Datum: 19.03.2016 Tages-Anzeiger 8021 Zürich 044/ 248 44 11 www.tagesanzeiger.ch Medienart: Print Medientyp: Tages- und Wochenpresse Auflage: 162'894 Erscheinungsweise: 6x wöchentlich Themen-Nr.: 038.143 Abo-Nr.: 1094437 Seite: 47 Fläche: 89'155 mm² «Negerkunst» als Sparringpartner Das Museum Rietberg springt auf den Dada-Zug auf - und schafft es, der Thematik einen neuen Dreh zu verpassen: Die Ausstellung «Dada Afrika» zeigt auf, wie die Dadaisten bei der aussereuropäischen Kunst abkupferten. In hiesigen Salons beliebt: «Kraftfigur» aus dem Kongo. Fotos: Medienbeobachtung Medienanalyse Informationsmanagement Sprachdienstleistungen 2016, Pro Litteris, Zürich ARGUS der Presse AG Rüdigerstrasse 15, Postfach, 8027 Zürich Tel. 044 388 82 00, Fax 044 388 82 01 www.argus.ch Argus Ref.: 60985372 Ausschnitt Seite: 1/3 Datum: 19.03.2016 Tages-Anzeiger 8021 Zürich 044/ 248 44 11 www.tagesanzeiger.ch Medienart: Print Medientyp: Tages- und Wochenpresse Auflage: 162'894 Erscheinungsweise: 6x wöchentlich Themen-Nr.: 038.143 Abo-Nr.: 1094437 Seite: 47 Fläche: 89'155 mm² Paul Ina Szczesn lak rie, mit der zusammen das Ausstellungs- nämlich die in Zürich gekeimte DadaDas Maul stopfen wollte man ihnen, den projekt «Dada Afrika» auf die Beine ge- Idee, die bei Hannah Höch in Berlin Colkriegstreibenden, grössenwahnsinnigen stellt wurde. Im Herbst wird die Schau lagenfrüchte trug, jetzt wieder in Zürich Politikern und all ihren Handlangern, nach Berlin weiterreisen und dort, wie auf jenes Artefakt trifft, das die Collagen Speichelleckern und Supportern, als Burgmeister vergnügt anfügte, einiges einst befeuerte hatte. Wem nun der Kopf man 1916 im Zürcher Niederdorf den umfassender als im Rietberg ausfallen. qualmt, der sei gewarnt: So manches der Den Hausmann-Kopf wird man freiDada-Motor anwarf. Unwillkürlich hat rund hundert Exponate in der Ausstelman diese Assoziation, wenn man in der lich auch dort nicht zu sehen bekom- lung bringt einen ähnlich abenteuerliAusstellung «Dada Afrika» im Museum men. Genau wie in Zürich wird man sich chen Unterbau mit. «Dada Afrika» mag Rietberg vor dem Exponat Nr. 103 steht: stattdessen mit dem bestmöglichen Sub- überschaubare Ausstellung sein Die hölzerne «Kraftfigur» aus dem stitut behelfen: einer frühen Fotografie eine ihre Vorbearbeitung war höllisch aufKongo ist ein kaum metergrosses, über des Werks, aufgenommen 1922, jetzt auf wendig, sodass hier der überbeanund über mit Nägeln gespicktes Kerl- Originalgrösse der «Täte» aufgeblasen chen, aus dessen geöffnetem Mund hin- und im Leuchtkasten präsentiert. eingestopfte Stoffstücke lampen. SpreEine andere Gegenüberstellung ist inchen muss das Ding eh nicht können. des im Original gelungen - und durchaus spruchte «Klein, aber fein»-Vergleich für einmal tatsächlich angebracht ist. Hut ab vor den Kuratoren (Burgmeister von der Berlinischen Galerie, Michaela Ober- Seine Stärke liegt woanders: in dem eine kleine Sensation. Das Kernstück: hofer sowie Esther Tisa Francini vom faustgrossen, in die Brust eingelassenen Kästchen. Einst legte man hier Pflanzen und tierische Bestandteile rein; erst mit dieser magischen «Füllung», so glaubte man, war die Figur fähig, ihren Besitzer vor Gefahren zu schützen bzw. seinen Feinden übel mitzuspielen. Kein Wunder, hat man dieses «Batteriefach» immer erst geleert, bevor man solche Figuren nach Europa verkaufte. Göttin mit Pagenschnitt Dort waren sie (allerdings mehr aus ästhetischen als aus kultischen Gründen) gefragt: Wer um 1900 über das nötige Kleingeld sowie einen progressiven Kunstgeschmack verfügte, stellte sich solche Artefakte in den Salon. Oder man machte es wie der Dada-Künstler Raoul Hausmann - und baute sich so eine Wunderfigur ganz einfach selbst: Hausmanns weltberühmte «Täte me'canique» - ein hölzerner Perückenkopf mit am linken Ohr festgenageltem Lineal - war letztlich nichts anderes. Ein dem Holzkopf aufge- pfropfter Zinnbecher sollte - wie die Werktitelvariante «L'esprit de notre Hannah Höchs entzückende Collagenserie mit dem Titel «Aus einem ethnographischen Museum», für welche sie Zeitungsfotos von sogenannt primitiven Skulpturen mit zeitgenössischen Elementen zu Multikulti-Fantasiewesen verquickte: Da wachsen einem indigenen Maskengesicht moderne Menschenbeine aus dem Kinn; eine kambodschanische Göttin hat einen kessen Pagenschnitt verpasst bekommen. Und die Kreuzung aus afrikanischer Maske, hängebusigem Torso und nackten Starletbeinen aus einem Paparazzofoto hat es gar, wenig verwunderlich, als Covergirl aufs Ausstellungsplakat geschafft. Komplettiert werden