Evangelisches Dekanat Groß-Gerau Öffentlichkeitsarbeit/ Heidi Förster 12.06.2015 _____________________________________________________________________________________________________ Helwigstr. 30, 64521 Groß-Gerau 06152/ 1874-13 oder 0171/42 66 832 06152/ 1874-33 [email protected] / www.gross-gerau-evangelisch.de _____________________________________________________________________________________________________ PRESSEMITTEILUNG 53/ 2015 Vom Aufsichtsrat der Volksbank zum Flüchtling in tiefer Armut... Ev. Dekanat, Stadt und Förderverein laden am 8. Juli 2015 zur 9. und 10. Stolpersteinverlegung in Groß-Gerau in die Frankfurter Straße 36 Groß-Gerau ein Am Mittwoch, den 8. Juli 2015 um 9.00 Uhr verlegt der Künstler Gunter Demnig Stolpersteine in der Frankfurter Straße 36 für die Eheleute Hugo und Thekla Heinrich, die dort gemeinsam mit Heinrich und Karoline Hirsch eine Essig- und Likör-Fabrik in dritter Generation geführt hatten. Wolfgang Prawitz, Pfarrer für Ökumene im Ev. Dekanat Groß-Gerau hat gemeinsam mit dem Lehrer Thomas Heeg und Schülerinnen/Schülern der Klasse 9b der Luise-Büchner-Schule die Lebensgeschichte der beiden Brüder mit ihren Familien vorbereitet. Die Schülerinnen/ Schüler werden ihre Ergebnisse während der Gedenkveranstaltung vortragen. Auch Jochen Auer (Stadt Groß-Gerau) und Walter Ullrich (Förderverein für jüdische Geschichte und Kultur im Kreis Groß-Gerau) werden bei der Veranstaltung, bei der auch die Paten der fünf Stolpersteine Ihre Urkunden erhalten, sprechen. Petra Kunik von der jüdischen Gemeinde Frankfurt wird ein Gebet sprechen. Vor dem Haus und dem Gebäude der ehemaligen Essig- und Likörfabrik „H.HirschSöhne“ in der Frankfurter Straße 36 (am Kreisel) beginnt die Gedenkveranstaltung um 9.00 Uhr. Im Anschluss gehen die Teilnehmerinnen/ Teilnehmer durch die Unterführung zur August-Bebel Straße 7. Dort lebte der ältere Bruder von Hugo, Heinrich Hirsch, mit seiner Frau Karoline, genannt Lina. Interessierte sind herzlich zu der etwa 60-minütigen Veranstaltung mit Stolpersteinverlegungen vor beiden Häusern eingeladen. Stolpersteine im Gehweg vor den Häusern, Frankfurter Straße 36 (fünf Stolpersteine) und August-Bebel-Straße 7 (zwei Stolpersteine) sollen Passanten keinesfalls zum Stolpern bringen. Die 10 x 10 Zentimeter großen Messingplatten werden von Künstler Gunter Demnig selbst ebenerdig in das Pflaster eingesetzt und versiegelt. Die gold-glänzenden Steine sollen vielmehr zur Verneigung führen, vor dem Schicksal jedes einzelnen Opfers der nationalsozialistischen Gewalt. Zum Schicksal der Familie Hugo Hirsch, Frankfurter Straße 36: Die beiden Cousins Hugo und Heinrich Hirsch führten in der Frankfurter Straße am Mühlbach die Essig-und Likör-Fabrik in der dritten Generation. Gegründet hatte sie ihr Großvater 1867 in Wallerstädten. Das Unternehmen wurde zu überregionaler Bedeutung ausgebaut. Hugo, der jüngere der beiden (Jg. 1877), wohnte in der Frankfurter Straße 36 direkt neben der Destillerie und dem Lager. Heinrich, der ältere, wohnte in der August-Bebel-Straße 7. Ihre beiden Ehefrauen, Thekla Selig aus Bischofsheim und Karoline (Lina) aus Freudenheim bei Mannheim, waren gleichberechtigte Eigentümerinnen der Firma. Hugo und Thekla (Jg. 1883) lebten mit ihren drei Töchtern Anna, Victoria und Emilie, bis dahin in „guten Verhältnissen“. Aus so genannten „rassischen Gründen“ mussten sie 1939 fliehen - über Wiesbaden gelangten sie nach Rio de Janeiro. Unter Wert erfolgte 1936 der Verkauf der Fabrik, bestehend aus Brennerei, Likörfabrik, Essigfabrik, Küferei, Büros