Mathi: FichKona Radmarathon, 26.6.2015

Alles nur Kopfsache ...
Rückblende 1: Es geht durch den Geisterwald, irgendwo kurz vor dem Nirgendwo. Der Sonntag ist
gerade eine halbe Stunde alt. Ich sitze auf meinem Rad, atme die frische Nachtluft ein und fühle mich
eigentlich pudelwohl. Das war in den vergangenen zwölf Stunden nicht immer so. Mittlerweile bin ich
nämlich so lange im Sattel und habe auch etwas mehr als die Hälfte der Gesamtstrecke vom Fichtelberg
zum Kap Arkona hinter mir. Wie konnte es soweit kommen? Soweit, das mich Triathlonfreund Basti
fragte: Machst du noch einen Bericht zu deiner total kranken 616km Tour?“
Im Prinzip fing es vor drei Jahren an, als ich beim Bergsteiger-Triathlon in Mandelholz mit Jan quatschte.
Ich hatte zwar schon mal von der FichKona gehört, aber er war einer der leibhaftigen, die schon mal auf
diesem Trip unterwegs waren. Es brauchte dann drei Jahre hoffen auf Anmelde- und Losglück, um einen
der 180 Startplätze zu erwischen. Jawohl, es gibt mehr Interessenten als Startplätze! Für 2015 hat es
dann aber geklappt. Logistische Abenteuer war ich von meinen Frühjahrsklassiker-Abenteuern gewohnt,
war hier aber gar nicht nötig, da die Organisatoren an alles gedacht haben. Man fährt im Prinzip Samstag
früh mit dem Auto zum Fichtelberg, parkt dort, steigt gegen 10 Uhr bei den Klängen der Friedensglocke
auf das Rad und kommt 24h später am Kap Arkona an. Übernachtet dort bis Montag früh und wird
bequem im Reisebus zurückchauffiert. Es soll aber auch schon Leute gegeben haben, die das Ganze per
Rad zurückfuhren…
Rückblende 2: Kurz vor Beelitz zieht bei mir jemand den Stecker, es geht nichts mehr. Es sind gerade mal
270km vorbei. Ich trete und trete und bin plötzlich am Ende des Feldes, ich spüre das Begleitfahrzeug
hinter mir und trete noch mehr. Es nützt nichts: Hungerast, totale Leere, bescheuerter Anfängerfehler.
Eben noch mopsfidel, finde ich mich im Begleitfahrzeug wieder. Zum Glück ist der Verpflegungspunkt
kurz vor Potsdam nicht weit.
Das Begleitfahrzeug wird von Olaf Schau gesteuert. Der hat sich das ganze Unternehmen ausgedacht und
organisiert das mit vielen Freiwilligen jedes Jahr wieder mit Perfektion und hohem persönlichen
Engagement. Im Auto bekomme ich auch mit, was es heißt, einen ganzen Tag lang mit Tempo 30 ein paar
Radfahrern hinterher zu zuckeln.
Außerdem lerne ich Klaus kennen, der von Muskelkrämpfen geplagt, auch eine kleine Auszeit nimmt. Er
macht mir Mut. Warum? Erstens ist er schon 73, hat die FichKona schon 14 mal mitgemacht und prima
Reiskuchen dabei. Sieht zwar ein wenig gewöhnungsbedürftig aus, füllt aber meinen leeren Tank
wunderbar wieder auf.
----Im Prinzip geht die FichKona ja ständig bergab ab, von den 1.215m des Fichtelbergs bis auf „null“. Man
sollte sich aber nicht täuschen, hinter dem „bergab“ verstecken sich knappe 4000Hm. Durch das
Erzgebirge und im Muldental verstecken sich so einige körnerfressende und giftige Anstiege, ehe man
nach ca. 200km in den Bereich der Dübener Heide und damit in ins „Flachland“ einreitet.
Radsport ist eigentlich ein Mannschaftssport, das merkt man auch hier. Die 180 Starter teilen sich in 4
Gruppen auf. Jede Gruppe hat zwei Capitanos, ein Fahrzeug an der Spitze und eins am Ende. Wenn das
Tempo gleichmäßig ist, die Begleitfahrzeuge eventuelle Ausreißer einbremsen und alle gut mitarbeiten,
dann wird es vergnüglich. In meiner Gruppe war das so, wir haben dann zum Schluss auch darauf
verzichtet, sinnlose Zielsprints zu veranstalten, sondern sind als Gruppe gemeinsam am Kap
angekommen. Während der Fahrt stießen viele Leute aus anderen Gruppen zu uns, ein Zeichen, dass es
bei uns wohl relativ chillig ablief.
