteidigung ihrer Familie,
halten kann, ist ein guter Kerl mit einer Waffe“
Person und ihres Eigentums ausüben und eben(NRA-Vize Wayne LaPierre nach dem Amoklauf
so in einer angemessenen Miliz der allgemeinen
in Newtown am 14.12.2012)
Verteidigung der Republik und individuellen
Wie sehr die amerikanische Gesellschaft noch
Freiheit ihrer Bürger dienen können.“9 In dem
für den Waffenbesitz plädiert, zeigt auch eine
sie Schießtrainings und Kurse für den Umgang
jüngste Aussage des republikanischen USmit Schusswaffen für alle Alters- und BerufsPräsidentschaftsbewerbers Ben Carson in einem
gruppen anbietet (selbst für Kinder), gilt sie
Interview beim TV-Sender CNN vom
zudem als gemeinnütziger Verein. Insgesamt
08.10.2015: Der Holocaust an den Juden hätte
trainieren jährlich rund 55.000 zertifizierte NRAverhindert werden können, wenn sie Waffen
AusbilderInnen etwa 750.000 Schusswaffenbegehabt hätten12.
sitzerInnen. Für Frauen gibt es das Programm
Refuse to be a Victim („Weigere dich, ein Opfer
zu sein“)10. Gerade die Kurse für Kinder werden
kritisiert, da befürchtet wird, dass ein harmloses
Bild über Waffen verbreitet wird und die Kurs11
http://www.spiegel.de/panorama/justiz/massaker-an-usinhalte in Propaganda übergehen können, um
9
http://de.dbpedia.org/page/National_Rifle_Association
https://home.nra.org/
10
college-in-oregon-nichts-wird-sich-aendern-a1055826.html
12
http://edition.cnn.com/2015/10/08/politics/ben-carsongun-control-2016-election/
Mythos Waffe
Der Mythos, dass, wenn einer eine Waffe besitzt, man selber nur mehr Sicherheit erlange,
wenn alle eine besitzen, wird durch all das aufrechterhalten.
Besonders erschreckend: Warum haben und
sollten gerade Kinder die Möglichkeit haben, an
nicht gesicherte und nicht weggeschlossene
Waffen zu gelangen? Zwar gibt es auch eine
Studie, die zu dem Ergebnis kommt, dass mehr
Schusswaffen nicht zwangsläufig zu mehr Morden führen13, aber dennoch ließen sich unnötige Familientragödien, Massenschießereien und
Unfälle vermeiden. Wenn wir davon überzeugt
sind, dass jeder Mensch sein Recht auf Leben
und Unversehrtheit hat, dann ist es egal, ob mit
den Schusswaffen die Morde proportional steigen oder nicht. Die Tatsache bleibt bestehen,
dass die Waffen nicht nur zur Selbstverteidigung benutzt werden (wie ursprünglich von
den Gründungsvätern gedacht) und unschuldige Menschen darunter leiden müssen, weil sie
„zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort waren“.
Deutschlands Rolle
Gleichwohl in Deutschland nicht viele Menschen durch Schusswaffen ums Leben kommen,
haben die deutschen Waffenhersteller doch
ihren Anteil daran, da sie ihre Waffen in andere
Länder exportieren: 521.967 Feuerwaffen (Pistolen, Revolver, Gewehre, Schrotflinten) exportierten deutsche Firmen der UN zufolge 2012 in
die USA. So wurde neben der Leiche des Amokläufers Seung-Hui Cho, der auf dem Campus
der Universität Virginia Tech in Blacksburg 32
Menschen getötet und 29 weitere verletzt hat,
unter anderem eine Walter P22 gefunden. Der
Waffenbauer Carl Walther GmbH gehört der
westfälischen PW Group an und gilt damit zu
den Lobbygruppen, die die schwachen Waffengesetze in den USA befürworten. Über die USTochterfirmen fließen Gelder und Sachspenden
an Lobbygruppen wie die NRA und National
Shooting Sports Foundation (NSSF). In einem
Dokument gab die deutsche Firma Heckler&Koch bekannt, dass der zivile US-Umsatz
14,9 Millionen Euro (2010) betrage. Das ist das
20fache vom Umsatz auf dem deutschen
Markt. Heckler&Koch (in den USA: Heckler&Koch USA) ist auch wahlberechtiges Mit13
http://www.welt.de/vermischtes/article143346240/Imme
r-mehr-Waffen-immer-weniger-Morde.html
glied der NSSF. Ebenfalls NSSF-Mitglied ist die
deutsch-schweizerische Firma Sig Sauer (in den
USA: Sig Sauer USA), die zur amerikanischen
L&O Holding gehört. Sie produzieren auch
Kleinwaffen für den militärischen Bereich (Armee, Navy, Geheimdienst). Die deutschen Firmen sind somit Teil des Netzwerks, die neue
Gesetze blockieren.14
Ausblick
Eine Gesetzesänderung in den USA scheint in
absehbarer Zeit unwahrscheinlich, dafür sind
die Waffenlobby zu stark und die BürgerInnen
zu stolz auf den Besitz von Waffen. Auch wenn
der amtierende Präsident Barack Obama den
Willen zur Veränderung zeigt und dies auch in
Fernsehansprachen kundtut, wird wieder einmal klar, dass auch der „mächtigste Mann der
Welt“ nichts gegen die Macht des Geldes ausrichten kann. Zwar hat er angekündigt, schärfere Waffengesetze per Dekret Einhalt zu gebieten, aber damit kann er auch potenzielle WählerInnen der Demokraten bei der nächsten USPräsidentschaftswahl im kommenden Jahr abschrecken. Hinzu kommt noch, dass eine striktere Kontrolle gegen den Willen der Bevölkerung auch den Schwarzmarkt aufblühen lassen
könnte, denn es wird immer Möglichkeiten
geben, an Waffen zu gelangen. Somit könnte
eine Veränderung der Waffengesetze „von
oben“ das Problem schlimmstenfalls verschärfen, anstatt es zu beheben. Stattdessen braucht
es einen Bewusstseinswandel. Es darf nicht
mehr selbstverständlich erscheinen, dass jeder
eine Waffe zur Verteidigung braucht.
Wie kann ein Land, mit einem Friedensnobelpreisträger als amtierenden Präsidenten, demokratische Grundzüge - zu denen auch die Unversehrtheit und Frieden gehören - nach außen
exportieren, wenn es im Inneren als Antwort
auf Gewalt nur neue Gewalt hat und das Wort
„Waffe“ scheinbar als ein Mittel gegen alles
Übel auf der Welt gilt?
Victoria Kropp, Stand: November 2015
14
Siehe auch Grässlin, Jürgen/Harrich, Daniel/HarrichZandberg, Danuta (2015): Netzwerk des Todes: Die kriminellen Verflechtungen von Waffenindustrie und Behörden,
Heyne Verlag