und 400 000 Liter Transport- und Lagerfässer sowie einem Lkw und einem Pkw. Beruflich fassten Hugo und Thekla im Exil nie wieder Fuß. Sie wurden bis zum Tode von Hugo im Haushalt von Theklas Bruder, Wilhelm Selig, ernährt und unterhalten. Zum Schicksal der Familie Heinrich Hirsch, August-Bebel-Straße 7 Die Familie Heinrich (Jg. 1866) und Karoline (Lina) Hirsch (Jg. 1873) aus der August-Bebel-Straße 7 erscheint uns zusammen mit ihren beiden Töchtern Betty und Gretel als Musterbeispiel für eine gelungene Integration deutscher Juden in ihr gesellschaftliches Umfeld. Lina war in der sozialen Fürsorge vielen Groß-Gerauern bekannt, Heinrich war eine herausragende öffentliche Person. Er war religiös aktiv als Vorsteher der jüdischen Gemeinde. Unternehmenspolitisch hatte er sich in Brennereiverbänden, der Handelskammer und im Aufsichtsrat der Volksbank von 1924 bis 1932/1933 engagiert. Kommunalpolitisch war er im Gemeinderat von Groß-Gerau tätig und gut vernetzt. Die Gerauer Presse berichtete regelmäßig über seine Aktivitäten; Er scheute sich nicht bei Konflikten zwischen Juden und Nicht-Juden zu vermitteln und nahm auch gegen den latenten und immer offeneren Antisemitismus als Demokrat Stellung. Entsprechend groß und abrupt war sein Fall im Verlauf des Jahres 1933. Wie brüchig war doch die Assimilation oder Integration! Bis ins Schlafzimmer wurde das Ehepaar Hirsch in seinem Haus tätlich verfolgt, so dass es ihnen ratsam erschien, noch im gleichen Jahr über Bad Homburg, wo die ältere Tochter Betty inzwischen verheiratet war, nach Frankfurt zu ziehen. Dort war das Leben in tiefer Armut kaum mehr auszuhalten. Während von ihnen vor 1933 regelmäßige Ansichtskartengrüße an die Gerauer Verwandten aus Kur und Kultur in Bad Gastein vom gehobenen Lebensstil kündeten, hielten sich Heinrich und Lina jetzt durch Verkauf von Tees und anderen Kleinigkeiten über Wasser. Körperliche Leiden Heinrichs und seine Erblindung führten 1937 zu seinem Tode. Lina starb im darauffolgenden Jahr. Im November 1938 schrieben die Bewohner vom Sandböhl an Martin Marx, den Neffen von Heinrich und Lina Hirsch: „Jeder Tag bringt Neues, aber nie was Angenehmes, und so leben wir weiter, bis ans Ende. Lina Hirsch hat es überstanden, hätte sich eigentlich noch paar schöne Tage machen können.“ Weitere Informationen: unter http://www.erinnerung.org“ oder http://www.gross-gerau-evangelisch.de DVD „Was ist die nächste Frage?“, um Ev. Dekanat Groß-Gerau erhältlich. Die 10-minütige Dokumentation von der TV-Journalistin und Öffentlichkeitbeauftragten Heidi Förster vom Ev. Dekanat Groß-Gerau (seit 2004) zeigt die erste Stolpersteinverlegung am 16.11.2012 in Groß-Gerau mit beeindruckenden Zeitzeugenberichten Stadtplan: „Orte der Erinnerung“ im Ev. Dekanat Groß-Gerau – auch im Satz für Schulklassen erhältlich oder online abrufbar (siehe oben). Paten für weitere Stolpersteine gesucht: Weitere Stolpersteine für ehemalige jüdische Mitbürgerinnen/ Mitbürger sollen in Groß-Gerau verlegt werden. Auch Sie können Patin oder Pate werden. Das Projekt Stolpersteine wird getragen von dem Evangelischen Dekanat Groß-Gerau, der Stadt Groß-Gerau und dem Förderverein Jüdische Geschichte und Kultur im Kreis Groß-Gerau. Konto bei der Kreissparkasse Groß-Gerau: „ Stichwort Stolpersteine“, IBAN: DE36508525530016032542 Die Groß-Gerauer Stolpersteine sind auch mobil mit der kostenlosen App „Stolpersteine-Guide“ mit Smartphone und Tablet aufrufbar! Heidi Förster Öffentlichkeitsarbeit
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