----Rückblende 3: Die „Scheissetappe“: Sonntag früh gegen 4 geht es auf einer langen Abfahrt nach
Neubrandenburg. Leider fangen hier auch ekliger Regen, Kälte und Wind an. Die Stimmung sinkt, in
Altentreptow bei Kilometer 450 gibt es eine Rast, noch 150km+ vor uns. So richtig Bock hat keiner und
der Besenwagen füllt sich. Die vor uns liegenden 100km bis Stralsund werden endlos, genauso wie die
Straße die durch langweiliges plattes McPom führt, grau, Regen. Ab Grimmen sind es noch 30km. Nach
einer halben Stunde Fahrt ein Straßenschild: Stralsund 29km? Scheiß Umleitung, da sind wir doch eine
Ewigkeit nur im Kreis gefahren. Alles tut weh und Stralsund kommt nicht näher.
(Gänsehaut) Erlebnisse: Wenn stundenlang nebeneinander Rad fährt, fängt auch der größte Schweiger
an zu quatschen. Wenn es einen nicht interessiert, sucht man sich einen neuen Nebenmann. Ansonsten
führt man Gespräche über Gott und die Welt, und das hat nicht nur mit Radfahren oder Tourerlebnissen
al a Brest-Paris- Brest oder London- Edinburgh zu tun (gegen diese Langstreckenfahrten soll FichKona
angeblich eine Kaffeefahrt sein).
Von den meisten so auch von mir als Highlight empfunden: Mit der Polizei-Eskorte durch Potsdam.
Ein ganze Kradstaffel mit Blaulicht, die Kreuzungen nur für uns vollständig sperrt. Wir brausen durch die
sommerabendliche Stadt wie bei einem Pro-Rennen. Potsdamer Nachtschwärmer jubeln uns zu,
teilweise spontan, teilweise erwarten sie uns. Allein dafür lohnt es sich durchzuhalten.
Der absolute Gefühlsflash dann natürlich am Kap. Vorher nochmal ein endloser 50km Ritt über den
Rügendamm bis Sargard, unser Tross blockiert fast zwei Stunden lang die Bundesstraße, überholen
unmöglich, alles hinter uns hyperventiliert… Hinter Sargard nochmal eine 2km Kopfsteinpflasterpiste, für
mich als Frühjahrsklassikerfreund aber eher ein Lacher.
Und dann: Die Sonne scheint, die la-ola Welle rollt, Jubel, Beifall, Massen an Menschen. Alle liegen sich
in den Armen, klatschen ab und so manch einer, der bis hierher durchgehalten hat, bekommt etwas
Feuchtigkeit in die Augen.
Sonstiges
Radwahl: Ich hab Sie alle lieb. Mein Radon, mein Focus und auch ein altes Diamant-Rad. Ich tat es, wie es
der FC Barcelona mit seinen Torhütern tut: Jedem mal die Chance geben. Ich zog mein Focus Mares
Crossbike dem Radon vor. Mit meinen 35mm Reifen war ich dann aber der absolute Exot im Feld und
musste sicher auch etwas mehr Power aufwenden als alle anderen.
Pannen: Nach 80km war mein Vorderreifen platt, nach Turbowechsel verlief der Rest der Tour ohne
weitere technische Besonderheiten.
Technik: Mein Garmin Edge vermeldete am Ende gleich mehrere persönliche Rekorde. Nach 10h Laufzeit
musste ich es jedoch mit einem fetten 12Ah Akkupack bei Laune halten. Man rechnet bei Garmin auch
nicht mit solch langen Touren, bei der Auswertung zeigt die Zeitachse nach ca. 12h nur noch kryptische
Werte. Interessant ist es auch bei GarminConnect die imposante Anzahl an „Segmenten“ aufgelistet zu
sehen, auf denen man während dieses Nord-Süd-Trips unterwegs war.
Stürze: In unserer Gruppe gab es keine! Das fand ich natürlich gut, aber auch obgleich der
Randbedingungen (Teilnehmerzahl, Streckenlänge) einen besonderen Glücksumstand. Im gesamten Feld
gab es wohl einen Armbruch, der in Wittenberg versorgt wurde.
Verpflegung: gab es in hervorragender Qualität und Quantität. Auch wenn sich der Appetit gelegentlich
in Grenzen hält, sind die Verpflegungspunkte psychologisch wichtige Zwischenziele:
V1 bei Kilometer 104 Rochlitz
V2 bei Kilometer 172 KURZ-RAST in Laußig
V3 bei Kilometer 198 bei Kemberg
V4 bei Kilometer 277 Vor Potsdam
V5 bei Kilometer 366 NACHT-RAST in Gransee
V6 bei Kilometer 451 Altentreptow
V7 bei Kilometer 411 KURZ-RAST vor Grimmen
V8 bei Kilometer 540 Stralsund
Wiederholungsfaktor: mittlerweile steigend.
Fazit: Eine empfehlenswerte Veranstaltung, für alle die Ihre Grenzen ausloten wollen, eine geografisch
interessante Reise entlang der Süd-Nord-Achse des ehemaligen Ostens und eine Badefahrt der
besonderen Art.