diese Collagen von einer Vitrine, in der die Ausstellungsmacher Exemplare der Avantgardezeitschrift «Der Querschnitt» ausgelegt haben -just jene Nummern, aus der sich Hannah Höch einst so freudvoll mit der Schere bediente. Und dazu: ein nur etwa baumnussgrosses Elfenbeinköpfchen, das wiederum den «Querschnitt» Machern als Fotovorlage gedient hatte. Das Köpfchen gehörte, als das Foto entstand, dem kunstbesessenen Bankier Eduard Freiherr von der Heydt, dessen Sammlung aussereuropäischer Kunst temps» verrät - Geist und gute Energien einfangen. Und, wie sein kongolesisches Pendant, dem Betrachter als spirituelles Back-up und geistiges Ladegerät dienen. Natürlich haben die Rietberg-Kurato- nach dem Zweiten Weltkrieg den Grundren die echte «Täte me'canique» nicht stock für das Museum Rietberg bilden vom Centre Pompidou ausgeliehen be- sollte. Es ist das erste Mal, dass man dieses kommen. Dieses Kronjuwel würde das Pariser Museum wohl nur dann heraus- kunsthistorische Trio - Anhänger, Zeirücken, wenn das Moma anfragte, tungsfoto, die daraus gefertigte Collage seufzte an der Vernissage Kurator Ralf - als Einheit sehen kann. Und es schliesst Burgmeister von der Berlinischen Gale- sich hier ausserdem ein Kreis: indem Medienbeobachtung Medienanalyse Informationsmanagement Sprachdienstleistungen Museum Rietberg). Tristan Tzara auf Maori Und noch etwas ist gut gelungen: dass man nämlich, wenn man schon auf den Dada-Zug aufgesprungen ist, der Thematik wirklich einen zusätzlichen Dreh ver- passt hat. Wie man es von diesem Museum erwartet, dient die aussereuropäische Kunst hier nicht als Sahnehäubchen, sondern wird als der ebenbürtige Sparringpartner präsentiert, als den sie von den Dadaisten einst verstanden worden war. Hannah Höch sah den Sinn ihrer Collagen darin, «die skrupellose und simple Verwendung der Negerplastik» in Europa zu beleuchten, wie man den an die Museumswand applizierten Künstlerzitaten entnimmt. Sprich: Höch wollte nicht einfach nur etwas Lustiges zusammenkleben, sondern mit der vermeintlich respektlos-verspielten künstlerischen Aneignung davon die ignorante Rezeption der afrikanischen Kunst im Westen reflektieren. Sicher, auch im Cabaret Voltaire stampfte und trommelte man sich bei den «Soire'es neres» die europäische Seele aus dem Leib, auf dass man danach gesellschaftlich und künstlerisch nochmals ganz von vorn würde begin- nen können. Und auch die Sprache nahm man auseinander, um mittels Dada-Gedichten Stimmbändern und Ohren etwas Frisches zu bieten (in der Ausstellung bekommt man an Hörstationen zum Beispiel Tristan Tzaras auf MaoriGesängen fussendes «Toko Waka» vorge- ARGUS der Presse AG Rüdigerstrasse 15, Postfach, 8027 Zürich Tel. 044 388 82 00, Fax 044 388 82 01 www.argus.ch Argus Ref.: 60985372 Ausschnitt Seite: 2/3 Datum: 19.03.2016 Tages-Anzeiger 8021 Zürich 044/ 248 44 11 www.tagesanzeiger.ch Medienart: Print Medientyp: Tages- und Wochenpresse Auflage: 162'894 Erscheinungsweise: 6x wöchentlich Themen-Nr.: 038.143 Abo-Nr.: 1094437 Seite: 47 Fläche: 89'155 mm² lesen). Da kamen die nativen Formen und Klänge der Stammeskunst gerade recht. Man ahmte sie nach - aber eben gerade ohne jede westlich-überhebliche Verniedlichung: «Il n'existe pas d'art pri- mitif comme il n'existe pas d'art civilise'», konstatierte Cabaret-Voltaire-Mitbegründer Marcel Janco. Stattdessen sei jede Art von Kunst «immer perfekte Schöpfung». Die Kuratoren scheinen mit Janco ei- nig: Sie haben darauf verzichtet, die wild durcheinander gemischten Exponate - Afrikanisches, Ozeanisches, Dada (und wer entdeckt den Sonderling aus dem Lötschental?) - zu beschriften. Eine Nummer muss reichen; wer will, entnimmt die zugehörige Information dem aufliegenden Heftchen (oder dem tollen Katalog: Scheidegger & Spiess, 39 Franken). Bisweilen ist es gar nicht so einfach, ein Artefakt einer Epoche, einem Kontinent zuzuordnen. Und das ist in einer Zeit, wo Kunst mit obligaten Info- Rattenschwanz - Urheber, Datierung, Massen, Preis - daherzukommen hat, Kritik an «skrupelloser Verwendung der Negerplastik»: Werk von Hannah Höch. schon fast dadamässig subversiv. Bis 17. Juli 100 Jahre Webdoku, 100 JahreDada Dada Webdoku, Künstlerporträts Künstlerporträts und und mehr mehr dada100.tagesanzeiger.ch dada100.tagesanzeigerch Medienbeobachtung Medienanalyse Informationsmanagement Sprachdienstleistungen ARGUS der Presse AG Rüdigerstrasse 15, Postfach, 8027 Zürich Tel. 044 388 82 00, Fax 044 388 82 01 www.argus.ch Argus Ref.: 60985372 Ausschnitt Seite: 3/3
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